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27/01 RechtsanwälteNorm
B-VG Art139 Abs1 Z4Leitsatz
Zurückweisung von Parteianträgen auf Aufhebung von Bestimmungen der RAO, der RL-BA 1977 sowie des ABGB mangels AntragslegitimationSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge §19 Abs3 RAO, RGBl. 96/1868 idF BGBl 474/1990, §17 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977) sowie die Wortfolge "in Verwahrung" in §1440 ABGB, JGS 946/1811 idF RGBl. 69/1916, als verfassungswidrig aufheben.
II. Rechtslage
1. §19 Abs3 Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl. 96/1868 idF BGBl 474/1990, lautet:
"§19. (1) […]
(3) Der Rechtsanwalt ist aber im Falle, als die Richtigkeit und Höhe seiner Forderung bestritten wird, zu seiner Deckung auch zum gerichtlichen Erlage der ihm eingegangenen Barschaften bis zur Höhe der bestrittenen Forderung befugt, zugleich aber, wenn die angesuchte gütliche Beilegung ohne Erfolg geblieben ist, verpflichtet, die Richtigkeit und Höhe der letzteren nachzuweisen.
(4) […]"
2. §17 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977) lautet:
"§17. Macht der Rechtsanwalt von der ihm gemäß §19 Absatz 3 der Rechtsanwaltsordnung eingeräumten Befugnis keinen Gebrauch, so ist er verpflichtet, die Barschaften unverzüglich auszufolgen."
3. §1440 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), JGS 946/1811 idF RGBl. 69/1916, lautet:
"§1440. Ebenso lassen sich Forderungen, welche ungleichartige oder bestimmte und unbestimmte Sachen zum Gegenstande haben, gegeneinander nicht aufheben. Eigenmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand genommene Stücke sind überhaupt kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation."
III. Anlassverfahren und Sachverhalt
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
1.1. Die Antragstellerin ist Rechtsanwältin und Beklagte in einem Verfahren über Honorarvereinbarungen. Die Antragstellerin hatte als Rechtsanwältin einen Betrag aus der Aufschiebung eines Zwangsversteigerungsverfahrens erhalten und diesen Betrag als Honorar für ihre anwaltlichen Tätigkeiten einbehalten. Das von ihr vertretene Unternehmen (die gegnerische Partei) bestritt jedoch das Bestehen einer entsprechenden Honorarvereinbarung. Das Bezirksgericht Mödling stellte im Rechtsstreit um die Honorarvereinbarung mit Urteil vom 19. Jänner 2017 im zweiten Rechtsgang fest, dass die Aufrechnungseinrede der Antragstellerin zu Recht bestehe.
1.2. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 28. September 2017 wurde der Berufung der gegnerischen Partei Folge gegeben und das angefochtene Urteil insbesondere dahingehend abgeändert, dass die Aufrechnungseinrede der Antragstellerin abgewiesen wurde.
1.3. Dagegen erhob die Antragstellerin Revision und stellte mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2017 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 19. Jänner 2017.
2. Gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag brachte die Antragstellerin den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag beim Verfassungsgerichtshof ein.
2.1. Zur Zulässigkeit bringt die Antragstellerin vor, dass für den Fall, dass dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werde, zeitgleich mit der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil auch der vorliegende Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG eingebracht werden müsse, da sonst – bei einem Zuwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag – die Frist hierfür jedenfalls versäumt wäre. Die Antragstellerin verkenne dabei allerdings nicht, dass vor Behandlung des Antrags gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG durch den Verfassungsgerichtshof erst ihrem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werden müsse.
2.2. Die Antragstellerin hegt Bedenken gegen §19 Abs3 RAO, §17 RL-BA 1977 und die Wortfolge "in Verwahrung" in §1440 ABGB, da diese Bestimmungen eine Pflicht für Rechtsanwälte vorsehen würden, Aufrechnungsbeträge im Fall der Bestreitung ihrer Richtigkeit und Höhe gerichtlich zu hinterlegen. Dies stelle eine unsachliche Ungleichbehandlung der Berufsgruppe der Rechtsanwälte gegenüber anderen Berufsgruppen dar, die ebenso eine Verwahrung von Geld vornehmen würden (Banken, Versicherung, Immobilientreuhänder etc.) und die keine gerichtliche Hinterlegungspflicht für den Fall einer Bestreitung von Aufrechnungsbeträgen treffen würde. Ferner stelle §17 RL-BA 1977 gegenüber den §§19, 19a RAO eine deutliche Beschränkung der Aufrechnung durch Rechtsanwälte dar, zu deren Regelung der Rechtsanwaltskammertag nicht befugt sei. Der Rechtsanwaltskammertag habe mit der Erlassung des §17 RL-BA 1977 seine Kompetenzen überschritten.
3. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2017 teilte das Bezirksgericht Mödling mit, dass der Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Berufung mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 15. November 2017 zurückgewiesen worden seien. Dagegen habe die Antragstellerin rechtzeitig Rekurs erhoben.
4. Der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz erstattete eine Äußerung, in der er die Zulässigkeit des vorliegenden Antrages bestreitet, da das Bezirksgericht Mödling mit Beschluss vom 15. November 2017 den Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 19. Jänner 2017 bereits zurückgewiesen habe. Im Übrigen tritt der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz den von der Antragstellerin geltend gemachten Bedenken inhaltlich entgegen.
5. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag erstattete eine Äußerung, in der er den Bedenken der Antragstellerin entgegen tritt.
6. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des vorliegenden Antrages einerseits mangels Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages sowie andererseits mangels Präjudizialität bestreitet und den von der Antragstellerin geltend gemachten Bedenken auch inhaltlich entgegen tritt.
6.1. Ein Wiedereinsetzungsantrag sei zurückzuweisen, wenn der Wiedereinsetzungswerber nicht eigene Versäumnisse, sondern sachliche Unrichtigkeiten der infolge seiner "Säumnis" ergangenen Entscheidung geltend mache. Da die Antragstellerin ihren Antrag auf Wiedereinsetzung aber nicht mit eigenen Versäumnissen, sondern mit Verfahrensfehlern des Rechtsmittelgerichts begründe (behaupteter Verstoß gegen das "Überraschungsverbot" bzw. die Erörterungspflichten des Gerichts nach §182a ZPO), erweise er sich mangels tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes als unzulässig. Mangels Zulässigkeit des Antrages auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Berufungsfrist gegen das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichtes Mödling sei im vorliegenden Fall die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Bezirksgerichtes Mödling bereits abgelaufen gewesen.
6.2. Daneben mangle es dem Antrag – soweit er gegen die Wortfolge "in Verwahrung" in §1440 ABGB gerichtet sei – an Präjudizialität. Das Aufrechnungsverbot gemäß §1440 2. Satz ABGB gelte nicht, wenn und soweit die speziellere Regelung des §19 Abs1 RAO zu Anwendung komme. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes gehe §19 Abs1 RAO dem §1440 2. Satz ABGB immer dann als lex specialis vor, wenn ein Rechtsanwalt Zahlungen auf Grund seiner Funktion als Beauftragter im Rahmen des Bevollmächtigungsvertrages mit seinem Mandanten und zum Zweck der Übergabe an den Mandanten erhalten habe. Gegenstand des Anlassverfahrens sei die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung von Forderungen aus einem Mandatsverhältnis zwischen der Antragstellerin als Rechtsanwältin und der gegnerischen Partei. §1440 2. Satz ABGB sei daher im Anlassverfahren denkmöglich nicht anzuwenden. Der Antrag erweise sich somit auch mangels Präjudizialität als unzulässig.
7. Mit Schreiben vom 23. März 2018 teilte das Bezirksgericht Mödling mit, dass dem von der Antragstellerin erhobenen Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen wurde, mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 2. März 2018 keine Folge gegeben wurde. Das Landesgericht Wiener Neustadt habe ferner gleichzeitig ausgesprochen, dass der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei. Die Zurückweisung der Berufung sei damit rechtskräftig. Das Bezirksgericht Mödling legte mit dieser Mitteilung unter einem die Gerichtsakten vor.
IV. Zulässigkeit
1. Der vorliegende Antrag ist unzulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und Art139 Abs1 Z4 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen bzw. die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
3. Der vorliegende Antrag wurde von der Antragstellerin gleichzeitig mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen das (erstinstanzliche) Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 19. Jänner 2017 eingebracht. Dieser Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Berufung wurden mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 15. November 2017 zurückgewiesen. Dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 2. März 2018 keine Folge gegeben. Mit dem Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt wurde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwehrt bzw. die Zurückweisung der Berufung der Antragstellerin rechtskräftig. Da somit die Berufung unzulässig ist, liegt im Hinblick auf §19 Abs3 RAO, RGBl. 96/1868 idF BGBl 474/1990, §17 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977) sowie §1440 ABGB, JGS 946/1811 idF RGBl. 69/1916, kein zulässiges Rechtsmittel iSd §62a Abs1 VfGG bzw. §57a Abs1 VfGG vor, weshalb der Antragstellerin die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG bzw. Art139 Abs1 Z4 B-VG fehlt (vgl. VfGH 2.7.2015, G133/2015; 17.9.2015, G110/2015; vgl. zur Qualifikation der RL-BA 1977 als Verordnung VfSlg 11.647/1988, 12.467/1990). Der Antrag ist daher schon aus diesen Gründen unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Parteiantrag, VfGH / Legitimation, WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:G273.2017Zuletzt aktualisiert am
25.06.2018