TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/8 W183 2172508-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2018
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Entscheidungsdatum

08.06.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W183 2172508-1/9E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 16.03.2018 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Dr. Erika PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb.: XXXX , StA: Somalia, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF) stellte am 13.08.2015 einen Antrag auf Einreise im Rahmen der Familienzusammenführung mit ihrem damaligen Ehemann XXXX , woraufhin ihr ein Visum D ausgestellt wurde, sie am 02.02.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Am 06.07.2017 wurde BF von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab BF als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sie im Rahmen der Familienzusammenführung zu ihrem Mann gekommen sei, brachte jedoch auch Verfolgung durch al-Shabaab und eine versuchte sowie drohende Zwangsverheiratung vor.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 29.08.2017) wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.11.2018 erteilt.

Das BFA stellte der BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3. Mit Schriftsatz vom 21.09.2017 (am 22.09.2017 bei der Behörde eingelangt) erhob BF durch ihre Rechtsberatung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides. Mit Schriftsatz vom 25.09.2017 (am selben Tag zur Post gegeben) erhob BF nochmals binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides.

4. Mit Schriftsatz vom 04.10.2017 (eingelangt am 05.10.2017) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5. Mit Schreiben vom 06.12.2017 wurden die BF sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.03.2018 geladen und wurde darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, die Länderberichte gemäß dem "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, Wien am 25.4.2016 (letzte Informationen eingefügt am 08.08.2017)" sowie den FFM Report vom August 2017 als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Somalia heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben.

6. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 12.12.2017, Zl. XXXX , wurde die zwischen XXXX und BF geschlossene Ehe geschieden.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.03.2018 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Somali eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF sowie deren Rechtsvertretung teilnahmen. BF wurde ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt und wurde ihr Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia vom 12.01.2018 (in der Folge LIB 2018) und den EASO Country of Origin Information Report zu Somalia vom Dezember 2017 zum Parteiengehör. Das BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab.

Die BF wiederholte im Rahmen der Verhandlung im Wesentlichen ihre bereits im Administrativverfahren getätigten Angaben. Al-Shabaab habe sie und ihre Schwester entführt, um sie zwangszuverheiraten. In der Verhandlung legte BF den unter 6. genannten Beschluss betreffend die einvernehmliche Scheidung vor.

Ein Strafregisterauszug wurde am Tag der Verhandlung eingeholt.

Das Bundesverwaltungsgericht verkündete das Erkenntnis wie im Spruch oben angeführt. Nach einer Belehrung gem. § 29 Abs. 2a VwGVG verzichtete BF auf eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof sowie auf eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Das Informationsblatt zu Integration gem. § 67 Abs. 1 AsylG 2005 wurde BF persönlich ausgehändigt.

8. Mit Schriftsatz vom 22.03.2018 ersuchte die belangte Behörde um eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

BF stammt aus Mogadischu in Somalia und ist eine volljährige, somalische Staatsangehörige. BF gehört der Volksgruppe der Ashraf an. BF ist geschieden.

BF stellte am 02.02.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Den Angaben der BF zufolge hat diese keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF einen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia hat.

1.2. Zum Fluchtvorbringen

Festgestellt wird, dass BF in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (junge, unverheiratete/alleinstehende Frau) anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität (Zwangsheirat, geschlechtsspezifische Gewalt) droht und sie weder von staatlicher Seite noch von männlicher Verwandtschaft entsprechende Hilfe erwarten könnte.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Ein staatlicher Schutz ist nicht gewährleistet. Vgl. LIB 2018 S. 19, 44, 50, 59, 95f. und 115.

Weite Teile Somalias sind derzeit dürrebedingt von einer massiven Nahrungsversorgungsunsicherheit betroffen. Mehr als sechseinhalb Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, wobei die Zahl der akut Betroffenen in den vergangenen Monaten massiv angestiegen ist und übereinstimmende Prognosen eine weitere drastische Verschlechterung der Situation erwarten lassen. Die Unterernährung von Kindern sowie die Verbreitung von Krankheiten (z.B. Cholera) sind im Steigen begriffen, seit November 2016 wurden mehr als 700.000 Menschen dürrebedingt innerhalb Somalias vertrieben. Die Lage wird als an der Kippe zur Hungersnot beschrieben, einzelne Hungertote sind bereits bestätigt. Vgl. LIB 2018 S. 121 ff. und die Karte auf S. 126

Die Lage von Frauen und Mädchen ist weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017). Vgl. LIB 2018 S. 95

Häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen bleibt ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Der Anstieg an Fällen konfliktbezogener sexueller Gewalt kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016). Vgl. LIB 2018 S. 96

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 9.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 3.3.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich (HRW 12.1.2017). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 3.3.2017). Vgl. LIB 2018 S. 115

Al-Shabaab setzt sexualisierte Gewalt als Taktik im bewaffneten Konflikt ein (AA 1.1.2017). Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Vgl. LIB 2018 S. 96f.

Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017). Vgl. LIB 2018 S. 97

Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al-Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al-Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017). Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Vgl. LIB 2018 S. 19

Das Dreieck Afgooye-Mogadischu-Merka bildet das einsatztechnische Schwergewicht der al Shabaab (BFA 8.2017). Vgl. LIB2018 S. 27

Die Regierung zeigt einige Bemühungen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Allerdings sind diese ungenügend; korrupte, unbezahlte Soldaten und unzufriedene Clans in der Peripherie ermöglichen es der al Shabaab, Mogadischu zu infiltrieren (ICG 20.10.2017). Mogadischu ist folglich nicht absolut abgeschottet (BFA 8.2017). Der Amniyat ist schon seit Jahren in der Stadt aktiv und konnte Sicherheitsstrukturen unterwandern (ICG 20.10.2017). Insgesamt reicht die in Mogadischu gegenwärtig gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte nicht aus, um eine flächeneckende Präsenz sicherzustellen. Al Shabaab hingegen verfügt eindeutig über eine Präsenz in der Stadt (BFA 8.2017). Vgl. LIB 2018 S. 32

1.4. Es sind keine Asylausschlussgründe hervorgekommen und ist BF in Österreich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 12.01.2018 mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, der Strafregisterauszug vom 16.03.2018 sowie der in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Scheidungsbeschluss.

2.2. Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF - betreffend ihre Person sowie die Familienverhältnisse - für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machte. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, und war BF diesbezüglich auch in der mündlichen Verhandlung persönlich glaubwürdig.

Anhaltspunkte, wonach BF über verlässliche familiäre Kontakte in Somalia verfügen würde, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Feststellung, dass die BF alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist, ergibt sich aus deren glaubwürdigem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung. Demnach konnte nach Befragung kein Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia verlässlich festgestellt werden und gab BF auch an, dass ihr Vater und älterer Bruder verstorben sind. Aus der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ergibt sich, dass ihre jüngeren Brüder aktuell erst 5 und 4 Jahre alt sind, darüber hinaus ist der BF deren Aufenthalt unbekannt.

Die Feststellung, dass BF geschieden ist, ergibt sich aus dem in der Verhandlung im Original vorgelegten Scheidungsbeschluss.

2.2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die BF für persönlich glaubwürdig, weil sie in der mündlichen Verhandlung im Kern klar, nachvollziehbar und ausführlich auf die an sie gerichteten Fragen antwortete. BF machte einen selbstbestimmten Eindruck, wiewohl aus ihrem Verhalten und Auftreten auch eine tatsächliche Furcht vor geschlechtsspezifischer Gewalt im Falle einer Rückkehr ersichtlich war.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte die BF auf Grund ihres persönlich glaubwürdigen Eindrucks nachvollziehbar darlegen, dass sie bei einer Rückkehr nach Somalia ernstlich Gefahr liefe, geschlechtsspezifische Gewalt und Verfolgung durch al Shabaab zu erfahren.

Abgesehen von der individuell glaubwürdig vorgebrachten Verfolgungsgefahr ist eine drohende Verfolgung auch vor dem Hintergrund der festgestellten Situation im Herkunftsstaat objektiv wahrscheinlich. So verfügt al-Shabaab eindeutig über eine Präsenz in Mogadischu und führt auch weiterhin Zwangsverheiratungen durch. Darüber hinaus ist BF, da sie alleinstehend ist und über keine verlässlichen familiären Kontakte bzw. männlichen Schutz in Somalia verfügt, besonders gefährdet, geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

2.2.3. Zur Situation in Somalia:

Die Feststellungen ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 12.01.2018 wiedergegebenen und zitierten Berichten. Die konkret den Feststellungen zugrunde liegenden Quellen wurden unter Punkt 1.3. zitiert. Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde das aktuelle LIB 2018 eingeführt und Parteiengehör gewährt. Den Länderberichten wurde nicht entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Die BF hat innerhalb der Beschwerdefrist zwei Beschwerden eingebracht, einmal durch ihre Rechtsberatung und einmal in eigenem Namen ohne genannte Vertretung. Hiezu ist auf folgende Rechtsprechung des VwGH zu verweisen: "Werden im Berufungsverfahren von einer Partei innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze eingebracht, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, so sind diese als eine Berufung anzusehen (vgl. E 28.04.2004, 2003/03/0285; E 01.03.2006, 2005/21/0064; E29.04.2014, 2013/04/0072). Das ist auf das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten ohne Weiteres übertragbar. Eine gesonderte Behandlung/Erledigung mehrerer von einer Partei gegen einen Bescheid erhobenen Beschwerdeschriftsätze ist (auch) dem VwGVG 2014 fremd."

(VwGH 23.02.2017, Ro 2017/21/0002). Darüber hinaus ist die Zusammenfassung beider Schriftsätze in einer Beschwerde unbedenklich, da sich beide Schriftsätze gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richten und eine mündliche Verhandlung sowie die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten beantragen.

3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gilt der Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen von einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist. Daraus ist zu schließen, dass eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten aus eigenem der von einem Familienangehörigen abgeleiteten Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten vorgeht und jedenfalls auch in einem Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben sind.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Dass eine Verfolgung der Beschwerdeführerin auf Grund einer "Zwangsverheiratung" unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH Ra 15.10.2015, 2015/20/0181; 15.09.2010, 2008/23/0463).

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft. Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).

3.3. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die BF glaubhaft darlegen konnte, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nicht staatliche Akteure (insb. al-Shabaab) drohen würde. Glaubhaft ist die drohende Verfolgung aufgrund der im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründeten persönlichen Glaubwürdigkeit der BF sowie der vor dem Hintergrund der Länderberichte gegebenen objektiven Plausibilität ihres Vorbringens.

Die BF hat bereits geschlechtsspezifische Gewalt tatsächlich erfahren. Auch ist sie noch jung und nicht verheiratet. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass diesen Frauen eine Zwangsverheiratung und generell geschlechtsspezifische Gewalt droht. Schutz durch den Staat ist, wie sich aus den Länderberichten ergibt, nicht zu erwarten und konnte auch kein Kontakt zu männlichen Verwandten, welche BF schützen könnten, festgestellt werden. BF droht damit geschlechtsspezifische Gewalt von hoher Intensität.

Bei den Verfolgern handelt es sich um nicht-staatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Angesichts der Berichtslage bzw. der nur äußerst schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen in Somalia kann nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig und schutzwillig wären, um die die BF treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden.

Im Ergebnis ist es objektiv nachvollziehbar, dass BF im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden jungen und schutzlosen Frauen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Zu der Frage, ob für die BF eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ergibt sich aus den Länderberichten, dass für alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben ist. Die BF hat daher keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sie wie festgestellt alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist. Kontakt zu Familienangehörigen konnte nicht festgestellt werden. Auch verfügt BF über keine Ausbildung, was eine Neuansiedlung zusätzlich erschweren würde. Sie kann sich der Verfolgungsgefahr auch nirgendwo in Somalia entziehen. Nicht nur kontrolliert al Shabaab viele Gebiete, sodass sich für die BF keine hinreichend zuverlässige Gelegenheit böte, Übergriffen der al Shabaab zu entgehen. Weite Teile Somalias sind heute von erheblicher Dürre betroffen, sodass die Versorgung der Bevölkerung dort nicht mehr zuverlässig gewährleistet erscheint. Auch für die übrigen Gebiete beschreiben die Länderberichte für Somalia die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen als besonders schlecht, was eine innerstaatliche Flucht erheblich erschwert. Wegen der zunehmend fragilen humanitären Situation und der akuten Nahrungsmittelunsicherheit in Somalia ist nicht davon auszugehen, dass ihr die notwendige Unterstützung zuteilwürde. Es steht ernstlich zu befürchten, dass die BF anderswo im Herkunftsstaat sogar in eine aussichtslose Lage geraten würde oder Übergriffen der al Shabaab ausgesetzt wäre. Letztlich steht ihr somit keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Da im Verfahren auch keine Ausschlussgründe iSd § 6 Abs. 1 AsylG 2005 hervorkamen und BF nicht straffällig wurde, war BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war diese Entscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, mündliche Verkündung,
schriftliche Ausfertigung, soziale Gruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2172508.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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