TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/14 W210 2161840-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.06.2018
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Entscheidungsdatum

14.06.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W210 2161840-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.09.2017, am 28.03.2017 und am 09.05.2017 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXXdamit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte am 28.03.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 29.03.2016 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt.

3. Der Beschwerdeführer wurde am 20.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen einvernommen.

4. Am 19.05.2017 erfolgte eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA.

5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid, dem Beschwerdeführer am 01.06.2017 durch Hinterlegung wirksam zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe seien nicht asylrelevant. Er habe in seiner Erstbefragung bloß wirtschaftliche Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates angegeben. Das weitere Vorbringen, der Beschwerdeführer sei in Afghanistan wegen eines Streits mit einem Sunniten und seiner Tätowierung am Arm inhaftiert worden, sei nicht glaubwürdig. Bei dem vom Beschwerdeführer genannten Gefängnis handle es sich um eines der berüchtigtsten Foltergefängnisse Afghanistans. Afghanistan verfüge über Provinzhaftanstalten, welche zur Verbüßung geringerer Straftaten zur Verfügung stünden. Es sei daher nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätowierung in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht worden sei. Auch sei es unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer für einen Vorfall, der sich angeblich in Herat ereignet habe, in ein Gefängnis in Kabul gebracht worden sei. Das Tragen von Tätowierungen sei zudem ein moralisches Verbrechen, aufgrund dessen in Afghanistan fast ausnahmslos Frauen verurteilt werden würden. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung sei eine zukünftige neuerliche Haftstrafe des Beschwerdeführers aufgrund der behaupteten Verbüßung nicht zu befürchten. Dem Vorbringen der Konversion zum Christentum sei die Glaubwürdigkeit ebenfalls abzusprechen gewesen. Der Beschwerdeführer habe eine innere Überzeugung vom christlichen Glauben trotz Vorlage einer Taufurkunde nicht dargelegt. Er würde nicht einmal über die grundlegendsten Kenntnisse hinsichtlich des Christentums und der Kirchengemeinde, der er beigetreten sei, verfügen. Auch habe er seit seiner Taufe im April 2016 bis Herbst 2016 keine Kirche besucht. Der Beschwerdeführer sei offenbar von einem Priester, welcher Asylunterkünfte zum Werben von Mitgliedern nutze, im Glauben, im Falle einer Konversion bessere Chancen im Asylverfahren zu haben, zur Taufe überredet worden. Auch die Angabe des Beschwerdeführers, das Interesse am Christentum wäre daraus entstanden, dass Christen Kontakt zu Frauen hätten und Alkohol trinken dürften, könne nicht einmal annähernd ein tatsächliches Interesse am Christentum bezeugen. Da auch aus den persönlichen Merkmalen des Beschwerdeführers keine Verfolgungsgefahr abzuleiten sei, könne es nicht zur Gewährung des Asylstatus kommen. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr, insbesondere nach Kabul, weder gefährdet noch bedroht sei. Er sei gesund, jung, arbeitsfähig und könne seinen Lebensunterhalt bestreiten. Es würden keine Hinweise auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die eine Abschiebung im Sinne des Art. 3 EMRK unzulässig machen würden, vorliegen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Weiters wurde das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich ermittelt. Die belangte Behörde kam nach Abwägung der bestehenden öffentlichen Interessen und jenen des Beschwerdeführers zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z. 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig.

6. Mit Schreiben vom 12.06.2017 erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den ihm amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberater, vollinhaltliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Beschwerde führt im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner Konversion zum Christentum im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer die Intensität einer Verfolgung erreichenden Sanktion zu rechnen. Die Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer seine Konversion zum Christentum nicht glaubhaft gemacht habe, könne nicht nachvollzogen werden. Der Beschwerdeführer habe eine Taufurkunde einer österreichischen Freikirche vorgelegt. Die Behauptungen der belangten Behörde, die Annahme der christlichen Religion sei im Falle des Beschwerdeführers nicht von einer nachhaltigen inneren Überzeugung getragen sowie, dieser sei überredet worden, sich taufen zu lassen, seien völlig aus der Luft gegriffen und würden ohne Überprüfung eine vorweggenommene Beweiswürdigung darstellen. Der Beschwerdeführer habe schon lange vorgehabt, sich taufen zu lassen, es habe sich ihm allerdings davor keine Möglichkeit hierfür geboten. Es sei nicht möglich, aufgrund äußerer Handlungen einen gesicherten Rückschluss auf innere Überzeugungen zu ziehen. So würde sich eine nachhaltige innere Überzeugung auch durch stille Gebete und einer den christlichen Werten entsprechenden Lebensweise äußern. Betreffend die Nichtgewährung des subsidiären Schutzes wendet die Beschwerde ein, dass in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers Krieg herrsche und diese von Taliban beherrscht werde. Eine Rückkehr nach Herat sei somit nicht möglich. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul komme mangels familiärer oder sozialer Anknüpfungspunkte ebenfalls nicht in Betracht. Die belangte Behörde habe zudem den Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich bereits zahlreiche soziale Bindungen eingegangen sei, nicht in Relation gestellt.

7. Mit Datum vom 19.06.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.09.2017 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Beweggründen hinsichtlich der Ausreise aus Afghanistan und zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde.

Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung über die Teilnahem an einem Deutschkurs für Asylwerber und eine Grenzübertrittsbescheinigung in Kopie vor. Diese wurden als Beilagen ./1 und ./2 des Verhandlungsprotokolls vom 20.09.2017 zum Akt genommen.

Die erkennende Richterin brachte ein Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 02.03.2017, Stand:

27.06.2017, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, ein Dokument der Schweizer Eidgenossenschaft vom 12.04.2017 "Notiz Afghanistan - Alltag in Kabul, Referat von Thomas Ruttig", den Artikel "Überleben in Afghanistan" von Friederike Stahlmann aus dem Asylmagazin 3/2017 und eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Christen, Konvertierten und Abtrünnigen vom 02.07.2017 in das Verfahren ein.

Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen drei Wochen eingeräumt.

Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

9. Mit Eingabe vom 04.10.2017 machte der Beschwerdeführer gemäß dem ihm in der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2017 erteilten Auftrag eine verantwortliche Person der Kirche "XXXX" namhaft.

10. Mit Eingabe vom 11.10.2017 erfolgte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers samt Beilagen zu den in der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2017 in das Verfahren eingebrachten Länderberichten in Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Apostasie und Konversion.

11. Am 28.03.2018 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers fortgesetzt. Im Rahmen des fortgesetzten Beweisverfahrens wurde der Beschwerdeführer neuerlich zu seiner behaupteten Apostasie und Konversion befragt und der geladene Zeuge in seiner Funktion als Geistlicher der Kirche "XXXX" einvernommen.

Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) sowie eine Bestätigung der Vereinigten Pfingstkirche Österreichs (VPKÖ) vor. Diese wurden als Beilagen ./1 und ./3 des Verhandlungsprotokolls vom 28.03.2018 zum Akt genommen.

Die Verhandlung wurde zur Einvernahme des vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung beantragten Zeugen auf den 09.05.2018 vertragt.

12. Am 09.05.2018 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers fortgesetzt. Im Rahmen des fortgesetzten Beweisverfahrens wurde der geladene Zeuge in seiner Funktion als Generalsekretär der Vereinigten Pfingstkirche Österreich einvernommen und der Beschwerdeführer neuerlich zu seiner behaupteten Apostasie und Konversion befragt.

Eine vom Zeugen mitgebrachte schriftliche Stellungnahme der Vereinigten Pfingstkirche Österreich, die in einem anderen hg. Verfahren erstattet wurde, wurde als Beilage ./2 des Verhandlungsprotokolls vom 09.05.2018 zum Akt genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den zugrundeliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde, in die im Verfahren vorgelegten Dokumente, durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.09.2017, 28.03.2018 und 09.05.2018, Einsicht in die darin ins Verfahren eingebrachten Berichte und den hiergerichtlichen Gerichtsakt.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Fluchtvorbringen, seinen Rückkehrbefürchtungen und seinem Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, Staatsangehöriger von Afghanistan und der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig. Seine Muttersprache ist Farsi. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Herat, im Dorf XXXX, geboren und verbrachte dort den ersten Teil seiner Kindheit. Nach dem Tod seiner Eltern zog der Beschwerdeführer im Alter von acht Jahren gemeinsam mit seinen Geschwistern zur Familie seines Onkels väterlicherseits in der Stadt XXXX. Hier hielt er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan auf.

Aufgrund familiärer Probleme und der allgemein schlechten Lage in Afghanistan zog der Beschwerdeführer im Jahr 2014 gemeinsam mit seinen Geschwistern in den Iran. Der Beschwerdeführer hielt sich ein Jahr lang illegal im Iran auf, bevor er nach Europa ausreiste.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen spätestens am 28.03.2016 in Österreich ein und stellte am 28.03.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus Afghanistan in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aufgrund seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer entstammt einer schiitisch-muslimischen Familie und wurde als schiitischer Moslem erzogen. Der Beschwerdeführer hat sich jedoch mittlerweile vom islamischen Glauben abgewandt. Er lehnt den konservativen Islam und die strengen Zwänge des Korans ab.

Der Beschwerdeführer interessiert sich seit einiger Zeit für das Christentum und setzte seit seiner Einreise in Österreich mehrere Handlungen, die dieses Interesse nach außen erkennbar machen. Am 04.04.2016 wurde der Beschwerdeführer nach einigen wenigen Vorbereitungsgesprächen von der österreichischen Freikirche "XXXX" getauft. Der Beschwerdeführer ist im Besitz einer Taufurkunde. Ab Herbst 2016 besuchte er zeitweilig den Gottesdienst in einer Kirche in XXXX. Nach einer Wohnsitzverlegung nahm der Beschwerdeführer bis November 2017 mehrmals an Gottesdiensten, Bibelstunden und Sonntagsschulen der Kirche "XXXX" in XXXX teil. Seit März 2018 besucht der Beschwerdeführer regelmäßig Gottesdienste der Kirche der Apostelgeschichte "XXXX" der Vereinigten Pfingstkirche in XXXX.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube im Entscheidungszeitpunkt bereits wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist.

Der Beschwerdeführer kommuniziert seine Abkehr vom islamischen Glauben und sein Interesse am christlichen Glauben für Dritte sichtbar nach außen. Er erzählte seinen afghanischen Freunden von seinem Übertritt zum Christentum, welche ihn seither beschimpfen. Er veröffentlichte auf einer für jedermann zugänglichen Seite in den sozialen Netzwerken Fotos, welche ihn bei Besuchen in einer christlichen Kirche zeigen. Er hat Fotos und Videos von Gottesdiensten der Kirche der Apostelgeschichte auf seinem Handy gespeichert. Er trägt jedenfalls zeitweise sichtbar ein Kreuz um den Hals.

Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

1.2.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Die Lage in der Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016).

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.05.2017):

Am 31.05.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt, als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 06.06.2017; vgl. auch: al-Jazeera 31.05.2017; The Guardian 31.05.2017; BBC 31.05.2017; UN News Centre 31.05.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.05.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte, nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.05.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 02.06.2017; vgl. auch: Fars News 07.06.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 07.06.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 02.06.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 02.06.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 02.06.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten - den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 03.06.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 03.06.2017; vgl. auch: The Guardian 03.06.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 03.06.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 03.06.2017; vgl. auch: The Guardian 03.06.2017).

Die Lage in der Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel, Ghorian, Guzra und Pashtoon Zarghoon, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba, Kurkh, Kushk, Gulran, Kuhsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirker zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna, Farsi, und Chisht-i-Sharif als Bezirke dritter Stufe (o.D.q). Provinzhauptstadt ist Herat City, mit etwa 477.452 Einwohner/innen (UN OCHA 26.8.2015; vgl. auch: Pajhwok 30.11.2016). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.928.327 geschätzt (CSO 2016).

Herat ist eine vergleichsweise entwickelte Provinz im Westen des Landes. Sie ist auch ein Hauptkorridor menschlichen Schmuggels in den Iran - speziell was Kinder betrifft (Pajhwok 21.1.2017).

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Herat 496 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in abgelegenen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: RFE/RL 6.10.2016; Press TV 30.7.2016; IWPR 14.6.2014). Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig heilige Orte wie Moscheen an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt um manche Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AAN 11.1.2017).

Das afghanische Institut für strategische Studien (AISS) hat die alljährliche Konferenz "Herat Sicherheitsdialog" (Herat Security Dialogue - HSD) zum fünften Mal in Herat abgehalten. Die zweitägige Konferenz wurde von hochrangigen Regierungsbeamten, Botschafter/innen, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten und Repräsentanten verschiedener internationaler Organisationen, sowie Mitgliedern der Presse und der Zivilgesellschaft besucht (ASIS 17.10.2016).

1.2.3. Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen. Es gibt ein Präsidialdekret aus dem Jahre 1992, welches die Anwendung der Todesstrafe auf fünf Deliktarten einschränkt: (vorsätzlicher) Mord, Genozid, Sprengstoffattentate (i.V.m. Mord), Straßenräuberei (i.V.m. Mord) und Angriffe gegen die territoriale Integrität Afghanistans. Dieses Präsidialdekret wurde allerdings in jüngster Zeit nicht beachtet. Unter dem Einfluss der Scharia droht die Todesstrafe auch bei anderen "Delikten" (z.B. Blasphemie, Apostasie). Die Entscheidung über die Todesstrafe wird vom Obersten Gericht getroffen bzw. bestätigt und kann nur mit Zustimmung des Präsidenten vollstreckt werden. Die Todesstrafe wird durch Erhängen vollstreckt. In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig wahrgenommenen Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können (AA 9.2016).

Im Jahr 2015 wurde die Todesstrafe weiterhin verhängt - oft nach unfairen Verfahren. Die von Präsident Ghani im Jahr 2014 angeordnete Überprüfung von fast 400 noch nicht vollstreckten Todesurteilen war Ende 2015 noch nicht abgeschlossen (AI 24.2.2016).

Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hatte und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, die eine Umwandlung von Todesstrafen in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, werden weiter Todesurteile vollstreckt. Im Mai 2016 fand die Hinrichtung von sechs verurteilten Terroristen statt. Die Vollstreckung der bereits rechtskräftigen Todesurteile war Teil einer von Präsident Ghani angekündigten härteren Politik im Kampf gegen Aufständische und folgte als Reaktion auf öffentliche Vergeltungsrufe nach einem schweren Taliban-Anschlag. Zuvor wurden 2014 und 2012 sechs bzw. 16 Todesstrafen verurteilter Straftäter vollstreckt (AA 9.2016).

1.2.4. Religionsfreiheit in Afghanistan:

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express 16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9.2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9.2016).

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

Christen und Konversionen zum Christentum

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 9.2016). Ihre Zahl kann nicht verlässlich angegeben werden, da Konvertiten sich nicht öffentlich bekennen (AA 2.3.2015; vgl. auch: USDOS.10.8.2016).

Nichtmuslim/innen, z.B. Sikhs, Hindus und Christen, sind Belästigungen ausgesetzt und in manchen Fällen sogar Gewalt. Nachdem Religion und Ethnie stark miteinander verbunden sind, ist es schwierig die vielen Vorfälle nur als Vorfälle wegen religiöser Identität zu kategorisieren (USDOS 10.8.2016).

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber konvertierten Christen ist ablehnend. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel schon deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen (AA 9.2016). Konversion wird als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen, der mit dem Tod bestraft werden könnte (AA 9.2016; vgl. USDOS 10.8.2016) - sofern die Konversion nicht widerrufen wird (USDOS 10.8.2016). Keiner wurde bisher aufgrund von Konversion durch den afghanischen Staat hingerichtet (AA 9.2016).

Die Christen verlautbarten, dass die öffentliche Meinung gegenüber Missionierung feindlich ist. Es gibt keine öffentlichen Kirchen (CRS 8.11.2016). Für christliche Afghan/innen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen. Christliche Gottesdienste für die internationale Gemeinschaft finden u.a. in verschiedenen Botschaften sowie auf dem Gelände der internationalen Truppen statt (AA 9.2016). Einem Bericht einer kanadischen christlichen Organisation zufolge, wächst die Zahl der Hauskirchen in Afghanistan. In diesem Bericht wird angedeutet, dass einige Mitglieder des Parlaments selbst das Christentum angenommen und an christlichen Gottesdiensten teilgenommen haben (The Voice of the Martyrs Canada 5.4.2012).

Einige Konversionsfälle von Christen haben zu harten Strafen geführt und dadurch internationale Aufmerksamkeit erlangt (CRS 8.11.2016). Die im Libanon geborenen Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghanis, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014).

Berichten zufolge gibt es ein christliches Spital in Kabul (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014).

1.2.5. Ethnische Minderheiten in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

Tadschiken

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016). 1.2.1.7. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr, die Regierung schränke die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 13.4.2016; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004).

In manchen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In manchen Teilen machen Gewalt von Aufständischen, Landminen und Improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Die Taliban verhängen nächtliche Ausgangssperren in jenen Regionen, in denen sie die Kontrolle haben - Großteiles im Südosten (USDOS 13.4.2016).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Herkunftsprovinz, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache, seiner Volljährigkeit sowie zu seinem Familienstand gründen auf den gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 13, 83; BVwG-Akt, VP vom 20.09.2017, S. 5).

Dass der Beschwerdeführer als schiitischer Moslem erzogen wurde, ergibt sich ebenfalls aus dessen Angaben im Verfahren (BFA-Akt, 13, 83; BVwG-Akt, VP vom 20.09.2017, S. 5).

Sämtliche Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Afghanistan und zu seiner Ausreise in den Iran im Jahr 2014 basieren auf den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 83; BVwG-Akt, VP vom 20.09.2017, S. 6).

Dass der Beschwerdeführer unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet eingereist ist und am 28.03.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist aktenkundig.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens und der Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers:

Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (vgl. VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31).

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer in der Erstbefragung und sodann in zwei ausführlichen Einvernahme vor dem BFA Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Die erkennende Richterin konnte zudem im Zuge der mündlichen Verhandlung, welche an insgesamt drei Verhandlungstagen durchgeführt wurde, einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen.

2.2.1. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Die Negativfeststellung betreffend eine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung in seinem Herkunftsstaat vor seiner Ausreise aus Afghanistan gründet auf den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren:

Der Beschwerdeführer gab als Fluchtgrund sowohl in seiner Erstbefragung als auch zu Beginn seiner Einvernahme vor dem BFA wiederholt die schlechte Sicherheitslage und fehlende Zukunftsperspektiven in Afghanistan an. Er habe Afghanistan verlassen, weil dort Krieg herrsche, es keine Ruhe vor den Taliban gebe und er keinen Job habe. Er wolle nicht in einem Kriegsgebiet leben und habe keine Zukunft in Afghanistan (BFA-Akt, AS 21). Es würden dort täglich Anschläge verübt und es gebe dort keine Sicherheit. Er habe dort keine Zukunft (BFA-Akt, AS 85). Eine konkret gegen ihn gerichtete Bedrohungssituation legte der Beschwerdeführer somit weder bei erster noch bei zweiter Gelegenheit aus eigenem dar. Dabei wird nicht verkannt, dass sich die Angaben in der Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen haben (vgl. VfGH 20.02.2014, U 1919/2013 ua; 27.06.2012, U 98/12). Ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muss vielmehr den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261 mwN). Doch auch dem weiteren - uneinheitlichen und insofern nicht glaubwürdigen - Vorbringen des Beschwerdeführers ist selbst im Falle einer Wahrunterstellung keine akute, gegen den Beschwerdeführer gerichtet, Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung zu entnehmen. So gab der Beschwerdeführer noch vor dem BFA als fluchtauslösendes Ereignis an, im Zuge eines Streits mit einem Sunniten festgenommen und aufgrund seiner Tätowierung am Arm drei Monate im Gefängnis XXXX in Kabul inhaftiert und mit Peitschenlägen gefoltert worden zu sein. Mit der belangten Behörde ist diesbezüglich festzuhalten, dass diesem Fluchtvorbringen die Glaubwürdigkeit abzusprechen ist. Der Beschwerdeführer erwähnte dieses Erlebnis nämlich im Zuge seiner Erstbefragung mit keinem Wort. Auch vor dem BFA führte er seine angebliche Inhaftierung und Folterung nicht sogleich bei erster Gelegenheit, sondern erst über mehrmaliges Nachfragen des BFA ins Treffen. Dass ein derart einschneidendes und traumatisierendes Erlebnis, wie die vom Beschwerdeführer behauptete mehrmonatige Inhaftierung in einem der berüchtigtsten Gefängnisse Afghanistans und die hierbei angeblich erlittene Folter durch Peitschenhiebe, von diesem bei seiner Erstbefragung mit keinem Wort und auch im Zuge seiner ausführlichen Einvernahme vor dem BFA erst im späteren Verlauf angeführt wurde, ist in keinster Weise nachzuvollziehen. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250). Doch selbst im Falle einer Wahrunterstellung geht aus der behaupteten Inhaftierung und Folterung aufgrund des vom Beschwerdeführer ebenfalls angeführten Umstandes, wonach er seine Haftstrafe verbüßt und deswegen nach drei Monaten aus der Haft entlassen worden sei, keine aufrechte Bedrohungssituation hervor. In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer, befragt nach seinem Fluchtgrund, sodann wiederum anderslautend - und sichtlich gerührt - zu Protokoll, Afghanistan aufgrund der Probleme mit seiner Tante verlassen zu haben. Diese habe seine Schwestern gequält, weswegen sie allesamt in den Iran geflüchtet seien (BVwG-Akt, VP vom 20.09.2017, S. 8). Auch diesem zuletzt erstatten Fluchtvorbringen ist nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor seiner Ausreise einer Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung ausgesetzt war. Es hatte daher die entsprechende Negativfeststellung zu ergehen.

2.2.2. Zur behaupteten Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum:

Der Beschwerdeführer konnte eine verinnerlichte Konversion zum christlichen Glauben im gesamten Verfahren nicht glaubhaft machen.

Der Beschwerdeführer wurde im Jänner 2017 - sohin rund neun Monate nach seiner Taufe in Österreich - erstmals niederschriftlich zu seiner behaupteten Konversion einvernommen. Hier gab er, befragt nach dem Grund für seine Konversion, an, weder die Schiiten noch die Sunniten zu mögen (BFA-Akt, AS 89). Im Zuge dieser Einvernahme vermochte der Beschwerdeführer jedoch weder den Namen der Kirche, die er zum damaligen Zeitpunkt in Österreich besucht haben will, noch den Namen des Pfarrers zu nennen (BFA-Akt, AS 89). Auch seine Begründung, er habe nach seiner Taufe deswegen vier bis fünf Monate lang keine Kirche besucht, weil er sie nicht gefunden und den Weg nach XXXX nicht gekannt habe (BFA-Akt, AS 91), vermochte nicht zu überzeugen. Befragt, welche Freiheiten des Christentums dem Beschwerdeführer gefallen würden, antwortete dieser vor dem BFA, es gefalle ihm, trinken zu dürfen und Kontakt mit Frauen haben zu können (BFA-Akt, AS 93). Nach den Angaben des Beschwerdeführers zu Beginn der mündlichen Verhandlung handle es sich hierbei zwar um einen Übersetzungsfehler. Richtigerweise habe er damals - nach Wundern im Christentum befragt - ausdrücken wollen, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt habe und die Frau im Islam nur als halbwertig angesehen werde (BVwG-Akt, VP vom 20.09.2017, S. 4). Unabhängig davon, dass ein derart massiver Übersetzungsfehler, welcher vom Beschwerdeführer nach wortwörtlicher Rückübersetzung der Niederschrift nicht hätte unmittelbar gerügt werden sollen, nicht plausibel erscheint, war der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem BFA im Jänner 2017 augenscheinlich noch nicht in der Lage, auf die ihm rund um das Christentum gestellten Fragen zu antworten und konkrete Angaben über die von ihm besuchten Gottesdienste zu machen (BFA-Akt, AS 85-95), weshalb die belangte Behörde der behaupteten Konversion im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keinen Glauben schenkte.

Im Beschwerdeverfahren wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der durchgeführten mündlichen Verhandlung sodann an drei Verhandlungstagen erneut ausführlich zu seiner behaupteten Konversion befragt und ihm Gelegenheit gegeben, seine innere Überzeugung vom christlichen Glauben darzulegen. Zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben auch tatsächlich lebe, beantragte der Beschwerdeführer die Einvernahme der von ihm namhaft gemachten Zeugen, nämlich des Generalsekretärs der Vereinigten Pfingstkirche Österreich und eines Verantwortlichen der Kirche "XXXX", welche im Rahmen der fortgesetzten mündlichen Verhandlung ebenfalls zur behaupteten Konversion des Beschwerdeführers befragt wurden. Die erkennende Richterin konnte sich auf diese Weise ein eigens Bild von der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers machen und kam zu dem Ergebnis, dass der christliche Glaube auch im Entscheidungszeitpunkt noch nicht derart verinnerlicht ist, dass er zu einem fest verwurzelten Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden wäre.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem spätestens in Österreich entwickelten Interesse für die christliche Religion - welche im verwaltungsbehördlichen Verfahren noch äußerst rudimentär und vage ausfielen - stellten sich im Laufe des Beschwerdefahrens zwar als durchaus plausibel dar. So konnte der Beschwerdeführer insbesondere in der letzten fortgesetzten mündlichen Verhandlung im Mai 2018 einen Großteil der ihm gestellten Fragen betreffend das Christentum und die von ihm besuchten Gottesdienste beantworten (BVwG-Akt, VP vom 09.05.2018, S. 8 ff.) Der Beschwerdeführer erweckte dabei jedenfalls den Eindruck, sich vor allem in letzter Zeit intensiver mit der christlichen Lehre befasst zu haben und jedenfalls über ein Grundwissen über das Christentum zu verfügen. So konnte er etwa grobe Unterschiede zwischen einzelnen Richtungen des Christentums nennen, den Aufbau der Bibel in Ansätzen darstellen, die Zehn Gebote in eigene Worten teilweise wiedergeben und Angaben zur Bedeutung des Osterfestes machen (BVwG-Akt, VP vom 09.05.2018, S 9 ff.) Daraus ergibt sich, dass er sich für die christliche Gemeinschaft interessiert und seit seiner Einreise regelmäßig Veranstaltungen und Gottesdienste unterschiedlicher Kirchen und Bekenntnisgemeinschaften besucht. Dass d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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