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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §20;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger, Mag. Heinzl, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des C K in R, vertreten durch Dr. Manfred Pochendorfer, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Eiselsbergerstraße 1a, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 19. Juli 1994, 419/3-10/Zi-1994, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von 11.540 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im Schreiben vom 21. Juli 1993 teilte der Beschwerdeführer dem Finanzamt mit, im Hinblick auf die gegebene Situation im Sportartikeleinzelhandel habe er mit seinen Gläubigern einen außergerichtlichen Ausgleich abschließen müssen, der nunmehr wirksam zustande gekommen sei. Die Gläubiger würden eine Befriedigungsquote von 40 %, zahlbar in vier gleichen Raten vom 31. Juli bis 31. Oktober 1993 erhalten. Auf seinem Abgabenkonto bestehe derzeit kein Rückstand. Allerdings werde durch die Umsatzsteuerrückverrechnung (Berichtigung gemäß § 16 Abs 1 Z 2 UStG 1972) nach Abschluss des außergerichtlichen Ausgleiches eine Abgabenschuld bestehen. Das Finanzamt werde ersucht mitzuteilen, ob es möglich sei, auf die Umsatzsteuerrückverrechnung zu verzichten bzw die Ausgleichsquote von 40 % auf die rückzuverrechnende Umsatzsteuer anzuwenden.
In Beantwortung dieses Schreibens teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer am 18. August 1993 mit, auf die Umsatzsteuerrückverrechnung könne nicht verzichtet werden. Ein eventueller Nachlass von Abgabenschulden könne nur im Weg eines Nachsichtsverfahrens erfolgen.
Am 29. September 1993 überreichte der Beschwerdeführer die Einverständniserklärungen seiner Gläubiger zur Durchführung des außergerichtlichen Ausgleiches und beantragte die Nachsicht seiner Abgabenschulden im Sinn seines Schreibens vom 21. Juli 1993.
Am 20. Dezember 1993 erfolgte auf Grund einer Zahlung des Beschwerdeführers eine Gutschrift auf seinem Abgabenkonto von 300.000 S. Auf dem in Fotokopie aktenkundigen Einzahlungsschein scheint handschriftlich beigesetzt das Datum 15. Dezember 1993 und als Zahlungszweck "a conto lt Vereinbarung" auf. Der Einzahlungsschein enthält keine Verrechnungsanweisung iSd § 214 Abs 4 BAO.
Nach den Ausführungen beider Parteien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe der Beschwerdeführer die Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Juli bis Oktober 1993 von 262.040 S am jeweiligen Fälligkeitstag nicht entrichtet, jedoch Voranmeldungen nach § 21 Abs 1 UStG 1972 eingereicht. Am 9. November 1993 habe der vollstreckbare Rückstand 423.441 S betragen, worin Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993 von 161.401 S enthalten gewesen seien. Durch die Buchung der Zahlung von 300.000 S am 20. Dezember 1993 habe der Rückstand am 10. Jänner 1994 164.423 S betragen, worin keine Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993 mehr enthalten gewesen seien.
Mit Verfügung vom 28. Dezember 1993 forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer unter Hinweis auf § 85 Abs 2 BAO zur konkreten Bezeichnung der Abgabenschuld, hinsichtlich derer eine Nachsicht begehrt werde, auf.
Im Anbringen vom 11. Jänner 1994 teilte der Beschwerdeführer mit, er begehre die Nachsicht der Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993 von 51.157 S bzw 125.723 S, wobei er darauf hinwies, bei diesen Beträgen handle es sich um Abgabenschulden, die vor Eröffnung des außergerichtlichen Ausgleiches entstanden seien. In den 125.723 S sei eine rückverrechnete Umsatzsteuer von 72.172 S enthalten.
Auf Vorhalt vom 4. März 1994, ob auch eine Bank als größter Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet habe, gab der Beschwerdeführer bekannt, dies sei noch nicht der Fall. Es seien jedoch Gespräche über einen Schuldnachlass mit der Bank im Laufen.
Mit Bescheid vom 16. März 1994 wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen mit der Begründung ab, eine Abgabennachsicht aus Billigkeit komme nicht in Betracht, wenn durch diese ein anderer Gläubiger - im gegenständlichen Fall die Bank - besser gestellt würde.
In seiner Berufung gab der Beschwerdeführer bekannt, die Bank habe grundsätzlich einem Nachlass von 50 % ihrer Forderungen zugestimmt. Er werde nach kontenmäßiger Durchführung eine diesbezügliche Bestätigung der Bank vorlegen.
Am 6. Juli 1994 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der Bank vor, nach der sie auf rund 40 % ihrer Forderungen verzichte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab, wobei sie zur Begründung unter Hinweis auf § 236 BAO und der hiezu ergangenen hg Rechtsprechung ausführte, der Beschwerdeführer habe mit der am 20. Dezember 1993 verbuchten Zahlung von 300.000 S ua auch jene Abgabenschulden entrichtet, deren Nachsicht er begehre. Zwar sei auch die Nachsicht bereits entrichteter Abgabenschulden möglich, doch müsse vom Nachsichtswerber dargetan werden, die Entrichtung der nachzusehenden Abgabenschuld wäre für ihn mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden gewesen und hätte zu einer anormalen Belastungswirkung bzw zu einem atypischen Vermögenseingriff geführt. Gegen eine derartige Annahme spreche der Umstand, dass nicht allein die vom Nachsichtsansuchen umfassten Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993, sondern darüber hinaus weitere Abgabenschulden von 138.599 S durch die Zahlung von 300.000 S entrichtet worden seien. In der Einhebung der Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993 könne daher keine Unbilligkeit erblickt werden, weswegen für eine Ermessensentscheidung kein Raum bleibe.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe rechtswidrigerweise die Unbilligkeit der Einhebung der Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993 verneint. Er habe im Gegensatz zu den Ausführungen der belangten Behörde durch die Einverständniserklärungen aller seiner Gläubiger zur Durchführung des außergerichtlichen Ausgleiches sehr wohl dargetan, dass er ohne diesen in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet gewesen wäre, was auch von allen Gläubigern mit Ausnahme des Bundes als Abgabengläubiger anerkannt worden sei.
Mit diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Recht.
Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschulden auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nach Abs 2 leg cit findet Abs 1 auf bereits entrichtete Abgabenschulden sinngemäß Anwendung.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu Recht, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung von Abgaben im Allgemeinen voraus, dass deren Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einhebung für den Steuerpflichtigen ergeben. Die Unbilligkeit kann persönlich oder sachlich bedingt sein. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdet.
Mit dem Hinweis auf die Einverständniserklärungen aller seiner Gläubiger zur Durchführung des außergerichtlichen Ausgleiches hat der Beschwerdeführer seine schlechte wirtschaftliche Lage, somit die persönliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben, wenn auch knapp, so doch ausreichend dargetan.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. Dezember 1989, 89/14/0196, ausgeführt hat, kann bei Sanierung eines Unternehmens im Rahmen eines Ausgleiches der Verzicht auf die Einhebung von Abgabenschulden zur Sanierung des Unternehmens beitragen, weswegen in einem solchen Fall die Einhebung der (gesamten) Abgabenschulden unbillig sein kann. Die Abgabenbehörde ist zur Gewährung einer Abgabennachsicht aber dann nicht verhalten, wenn keine realistische Hoffnung auf einen Ausgleich besteht. Eine Abgabennachsicht ist allerdings nicht zweckmäßig, wenn durch eine derartige Maßnahme nur ein geringer Teil der aushaftenden Schulden nachgelassen wird, oder die Abgabennachsicht anderen Gläubigern zugute kommt.
Um die wirtschaftliche Existenz des Beschwerdeführers zu sichern, haben mit Ausnahme des Bundes als Abgabengläubiger alle Gläubiger des Beschwerdeführers dem außergerichtlichen Ausgleich zugestimmt, wobei sie dem Beschwerdeführer Schulden von 1,543.408,31 S erlassen haben. Das Unternehmen des Beschwerdeführers konnte auf Grund des erfüllten außergerichtlichen Ausgleiches fortgeführt werden. Es bestand somit nicht nur eine realistische Hoffnung, den außergerichtlichen Ausgleich zu erfüllen, sondern ist dieser tatsächlich erfüllt worden. Der Beschwerdeführer war damit mit Ausnahme der Abgabenschulden schuldenfrei, weswegen auch nicht davon ausgegangen werden kann, durch eine zu gewährende Abgabennachsicht werde nur ein geringer Teil der aushaftenden Schulden nachgelassen und käme anderen Gläubigern die Abgabennachsicht zugute. Einer Abgabennachsicht steht auch der Umstand nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer die Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993, deren Nachsicht er begehrt, bereits entrichtet hat. Denn § 236 Abs 2 BAO lässt ausdrücklich auch die Nachsicht bereits entrichteter Abgabenschulden zu. Dass bei einer solchen Nachsicht an den Begriff der Unbilligkeit ein anderer, nämlich - wie die belangte Behörde meint - strengerer Maßstab anzulegen ist als bei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgabenschulden, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Nachsicht bereits entrichteter Abgabenschulden kommt insbesondere in Betracht, wenn diese Schulden zwar - wie im Beschwerdefall - mangels Verrechnungsanweisung iSd § 214 Abs 4 lit a BAO durch Zahlungen getilgt, die für die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung sprechenden Gründe damit aber nicht beseitigt sind (vgl das hg Erkenntnis vom 20. Jänner 1987, 86/14/0103).
Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage das Vorliegen einer Unbilligkeit in der Einhebung der Umsatzsteuerzahllasten für die Monate Mai und Juni 1993 verneint hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weswegen er gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu ermitteln haben, ob die Worte " a conto lt Vereinbarung" im Hinblick auf eine Besprechung zwischen dem Vorstand des Finanzamtes und dem Beschwerdeführer auf dem aktenkundigen Einzahlungsschein vermerkt worden sind, weil eine solche Zusage mit nachfolgender Leistung im Hinblick auf Treu und Glauben bei Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen wäre.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebührenersatz nur für
drei Beschwerdeausfertigungen (360 S) und für den angefochtenen Bescheid (60 S) zuerkannt werden konnte.
Wien, am 22. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1994140144.X00Im RIS seit
21.08.2001Zuletzt aktualisiert am
16.06.2010