TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/27 KI-9/97

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art133
B-VG Art138 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs2
B-VG Art144 Abs3
VwGG §34
VfGG §46 Abs1

Leitsatz

Negativer Kompetenzkonflikt zwischen Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof infolge unrechtmäßiger Zurückweisung einer Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof nach Ablehnung und Abtretung dieser durch den Verfassungsgerichtshof; mangelndes Vorbringen anderer als verfassungsrechtlicher Gründe nach Erteilung eines Mängelbehebungsauftrags durch den Verwaltungsgerichtshof kein Zurückweisungsgrund; Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof war zur Entscheidung über die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 23. Mai 1996, B3989/95-5, an ihn abgetretene Beschwerde des G R R zuständig.

Der entgegenstehende Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Oktober 1996, Zl. 96/11/0152-5, mit dem die Beschwerde des Günther Robert Rogatschnig gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. November 1995, Zl. 192434/5-IV/10/95, zurückgewiesen wurde, wird aufgehoben.

Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, dem Antragsteller zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Beschluß vom 13. März 1996, B3989/95-3, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde des nunmehrigen Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. November 1995, Zl. 192434/5-IV/10/95, gemäß Art144 Abs2 B-VG ab. Dabei wurde begründend ausgeführt:

"Die Beschwerde behauptet die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz durch Anwendung einer verfassungswidrigen Rechtsvorschrift. Das Beschwerdevorbringen läßt jedoch die behauptete Rechtsverletzung, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (...). Die Sache ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen."

1.2. Aufgrund eines fristgerecht eingebrachten nachträglichen Antrages im Sinne des §87 Abs3 VerfGG wurde die Beschwerde mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Mai 1996, B3989/95-5, gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

2. Der Verwaltungsgerichtshof richtete an den (damaligen) Beschwerdeführer einen Mängelbehebungsauftrag, der mit dem Hinweis erledigt wurde, es könne kein einfachgesetzlich gewährleistetes Recht angegeben werden, in welchem der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid verletzt worden wäre; dieser beruhe auf einem gleichheits- und damit verfassungswidrigen Gesetz. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Abtretungsbeschluß davon ausgegangen sei, daß die Sache nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sei, habe nunmehr der Verwaltungsgerichtshof in Bindung an diese Entscheidung darüber zu befinden, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinem Recht auf Gleichbehandlung verletzt worden sei.

Daraufhin wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluß vom 29. Oktober 1996, Zl. 96/11/0152-5, zurück, da lediglich die Verletzung von Rechten durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet worden sei, die Entscheidung hierüber aber nicht in der Kompetenz des Verwaltungsgerichtshofes liege.

3.1. Mit Eingabe vom 25. April 1997 an den Verfassungsgerichtshof behauptet der Antragsteller nunmehr das Bestehen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof und beantragt die Entscheidung dieses Kompetenzkonfliktes und die Aufhebung der "dem Erkenntnis entgegenstehenden Akte".

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat diesen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur allfälligen Äußerung zugestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof erstattete eine Äußerung; die Verwaltungsakten wurden vom Bundesminister für Inneres vorgelegt.

4.1. Der Verwaltungsgerichtshof begründet die Zurückweisung mit Beschluß vom 29. Oktober 1996 im wesentlichen wie folgt:

"In seinem aufgrund eines Auftrages nach §34 Abs2 VwGG erstatteten Schriftsatz vom 18. September 1996 führt der Beschwerdeführer aus, er könne kein einfachgesetzlich gewährleistetes Recht angeben, in welchem er durch den angefochtenen Bescheid verletzt worden wäre. Dieser beruhe auf einem gleichheits- und damit verfassungswidrigen Gesetz. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Abtretungsbeschluß davon ausgegangen sei, daß die Sache nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sei, habe nunmehr der Verwaltungsgerichtshof in Bindung an diese Entscheidung darüber zu befinden, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinem Recht auf Gleichbehandung (Art2 StGG, Art7 B-VG) verletzt worden sei. (...)

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluß vom 23. Mai 1996 durch den Hinweis auf Art144 Abs3 B-VG ausgedrückt, daß er die Beschwerde zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer durch den Bescheid 'in einem sonstigen Recht verletzt wurde' dem Verwaltungsgerichtshof abtritt. Der Beschwerdeführer verkennt offensichtlich das Wesen dieses Abtretungsbeschlusses. Der Verfassungsgerichtshof hat damit nicht entschieden, es sei nunmehr der Verwaltungsgerichtshof berufen, darüber zu erkennen, ob der Beschwerdeführer in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder durch die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist. Er hat damit nur zum Ausdruck gebracht, daß die Angelegenheit (an sich) nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist (...).

Gemäß Art144 Abs3 B-VG, auf dem der Abtretungsbeschluß vom 23. Mai 1996 beruht, hat der Verwaltungsgerichtshof bei abgetretenen Beschwerden (nur) darüber zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer durch den Bescheid 'in einem sonstigen Recht' verletzt wurde. Dem Verwaltungsgerichtshof fehlt daher auch bei einer abgetretenen Beschwerde die Zuständigkeit zur Prüfung, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Rechten verletzt worden ist. (...)"

4.2. Der Antragsteller führt in seiner Eingabe folgendes aus:

"Der VwGH hat seinen Zurückweisungsbeschluß damit begründet, daß durch die Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde durch den VfGH dies nicht bedeute, daß nunmehr der VwGH jedenfalls zur Behandlung der Beschwerde berufen sei, auch wenn die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht werde. Dieser Ansicht ist zuzustimmen.

Nach Ansicht des VfGH ist aber der VwGH zur Entscheidung der zugrundeliegenden Beschwerdesache nicht unzuständig. Diese Auffassung wird vom ASt nicht geteilt: In der Beschwerde wurde lediglich einer Rechtsverletzung geltend gemacht, die infolge der Anwendung eines verfassungswidrigen, nämlich gleichheitswidrigen, Gesetzes beruht.

Die Entscheidung über solche Rechtsverletzungen liegt jedoch nicht in der Kompetenz des VwGH, da die Zuständigkeit des VfGH gegeben ist (Art133 Z. 1 B-VG). Deshalb hätte nach Ansicht des Antragstellers der VfGH die Behandlung der Beschwerde nicht ablehnen dürfen.

Die Ablehnung der Beschwerde durch den VfGH stellt zwar keine negative Entscheidung über die Zuständigkeit dieses Gerichtes dar, hat aber im Effekt für den Bf. dieselbe Wirkung, da eine meritorische Entscheidung nicht stattfindet.

Es besteht daher ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen dem VfGH und dem VwGH, wie sich aus der grundrechtskonformen Auslegung des §46 Abs1 VfGG ergibt (...)."

4.3. In seiner Äußerung führt der Verwaltungsgerichtshof aus, daß deswegen kein negativer Kompetenzkonflikt zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof vorliege,

"weil sowohl die Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof als auch die Zurückweisung durch den Verwaltungsgerichtshof rechtmäßig waren. Der Antragsteller erhielt vom Verwaltungsgerichtshof nach Abtretung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof den Mängelbehebungsauftrag, u.a. das Recht, in dem er verletzt zu sein behauptet, bestimmt zu bezeichnen (§28 Abs1 Z. 4 VwGG) und die Gründe, auf die sich diese Behauptung stützt, anzuführen (§28 Abs1 Z. 5 VwGG). Diesem Auftrag kam der Antragsteller nur insoferne nach, als er bekanntgab, - anders als im Fall KI-1/94 - kein einfachgesetzlich gewährleistetes Recht angeben zu können, in dem er verletzt worden sei. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einem verfassungswidrigen Gesetz. (...)"

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag auf Entscheidung des behaupteten negativen Kompetenzkonfliktes erwogen:

Dem vorliegenden Antrag liegt in seinen für die Frage des Vorliegens wie auch der sachlichen Beurteilung eines negativen Kompetenzkonfliktes wesentlichen Umständen eine gleiche Fallkonstellation zugrunde, die in VfSlg. 13983/1994 Gegenstand der Behandlung war. An dem dort erzielten Ergebnis vermag nichts zu ändern, daß hier der seinerzeitige Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof aufgrund des Mängelbehebungsauftrages ausführte, er könne kein einfachgesetzlich gewährleistetes Recht angeben, in welchem er durch den angefochtenen Bescheid verletzt worden wäre.

Es genügt somit hier, auf die Entscheidungsgründe des bezogenen Erkenntnisses VfSlg. 13983/1994 (VfGH 14.12.1994, KI-1/94) - eine Ausfertigung desselben ist angeschlossen - zu verweisen, aus welchem sich auch für den vorliegenden Fall ergibt, daß ein negativer Kompetenzkonflikt tatsächlich vorliegt und weiters, daß der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes, die Beschwerde zurückzuweisen, nicht dem Gesetz entsprach.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt somit bei seiner im oben zitierten Erkenntnis wiedergegebenen Ansicht, daß in solchen Fällen ein Kompetenzkonflikt im Sinne des Art138 Abs1 litb B-VG besteht, weil dem Verfassungsgesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, daß er insofern eine Verfassungslücke in Kauf genommen hätte (a.A. Walter, "Wann liegt ein negativer Kompetenzkonflikt vor?", ecolex 1997, 623ff.).

Es war daher auszusprechen, daß die Entscheidung über die vom Verfassungsgerichtshof abgetretene Beschwerde in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt, und der entgegenstehende Beschluß dieses Gerichtshofes aufzuheben ist.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Der Kostenausspruch gründet sich auf §52 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Abtretung, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:KI9.1997

Dokumentnummer

JFT_10028873_97K00I09_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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