RS Vfgh 2018/6/14 G29/2018 ua (G29/2018-14, G108/2018-10)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.06.2018
beobachten
merken

Index

L0015 LVerwaltungsgericht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art87, Art88 Abs2, Art134, Art135
Wr VerwaltungsgerichtsG §19 Abs3, Abs4, Abs5, Abs6
Wr Verwaltungsgericht-DienstrechtsG §11, §15
Wr DienstO 1994 §76

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien betreffend die Zusammensetzung des Disziplinarausschusses; Zusammensetzung entscheidender Senate für die Disziplinarbehandlung eines Richters von Vollversammlung oder einem aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss verfassungsrechtlich vorgegeben

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags des Verwaltungsgerichts Wien auf Aufhebung des Wortes "zwei" sowie einer Wortfolge in §19 Abs3, des § 19 Abs4 und Abs5 zur Gänze sowie des ersten Satzes des §19 Abs6 des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: VGWG), LGBl für Wien Nr 83/2012.

Aus dem Verweis in Art134 Abs7 B-VG auf Art87 Abs2 B-VG lässt sich für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ableiten, dass der einfache Gesetzgeber ermächtigt ist, Aufgaben der Justizverwaltung an Einzelrichter oder Senate bzw Kommissionen der Verwaltungsgerichte zu übertragen. Auf Grund dieses Verweises ist auch die Rechtsprechung zu Art87 Abs2 B-VG für die Verwaltungsgerichtsbarkeit maßgeblich. Aus Art87 Abs2 B-VG und der dazu ergangenen Judikatur ergibt sich, dass Einzelrichter sich, wenn sie Justizverwaltungssachen erledigen, nicht in Ausübung ihres richterlichen Amtes befinden, sondern Verwaltungsorgane sind. Sofern Aufgaben der Justizverwaltung kollegial zu besorgen sind, werden die Richter hingegen in Ausübung ihres richterlichen Amtes tätig und liegt eine Vollziehung durch Gerichte vor.

Der VfGH leitet aus Art88 Abs2 B-VG ab, dass über eine allfällige Disziplinarbehandlung eines Richters ausschließlich in einem förmlichen gerichtlichen Verfahren, also im Verfahren vor einem Disziplinargericht, zu erkennen ist; Zweck der Regelung ist es, die richterliche Unabhängigkeit zu sichern.

Aus Art88 Abs2 B-VG ergibt sich, dass es sich beim Disziplinarrecht - zumindest im Falle einer Amtsenthebung, Versetzung oder Versetzung in den Ruhestand eines Richters - obwohl es materiell betrachtet der Justizverwaltung zuzuordnen ist, um eine erkennende Tätigkeit der Richter handelt. Daraus folgt, dass jedenfalls dieser Teil des Disziplinarrechts einem kollegialen richterlichen Spruchkörper übertragen werden muss.

Gemäß Art135 Abs2 B-VG sind die vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäfte durch die Vollversammlung oder einen aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss auf die Einzelrichter und die Senate zu verteilen. Da die Rechtsprechung bei den Verwaltungsgerichten nach Art135 Abs1 B-VG den Einzelrichtern und Senaten vorbehalten ist und Richter nach Art88 Abs2 B-VG nur auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt werden dürfen, kommen hiefür nur die Senate im Sinne des Art135 Abs1 B-VG in Frage. Im Bundes-Verfassungsgesetz wird diesbezüglich nichts anderes vorgesehen, insofern ist auch der Organisationsgesetzgeber daran gebunden und kann nicht etwas Abweichendes vorsehen.

Gemäß §11 Abs1 Wr Verwaltungsgericht-DienstrechtsG (im Folgenden: VGW-DRG) ist Disziplinarbehörde des Verwaltungsgerichtes Wien der nach §19 VGWG eingerichtete Disziplinarausschuss. Dieser ist gemäß §11 Abs2 VGW-DRG zur Entscheidung über eine Suspendierung und zur Erlassung von Beschlüssen sowie Disziplinarerkenntnissen zuständig. Nach §14 VGW-DRG gelten bei der Ahndung von Dienstpflichtverletzungen der Mitglieder des Verwaltungsgerichtes Wien ua die §§76 ff Wr Dienstordnung 1994 (im Folgenden: Wr DO 1994) sinngemäß; §76 Wr DO 1994 sieht ua als Disziplinarstrafe die Entlassung vor. Nachdem gemäß §15 Abs2 Z2 VGW-DRG das Amt eines Mitgliedes des Verwaltungsgerichtes mit Rechtskraft der Disziplinarstrafe der Entlassung endet, erlässt - anders als bei sonstigen Amtsenthebungen - im Falle der Disziplinarstrafe der Entlassung der Disziplinarausschuss des Verwaltungsgerichtes Wien das Erkenntnis, welches zu einer Entsetzung des Amtes im Sinne des Art88 Abs2 B-VG führt.

Da in bestimmten disziplinarrechtlichen Angelegenheiten die Entscheidung mittels förmlichen richterlichen Erkenntnisses zu erfolgen hat, muss es sich beim Disziplinarausschuss des Verwaltungsgerichtes Wien um einen Senat iSd Art135 Abs1 B-VG handeln, auf den die vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäfte nach Art135 Abs2 B-VG zu verteilen sind. Der Disziplinarausschuss iSd §19 VGWG entspricht nicht Art135 B-VG, weil lediglich eines der Mitglieder von der Vollversammlung gewählt wird, während die übrigen zwei vom Präsidenten ernannt werden, eines auf Grund freier Entscheidung, eines auf Grund eines bindenden Vorschlages des Dienststellenausschusses. Da Senate iSd Art135 Abs1 B-VG von der Vollversammlung oder einem aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss zu bilden sind, handelt es sich beim Disziplinarausschuss nach §19 VGWG somit um keinen Senat, der die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Art135 Abs1 und 2 B-VG erfüllt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verwaltungsgericht, Landesverwaltungsgericht, Verwaltungsgerichtsverfahren, Dienstrecht, Justizverwaltung - Gerichtsbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G29.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten