Entscheidungsdatum
12.06.2018Norm
MSG Vlbg 2010 §8 Abs1Text
Im Namen der Republik!
Erkenntnis
Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Mag. Pathy über die Beschwerde der B W, D, vertreten durch Fischer, Walla & Matt Rechtsanwälte OG, Dornbirn, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft D vom 06.09.2017, Zl IV-321-04705/2015/001, betreffend Mindestsicherung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides wie folgt lautet:
„I.
Für Frau B W werden ab dem 01.03.2017 die Unterkunfts- und Verpflegskosten im Pflegeheim Hstraße in D aus den Mitteln der Mindestsicherung übernommen, soweit diese Kosten nicht durch die folgenden Einkünfte, die Frau B W einsetzen muss, abgedeckt werden:
a) 80 % der monatlichen Pensionszahlungen;
b) Pflegegeld, soweit es 10 % der Stufe 3 übersteigt.
Die Mindestsicherung wird durch Zahlung an den Rechtsträger des Pflegeheimes erbracht.
II.
Im Übrigen – soweit Mindestsicherung auch für Jänner 2017 und Februar 2017 beantragt wurde – wird der Antrag abgewiesen.
Rechtsgrundlagen: §§ 1, 5 und 8 Mindestsicherungsgesetz iVm §§ 1, 5, 6 Abs 3 und § 9 Mindestsicherungsverordnung.“
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Begründung
Angefochtener Bescheid
1. Die Beschwerdeführerin hat Mindestsicherung für die Übernahme von Unterkunfts- und Verpflegskosten in einem Pflegeheim ab dem 01.01.2017 beantragt.
Im angefochtenen Bescheid hat die Bezirkshauptmannschaft diesen Antrag mangels finanzieller Hilfsbedürftigkeit abgewiesen.
Der Bescheid wurde zusammengefasst wie folgt begründet: Die Beschwerdeführerin habe eine Liegenschaft ihrem Sohn geschenkt. Ihr Sohn habe diese Liegenschaft um 220.000 Euro verkauft. Als die Beschwerdeführerin die Liegenschaft ihrem Sohn geschenkt habe, sei sie bereits hilfsbedürftig gewesen und wäre nicht in der Lage gewesen, die Unterkunfts- und Verpflegskosten im Pflegeheim aus ihren laufenden Einkünften zu bezahlen. Durch die Schenkung der Liegenschaft habe sie sich selbst in Hilfsbedürftigkeit gebracht. Mit dem Erlös aus dem Liegenschaftsverkauf wäre sie in der Lage gewesen, die Unterkunfts- und Verpflegskosten voraussichtlich bis Mitte März 2021 selbst zu bezahlen.
Beschwerde
2. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde erhoben. Sie lautet auszugsweise wie folgt:
„[…]
Der Bescheid wird dahingehend angefochten, als der Antrag der Antragstellerin vom 28.06.2017 auf Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten im Pflegeheim Hstraße D ab dem 01.01.2017 aus Mitteln der Mindestsicherung mangels finanzieller Hilfsbedürftigkeit abgewiesen wurde. Geltend gemacht wird der Beschwerdegrund der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des bekämpften Bescheides.
Die Antragstellerin ist unbestrittenermaßen seit 01.01.2017 (die belangte Behörde geht sogar von einer Hilfsbedürftigkeit schon seit dem Jahr 2015 aus) hilfsbedürftig im Sinne des § 3 Abs. 3 Mindestsicherungsgesetz. Sie kann ihren Bedarf für Lebensunterhalt und Wohnung nicht ausreichend selbst decken. Bei Hilfsbedürftigen, die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind, weil sie nur dort ihre Bedürfnisse nach Abs. 1 und 2 stillen können, umfassen der Lebensunterhalt und der Wohnbedarf nach § 5 Abs. 3 Mindestsicherungsgesetz jedenfalls auch den Aufwand für die dort anfallenden Unterkunfts- und Verpflegskosten. Dies ist bei der pflegebedürftigen Antragstellerin der Fall.
Bis zum verfahrensgegenständlichen Mindestsicherungsantrag wurde über keinen vorherigen Mindestsicherungsantrag der Antragstellerin behördlich beschieden. Beim angefochtenen Bescheid vom 06.09.2017 handelt es sich - die Antragstellerin betreffend - um den ersten Mindestsicherungsbescheid.
Die belangte Behörde begründet ihre abweisende Entscheidung damit, dass sich die Antragstellerin durch eine Schenkung vom 07.09.2015 selbst in Hilfsbedürftigkeit gebracht habe. Diese Ansicht der belangten Behörde ist rechtswidrig.
Richtig ist zwar, dass die Antragstellerin mit Vertrag vom 07.09.2015 die in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft in EZ XXX GB D an ihren Sohn H J W übergeben hat. Zu diesem Zeitpunkt war aber kein Mindestsicherungsantrag und schon gar nicht der gegenständlich beschiedene Mindestsicherungsantrag anhängig. Zudem handelte es sich bei dieser Liegenschaft auch um ein kleines Eigenheim im Sinne des § 9 Abs. 4 lit f Mindestsicherungsverordnung, welches im Zusammenhang mit einer Mindestsicherungsgewährung nicht als verwertbares Vermögen berücksichtigt werden durfte und darf.
Die Antragstellerin hat sich nicht selbst in Hilfsbedürftigkeit gebracht. Nicht zuletzt gibt es keinen wie immer gearteten Nachweis oder Erkenntnisse, dass das am 07.09.2015 vorhandenen „Vermögen“, sofern es zu berücksichtigen gewesen wäre, zum gegenständlichen Antragszeitpunkt am 28.06.2017 (bzw. am 01.01.2017) noch auch nur zum Teil vorhanden gewesen oder nicht ohnehin - hier kommen mannigfaltige Umstände in Frage - verbraucht gewesen wäre.
Faktum ist jedenfalls, dass sich die Antragstellerin zum gegenständlichen Antragszeitpunkt am 28.06.2017 und auch heute in Hilfsbedürftigkeit befindet. Durch den abweisenden Bescheid der belangten Behörde wird die pflegebedürftige Antragstellerin schlicht in dieser Hilfsbedürftigkeit belassen. Dies ist mit den Regelungen des Mindestsicherungsgesetzes unvereinbar. Die von der belangten Behörde monierten Umstände berechtigten diese keinesfalls zu einer einfachen Abweisung des gegenständlichen Mindestsicherungsantrages, bzw. stellen diese Umstände keine relevanten Überlegungen im Zusammenhang mit der unmittelbaren Mindestsicherungsentscheidung dar. Wegen vorliegender Hilfsbedürftigkeit der Antragstellerin hätte die belangte Behörde dem Mindestsicherungsantrag vom 28.06.2017 stattgeben müssen.
Die Antragstellerin stellt sohin an den Landesverwaltungsgerichtshof Vorarlberg den
ANTRAG,
den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft D vom 06.09.2017 dahingehend abzuändern, als der Antragstellerin die im Antrag vom 28.06.2017 beantragte Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten im Pflegeheim Hstraße D ab dem 01.01.2017 aus Mitteln der Mindestsicherung gewährt wird.“
Sachverhalt
3. Die Beschwerdeführerin lebt seit dem 05.05.2015 in einem Pflegeheim.
Die Beschwerdeführerin hat bereits im Jahr 2015 einen Mindestsicherungsantrag gestellt.
Sie war damals Eigentümerin einer Liegenschaft. Die Bezirkshauptmannschaft hat ihr daher mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Mindestsicherung für die Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten in Form eines Darlehens zu gewähren; zur Sicherstellung müsse auf der Liegenschaft eine Höchstbetragshypothek eingetragen werden (Schreiben vom 07.07.2015).
Daraufhin hat der Sohn der Beschwerdeführerin Ende Juli 2015 bei der Bezirkshauptmannschaft vorgesprochen und den Mindestsicherungsantrag zurückgezogen.
4. Die Beschwerdeführerin hat im September 2015 die Liegenschaft ihrem Sohn geschenkt. Im Oktober 2015 hat der Sohn die Liegenschaft um 220.000 Euro verkauft.
5. Im März 2017 hat der Sohn der Beschwerdeführerin im Wege seines Rechtsanwaltes ein Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft gerichtet (Schreiben vom 06.03.2017). Es lautet auszugsweise wie folgt:
„[…] Mein Mandant ist der Sohn und einziges Kind von Frau B[…] W[…], die seit dem 05.05.2015 im Pflegeheim […] wohnhaft ist.
Frau B[…] W[…] hat bei Ihnen bereits ab dem 05.05.2015 um Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten im Pflegeheim Hstraße angesucht. Diese wurde bis dato aber nicht von Ihnen getragen, sondern wurden diese stets aus dem Eigeneinnahmen von Frau W[…] und aus Kostenbeiträgen meines Mandanten bestritten.
Die finanziellen Mittel meines Mandanten sind erschöpft. Die ihm von seiner Mutter übertragene Liegenschaft musste zur Schaffung liquider Mittel verkauft werden, wobei vor Abzug der damit verbundenen Aufwände ein Erlös von EUR 220.000,-- erzielt wurde.
[…]
Ich ersuche höflich um – wie bereits beantragt – direkte Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten von Frau B[…] W[…] im Pflegeheim Hstraße […].“
Die Bezirkshauptmannschaft hat darauf dem Rechtsanwalt mit der E-Mail vom 20.03.2017 geantwortet, die auszugsweise wie folgt lautet:
„[…] Damit wir Ihre Anfrage prüfen und die Ansprüche von Frau B[…] W[…] prüfen können, benötigen wir einen vollständigen Mindestsicherungsantrag von bzw für Frau B[…] W[…]. Weiters benötigen wir jeweils eine Kopie des Übergabe- und den Kaufvertrages […].
Wir empfehlen grundsätzlich die Antragstellung über das Gemeindeamt. Das Antragsformular finden Sie unter: […].“
Im Juni 2017 wurde unter Verwendung eines Antragsformulars im Wege des Gemeindeamtes für Frau B[…] W[…] erneut Mindestsicherung für die Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten ab dem 01.01.2017 beantragt.
6. Die Beschwerdeführerin bezieht eine Pension von der Pensionsversicherungsanstalt (im Jahr 2018: monatlich 889,07 Euro) und von der Schweizerischen Ausgleichskasse (monatlich 36 Euro). Außerdem erhält sie Pflegegeld der Stufe 3 (monatlich 451,80 Euro).
Die Kosten des Pflegeheimes betragen über 4.000 Euro im Monat.
Erwägungen zur Feststellung des Sachverhalts
7. Es wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der die belangte Behörde und ein Vertreter der Beschwerdeführerin teilgenommen haben. Außerdem wurde der behördliche Mindestsicherungsakt eingesehen.
Der Sachverhalt ist im Wesentlichen unstrittig.
Dass im Jahr 2015 ein Mindestsicherungsantrag gestellt wurde, der zurückgezogen wurde, ergibt sich aus dem behördlichen Akt. Außerdem liegen das Schreiben vom 06.03.2017, die E-Mail der Bezirkshauptmannschaft vom 20.03.2017 und der Mindestsicherungsantrag vom 28.06.2017 im behördlichen Akt auf.
Die Schenkung der Liegenschaft an den Sohn und der Verkauf der Liegenschaft wurden in der Beschwerde nicht bestritten. Im Übrigen befindet sich eine Kopie des Schenkungs- und des Kaufvertrages im behördlichen Akt.
Die Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen ergeben sich aus einem Schreiben der PVA, das vorgelegt wurde, sowie einem Überweisungsbeleg der Schweizerischen Ausgleichkasse, der sich im behördlichen Akt befindet.
Maßgebliche Rechtsvorschriften
8. Das Gesetz über die Mindestsicherung lautet auszugsweise:
„§ 8
Form und Ausmaß der Mindestsicherung
[LGBl.Nr. 64/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 17/2018]
(1) Mindestsicherung wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen gewährt. […]; weiters kann eine Geldleistung an einen Hilfsbedürftigen, der nach § 5 Abs. 3 in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, durch Zahlung an den Rechtsträger der stationären Einrichtung erbracht werden. […] Das Ausmaß der Mindestsicherungsleistung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen.
(2) Beim Einsatz der eigenen Kräfte ist auf die persönliche und familiäre Situation des Hilfsbedürftigen, insbesondere auf den Gesundheitszustand, das Lebensalter, die Arbeitsfähigkeit, die Zumutbarkeit einer Beschäftigung, die geordnete Erziehung der Kinder, die Führung eines Haushaltes und die Pflege von Angehörigen Bedacht zu nehmen.
(3) Die eigenen Mittel, wozu das gesamte Vermögen und Einkommen gehört, dürfen bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit nicht berücksichtigt werden, als dies mit der Aufgabe der Mindestsicherung unvereinbar wäre oder für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde. Kleinere Einkommen und Vermögen, insbesondere solche, die der Berufsausübung dienen, sind nicht zu berücksichtigen. Bei der Gewährung von Sonderleistungen (Hilfe in besonderen Lebenslagen) ist überdies darauf Bedacht zu nehmen, dass eine angemessene Lebensführung und die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung nicht wesentlich erschwert werden. Bei Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind, ist das Vermögen überhaupt nicht zu berücksichtigen.
[(4) bis (6b)]
(7) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften über die Arten, die Form und das Ausmaß der Mindestsicherung zu erlassen; weiters darüber, inwieweit das Vermögen und das Einkommen nicht zu berücksichtigen sind. Schließlich sind nähere Vorschriften über die Arten der in Betracht kommenden integrationsfördernden Maßnahmen sowie über die Inhalte der Integrationsvereinbarung zu treffen.
(8) […].“
9. Die Mindestsicherungsverordnung lautet auszugsweise:
„§ 6
Deckung des Lebensunterhalts
LGBl.Nr. 71/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 105/2017
[(1) und (2)]
(3) Im Falle eines Aufenthaltes in einer Kranken- oder Kuranstalt, in einer stationären Therapieeinrichtung, in einem Heim oder in einer vergleichbaren Einrichtung, wird die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes zur Abdeckung kleinerer persönlicher Bedürfnisse durch ein monatliches Taschengeld für volljährige Personen in Höhe von 22 v.H. des gemäß Abs. 1 lit. a Z. 1 vorgesehenen Mindestsicherungssatzes, für mündige Minderjährige in Höhe von 60 v.H. und für unmündige Minderjährige in Höhe von 30 v.H. des Taschengeldbetrages für volljährige Personen gewährt, soweit ein solches nicht durch andere Einkünfte oder Ansprüche gesichert ist.
[(4) bis (6)]
[…]
§ 9
Berücksichtigung von eigenen Mitteln sowie Leistungen Dritter
[LGBl.Nr. 71/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 105/2017]
(1) Nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6 sind bei der Ermittlung des Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung
a) […],
b) […],
c) in einer stationären Pflegeeinrichtung die Einkünfte der hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter
zu berücksichtigen.
(2) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen folgende Einkünfte nicht berücksichtigt werden:
[a) bis c) …],
d) ein Pflegegeld oder andere pflegebezogene Geldleistungen, es sei denn, es handelt sich um eine Hilfe für pflegebedürftige Menschen; handelt es sich um eine Hilfe zur Deckung des Pflegeaufwands in einer stationären Einrichtung bleibt jedenfalls ein Betrag im Ausmaß von 10 v.H. des Pflegegeldes der Stufe 3 außer Ansatz,
e) bei hilfsbedürftigen Personen, die in einer stationären Einrichtung unterstützt werden und die eine Rente, eine Pension oder ein Rehabilitationsgeld bzw. ein Umschulungsgeld bei vorübergehender Invalidität bzw. Berufungsunfähigkeit beziehen, 20 v.H. der Rente, der Pension, des Ruhe- oder Versorgungsgenusses, des Rehabilitationsgeldes bzw. des Umschulungsgeldes, mindestens jedoch monatlich ein Betrag in Höhe des Taschengeldes gemäß § 6 Abs. 3 zuzüglich allfälliger Sonderzahlungen; der außer Ansatz bleibende Betrag ist auf ein Taschengeld und andere Leistungen anzurechnen,
[f) bis h) …]
(3) […]
(4) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen Vermögen nicht berücksichtigt werden, wenn durch deren Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies gilt für
[a) bis g) …]
h) einen Betrag bis Euro 10.000 im Rahmen der stationären Mindestsicherung; dieser Freibetrag gilt im Falle des Todes nur insoweit, als er zur Bestreitung der Todfallkosten verwendet wird,
i) Vermögen von Personen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht sind.
[(5) und(6) …].“
10. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) lautet auszugsweise:
„ABSCHNITT IIa
Verbot des Pflegeregresses
[BGBl. Nr. 189/1955 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 125/2017]
§ 330a. (Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflege-einrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.
[…]
Weitere Schlussbestimmungen zu Art. 1 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 125/2017
[BGBl. Nr. 189/1955 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 125/2017]
§ 707a. (1) […]
(2) (Verfassungsbestimmung) § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 125/2017 tritt mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeit-punkt außer Kraft. Nähere Bestimmungen über den Übergang zur neuen Rechtslage können bundesgesetzlich getroffen werden. Die Durchführungsverordnungen zu einem auf Grund dieser Bestimmung ergehenden Bundesgesetz sind vom Bund zu erlassen.“
Rechtliche Beurteilung
Hilfsbedürftigkeit – Berücksichtigung des Liegenschaftsvermögens?
11. Der § 330a ASVG verbietet den Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben und Geschenknehmer im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten (Verbot des Pflegeregresses).
Dieses Verbot des Pflegeregresses ist am 01.01.2018 in Kraft getreten. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden und laufende Verfahren sind einzustellen.
Ein laufendes Verfahren ist ein Verfahren, das bereits vor dem 01.01.2018 begonnen hat und am 01.01.2018 noch nicht beendet ist. Ein Verfahren, das vor dem 01.01.2018 begonnen hat, wird sich im Normalfall auch auf Pflegekosten beziehen, die vor dem 01.01.2018 entstanden sind.
Das Verbot des Pflegeregresses erstreckt sich daher auch auf Ersatzansprüche, die Gegenstand eines laufenden Verfahrens sind und sich auf Pflegekosten beziehen, die vor dem 01.01.2018 entstanden sind.
Ein solches Verfahren liegt hier vor: Die Beschwerdeführerin hat bereits im März 2017 Mindestsicherung beantragt. Im Rahmen dieses Verfahrens soll auf das Vermögen der Beschwerdeführerin zur Abdeckung der Pflegeheimkosten zurückgegriffen werden. Dieses Verfahren ist noch anhängig.
12. Die Bezirkshauptmannschaft hat die Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin allein deshalb verneint, weil sie ein Liegenschaftsvermögen besessen hat, das mittlerweile verkauft worden ist. Wenn dieses Liegenschaftsvermögen nicht berücksichtigt wird, ist die Beschwerdeführerin hilfsbedürftig, weil ihre sonstigen Einkünfte nicht ausreichen, um die Pflegeheimkosten abzudecken.
Da die Berücksichtigung des Liegenschaftsvermögens im vorliegenden Fall dem Verbot des Pflegeregresses widersprechen würde, darf es bei der Berechnung der Mindestsicherung nicht berücksichtigt werden. Die Beschwerdeführerin ist daher als hilfsbedürftig anzusehen und hat Anspruch auf Mindestsicherung.
13. Bei der Ermittlung des Mindestsicherungsanspruchs sind grundsätzlich die Einkünfte der hilfsbedürftigen Person zu berücksichtigen (vgl § 9 Abs 1 MSV).
Nicht berücksichtigt werden dürfen das Pflegegeld im Ausmaß von 10 % des Pflegegeldes der Stufe 3, sowie 20 % einer Rente oder einer Pension. Das bedeutet, dass 80 % der Renten- oder Pensionszahlungen, sowie jenes Pflegegeld, das 10 % des Pflegegeldes zur Stufe 3 übersteigt, von der Beschwerdeführerin zur Abdeckung der Pflegeheimkosten eingesetzt werden müssen (vgl § 9 Abs 2 lit d und e MSV).
Taschengeld
14. Nach § 6 Abs 3 MSV hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf ein monatliches Taschengeld, von 139,46 Euro, soweit ein solches nicht durch andere Einkünfte oder Ansprüche gesichert ist.
Der Beschwerdeführerin verbleiben 20 % ihrer Pensionszahlungen (ca. 177 Euro). Dieser Betrag übersteigt das monatliche Taschengeld, sodass dieses Taschengeld durch die Pensionszahlungen gesichert ist. Ein zusätzlicher Anspruch auf Taschengeld besteht daher nicht.
Keine rückwirkende Gewährung der Mindestsicherung
15. Bei der Gewährung von Mindestsicherung ist grundsätzlich situationsbezogen auf eine aktuelle Notlage abzustellen. Auch offene Schulden begründen keine Notlage, es sei denn, die Schulden wirken sich aktuell aus. Damit scheidet die Gewährung von Mindestsicherungsleistungen für die Vergangenheit im Normalfall aus (vgl. Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, 1989, S.401).
Die Beschwerdeführerin befindet sich bereits seit dem Jahr 2015 in einem Pflegeheim. Sie hat ihre Unterbringung selbst organisiert; ein Mindestsicherungsantrag im Jahre 2015 wurde wieder zurückgezogen.
Das MSG und die MSV sehen für einen Mindestsicherungsantrag keine besonderen Formvorschriften vor. Ein Mindestsicherungsantrag liegt nicht erst dann vor, wenn das von den Behörden bereitgestellte Formular verwendet wird, mag das auch sinnvoll und zweckmäßig sein.
Aus dem Schreiben vom 06.03.2017 geht hervor, dass der Sohn der Beschwerdeführerin für seine Mutter Mindestsicherung in Form der Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten beantragen möchte. Die Mindestsicherung für die Beschwerdeführerin wurde somit Anfang März 2017 beantragt. Die Mindestsicherung konnte daher lediglich ab März 2017 zugesprochen werden.
Zulässigkeit der Revision
16. Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im konkreten Fall fehlt.
In diesem Verfahren geht es auch um die Frage, was in § 707a Abs 2 ASVG unter einem „laufenden Verfahren“ zu verstehen ist und ob das Verbot des Pflegeregresses, das ab dem 01.01.2018 gilt, auch bei Pflegekosten anzuwenden ist, die bereits im Jahre 2017 angefallen sind. Soweit ersichtlich gibt es dazu noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Pflegeregressverbot, laufendes VerfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGVO:2018:LVwG.340.34.2017.R11Zuletzt aktualisiert am
26.06.2018