Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1993/502;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Manfred Pilgerstorfer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Krugerstraße 8, gegen den auf Grund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 24. Juni 1998, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/1998-532, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 und § 38 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem seit 1988 mit einer kurzen Ausnahme arbeitslosen und im Bezug von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung stehenden Beschwerdeführer wurde am 3. März 1998 eine Niederschrift über die vorzeitige Beendigung einer Wiedereingliederungsmaßnahme aufgenommen. Darin ist die Stellungnahme des Beschwerdeführers zur vorzeitigen Beendigung wie folgt wiedergegeben:
"Die Gruppendynamik und alle mit dem Kurs verbundenen Maßnahmen im Kurs ist für mich nicht zielführend. Die Spielchen interessieren mich nicht."
Zum Vorliegen von Nachsichtsgründen gemäß § 10 Abs. 2 AlVG ist festgehalten:
"Kurs war weder für meinen Beruf noch für meine Qualifikation zielführend."
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hielt das AMS (auf der Rückseite dieser mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift) als Stellungnahme zu den Weigerungsgründen Folgendes fest:
"Die Maßnahme wurde für Klienten mit Problemen, wie sie (der Beschwerdeführer) hat, kreiert, sodass seine Argumentation nicht akzeptiert werden kann."
Weiters ist anschließend folgende Stellungnahme des AMS zu den vorgebrachten Nachsichtsgründen gemäß § 10 Abs. 2 AlVG dem Akt zu entnehmen:
"Der Kunde trat die Kursmaßnahme bei Mentor zwar an, beendete diese aber am 4.3.1998, weil er den Kurs weder für seinen Beruf noch für seine Qualifikation als zielführend erachtet. Der vorzeitige Austritt aus der Kursmaßnahme liegt in schriftl. Form vor, sodass eine persönliche Kontaktaufnahme mit dem Kursinst. nicht erforderlich erscheint. Der vorzeitige Austritt wird nicht entschuldigt. Nach so langer Arbeitslosigkeit ist von der ehemaligen Qualifikation des K. nichts Verwertbares mehr übrig, sodass seine Argumentation in keiner Weise berücksichtigt werden kann. Die Sperre gem. § 10 wird befürwortet - vor allem auch, weil K. bisher auch alle anderen Reintegrationsvorschläge ablehnte."
Der Niederschrift ist u.a. ein Textausdruck vom 16. Dezember 1997 mit folgendem Inhalt angeschlossen:
"Gemeinschaftsberatung Dr. A./Mag. W.-W.: Da die Pläne zur Verselbständigung rel. wenig Chancen auf Erfolg versprechen, erscheint es amp sinnvoll, vorerst durch eine Orientierungsmaßnahme festzustellen, in welchen Bereichen der Kunde noch - außer der Geologie - versuchen könnte, nach so langer Arbeitslosigkeit wieder Fuß zu fassen. Orientierung und Unterstützung vor allem auch, weil K. kaum eigeninit. Bemühungen zeigt bzw. diese in all den AL-Jahren nicht erfolgreich waren. Neue Strategien erscheinen dringend angezeigt. ES f. Mentor-Antenne ausgefolgt und informiert, dass der Besuch des Info-Tages und seine Teilnahmebereitschaft eine fixe verbindliche Vorgabe seitens 9011 bedeutet, die bei Nichteinhaltung nach dem AlVG geahndet wird."
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste vom 25. März 1998 wurde daraufhin gemäß § 38 i.V.m. § 10 AlVG ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 3. März 1998 bis 13. April 1998 den Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt. In der Begründung ist nach Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstellen zu lesen, der Beschwerdeführer habe die Ausbildung bei der Schulungseinrichtung Mentor vorzeitig beendet. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er aus, das Argument des bekämpften Bescheides, die Ausbildung bei der Schulungseinrichtung Mentor vorzeitig beendet zu haben, könnte nur dann "als Tatbestand fungieren", wenn die Teilnahme an dieser Ausbildung als verpflichtend gekennzeichnet oder zumindest in anderer Form erkennbar gewesen wäre, dass die Nichtteilnahme oder der Abbruch der Veranstaltung Konsequenzen, wie z.B. den Verlust der Notstandshilfe nach sich ziehen würde. Ein entsprechender Hinweis darauf fehle. Er habe am 15. Dezember 1997 anlässlich eines Kontrolltermines ein Einladungsschreiben zu einer Informationsveranstaltung am 10. Februar 1998 erhalten. Der genannte Termin zur Informationsveranstaltung sei als "verbindlich einzuhaltende Vorgabe" mit einem handschriftlichen Vermerk gekennzeichnet gewesen. Es sei jedoch bei der Vorsprache mit keinem Wort darauf hingewiesen worden, dass eine Verpflichtung zur Teilnahme am Kurs bestehe, und gehe eine solche Verpflichtung auch aus dem Einladungsschreiben selbst nicht hervor. Auch bei der "Infoveranstaltung", an der er teilgenommen habe, sei niemals die Rede davon gewesen, dass es sich um eine Pflichtveranstaltung handle. Er habe sich entschlossen am Kurs teilzunehmen, zumal die Kursleiterin die Option eines Ausstieges bzw. Abbruches bei Nichtinteresse offen gelassen habe. Der Kurs habe am 23. Februar 1998 begonnen. Der Beschwerdeführer sei von der Banalität des Dargebotenen überrascht worden, habe dennoch vorerst gewissenhaft und engagiert mitgearbeitet. Er habe jedoch bald erkannt, dass diese "Ausbildung" weder für den Aufbau seiner Persönlichkeit zielführend noch eine Ergänzung bzw. Fitmachung seiner fachlichen Qualifikationen gewesen sei. Er habe die Teilnahme am 3. März 1998 abgebrochen und dies der Firma Mentor gegenüber schriftlich begründet. Anschließend habe er beim AMS-Akademikerservice darüber Meldung gemacht.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid bestätigt. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesstellen und einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens aus, es sei im Zuge des Berufungsverfahrens festgestellt worden, dass in einem Gespräch mit der zuständigen Betreuerin im Beisein der Leiterin dem Beschwerdeführer am 16. Dezember 1997 sehr wohl mitgeteilt worden sei, dass sowohl der Besuch des Info-Tages der Firma Mentor als auch die Teilnahmebereitschaft des Beschwerdeführers eine fixe, verbindliche Vorgabe seitens des Arbeitsmarktservice bedeute und die Nichteinhaltung dieser Vorgabe Konsequenzen nach dem AlVG nach sich zögen.
Diesem Gespräch sei die Feststellung vorangegangen, dass die Pläne des Beschwerdeführers zur Verselbständigung relativ wenig Chancen auf Erfolg versprochen hätten und vorerst durch eine Orientierungsmaßnahme festzustellen sei, in welchen Bereichen der Beschwerdeführer außerhalb seines erlernten Berufes nach so langer Arbeitslosigkeit wieder Fuß fassen könne. Orientierung und Unterstützung seien vor allem deswegen notwendig, weil der Beschwerdeführer kaum eigene Bemühungen gezeigt habe, seine seit 1988 bestehende, nur einmal kurz unterbrochene, Arbeitslosigkeit zu beenden. Neue Strategien schienen daher dringend angeraten. Dem Beschwerdeführer sei daher sehr wohl bekannt gewesen, dass für ihn die Verpflichtung zur Teilnahme an der vom Arbeitsmarktservice für sinnvoll erachteten Schulungsmaßnahme bestanden habe.
Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Arbeitswillig ist nach § 9 Abs. 1 AlVG unter anderem, wer bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Wenn der Arbeitslose ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, so verliert er gemäß § 10 Abs. 1 AlVG für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist gemäß § 10 Abs. 2 AlVG in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen.
Gemäß § 38 AlVG gelten diese Bestimmungen auch für die Notstandshilfe.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 6. Mai 1997, Zl. 95/08/0339, vom 16. September 1997, Zl. 96/08/0308, und vom 21. September 1999, Zl. 96/08/0256) steht es nicht im freien Belieben des Arbeitsmarktservice, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln, oder ihn einer Wiedereingliederungsmaßnahme zuzuweisen. Eine solche Zuweisung kann sich insbesondere auch nicht auf die vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsmarktservice zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, stützen. Für eine solche Maßnahme ist vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Die Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme bedarf daher des Nachweises, dass der Arbeitslose ohne diese Wiedereingliederungsmaßnahme nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erlangen. Überdies hat das Arbeitsmarktservice die Pflicht, den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, zu belehren.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ergibt sich, dass ausgehend von dem mit dem dargestellten Akteninhalt - abgesehen von den Aktenvermerken und Textausdrucken des AMS - übereinstimmenden Berufungsvorbringen, das in der Beschwerde aufrechterhalten wird, kein Vereitelungstatbestand vorläge, weil dann keine "Zuweisung" zur genannten Maßnahme erfolgt wäre und daher schon deshalb keine Verpflichtung zur Teilnahme an diesem Kurs bestanden hätte.
Unter der Voraussetzung mangelnder Zuweisung zum Kurs käme aber auch dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer über seinen am Tag des Kursbeginnes gestellten Antrag eine Beihilfe nach den §§ 34 und 35 AMSG für die Zeit des Kurses gewährt wurde, er aber den Kurs vorzeitig abgebrochen hat, keine Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang zu. Denn das vom Beschwerdeführer unterfertigte Antragsformular (S. 105 des Verwaltungsaktes) enthält keinen Hinweis darauf, dass ein vorzeitiger Abbruch des (voraussetzungsgemäß) freiwillig besuchten Kurses den Verlust von Leistungen nach dem AlVG zur Folge habe. Allfällige Konsequenzen für die bezogenen Beihilfen sind nicht beschwerdegegenständlich.
Die belangte Behörde setzt dem Berufungsvorbringen im angefochtenen Bescheid aber entgegen, dass im Zuge des Berufungsverfahrens festgestellt worden sei, dass in einem Gespräch mit der zuständigen Betreuerin und im Beisein der Leiterin dem Beschwerdeführer am 16. Dezember 1997 sehr wohl mitgeteilt worden sei, dass einerseits die Maßnahme auf Grund der konkreten Umstände notwendig sei und andererseits sowohl der Besuch des Info-Tages der Firma Mentor als auch die Teilnahmebereitschaft des Beschwerdeführers eine fixe, verbindliche Vorgabe seitens des Arbeitsmarktservice bedeute und die Nichteinhaltung dieser Vorgabe Konsequenzen nach dem AlVG nach sich ziehe.
Der Beschwerdeführer bemängelt daran zu Recht, dass der Bescheid die Erkenntnisquelle (Beweismittel) dafür nicht anführt. Aus dem Akt ergibt sich, dass sich die belangte Behörde auf den Textausdruck vom 16. Dezember 1997 stützt. Bei diesem Textausdruck handelt es sich nicht um eine Niederschrift im Sinne des § 14 AVG. Dem Textausdruck kommt daher nicht die volle Beweiskraft nach § 15 AVG zu. Der strittige Vorgang wäre daher vielmehr durch Aufnahme von Beweisen zu ermitteln und sodann gemäß § 45 Abs. 2 AVG in freier Beweiswürdigung festzustellen gewesen. Hiezu wäre es auch notwendig gewesen, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vorhält und zur Kenntnis bringt, sodass er dazu Stellung nehmen kann. Angesichts der Behauptungen des Beschwerdeführers im Verfahren, es sei weder eine Zuweisung, geschweige denn eine Verpflichtung zur Kursteilnahme ausgesprochen worden und er sei niemals über die Folgen einer Nichtteilnahme an dieser Maßnahme belehrt worden, reichte es keinesfalls aus, dass sich die belangte Behörde mit dem im Bescheid wiedergegebenen Textausdruck begnügte. Hiezu ist darauf hinzuweisen, dass aus dem von der Behörde angesprochenen Text nicht eindeutig und unmissverständlich hervorgeht, dass der Beschwerdeführer über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an der Maßnahme teilzunehmen, belehrt wurde. Weiters ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass in dem dem Beschwerdeführer zugestellten Schreiben vom 15. Dezember 1997 über den Infotag handschriftlich lediglich festgehalten ist, dass dieser Termin als verbindlich einzuhaltende Vorgabe gelte.
Dieser Begründungsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde auch über die in der Berufung geltend gemachten Gründe für eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 2 AlVG abzusprechen haben (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 16. Mai 1995, Zl. 94/08/0150).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998080322.X00Im RIS seit
18.10.2001