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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1155;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der M GmbH & Co. KG in W, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger, Rechtsanwalt in Linz, Ferihumerstraße 31, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 29. November 1996, Zl. SV(SanR)-953/3-1996-Tr/Ma, betreffend Beiträge (mitbeteiligte Partei: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 19. März 1996 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführerin unter anderem zur Entrichtung (in Beilagen zum Bescheid näher aufgeschlüsselter, verschiedene Dienstnehmer der Beschwerdeführerin und Zeiträume zwischen dem 1. Dezember 1994 und dem 31. Dezember 1995 betreffender) allgemeiner Beiträge in der Höhe von S 42.892,53. Begründet wurde dies unter anderem damit, näher bezeichneten, mit Schwarzdeckerarbeiten beschäftigten Dienstnehmern der Beschwerdeführerin seien auf Grund von Einzelvereinbarungen bei Schlechtwetter 60 % ihres Normalstundenlohnes ausbezahlt worden. Auf im Bereich des Schwarzdeckergewerbes eingesetzte Arbeiter sei das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz nicht anzuwenden. Der zuständige Kollektivvertrag für das Bauhilfsgewerbe für den Bereich Oberösterreich sehe keine Regelung vor, wonach bei Arbeitsausfall wegen Schlechtwetters nur Anspruch auf 60 % des Normalstundenlohnes gebühre. Davon ausgehend bestehe in der durch Schlechtwetter ausfallenden Normalarbeitszeit der volle Entgeltanspruch, woran die vorgelegte Vereinbarung nichts ändere. Die Sozialversicherungsbeiträge seien daher vom ungeschmälerten Entgelt zu entrichten.
In ihrem Einspruch gegen diesen Bescheid erklärte die Beschwerdeführerin, sie wende sich nur gegen die unrichtige rechtliche Beurteilung der Vereinbarungen vom 1. Juni 1995, mit denen bei Schlechtwetter im Sinne des Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetzes ein Entgeltanspruch von 60 v. H. des Nettostundenlohnes festgelegt worden sei. Aus dem Fehlen einer diesbezüglichen Regelung im Kollektivvertrag könne nicht auf die Nichtigkeit der Vereinbarung geschlossen werden. § 1155 ABGB sei abdingbar und Einschränkungen der Abdingbarkeit in bestimmten Arbeitsrechtsbereichen (gemeint: Lehrlinge, Arbeitskräfteüberlassung) träfen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Da die einzelvertragliche Teilabdingung im Sinne einer Reduktion der Entgeltfortzahlung auf 60 v. H. kollektivvertraglichen Standards entspreche, könne sie nicht als sittenwidrige Überwälzung des Unternehmerrisikos hingestellt werden. Nach § 3 Abs. 1 ArbVG folge aus dem Schweigen des Kollektivvertrages nicht die Ungültigkeit der einzelvertraglichen Regelung.
In ihrer Stellungnahme hiezu vertrat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse im Wesentlichen die Auffassung, bei den als ungültig beurteilten Vereinbarungen handle es sich um einzelvertragliche Regelungen, die generell bloß die einseitige Kürzung des Entgelts zu Lasten des Arbeitnehmers vorsähen. Es treffe zu, dass der Kollektivvertrag keine Regelung für den Fall vorsehe, dass wegen Schlechtwetters keine Arbeitsleistungen erbracht werden können. Dies bedeute, dass es nach § 3 Abs. 1 ArbVG zulässig wäre, Schlechtwetterregelungen zu treffen. Der Kollektivvertrag setze aber unter anderem auch die Lohnansprüche der Arbeitnehmer fest. Eine einzelvertragliche Vereinbarung, die in bestimmten Fällen niedrigere Lohnansprüche festsetze, bedeute letztlich einen Verzicht auf einen Teil des Einkommens und sei daher ungültig. Die im vorliegenden Fall getroffene Einzelvereinbarung sehe auch "keine Beschränkungen wie das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz oder kollektivvertragliche Regelungen (z. B. Zuweisung einer anderen Arbeit)" vor, zumal es nach dem Inhalt der Vereinbarung ausschließlich dem Arbeitgeber obliege, zu erklären, wann ein Fall von Schlechtwetter vorliege und die Arbeit aufgenommen oder beendet werden dürfe.
Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin vor allem mit dem Hinweis auf Kollektivverträge, in denen ähnliche Regelungen enthalten seien.
Dem hielt die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in einer weiteren Stellungnahme entgegen, es handle sich um einen einzelvertraglichen Eingriff in die kollektivvertraglich festgesetzten Lohnansprüche und somit nicht um eine nach § 3 Abs. 1 ArbVG zulässige, eine im Kollektivvertrag nicht geregelte Angelegenheit betreffende Sondervereinbarung. Die auf Initiative der Beschwerdeführerin zu Stande gekommene Regelung halte einem Günstigkeitsvergleich nicht stand.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch nicht Folge. Sie stützte diese Entscheidung auf die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse ins Treffen geführten Gründe, denen sich die belangte Behörde anschloss.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erwogen hat:
Die von der Beschwerdeführerin mit den Dienstnehmern getroffenen Vereinbarungen lauteten wie folgt:
"Sollte die Arbeit durch Schlechtwetter im Sinn des § 3 Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz an bestimmten Tagen ausfallen, so verpflichtet sich die Firma ..., Ihnen 60 % des Normalstundenlohnes für die ausgefallene Arbeitszeit zu vergüten. Ob ein Fall von Schlechtwetter vorliegt und die Arbeit nicht aufgenommen bzw. beendet werden darf, wird durch die Firmenleitung oder deren Beauftragte festgestellt."
Der in die Vereinbarung einbezogene § 3 des - im vorliegenden Fall nicht anzuwendenden -
Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetzes lautet wie folgt:
"§ 3. Schlechtwetter im Sinne dieses Bundesgesetzes liegt vor, wenn:
a) arbeitsbehindernde atmosphärische Einwirkungen (Regen, Schnee, Frost und dergleichen) so stark oder so nachhaltig sind, dass die Arbeit nicht aufgenommen oder fortgesetzt oder die Aufnahme oder Fortsetzung der Arbeit den Arbeitnehmern nicht zugemutet werden kann oder
b) die Folgewirkungen dieser arbeitsbehindernden atmosphärischen Einwirkungen die Arbeit so erschweren, dass die Aufnahme und Fortsetzung der Arbeit technisch unmöglich ist oder den Arbeitnehmern nicht zugemutet werden kann."
Die Beschwerdeführerin steht nicht auf dem Standpunkt, bei Schlechtwetter im Sinne der wiedergegebenen Begriffsbestimmung habe der leistungsbereite Arbeitnehmer nach § 1155 ABGB keinen Entgeltanspruch. Sie beruft sich vielmehr auf die Abdingbarkeit des nach dieser Bestimmung gebührenden Entgelts und verweist - zutreffend - auf die ständige Rechtsprechung und die herrschende Lehre zu diesem Thema (vgl. dazu aus der hg. Rechtsprechung, allerdings unter dem Gesichtspunkt der für Lehrlinge geltenden Besonderheiten, die hg. Erkenntnisse vom 18. Dezember 1990, Zl. 89/08/0244, und vom 7. Juli 1992, Zl. 88/08/0193).
Der gemäß § 1164 ABGB grundsätzlich zulässigen einzelvertraglichen Abdingung der Ansprüche aus § 1155 ABGB stünde der Kollektivvertrag dann entgegen, wenn er die Grundsätze des § 1155 ABGB ausdrücklich übernommen hätte (vgl. dazu Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, 361), was auf den im vorliegenden Fall anzuwendenden Kollektivvertrag nicht zuzutreffen scheint und von der belangten Behörde jedenfalls nicht festgestellt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof kann sich aber auch der Ansicht, die Festsetzung kollektivvertraglicher Löhne - über die die belangte Behörde gleichfalls keine näheren Feststellungen getroffen hat - stünde einer (hier: teilweisen) Abdingung auf § 1155 ABGB gestützter Ansprüche für den Fall des Schlechtwetters im oben beschriebenen Sinn entgegen, nicht anschließen. Dass auch bei Nichterbringung der Arbeitsleistung das kollektivvertragliche Entgelt in jedem Fall gezahlt werden müsse, kann aus den kollektivvertraglichen Normen über dessen Höhe allein nicht abgeleitet werden. Die Festsetzung der Höhe des Lohnes ist vielmehr ein von der Frage des Entgeltanspruches bei schlechtwetterbedingtem Unterbleiben der Arbeitsleistung zu unterscheidender Regelungsgegenstand und nicht dieselbe "Angelegenheit" im Sinne des § 3 Abs. 1 zweiter Satz ArbVG. Der kollektivvertragliche Mindestlohn steht Vereinbarungen über das Schlechtwetterrisiko daher ebenso wenig entgegen wie etwa ein kollektivvertraglicher Monatslohn einer Vereinbarung über - im Kollektivvertrag nicht geregelte - Teilzeitarbeit mit nur einen entsprechenden Bruchteil des Monatslohnes betragender Entlohnung.
Eine vom dispositiven Recht abweichende, den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligende Vertragsregelung wäre allerdings sittenwidrig. In diese Richtung gehen die Bedenken der belangten Behörde und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, wenn einerseits auf die vereinbarte Entscheidungsbefugnis des Dienstgebers darüber, ob Schlechtwetter vorliegt und deshalb nicht gearbeitet werden darf, und andererseits auf das Fehlen im Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz und in vergleichbaren Kollektivverträgen vorgesehener "Beschränkungen" (beispielsweise erwähnt: die Zuweisung einer anderen Arbeit) verwiesen wird. Das erste dieser Argumente trifft nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu, weil der Beschwerdeführerin und ihrem Beauftragten mit dem zweiten Satz der strittigen Vereinbarung zwar die Entscheidung darüber vorbehalten wird, ob die Arbeit aus Witterungsgründen unterbleibt, dies unter dem hier allein maßgeblichen Gesichtspunkt der Entgeltsreduktion aber nicht so zu verstehen ist, dass bei Fehlbeurteilung der in die Vereinbarung übernommenen Voraussetzungen des § 3 Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz kein voller Entgeltsanspruch zustehen solle. Ob die erwähnten Voraussetzungen im Einzelfall zutrafen oder nicht, unterliegt vielmehr der nachprüfenden Kontrolle der Gerichte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt in einem ähnlichen Zusammenhang OGH 26. Jänner 1995, 8 Ob A 305/94, Rdw 1995, 268). Dass eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Verrichtung anderer zumutbarer Arbeiten (mit der Folge ungekürzten Entgelts) im Betrieb nicht - oder jedenfalls nicht ausdrücklich - in der Vereinbarung vorgesehen ist, begründet ebenfalls nicht deren Sittenwidrigkeit. Welche in der Vereinbarung fehlenden und auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung etwa aus dem teilweise ausdrücklich rezipierten
Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz ableitbaren "Beschränkungen" der vertraglichen Regelung zu einer Vermeidung einer unangemessenen Benachteiligung der Arbeitnehmer der Beschwerdeführerin sonst noch nötig gewesen wären, ist den Ausführungen der belangten Behörde nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde ist somit ohne ausreichenden Grund davon ausgegangen, dass die Vereinbarungen zwischen der Beschwerdeführerin und deren Arbeitnehmern nicht gültig seien, woraus sich im hier allein zu erörternden Punkt der im übrigen unstrittigen Beitragsnachrechnung eine Fehlbeurteilung des nach § 49 Abs. 1 ASVG maßgeblichen Anspruchslohns ergeben musste.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. Februar 2000
Schlagworte
Entgelt Begriff Anspruchslohn KollektivvertragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997080012.X00Im RIS seit
20.11.2000