Entscheidungsdatum
18.06.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W261 2185919-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und den Richter Mag. Markus BELFIN sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, vertreten durch den Verein Chronisch Krank Österreich, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 18.12.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ist seit 19.04.2017 Inhaber eines bis zum 31.07.2019 befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 von Hundert (in der Folge v.H.).
Am 13.11.2017 stellte er beim Sozialministeriumservice (in der Folge "belangte Behörde" genannt) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung folgende drei Sachverständigengutachten zugrunde. Ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Hals-Nasen- und Ohren auf Basis der Aktenlage vom 13.05.2017, ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 24.07.2017 und eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 24.10.2017. Der Arzt für Allgemeinmedizin fasste alle drei medizinischen Sachverständigengutachten in einer Gesamtbeurteilung vom 01.11.2017 zusammen. Alle drei medizinischen Sachverständigen stellten aus deren jeweils fachlicher Sicht fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus jeweiliger medizinischer Sicht nicht vorlägen.
Der Beschwerdeführer übermittelte mit Emailnachricht vom 20.11.2017 ergänzend zu seinem Antrag vom 13.11.2017 einen Befund eines Facharztes für Neurologie vom 17.11.2017. Die belangte Behörde übermittelte diesen Befund an deren ärztlichen Dienst mit der Bitte um Beurteilung. In einer sofortigen Beantwortung vom 15.12.2017 führt die Leiterin des ärztlichen Dienstes aus, dass der vom Beschwerdeführer vorgelegte Befund keine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung ergebe.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.12.2017 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.
Darüber hinaus führte die belangte Behörde anmerkend aus, dass über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorliegen würden.
Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid die eingeholten Sachverständigengutachten in Kopie an.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Chronisch Krank Österreich, fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.
Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass der vom Beschwerdeführer vorgelegte Befund des Facharztes für Neurologie bestätige, dass bei diesem hochgradige Einschränkungen im Bereich der manuellen, feinmotorischen Fähigkeiten diagnostiziert seien. Die von der belangten Behörde zu diesem Befund eingeholte Stellungnahme gehe darauf in keiner Weise ein, sondern besage nur, dass sich damit der Gesamtgrad der Behinderung nicht geändert werde. Der Beschwerdeführer wies in diesem Zusammenhang auf die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hin, wonach die Beurteilung der Frage, ob es einem Beschwerdeführer zumutbar sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, eines Sachverständigenbeweises bedarf. Der Beschwerdeführer beantragte zusammengefasst, dass das Bundesverwaltungsgericht
a) den Bescheid der belangten Behörde aufheben und dem Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" stattgeben;
b) in eventu diesen an die Behörde I. Instanz zurückzuverweisen;
c) in eventu Beweis durch eine/n Sachverständige/n aus dem Fachgebiet der Neurologie aufnehmen zu lassen.
Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde keine Befunde an.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 12.02.2018 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.05.2018 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen bis 31.07.2019 befristeten Behindertenpass.
Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:
Allgemeinzustand:
normal
Ernährungszustand:
normal
Größe: 186 cm Gewicht: 100 kg
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt alleine, selbst gehend mit normalen Schuhen ohne Gehhilfe zur Untersuchung.
Gangbild: unauffälliger, sicherer Gang
Klinischer Status - Fachstatus:
Herz: normofrequent, Herztöne rein und rhythmisch
Lunge: Vesikuläratmen (dh normal)
Wirbelsäule:
Becken- und Schulterstand gerade
Halswirbelsäule: Kinn-Jugulum-Abstand 2 QF, Rotation beidseits. 50°, Seitneigen beidseits 40°
Brustwirbelsäule: Seitneigen beidseits bis knapp über die Kniegelenke
Lendenwirbelsäule: nicht klopfdolent
Vorbeugen: FBA (Finger-Boden-Abstand) 10 cm bei durchgestreckten Kniegelenken
Rückbeugen: 20°
Obere Extremitäten:
Schultergelenke: Arme vorhalten und seitlich 140°, Nacken- und Schürzengriff beidseits möglich
Ellenbogengelenke: Beugung, Streckung und Unterarmdrehung unauffällig
Handgelenke und Finger: Interdigitalatrophie und Hypotrophie von Thenar und Hypothenar beidseits, taubes Gefühl besonders der Finger 3-5, Beweglichkeit unauffällig, Grob- und Spitzgriff beidseits durchführbar, Faustschluß beidseits vollständig möglich, Kraftgrad 5, beidseits subjektiv deutlich vermindert
Untere Extremitäten:
Keine Beinödeme, Fußpulse gut palpabel, Beinlänge seitengleich, keine BL-Differenz feststellbar
Hüftgelenke: beidseits S 0-0-120, R 40-0-20
Kniegelenke: beidseits S 0-0-120
Sprunggelenke: beidseits S 30-0-40,
Zehen- und Fersenstand beidseits möglich
Kraftgrad 5 beidseits
Hörorgane
mittelgradige sensoneurale Hörstörung rechts sowie Normalhörigkeit links, der prozentuale Hörverlust beträgt 46 % rechts und 2 % links
Der Beschwerdeführer hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
-
Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit episodischen, exzessiven Alkoholkonsum mit ernsthafter und durchgehender Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen. Ausgeprägte Impulskontrollstörung, lehnt jedoch stationäre Therapie ab.
-
Sulcus nervi ulnaris Läsion Syndrom beidseits, operierte Vertebrostenose C5/C6 und C6/C7 mit Myelopathie und Diskusprolaps C5/C6; damit verbunden Nervenläsion beider Arme, vor allem des Nervus ulnaris links, Interdigitalatrophie und Hypotrophie von Thenar und Hypothenar beidseits mit verminderter Kraft und verminderter Sensibilität in beiden Händen.
-
Hörstörung rechts
Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die festgestellten Gesundheitsschädigungen am Stütz- und Bewegungsapparat haben keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge.
Das Zurücklegen von kurzen Wegstrecken von 300 bis 400 Meter ist dem Beschwerdeführer aus eigener Kraft zumutbar. Das Überwinden von Niveauunterschieden ist dem Beschwerdeführer möglich. Trotz festgestellter Nervenläsion beider Arme, vor allem des Nervus ulnarius links und verminderter Kraft und verminderter Sensibilität in beiden Händen, ist das Verwenden von Haltegriffen und Aufstiegshilfen möglich.
Der Transport in öffentliche Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt, auch die Sitzplatzsuche ist nicht eingeschränkt.
Es liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
Es liegt keine maßgebende Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor, durch welche eine Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel zu begründen wäre.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:
Die von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Hals, Nasen, Ohren vom 13.05.2017, einer Fachärztin für Psychiatrie vom 24.07.2017, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 24.07.2017, und des Arztes für Allgemeinmedizin vom 24.10.2017, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag, sind jeweils schlüssig und nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen und dezidiert ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer - trotz der vorliegenden Funktionseinschränkungen - aus jeweils medizinischer Sicht möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Es ist im Beschwerdeverfahren unbestritten geblieben, dass der Beschwerdeführer als Hauptleiden an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit episodischem, exzessivem Alkoholkonsum leidet, der eine ernsthafte und durchgehende Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen nach sich zieht. Dies ist auch der Grund, weswegen er einen befristeten Behindertenpass erhalten hat. Der Beschwerdeführer gibt bei der Untersuchung vor der Fachärztin für Psychiatrie am 18.07.2017 selbst an, dass er zwei bis vier Liter Wein am Tag trinke, dies meist sieben bis zehn Tage am Stück, dann habe er wieder zwei bis drei trinkfreie Tage. Einen stationären Entzug lehnt er ab.
Weiters leidet der Beschwerdeführer unbestritten an einer Beeinträchtigung seiner Hörfähigkeit, welche jedoch nicht als hochgradig einzuschätzen ist.
Unbestritten ist auch, dass beim Beschwerdeführer keine Einschränkungen der unteren Extremitäten und keine wesentlichen Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule vorliegen. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ist somit selbständig möglich. Auch das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer ohne fremde Hilfe zumutbar.
Einzig strittig ist die Frage, ob die beim Beschwerdeführer vorliegende und durch entsprechende Befunde belegte Einschränkung der manuellen, feinmotorischen Funktionen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung rechtfertigt. Der medizinische Sachverständige für Allgemeinmedizin hält dazu in seinem Sachverständigengutachten vom 24.10.2017 fest, dass beim Beschwerdeführer eine Interdigitalatrophie und Hypotrophie von Thenar und Hypothenar beidseits vorliegt. Der Beschwerdeführer hat zwar ein taubes Gefühl in den Fingern, jedoch ist die Beweglichkeit der Finger unauffällig, sowohl Grob- als auch Spitzgriff sind beidseits durchführbar, und der Faustschluss ist beim Beschwerdeführe beidseits vollständig möglich. Der Kraftgrad beträgt 5, was einer normalen Kraft entspricht, wobei der medizinische Sachverständige dazu auch anmerkt, dass die Kraft beidseits subjektiv für den Beschwerdeführer deutlich vermindert wahrgenommen wird.
Wenn in dem vom Beschwerdeführer bei der belangten Behörde vorgelegten Befund eines Facharztes für Neurologie ausgeführt wird, dass hochgradige Einschränkungen der manuellen, feinmotorischen Funktionen besteht, und eine Arbeitsfähigkeit, die den Einsatz der Hände erfordert, nicht gegeben ist, so steht dies nicht im Widerspruch mit den oben genannten Ausführungen des medizinischen Sachverständigen für Allgemeinmedizin. Im gegenständlichen Verfahren ist jedoch nicht zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer manuelle Arbeit leisten kann, sondern, ob er in der Lage ist, sich mit seinen Händen in einem öffentlichen Verkehrsmittel anzuhalten. Nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten kommt der medizinische Sachverständige zu dem Ergebnis, dass keine der beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen einen sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen würden. Demnach ist dieser sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Festhalten an Haltegriffen im Fall des Beschwerdeführers - trotz festgestellter Probleme mit seinen Händen - hinreichend gewährleistet.
Das Ermittlungsverfahren ergab auch keine Hinweise auf das Vorliegen einer Erkrankung des Immunsystems.
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, welche folgende Krankheitsbilder umfassen: Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 liegen beim Beschwerdeführer ebenfalls nicht vor.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Basis der genannten Sachverständigengutachten erlassen, welche alle drei davon ausgehen, dass aus jeweils fachlicher Sicht keine Funktionseinschränkungen beim Beschwerdeführer vorliegen, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würden.
Der Beschwerdeführer ist mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen in der Beschwerde den teilweise auf persönlichen Untersuchungen basierenden Sachverständigengutachten im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der genannten Sachverständigengutachten und werden diese Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18.12.2017 der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 32/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
...
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
"§ 1 ....
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. .......
2. ......
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller
Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1
Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)......"
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
...
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
...
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
-
arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
-
Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
-
hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
-
Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
-
COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
-
Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
-
mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden..."
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde in den von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten aus jeweils medizinisch fachlicher Sicht nachvollziehbar verneint, dass im Fall des Beschwerdeführers - trotz der bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag der Beschwerdeführer noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung aufgrund von erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind im Falle des Beschwerdeführers ebenfalls nicht gegeben. Eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit liegt ebenso wenig vor, wie entscheidungsmaßgebliche Einschränkungen der Sinnesfunktionen. Es kann im vorliegenden Fall außerdem keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, festgestellt werden.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf die über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, welche teilweise auf einer persönlichen Untersuchung beruhen, welche auf die Einwände und Befunde des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingehen, und welchen der Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Der Beschwerdeführer hat keine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W261.2185919.1.00Zuletzt aktualisiert am
26.06.2018