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61/01 Familienlastenausgleich;Norm
FamLAG 1967 §2 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger, Mag. Heinzl, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des R D in H, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 25. Oktober 1994, 111/5-5/Nw-1994, betreffend Rückzahlung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von 11.630 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 31. August 1974 im ehemaligen Jugoslawien geborene, seit August 1992 in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis stehende Beschwerdeführer bezog für sich selbst für den Zeitraum August 1992 bis Juni 1993 die Familienbeihilfe und für den Zeitraum Jänner 1993 bis Juni 1993 den Kinderabsetzbetrag, somit insgesamt 20.250 S.
Nachdem dem Finanzamt bekannt geworden war, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum August 1992 bis Juni 1993 als Lehrlingsentschädigung Bruttobezüge von insgesamt 131.787 S erhalten, forderte es mit Bescheid vom 27. Oktober 1993 sowohl die Familienbeihilfe als auch den Kinderabsetzbetrag zurück, wobei es zur Begründung unter Hinweis auf § 6 Abs 5 FLAG im Wesentlichen ausführte, für den eigenen Anspruch eines Kindes auf den Bezug der Familienbeihilfe sei maßgeblich, dass die Eltern überhaupt noch verpflichtet seien, den Unterhalt überwiegend zu leisten. Könne ein Kind seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zur Gänze oder überwiegend selbst decken, falle der Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern zur Gänze weg oder vermindere sich. Aus der Höhe der vom Beschwerdeführer erhaltenen Lehrlingsentschädigung ergebe sich, dass ein Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern nicht mehr bestehe, weswegen mangels Anspruches auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag der Betrag von 20.250 S zurückzufordern sei.
Mit Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, er stehe in einem gesetzlichen Lehrverhältnis, weswegen es irrelevant sei, ob er einen Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern habe. Denn nach § 6 Abs 3 lit b FLAG seien Entschädigungen aus einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis ungeachtet ihrer Höhe für die Frage des Unterhaltsanspruches gegenüber den Eltern unbeachtlich. Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber einem Lehrling sei jedenfalls zu bejahen.
In einer abweisenden Berufungsvorentscheidung hielt das Finanzamt dem Beschwerdeführer vor, aus der Formulierung des § 6 Abs 5 FLAG sei ersichtlich, Kinder hätten nur dann einen Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe, wenn die Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisteten. Voraussetzung für den eigenen Anspruch des Kindes auf den Bezug der Familienbeihilfe sei daher, ob überhaupt noch eine Unterhaltspflicht der Eltern bestehe. Nach § 140 Abs 3 ABGB mindere sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte habe oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig sei. Auf Grund der Höhe der vom Beschwerdeführer bezogenen Lehrlingsentschädigung sei die Unterhaltspflicht seiner Eltern erloschen, weswegen kein Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe bestehe.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz nahm der Beschwerdeführer zu den Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung nicht Stellung.
Auf Vorhalt der belangten Behörde vom 1. August 1994 mitzuteilen, wie hoch seine monatlichen Unterhaltskosten seien, gab der Beschwerdeführer bekannt, er könne diese mangels Unterlagen nicht beziffern. Unter einem teilte der Beschwerdeführer mit, er sei "praktisch" Waise, weil seine Mutter vor längerer Zeit verstorben und sein Vater seit einem Jahr vermisst sei. Es sei anzunehmen, sein Vater sei im jugoslawischen Bürgerkrieg umgekommen.
Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. August 1994 mit, sie gehe unter Anwendung der von den Gerichten erarbeiteten Regelbedarfssätze davon aus, seine Unterhaltskosten hätten im strittigen Zeitraum monatlich 3.690 S betragen. Unter Berücksichtigung der nunmehr seitens des Lehrberechtigten genau bekannt gegebenen Nettobezüge (ohne die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag) für den Zeitraum August 1992 bis Juni 1993 von insgesamt 116.882 S könne keine Rede davon sein, seine Eltern wären noch verpflichtet, seinen Unterhalt überwiegend zu tragen. Mit der bloßen Annahme, sein Vater sei im jugoslawischen Bürgerkrieg umgekommen, werde iSd § 1 Abs 1 TEG nicht dargetan, er sei im strittigen Zeitraum bereits Waise gewesen. Ein eigener Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs 1 lit c FLAG sei daher nicht gegeben. Sei keine Familienbeihilfe zu gewähren, bestünde auch kein Anspruch auf den Bezug des Kinderabsetzbetrages.
Trotz einer dementsprechenden Aufforderung nahm der Beschwerdeführer zum Schreiben der belangten Behörde vom 18. August 1994 nicht Stellung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab, wobei sie zur Begründung unter Hinweis auf § 6 Abs 5 FLAG sowohl idF vor dem 1. September 1992 als auch nach dem 31. August 1992 ausführte, entscheidend für den eigenen Anspruch eines Kindes auf den Bezug der Familienbeihilfe und damit auch auf den Bezug des Kinderabsetzbetrages sei, ob überhaupt noch eine Unterhaltspflicht der Eltern bestehe. Nur wenn ein Kind die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse nicht aus eigenen Einkünften zur Gänze oder überwiegend selbst decken könne, bestehe eine Unterhaltspflicht der Eltern. Dem Beschwerdeführer stünden aus seiner Tätigkeit als Lehrling Beträge zur Verfügung, mit denen er seine Bedürfnisse zur Gänze selbst decken könne. Somit sei die Unterhaltspflicht der Eltern erloschen, weswegen der Beschwerdeführer von Vornherein keinen eigenen Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe und damit auch auf den Bezug des Kinderabsetzbetrages gehabt habe. Daran vermögen die Ausführungen des Beschwerdeführers, er sei "praktisch" Waise, nichts zu ändern, weil mangels Stellungnahme zum Schreiben vom 18. August 1994 davon ausgegangen werde, sein Vater sei im strittigen Zeitraum noch nicht verschollen gewesen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Wie bereits im Administrativverfahren vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, auf Grund des im Streitzeitraum bestehenden gesetzlich anerkannten Lehrverhältnisses habe er jedenfalls - ungeachtet der Höhe der Lehrlingsentschädigung - einen eigenen Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe und damit auch auf den Bezug des Kinderabsetzbetrages gehabt. Denn nach § 6 Abs 3 lit b FLAG blieben Entschädigungen aus einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis für die Frage des Unterhaltsanspruches gegenüber den Eltern unbeachtlich. Bei Lehrlingen sei die Unterhaltspflicht der Eltern, ungeachtet ob sie - aus welchen Gründen immer - ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkämen, jedenfalls zu bejahen.
Mit diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Recht. Aus § 2 Abs 1 lit a, § 5 und § 6 Abs 1 FLAG ergibt sich die Wertungsentscheidung des Gesetzgebers, dass für ein Kind, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und sich dauernd in Österreich aufhält, grundsätzlich ein Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe besteht. Gewähren die Eltern dem Kind Unterhalt, so steht der Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe unter den in § 2 ff FLAG näher beschriebenen Voraussetzungen den Eltern zu. Ist das Kind Vollwaise, so ist es gemäß § 6 Abs 1 FLAG selbst Träger des Anspruches auf den Bezug der Familienbeihilfe. Erhält das Kind aus anderen Gründen keinen Unterhalt, so muss, wie sich dies aus der eingangs angeführten Wertungsentscheidung des Gesetzgebers ergibt, der Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe ebenfalls bestehen. In diesem Fall ist wiederum das Kind selbst Träger des Anspruches auf den Bezug der Familienbeihilfe.
Was ein Kind nach Vollendung des 18. Lebensjahres anlangt, ist darauf zu verweisen, dass ebenfalls ein Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe besteht, wenn sich ein solches Kind in Berufsausbildung befindet (vgl § 2 Abs 1 lit b und § 6 Abs 2 lit a FLAG). In § 5 Abs 1 lit b FLAG wird normiert, dass die im Zug der Berufsausbildung erhaltene Entschädigung aus einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis dem Anspruch auf Bezug der Familienbeihilfe nicht entgegensteht. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dem Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, und das weder im Haushalt der Eltern wohnt noch von diesen Unterhalt erhält und auch nicht Vollwaise ist, der Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe durch § 6 Abs 5 FLAG nur eingeräumt ist, wenn dem Kind zivilrechtlich noch ein Unterhaltsanspruch zusteht (vgl das hg Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, 95/14/0066, mwA). Aus der Wertungsentscheidung des Gesetzgebers, wonach gerade ein gesetzlich anerkanntes Lehrverhältnis geeignet ist, den Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe für ein Kind, das das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat, zu begründen, ergibt sich aber zwingend, dass die im Rahmen eines solchen Lehrverhältnisses erhaltene Entschädigung keinesfalls dem Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe entgegenstehen kann. Solcherart hat bei Prüfung des durch § 6 Abs 5 FLAG vorausgesetzten Unterhaltsanspruches des Kindes die Lehrlingsentschädigung, somit das durch die Lehrlingsentschädigung allenfalls bewirkte Entfallen des Unterhaltsanspruches, außer Betracht zu bleiben.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weswegen er gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die belangte Behörde wird jedoch im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob die vom Beschwerdeführer im Streitzeitraum bezogenen Einkünfte noch als Lehrlingsentschädigung anzusehen sind.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.
Wien, am 22. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1994140164.X00Im RIS seit
01.06.2001Zuletzt aktualisiert am
16.05.2013