Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
32013R0604 Dublin-III Art13 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Mag. Stickler und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 2017, W239 2137534-2/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: M A, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Februar 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Im verwaltungsbehördlichen Verfahren wurde nach erkennungsdienstlicher Behandlung des Mitbeteiligten eine Abfrage im Eurodac-System durchgeführt, deren automationsunterstützt geliefertes Ergebnis zu den Datensätzen des Mitbeteiligten einen auf Griechenland bezogenen "Eurodac-Treffer der Kategorie 2 (Illegales Überschreiten der EU-Außengrenzen)" auswies.
3 Im Rahmen der durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11. Februar 2016 durchgeführten Erstbefragung gab der Mitbeteiligte betreffend seine Reiseroute an, er habe von der Türkei kommend in Griechenland erstmals das Gebiet der Europäischen Union betreten und dieses zwei Tage später wieder verlassen. Nach Aufenthalten in Mazedonien und in Serbien von jeweils drei beziehungsweise zwei Tagen sei er in Kroatien erneut in das Gebiet der Europäischen Union eingereist. Schließlich sei er über Slowenien nach Österreich gelangt. In Kroatien habe er sich zwei Tage und in Slowenien habe er sich einen Tag aufgehalten.
4 Am 31. März 2016 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Konsultationsverfahren mit Kroatien ein und ersuchte die zuständige kroatische Asylbehörde um Aufnahme des Mitbeteiligten. Dieses Ersuchen blieb seitens der kroatischen Behörde unbeantwortet.
5 Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 teilte das BFA der kroatischen Behörde mit, dass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz mit 1. Juni 2016 auf Kroatien übergangen sei.
6 Mit Verfahrensanordnung vom 9. September 2016 informierte das BFA den Mitbeteiligten, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil eine Zuständigkeit Kroatiens angenommen werde.
7 Mit Bescheid vom 3. Oktober 2016 wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Kroatien zuständig sei. Die Behörde ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten an und stellte fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Kroatien zulässig sei.
8 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welche mit dem Antrag verbunden war, dem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
9 Am 29. November 2016 wurde der Mitbeteiligte am Luftweg nach Kroatien überstellt. Aus diesem Anlass erhob der Mitbeteiligte eine Maßnahmenbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
10 Mit Beschluss vom 20. Februar 2017 gab das Bundesverwaltungsgericht - ohne zuvor gesondert über den Antrag des Mitbeteiligten auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden - der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG statt und hob den Bescheid des BFA vom 3. Oktober 2016 auf. Das Verwaltungsgericht führte im Wesentlichen aus, es fehle im vorliegenden Fall an konkreten Feststellungen zu der Frage, ob die Ein- und Durchreise des Mitbeteiligten nach beziehungsweise durch Kroatien staatlich organisiert gewesen seien. Davon ausgehend erweise sich der durch die Behörde ermittelte Sachverhalt als mangelhaft, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG aufzuheben sei.
11 Am 13. Juni 2017 erfolgte (über dessen Ersuchen) eine Rücküberstellung des Mitbeteiligten von Kroatien nach Österreich.
12 Im Verfahren vor dem BFA wurde der Mitbeteiligte erneut erkennungsdienstlich behandelt. Bei dem Abgleich der Fingerabdrücke im Eurodac-System war im Zusammenhang mit den Fingerabdrücken des Mitbeteiligten (u.a.) der Hinweis ersichtlich, dass dieser (entsprechend dem "Eurodac-Treffer Ergebnis der Kategorie 1") nicht nur am 11. Februar 2016 in Österreich, sondern auch am 6. Dezember 2016 in Kroatien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte.
13 Dem daraufhin am 4. August 2017 durch das BFA ergangenen Gesuch um Wiederaufnahme des Mitbeteiligten stimmte die kroatische Behörde mit Schreiben vom 17. August 2017 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-Verordnung zu. Der Mitbeteiligte habe - so die Mitteilung der kroatischen Behörde vom 17. August 2017 - am 6. Dezember 2016 in Kroatien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das Verfahren betreffend diesen Antrag sei nach der am 13. Juni 2017 erfolgten Rücküberstellung des Mitbeteiligten von Kroatien nach Österreich am 16. Juni 2017 eingestellt worden.
14 Im Wege einer Verfahrensanordnung vom 25. August 2017 setzte das BFA den Mitbeteiligten davon in Kenntnis, dass man beabsichtige, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil eine Zuständigkeit Kroatiens angenommen werde.
15 Mit Bescheid vom 7. September 2017 wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-Verordnung Kroatien zuständig sei. Es wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten angeordnet und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
16 Mit Erkenntnis vom 7. September 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Maßnahmenbeschwerde, die der Mitbeteiligte betreffend die am 29. November 2016 erfolgte Abschiebung nach Kroatien erhoben hatte, gemäß § 46 FPG als unbegründet ab.
17 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der durch den Mitbeteiligten gegen den Bescheid des BFA vom 7. September 2017 erhobenen Beschwerde statt und hob den zuletzt genannten Bescheid ersatzlos auf. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für zulässig.
18 Diese Entscheidung begründete das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass zwar gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung in Verbindung mit Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung eine Zuständigkeit Kroatiens zur Prüfung des vorliegenden Antrages bestanden habe. Es sei jedoch die beginnend mit 31. Mai 2016 zu berechnende, sechsmonatige Überstellungsfrist am 30. November 2016 abgelaufen. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Überstellungsfrist aus den in Art. 29 Abs. 2 zweiter Satz Dublin III-Verordnung genannten Gründen lägen nicht vor. Den vom Mitbeteiligten erhobenen Rechtsbehelfen sei überdies zu keinem Zeitpunkt aufschiebende Wirkung zugekommen.
19 Das vom BFA eingeleitete zweite Konsultationsverfahren sei nicht geeignet, eine Zuständigkeit Kroatiens zu begründen. Am 4. August 2017, als das an die kroatische Behörde gerichtete Ersuchen um Wiederaufnahme des Mitbeteiligten erfolgt sei, sei bereits mehr als ein Jahr seit der Stellung des vorliegenden Asylantrags vergangen gewesen. Die Behörde habe sich auf den zwischenzeitlich neu "entstandenen" Umstand gestützt, dass der Mitbeteiligte am 6. Dezember 2016 in Kroatien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Dabei habe die Behörde den "ursprünglich" zuständigkeitsbegründenden Sachverhalt, nämlich die illegale Einreise des Mitbeteiligten nach Kroatien, außer Acht gelassen. Es sei dem Bescheid vom 7. September 2017 nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Überlegungen die Behörde von der Auffassung ausgegangen sei, es sei bei Hervorkommen neuer Umstände das Einleiten (beliebig vieler) weiterer Konsultationsverfahren möglich, selbst wenn diese Verfahren weder in einem ausreichenden zeitlichen Zusammenhang mit dem "ursprünglichen" in Österreich gestellten Asylantrag noch in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem "ursprünglich" herangezogenen Zuständigkeitskriterium stünden.
20 Folgte man der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Auffassung, wäre nach Durchführung der Überstellung einem Rechtsbehelf, mit dem die fehlerhafte Anwendung der in Kapitel III der Dublin III-Verordnung angeführten Zuständigkeitskriterien geltend gemacht werde, stets der Erfolg zu versagen. Es bewirkte "dann" jede Überstellung einen Zuständigkeitsübergang auf den aufnehmenden Mitgliedstaat, und zwar entweder gestützt auf die Annahme eines Selbsteintritts des aufnehmenden Mitgliedstaates gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung und/oder gestützt auf die - wie im vorliegenden Fall erfolgte - nachträgliche Stellung eines Asylantrages im aufnehmenden Mitgliedstaat. Eine "solche" Rechtsansicht stünde jedoch mit dem in der Dublin III-Verordnung verankerten Rechtsschutzsystem nicht im Einklang.
21 Das durch das BFA eingeleitete zweite Konsultationsverfahren mit Kroatien sei vor dem Hintergrund dieser Überlegungen nicht zulässig. Es habe daher auch die ausdrückliche Zustimmung Kroatiens zur Wiederaufnahme des Mitbeteiligten vom 17. August 2017 keinen Übergang der Zuständigkeit auf Kroatien bewirkt.
22 Zur Zulässigkeit der Revision im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG hielt das Gericht fest, dass zur "Einordnung des Sachverhalts" bezogen auf den Ablauf der Überstellungsfrist weder eine "ohnehin" klare Rechtslage noch Rechtsprechung der "Höchstgerichte" noch Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vorliege.
23 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit beantragt wird.
24 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Abweisung der Revision.
25 Die Revision beruft sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit - in Ergänzung der diesbezüglichen Ausführungen des angefochtenen Erkenntnisses - auf das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob ein Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 29 Abs. 2 erster Satz Dublin III-Verordnung auch in Konstellationen eintrete, in denen der Fremde auf der Grundlage einer durchsetzbaren und durchführbaren Überstellungsentscheidung fristgerecht in den ersuchten Mitgliedstaat überstellt worden sei, jedoch anschließend auf dem Boden einer aufhebenden und zurückverweisenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in den ersuchenden Mitgliedstaat rücküberstellt worden sei und (nach Ablauf der bezogen auf das erste Übernahmegesuch berechneten Überstellungsfrist) neuerlich in den ersuchten Mitgliedstaat überstellt werden solle. Auch die Frage, ob nach der Wiedereinreise des Fremden in den ersuchenden Mitgliedstaat ein - sofern dieses zulässig sei - neuerliches Übernahmegesuch an den bereits vor Durchführung der (ersten) Überstellung gemäß Art. 18 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ersuchten Mitgliedstaat zu erfolgen habe, bedürfe mit Blick auf den vorliegenden Fall einer Klärung durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
26 Die Revision ist im Sinn ihrer Zulässigkeitsbegründung zulässig. Sie ist auch begründet.
27 Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), im Folgenden: Dublin III-Verordnung, lauten auszugsweise:
"KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Artikel 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
...
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
...
Artikel 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. ...
KAPITEL V
PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 18
Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat
einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29
aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines
Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen,
der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen
Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
KAPITEL VI
AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN ...
ABSCHNITT II
Aufnahmeverfahren
Artikel 21
Aufnahmegesuch
(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen. Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt.
Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig. ...
Artikel 22
Antwort auf ein Aufnahmegesuch
(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs. ...
(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. ...
ABSCHNITT III
Wiederaufnahmeverfahren
Artikel 23
Wiederaufnahmegesuch bei erneuter Antragstellung im
ersuchenden Mitgliedstaat
(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dem eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Auffassung, dass nach
Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.
(2) Ein Wiederaufnahmegesuch ist so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 9 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen.
Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.
(3) Erfolgt das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde. ...
Artikel 24
Wiederaufnahmegesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein
neuer Antrag gestellt wurde
(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.
(2) Beschließt ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, in Abweichung von
Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger eine Abfrage der Eurodac-System gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013, so ist das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b oder c dieser Verordnung oder einer Person im Sinne ihres Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe d, deren Antrag auf internationalen Schutz nicht durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt wurde, so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Erhalt der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 17 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu unterbreiten.
Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der ersuchende Mitgliedstaat festgestellt hat, dass ein anderer Mitgliedstaat für die betreffende Person zuständig sein könnte, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.
(3) Wird das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist unterbreitet, so gibt der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, dieser Person Gelegenheit, einen neuen Antrag zu stellen....
ABSCHNITT VI
Überstellung
Artikel 29
Modalitäten und Fristen
(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.
Wenn Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung erfolgen, stellt der Mitgliedstaat sicher, dass sie in humaner Weise und unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden.
Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat dem Antragsteller ein Laissez-passer aus. Die Kommission gestaltet im Wege von Durchführungsrechtsakten das Muster des Laissez-passer. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass die betreffende Person eingetroffen ist oder dass sie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist erschienen ist.
(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
(3) Wurde eine Person irrtümlich überstellt oder wird einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer Überstellungentscheidung nach Vollzug der Überstellung stattgegeben, nimmt der Mitgliedstaat, der die Überstellung durchgeführt hat, die Person unverzüglich wieder auf.
..."
28 Das Bundesverwaltungsgericht begründete das angefochtene Erkenntnis im Wesentlichen dahingehend, dass im vorliegenden Fall infolge Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags des Mitbeteiligten gemäß Art. 29 Abs. 2 erster Satz Dublin III-Verordnung auf Österreich übergegangen sei und die neuerliche Überstellung des Mitbeteiligten daher nicht zulässig sei. Diese Rechtsansicht erweist sich aus den im Nachstehenden dargelegten Gründen als unzutreffend.
29 Vorauszuschicken ist, dass Art. 18 Abs. 1 Dublin III-Verordnung offenkundig an die bereits davor - an Hand der in Kapitel III festgelegten Kriterien (Art. 7 bis Art. 15 Dublin III-Verordnung) - erfolgte Ermittlung des für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates anknüpft. Die Ansicht, dass Art. 18 Dublin III-Verordnung für sich genommen zuständigkeitsbegründend sei, wurde von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits verworfen (vgl. beispielsweise VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0345).
30 Unter Zugrundelegung der illegalen Einreise des Mitbeteiligten über die Außengrenze Kroatiens ergibt sich im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Bestimmung des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gemäß Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Dublin III-Verordnung eine Zuständigkeit des zuletzt genannten Mitgliedstaates zur Prüfung des Antrages des Mitbeteiligten (vgl. betreffend den Begriff des "illegalen Überschreitens" der Grenze eines Mitgliedstaates EuGH 26.7.2017, Jafari, C-646/16, und A.S. gegen Republika Slowenija, C-490/16, sowie VwGH 20.9.2017, Ra 2016/19/0303- 0304; dazu, dass in einem Fall, in dem systemische Mängel im Asylsystem eines vorderhand zuständigen Mitgliedstaates herrschen und dieser daher nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung als zuständiger Mitgliedstaat ausscheidet, im Rahmen der fortzusetzenden Prüfung allein aufgrund dieser Bestimmung alle Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung - und somit auch das in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung bestimmte Kriterium der illegalen Einreise - bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates maßgeblich bleiben, vgl. VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0069).
31 Zum Zeitpunkt der Stellung des vorliegenden Antrages am 11. Februar 2016 waren seit dem Tag des illegalen Überschreitens der kroatischen Außengrenze durch den Mitbeteiligten weniger als zwölf Monate vergangen. Ein Wegfall der auf Art 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung beruhenden Zuständigkeit Kroatiens im Hinblick auf die in Art. 13 Abs. 1 zweiter Satz Dublin III-Verordnung festgelegte zeitliche Beschränkung dieser Zuständigkeit kommt fallbezogen somit nicht in Betracht (vgl. dazu auch EuGH 26.7.2017, A.S. gegen Republika Slowenija, C-490/16, Rn. 44 ff.; siehe auch VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0169).
32 Daran ändern auch der Umstand, dass der Mitbeteiligte gegen die Überstellungsentscheidung des BFA vom 3. Oktober 2016 einen Rechtsbehelf einlegte, dem mit einem zurückverweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichts stattgegeben wurde, und die Tatsache, dass der Mitbeteiligte am 6. Dezember 2016 im Gebiet der Europäischen Union zum zweiten Mal einen Asylantrag stellte, nichts (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-Verordnung, wonach bei der Bestimmung des nach den Kriterien des Kapitels III zuständigen Mitgliedstaates von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt wird, sowie das bereits zitierte Urteil des EuGH, C-490/16). Auch nach der Überstellung des Mitbeteiligten am 29. November 2016 und nach dessen Rücküberstellung am 13. Juni 2017 blieb Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung für die Beurteilung der Zuständigkeit Kroatiens unverändert maßgeblich.
33 Ausgehend davon rücken die vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten, für die Vollziehung der Überstellung des Mitbeteiligten in Art. 29 Dublin III-Verordnung festgelegten Fristen und der im Fall ihres Ablaufs gemäß Art. 29 Abs. 2 erster Satz Dublin III-Verordnung von Rechts wegen eintretende Zuständigkeitsübergang (vgl. EuGH 25.10.2017, Majid Shiri, C-201/16) in den Blick. Die Revision, die der Annahme eines gemäß Art. 29 Abs. 2 erster Satz Dublin III-Verordnung erfolgten Zuständigkeitsübergangs entgegen tritt, wirft dabei die Frage hinsichtlich der - vom Verwaltungsgericht in Abrede gestellten - Zulässigkeit des Wiederaufnahmegesuchs des BFA vom 4. August 2017 und dessen Auswirkungen auf die Beurteilung der maßgeblichen Überstellungsfrist auf.
34 In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die jüngste Rechtsprechung des EuGH zu verweisen, welcher zu einer Konstellation, in der sich nach bereits erfolgter Überstellung des Betroffenen die Frage betreffend die Zulässigkeit eines neuerlichen (zweiten) Übernahmegesuchs stellte, in seinem Urteil vom 25. Jänner 2018, Aziz Hasan, C-360/16, Folgendes ausführte:
"51 Da der Unionsgesetzgeber in Art. 24 der Verordnung für Drittstaatsangehörige wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein spezielles Verfahren vorgesehen hat, das u. a. verlangt, den ersuchten Mitgliedstaat innerhalb zwingender Fristen anzurufen, deren Ablauf Auswirkungen auf die Situation des Drittstaatsangehörigen haben kann, darf dieser zudem nicht in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden, bevor dieses Verfahren auf der Grundlage einer zuvor ihm gegenüber ergangenen und in der Vergangenheit bereits vollzogenen Überstellungsentscheidung abgeschlossen wurde.
52 Eine gegenteilige Lösung wäre daher mit dem Wortlaut der Art. 18 und 24 der Dublin-III-Verordnung unvereinbar, die nicht zwischen einem ersten und einem zweiten Aufenthalt in einem anderen als dem Mitgliedstaat unterscheiden, in dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.
53 Da sich aus den Erwägungen in den Rn. 35 bis 39 des vorliegenden Urteils ergibt, dass der Vollzug der Überstellung als solcher nicht geeignet ist, die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, in den die betreffende Person überstellt wurde, endgültig festzulegen, kommt überdies eine erneute Überstellung erst in Betracht, wenn die Situation dieser Person überprüft wurde, um zu klären, ob die Zuständigkeit nicht nach ihrer Überstellung auf einen anderen Mitgliedstaat übergegangen ist.
54 Insoweit ist hervorzuheben, dass eine solche Überprüfung der Situation der betreffenden Person vorgenommen werden kann, ohne die Erreichung des Ziels einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz in Frage zu stellen, da bei der Überprüfung nur Änderungen berücksichtigt zu werden brauchen, die seit dem Erlass der ersten Überstellungsentscheidung eingetreten sind.
55 Folglich ist auf Buchst. b der ersten Frage sowie die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 24 der Dublin-III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Drittstaatsangehöriger nach der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in einem ersten Mitgliedstaat in diesen Mitgliedstaat überstellt wurde, nachdem ein erneuter, bei einem zweiten Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen worden war, und dann ohne Aufenthaltstitel in das Hoheitsgebiet des zweiten Mitgliedstaats zurückgekehrt ist, dieser Drittstaatsangehörige Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein kann und dass es nicht möglich ist, ihn ohne Durchführung eines solchen Verfahrens erneut in den ersten Mitgliedstaat zu überstellen. ...
60 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Wiederaufnahmeverfahren obligatorisch im Einklang mit den u. a. in Kapitel VI der Dublin-III-Verordnung aufgestellten Regeln und insbesondere unter Beachtung einer Reihe zwingender Fristen durchgeführt werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C-670/16, EU:C:2017:587, Rn. 49 und 50).
61 Da der Unionsgesetzgeber in Art. 24 der Verordnung nicht zwischen Fällen, in denen das Wiederaufnahmeverfahren zum ersten Mal eingeleitet wird, und Fällen, in denen es erneut durchgeführt werden muss, nachdem die betreffende Person im Anschluss an eine Überstellung ohne Aufenthaltstitel in den ersuchenden Mitgliedstaat zurückgekehrt ist, unterscheidet, müssen die in diesem Artikel aufgestellten Fristen auch im letztgenannten Fall eingehalten werden.
62 In Bezug auf die Berechnung dieser Fristen ist festzustellen, dass sie das Wiederaufnahmeverfahren regeln sollen und entscheidend zur Verwirklichung des Ziels einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz beitragen, indem sie gewährleisten, dass das Wiederaufnahmeverfahren ohne unberechtigte Verzögerung durchgeführt wird (vgl. entsprechend Urteile vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C-670/16, EU:C:2017:587, Rn. 53 und 54, und vom 25. Oktober 2017, Shiri, C-201/16, EU:C:2017:805, Rn. 31).
63 Zu diesem Zweck gewährleisten die Fristen, dass der ersuchende Mitgliedstaat das Wiederaufnahmeverfahren innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt einleitet, zu dem er über Informationen verfügt, die es ihm erlauben, ein Wiederaufnahmegesuch an einen anderen Mitgliedstaat zu richten, wobei die in diesem Rahmen anwendbare Frist je nach der Art dieser Informationen variieren kann.
64 Daraus folgt, dass diese Fristen logischerweise nicht zu einem Zeitpunkt zu laufen beginnen können, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat nicht über Informationen verfügte, die es ihm erlaubten, das Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten. ...
66 Würden die Fristen ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Mitgliedstaat während eines ersten Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahrens über Informationen verfügte, die auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats hindeuteten, könnte dies zum einen die Wirksamkeit der in der Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Verfahren merklich beschränken und zum anderen die betreffenden Personen veranlassen, nach einer ersten Überstellung illegal in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats zurückzukehren, was die Anwendung der Grundsätze und Regeln dieser Verordnung unmöglich machen würde (vgl. entsprechend Urteile vom 17. März 2016, Mirza, C-695/15 PPU, EU:C:2016:188, Rn. 52, und vom 13. September 2017, Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rn. 37).
67 In einer Situation, in der die betreffende Person nach einer ersten Überstellung ohne Aufenthaltstitel in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats zurückgekehrt ist, würde eine solche Auslegung nämlich die diesem Mitgliedstaat zur Verfügung stehende Frist für die Unterbreitung eines Wiederaufnahmegesuchs stark verkürzen oder ihm sogar jede Möglichkeit nehmen, ein solches Gesuch zu unterbreiten, bevor er der betreffenden Person Gelegenheit gegeben hat, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, sofern sie mehr als zwei oder drei Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem er während des ersten Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahrens über Informationen verfügte, die auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats hindeuteten, in sein Hoheitsgebiet zurückkehren würde. ...
70 Nach alledem ist auf Buchst. a der fünften Frage zu antworten, dass Art. 24 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Drittstaatsangehöriger ohne Aufenthaltstitel in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zurückgekehrt ist, der ihn zuvor in einen anderen Mitgliedstaat überstellt hatte, das Wiederaufnahmegesuch innerhalb der in dieser Bestimmung vorgesehenen Fristen an den anderen Mitgliedstaat gerichtet werden muss und dass diese Fristen nicht zu laufen beginnen können, bevor der ersuchende Mitgliedstaat von der Rückkehr der betreffenden Person in sein Hoheitsgebiet Kenntnis erlangt hat."
35 Somit bestehen im Licht der Judikatur des EuGH keine Zweifel daran, dass - entgegen der im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Auffassung - im Rahmen des (an die Rücküberstellung anschließenden) "zweiten" Aufenthalts des Mitbeteiligten in Österreich die Unterbreitung eines Wiederaufnahmegesuchs an die kroatische Behörde zulässig und erforderlich war, um eine neuerliche Überstellung des Mitbeteiligten nach Kroatien im Einklang mit den Bestimmungen der Dublin III-Verordnung durchzuführen.
36 Dass nach der am 13. Juni 2017 erfolgten Rückkehr des Mitbeteiligten die Unterbreitung des zweiten Übernahmegesuchs durch das BFA am 4. August 2017 unter Wahrung der für diese Gesuche maßgeblichen Fristen erfolgte, steht ebenso außer Zweifel (EuGH 25.1.2018, Aziz Hasan, C-360/16, Rn. 63 und 70).
37 In Anbetracht der oben wiedergegebenen Judikatur des EuGH ist schließlich auch der weiteren, das angefochtene Erkenntnis tragenden Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, es sei infolge des Ablaufs der Überstellungsfristen von einem Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 29 Abs. 2 erster Satz Dublin III-Verordnung auszugehen, der Boden entzogen.
38 Die Dublin III-Verordnung unterscheidet nicht zwischen Fällen, in denen das Wiederaufnahme- und Überstellungsverfahren zum ersten Mal eingeleitet wird, und Fällen, in denen es erneut durchgeführt werden muss, weil sich die betreffende Person im Anschluss an eine Überstellung in dem ersuchenden Mitgliedstaat erneut aufhält (vgl. betreffend Art. 24 Dublin III-Verordnung EuGH 25.1.2018, Aziz Hasan, C-360/16, Rn. 52 und 61). Es kann zudem - nach bereits erfolgter Vollziehung einer Überstellungsentscheidung - ein zweites Übernahmegesuch sinnvoller Weise nur im Hinblick auf eine neuerliche "zweite" Überstellung erfolgen, deren grundsätzliche Zulässigkeit ein (auch nach bereits erfolgter Vollziehung der Überstellungsentscheidung) zulässiges Wiederaufnahmegesuch somit ebenso voraussetzt.
39 Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung bezieht sich - wie der EuGH in seinem Urteil vom 26. Juli 2017, A.S. gegen Republika Slowenija, C-490/16, Rn. 50, ausführte - auf den Vollzug der Überstellungsentscheidung und kann erst dann angewandt werden, wenn die Überstellung im Grundsatz feststeht, d. h. frühestens dann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch angenommen hat. Somit bestätigte auch der EuGH in der zuletzt zitierten Entscheidung den zwischen dem Übernahmegesuch, der Überstellungsentscheidung und deren Vollziehung notwendiger Weise bestehenden zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang.
40 Sohin hat im Fall einer "zweiten" Überstellung, die nach bereits erfolgter Vollziehung der Überstellungsentscheidung vorgenommen werden soll, die maßgebliche Berechnung der in Art. 29 Dublin III-Verordnung festgelegten Fristen faktisch zwangsläufig bezogen auf die durch das zweite Übernahmegesuch bestimmten fristauslösenden Ereignisse und nicht unter Zugrundelegung der im ersten Übernahme- und Überstellungsverfahren zu berücksichtigenden Fristen zu erfolgen.
41 Eine gegenteilige Sichtweise würde der in der Rechtsprechung des EuGH bejahten Zulässigkeit und Erforderlichkeit eines neuerlichen Wiederaufnahmegesuchs nahezu jegliche praktische Wirksamkeit nehmen. Diesfalls wäre nämlich, sollte die erste Überstellung nicht umgehend zu Beginn des Laufs der Überstellungsfrist durchgeführt worden sein, die Frist für die Durchführung der zweiten Überstellung in einer Vielzahl der Fälle schon vor der Rückkehr des Betroffenen in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaates beziehungsweise vor der Möglichkeit zur Unterbreitung des zweiten Übernahmegesuchs abgelaufen (vgl. auch die entsprechenden Erwägungen im Zusammenhang mit der Berechnung des Laufs der für das Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren maßgeblichen Fristen EuGH 25.1.2018, Aziz Hasan, C-360/16, Rn. 66 und 67).
42 Es deutet überdies nichts darauf hin, dass die durch den EuGH in der Rechtssache Aziz Hasan, C-360/16, betreffend die Zulässigkeit eines neuerlichen Wiederaufnahmegesuchs getroffenen Aussagen nur auf jene Situationen zu beziehen wären, in denen (nach Durchführung eines Wiederaufnahme- und Überstellungsverfahrens) der Betroffene illegal in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaates zurückkehrte, und diese Ausführungen nicht auch auf Fälle Anwendung zu finden hätten, in denen - wie hier - der zweite Aufenthalt im ersuchenden Mitgliedstaat auf eine (nach Durchführung eines Aufnahme- und Überstellungsverfahrens erfolgte) Rücküberstellung zurückzuführen ist.
43 Aus den dargelegten Gründen stand einer neuerlichen Überstellung des Mitbeteiligten Art. 29 Dublin III-Verordnung nicht entgegen. Bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hatte es weiterhin von einer auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung gegründeten Zuständigkeit Kroatiens zur Prüfung des vorliegenden Antrags auf internationalen Schutz auszugehen.
44 Indem das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte und den auf § 5 Abs. 1 AsylG 2005 gestützten Bescheid des BFA vom 7. September 2017 ersatzlos behob, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 3. Mai 2018
Gerichtsentscheidung
EuGH 62016CJ0360 Hasan VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017190004.J00Im RIS seit
21.06.2018Zuletzt aktualisiert am
19.11.2018