Entscheidungsdatum
29.05.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
I404 1238081-2/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. KAMERUN, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) vom 10.07.2013, Zl. 1216.197-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wird das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt III. zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Kamerun, stellte am 24.09.2002 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Befragung vor dem Bundesasylamt am 07.10.2002 gab der Beschwerdeführer an, dass er verheiratet sei und einen Sohn habe. Seine Familie wäre nach wie vor in seinem Heimatland Kamerun aufhältig. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab er an, dass er im Gefängnis in Kumba gewesen sei und am 31.08.2002 in der Nacht allein aus dem Gefängnis habe flüchten können. Seine Familie und Parteimitglieder hätten ihm geholfen, seine Flucht aus Kamerun zu arrangieren.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, vom 28.04.2003 zu AZ 02 27.802-BAL wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 1997 abgewiesen und ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kamerun gemäß § 8 AsylG zulässig ist. Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, einen Asylgrund glaubhaft zu machen, da sich im Rahmen seiner Einvernahme massive, entscheidungsrelevante Widersprüche ergeben hätten.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat erhoben.
2. Am 01.10.2004 heiratete der Beschwerdeführer Frau XXXX, eine ungarische Staatsbürgerin und am 30.09.2006 wurde dem Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land eine Daueraufenthaltskarte mit Gültigkeit bis 29.09.2016 ausgestellt.
3. In der Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat am 29.06.2007 zog der Beschwerdeführer seine Berufung zurück, weshalb das Berufungsverfahren am 03.07.2007 eingestellt wurde.
4. Am 13.08.2008 wurde der Beschwerdeführer vom BG XXXX zu XXXX wegen § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je €
7,00 bedingt, Probezeit 3 Jahre verurteilt. Am 15.10.2010 wurde er vom LG XXXX zu XXXX wegen §§ 28a Abs. 2 Z. 3, 27 Abs. 1 Z. 1 (1.2. Fall) SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 18 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre verurteilt. Am 16.12.2011 wurde er vom LG XXXX zu XXXX wegen §§15, 105 Abs. 1 StGB und § 83 StGB zu einer Geldstrafe von 18 Tagsätzen zu je € 15,00, davon 90 bedingt, Probezeit 3 Jahre, verurteilt.
5. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von XXXX vom 19.04.2011 zu GZ. XXXX wurde über den Beschwerdeführer ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist wurde mit Bescheid vom 01.06.2011 abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Erkenntnis des UVS XXXX vom 10.08.2011 als unbegründet abgewiesen und gleichzeitig die Berufung gegen den Bescheid vom 19.04.2011 zu GZ. XXXX als verspätet zurückgewiesen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.05.2012 wurde die Behandlung der Beschwerde gegen dieses Erkenntnis abgelehnt.
6. Am 07.11.2012 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag (Folgeantrag) auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zu seinen neuen Asylgründen an, dass nach seinem Unfall im Mai 2012 sein linkes Bein nicht mehr funktionstüchtig sei, da es an mehreren Stellen gebrochen sei. Er habe Metall im Knie und müsse operiert werden. Deswegen könne er nicht nach Hause zurück. Außerdem habe ihm sein Arzt mitgeteilt, dass er ihm die Metallschienen erst in ca. 1 Jahr entfernen könne und er bis zu diesem Zeitpunkt nicht reisen dürfe. Das seien alle seine Gründe. Er glaube, dass seine alten Probleme nicht mehr aufrecht seien, das hoffe er.
7. Am 14.11.2012 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen seiner Befragung gab er an, dass seine Frau und seine Tochter derzeit in Budapest leben würden. Sie seien ungarische Staatsbürger. Sie hätten 2004 geheiratet und bis vor 2 Monaten ständig zusammen in Traun gewohnt. Er sei ständig mit seiner Frau und Tochter in Kontakt. Er habe den neuen Antrag wegen seinem Unfall gestellt. Befragt, ob seine Ausreisegründe, welche er im ersten Verfahren angegeben habe, noch aufrecht seien, gab er an, dass er das derzeit nicht sagen könne. Er sei schon lange nicht mehr in Kamerun gewesen und wisse nicht, ob er dorthin zurückkehren könne. Er habe in Österreich sonst keine weiteren Verwandten, aber Freunde. Er habe über einen längeren Zeitraum in Österreich gearbeitet und auch mehrere Deutschkurse besucht. Die Teilnahmebestätigungen sowie diverse medizinischen Unterlagen wurden der Behörde vorgelegt.
8. Am 16.01.2013 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz (in der Folge: belangte Behörde) einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er von der "Community" schlecht behandelt worden sei, damit meine er die Regierung und die Militäroffiziere der regierenden Partei. Sein Leben sei in Gefahr gewesen. Das sei alles, es ginge um sein Leben aufgrund der Bedrohung und der Folter, die er erlitten habe. Sie seien gegen die Regierung gewesen und er habe an Kundgebungen teilgenommen. Sie hätten einen Aufstand gegen die regierende Partei gemacht. Auf Frage, an welchen Kundgebungen wann und wo er teilgenommen habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass es ihm eigentlich vor allem um das medizinische Problem hier gehe, es gehe um sein Bein und darum, dass er noch Metall drinnen habe. Ob er jetzt in Kamerun verfolgt werden würde oder nicht, wisse er eigentlich gar nicht. Er sei bereits aufgefordert worden, Österreich zu verlassen. Er hätte das auch getan, aber er habe hier noch das Problem mit seinem Bein. Erneut dazu aufgefordert, darzulegen, was in Kamerun genau geschehen sei, gab er an, dass sie in Kamerun nur das Ein- Parteiensystem hätten. Sie hätten eine Diktatur und sie, die Englischsprachigen, hätten nicht alle Rechte. In allen Ämtern und in allen höheren Positionen würde man nunmehr Französischsprachige finden. Deshalb würden sie revoltieren. Deshalb würden sie die Unabhängigkeit wollen, er sei Mitglied der SCNC. Auf Frage, wer Dr. NFOR NGALA NFOR sei, gab er an, dass seitdem er weg sei, er nichts mehr über das System wisse. Er habe den Namen schon gehört. Er kenne seine politische Position nicht. Er bejahte die Frage, ob er in Kamerun inhaftiert gewesen sei. Er könne sich nicht mehr erinnern von wann bis wann, er denke von Juli bis August 2002. Er sei über einen Zeitraum von zwei Monaten inhaftiert gewesen. Er sei nur das eine Mal inhaftiert gewesen. Er habe keine anderen Gründe warum er sonst Kamerun verlassen habe. Er habe zu wenig Einkommen und würde seiner ungarischen Frau und seinem Kind keine Alimente überweisen. Seine Frau habe ihn verlassen, weil er seine Wohnung verloren habe. Weil er den Unfall gehabt habe, hätte er nicht mehr arbeiten können. Er habe nicht mehr genug Geld gehabt und auch seine Frau habe dann nicht mehr genug Geld gehabt.
Er sei in Österreich in keinem Verein oder anderen Organisation tätig, habe derzeit keine Arbeit und mache keine Ausbildung. Er würde sein Heimatland vermissen. Er sei in Kamerun nie verheiratet gewesen er habe auch kein Kind in Kamerun. Auf Vorhalt, wonach er im Jahr 2002 angegeben habe, in Kamerun eine Gattin und einen Sohn zu haben, führte er an, dass es ihm leid tue, ja es stimme, es sei seine Freundin gewesen und er habe mit ihr ein Kind. Er habe telefonisch Kontakt mit seinen Brüdern und Freunden in Kamerun. Seine zwei Brüder würden in Kombane Mission in der Nähe der Kumba-Meme-Devision und in Ibemi Bakondo auch Meme Devision leben.
9. Am 29.5.2013 wurde die Metallentfernung am linken Kniegelenk durchgeführt und der Beschwerdeführer am 3.6.2013 in häusliche Pflege entlassen.
10. Am 24.6.2013 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Im Rahmen dieser Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass er jetzt schon ohne Krücken gehen könne, ihm der Fuß noch etwas weh tue, es aber besser werde. Seine Gattin lebe in Budapest in der Nähe des Flughafens, die genaue Adresse wisse er nicht. Er zahle keine Alimente. Bei einer Rückkehr nach Kamerun wisse er nicht, was ihm passieren könne. Es könnte durchaus sein, dass sein Problem noch immer bestehe.
11. In der Folge wurde der Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.10.2012, Zl. 1216.197-BAL, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kamerun abgewiesen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 nach Kamerun ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde als nicht glaubhaft angesehen. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kamerun Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Schließlich werde auch durch die Ausweisung nicht Artikel 8 EMRK verletzt, da keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht worden seien. Seine Frau und seine Tochter wären in Ungarn aufhältig und er würde weder seine Frau noch sein Kind finanziell unterstützen. Außerdem sei er nach dem Suchtmittelgesetz sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Schließlich habe der Beschwerdeführer nach wie vor Kontakt mit Angehörigen seiner Familie in Kamerun und würden somit nach wie vor Bindungen eine Rückkehr dorthin erleichtern. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen sei über den Beschwerdeführer von der BH Linz-Land ein Aufenthaltsverbot gültig bis 19.4.2012 verhängt worden. Insgesamt kam die belangte Behörde daher zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte zulässig sei, weil im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen sei, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Vollzug des Fremdenwesens, ebenso wie die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung deutlich die Interessen an einem Verbleib des Gebiet überwiegen.
Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde von 11.07.2013 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH Volkshilfe Flüchtlings-und MigrantInnenbetreuung amtswegig zur Seite gestellt.
12. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde aufgrund des mangelnden Ermittlungsverfahrens und unzureichenden Feststellungen infolge mangelhafter Beweiswürdigung eine ganzheitliche Würdigung seines individuellen Vorbringens nicht vorgenommen habe. Hätte die Behörde sein Vorbringen richtig gewürdigt, hätte sie das Vorliegen einer stets aktuellen asylrelevanten Verfolgungsgefahr bejahen müssen. In ganz Kamerun gebe es für ihn keinen Schutz vor dieser Verfolgung und keine innerstaatliche Fluchtalternative. Es hätte ihm daher Asyl gewährt werden müssen. Weiters möchte er darauf hinweisen, dass er im Falle eine Abschiebung nach Kamerun einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK und der Protokolle Nr. 6 und 13 zur Konvention ausgesetzt wäre. Insbesondere sollte seine Ausweisung auf Dauer für unzulässig erklärt werden. Er führe in Österreich ein schutzwürdiges Privat-und Familienleben. Er befinde sich seit September 2002 in Österreich und habe sich hier entsprechend einer langen Aufenthaltsdauer sehr gut integriert. Er habe tiefe Freundschaften mit österreichischen Staatsbürgern aufgebaut, mit denen er viel Zeit verbringe. Er habe mehrere Deutschkurse absolviert und verfüge mittlerweile über gute Deutschkenntnisse. Er habe außerdem Kurse besucht und zwar einen Staplerführerschein sowie EDV Grundlagen. Er sei arbeitswillig und gerne bereit, seinen Lebensunterhalt sowie den Lebensunterhalt seiner Tochter und seine "Exfrau" aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Er habe bereits bei mehreren Firmen in Österreich gearbeitet. Zur Zeit sei er bei einer namentlich angeführten Firma beschäftigt. Zwischen seiner Exfrau und ihm bestehe eine sehr gute Beziehung und sie würde ihn mit der gemeinsamen Tochter regelmäßig in Österreich besuchen. Die Besuche würden ein bis zweimal pro Monat jeweils an einem ganzen Wochenende stattfinden. Er liebe seine Tochter über alles und bemühe sich sehr, ihr ein guter Vater zu sein. Auch seine Exfrau unterstütze dies und ermögliche ihm regelmäßigen intensiven persönlichen Kontakt zu seiner Tochter. Außerdem pflege er telefonisch und per Skype einen intensiven Kontakt zu seiner Tochter und seiner Exfrau, indem er mit ihnen fast täglich im Durchschnitt an 4 bis 5 Tagen pro Woche spreche. Sie hätten noch immer ein gemeinsames Konto und die Exfrau würde von diesem Konto immer, wenn sie es brauche, Geld für ihre gemeinsame Tochter abheben. Er unterstütze seine Tochter regelmäßig auch finanziell und durch Schenkung von materiellen Sachen (siehe Rechnungen in der Beilage). Seit dem Tag, an dem er aus seiner Haft entlassen worden sei, seien beinahe drei Jahre vergangen. Die achtzehn Monate, die er auf Bewährung bekommen habe, seien längst verstrichen und er habe bewiesen, dass er die österreichische Rechtsordnung und Lebensart respektiere. Er wolle sich keinerlei strafbare Handlungen zu Schulden kommen lassen und werde auch in Zukunft einen ordentlichen Lebenswandel führen und niemals gegen die österreichischen Gesetze verstoßen. Abschließend möchte er darauf hinweisen, dass aufgrund der langen Abwesenheit, fast keine Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat Kamerun bestehen würden.
13. Die Beschwerde und Bezug habende Verwaltungsakte wurden dem Asylgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
14. Mit Beschluss vom 02.03.2015 zu GZ W161 1238081-2/5E wurde das Verfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt, weil der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht bekannt war.
15. Am 02.09.2016 wurde von der Rechtsberatung des Beschwerdeführers die neue Adresse dem Bundesverwaltungsgericht bekannt gegeben.
16. Am 12.4.2017 wurde der Beschwerdeführer vom BG Traun zu 003 U 264/2016p zu 003 U 264/2016p wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat, Probezeit drei Jahre, verurteilt.
17. Am 02.10.2017 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I404 neu zugeteilt.
18. Am 18.05.2018 fand am Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger von Kamerun. Seine Identität steht fest.
Er ist Angehöriger der Volksgruppe der BAKUNDU und ist Presbyterianer. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Er verfügt über eine mehrjährige Schulbildung. Seine Eltern haben einen landwirtschaftlichen Betrieb in Kumba, in der Region Sud-Ouest in Kamerun, geführt. Der Beschwerdeführer hat auf dem elterlichen Betrieb mitgearbeitet und zusätzlich mit Waren (bsp. Zigaretten) vertrieben. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2003 hat der Bruder des Beschwerdeführers diesen landwirtschaftlichen Betrieb übernommen.
Zumindest ein Bruder und die Nichte des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Kamerun. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Verwandten und Freunden in Kamerun weiterhin in Kontakt. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Bruder des Beschwerdeführers nicht weiterhin auf der elterlichen Farm aufhält und in den Wald geflüchtet ist.
1.2. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten oder sonstige nahen Angehörigen.
Der Beschwerdeführer ist seit 01.10.2004 mit XXXX, einer ungarischen Staatsbürgerin verheiratet. Am 19.05.2008 kam die gemeinsame Tochter XXXX zur Welt. Seit 24.08.2012 leben seine Frau und die gemeinsame Tochter in Budapest. Er führt mit seiner Ehefrau keine Beziehung mehr, ist jedoch auch noch nicht von ihr geschieden.
Sowohl die Ehefrau als auch die Tochter haben die ungarische Staatsbürgerschaft.
1.3. Am 30.09.2006 wurde dem Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land eine Daueraufenthaltskarte mit Gültigkeit bis 29.09.2016 ausgestellt.
Am 19.04.2011 wurde gegen den Beschwerdeführer von der BH Linz-Land zu GZ Sich40-36294 ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
1.4. Der Beschwerdeführer stand zuletzt vom 16.07.2013 bis 30.09.2013 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Seither geht er in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach.
Er hat folgende Kurse absolviert: Deutsch als Fremdsprache - Grundkurs im Ausmaß von 60 Maßnahmenstunden, Deutsch-Integrationskurs Stufe 1 (75 Unterrichtseinheiten), Deutsch-Integrationskurs Stufe 2 (entspricht Niveau A1) und Deutsch-Integrationskurs Stufe 3 sowie einen EDV-Grundlagenkurs und einen Kurs als Staplerführer.
Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung keine weitreichenden Deutschkenntnisse dargelegt.
1.5. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich bereits mehrmals strafrechtlich verurteilt:
1. Am 13.08.2008 wurde der Beschwerdeführer vom BG XXXX zu XXXX wegen § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je €
7,00 bedingt, Probezeit 3 Jahre verurteilt.
2. Am 15.10.2010 wurde er vom LG XXXX zu XXXX wegen §§ 28a Abs. 2 Z. 3, 27 Abs. 1 Z. 1 (1.2. Fall) SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 18 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre verurteilt.
3. Am 16.12.2011 wurde er vom LG XXXX zu XXXX wegen §§15, 105 Abs. 1 StGB und § 83 StGB zu einer Geldstrafe von 18 Tagsätzen zu je €
15,00, davon 90 bedingt, Probezeit 3 Jahre, verurteilt.
4. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer vom BG XXXX am 12.04.2017 zu
XXXX wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat, Probezeit drei Jahre, verurteilt.
1.6. Der Beschwerdeführer besitzt einen Aufenthaltstitel für Ungarn, der noch bis 2022 gültig ist.
1.7. Der Beschwerdeführer war vom 20.05.2005 bis 23.08.2012, dann vom 16.01.2013 bis 11.10.2013 und nunmehr seit 01.09.2016 im Bundesgebiet gemeldet.
1.8. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Kamerun nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung oder einer sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen dem Gericht glaubhaft zu machen, dass er vor seiner Ausreise politisch tätig war und die SCNC unterstützt hat und deswegen inhaftiert und gefoltert wurde.
Auch in Österreich ist der Beschwerdeführer nicht politisch aktiv.
1.9. Feststellungen zur Lage in Kamerun:
1. Neueste Ereignisse:
KI vom 2.5.2018: Anhalten der Proteste und Gewalt in den englischsprachigen Regionen Süd- und Nordwest Kamerun (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 11/Allgemeine Menschenrechtslage, Abschnitt 12/Meinungs- und Pressefreiheit und Abschnitt 13. und 13.1/ Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit/Opposition)
Als Anfang Oktober 2017 der "Präsident" Sisiku Ayuk die Unabhängigkeit Ambasoniens ausrief, löste diese eine schwere Krise aus (DS 1.2.2018). Diese einseitige Proklamation der unabhängigen Republik "Ambazonie" markierte einen Wendepunkt und Zehntausende von Menschen flohen (JA 17.2.2018). Die Unabhängigkeitsbewegung beklagt die Diskriminierung der Anglophonen durch die französischsprachige Mehrheit. Präsident Paul Biya reagiert mit aller Härte und ordnet immer wieder Durchsuchungen und Reisebeschränkungen an (TS 4.4.2018). Die Armee reagierte mit dem Einsatz von Kampfhubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen, um den zunehmenden, bewaffneten Aufstand niederzuschlagen (JA 17.2.2018). Mindestens 40 Militärangehörige und mehr als 500 Zivilisten wurden seit Ausbruch der sogenannten anglophonen Krise Ende 2016 im englischsprachigen Raum Kameruns getötet, so das Central African Human Rights Defenders Network (REDHAC). Darüber hinaus sind nach Angaben des UNHCR mehr als 7.000 Menschen in den Bundesstaat Cross River in Nigeria geflohen. Die nigerianische Emergency Management Agency (SEMA) nennt eine Zahl von 28.000 Menschen (AN 14.4.2018). Nach anderen Angaben sind in den vergangenen Monaten bereits 43.000 Menschen ins benachbarte Nigeria geflohen. Sie verweilen zumeist in den Grenzregionen, etwa in Danare oder Boki. Unten ihnen befinden sich auch politisch Aktive, die Guerilla-Attacken organisieren. Die große Mehrheit sucht aber einfach nur Schutz vor der kamerunischen Regierungsgewalt - Verhaftungen stehen dort an der Tagesordnung. Den Schutz, den sie suchen, finden sie in Nigeria nur bedingt. Wenn Nigeria "Separatisten" aufspürt, liefert das Land sie an Kamerun aus. Außerdem will Nigeria verhindern, Separatisten im eigenen Land zu inspirieren (DS 1.2.2018). Die Menschen in den Flüchtlingslagern sind kampfbereit und die Zahl der potenziellen Kämpfer wird auf rund 5.000 geschätzt (JA 17.2.2018).
Mit Beginn des Jahres stand Präsident Biya noch immer vor einer der größten Krisen des Landes. Diese Krise war nicht neu, das Ausmaß der Eskalation schon. Truppen der Armee spüren weiterhin geflohene separatistische Rebellen in Niger auf (DS 1.2.2018) und Nigerias Nationaler Sicherheitsberater bekräftigte, dass Nigeria bereit sei, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um nicht als Transitzone benutzt zu werden (JA 8.2.2018). Mitte Jänner 2018 äußerte sich Amnesty International besorgt über das Schicksal der in Nigeria inhaftierten Separatisten, die "mit Folter bedroht werden könnten und in ihr Heimatland einem unfairen Prozess ausgesetzt wären" (JA 31.1.2018). Der Anführer der anglophonen Separatistenbewegung, Sisiku Ayuk Tabe, wurde bereits am 5. Jänner 2018 zusammen mit 9 seiner Anhänger in einem Hotel in Abuja verhaftet (JA 8.2.2018; vgl. JA 31.1.2018).
Als Reaktion auf den Einsatz der kamerunischen Armee entwickelte sich die gesellschaftspolitische Krise in den Regionen des Nordwestens und Südwestens Kameruns allmählich zu einem bewaffneten Konflikt geringer Intensität, der durch isolierte Angriffe auf die Symbole des Staates (Gendarmerie, Entführungen von Beamten, Zusammenstöße mit der Armee), gekennzeichnet sind (JA 12.4.2018; vgl. AN 14.4.2018, JA 23.4.2018). Der Westen des Landes wurde in der Vergangenheit wirtschaftlich kaum bedacht, während etwa Biyas Heimatprovinz im Süden die meisten Infrastrukturgelder erhielt. Die Regionen der anglophonen Bevölkerung werfen der Regierung außerdem zunehmend eine "Französisierung" vor. Weil die Regierung auf diesen wachsenden Unmut zumeist mit Ignoranz reagierte, organisierten Anglophone immer öfter Demonstrationen, die zum Teil in Gewalt eskalierten (DS 1.2.2018).
Die Separatisten, die für die Unabhängigkeit des englischsprachigen Teils Kameruns kämpfen, forderten die Vertreter und Sicherheitskräfte Kameruns auf, ihr Territorium zu verlassen (JA 12.4.2018).
Der Anführer der Ambazonian Defence Forces (ADF) ist Lucas Cho Ayaba. Der ADF bildet zusammen mit drei weiteren Milizen - den Southern Cameroons Defence Forces (SOCADEF), den Southern Cameroons Defence Forces (SCDF) und der Ambazonia Restoration Army (ARA) - die Hauptkräfte, deren Gesamtzahl an Kombattanten auf über 300 geschätzt wird, so die International Crisis Group (ICG). Daneben gibt es etwa zehn gewalttätige Gruppen oder Selbstverteidigungsgruppen mit durchschnittlich zehn bis 30 Mitgliedern (JA 17.2.2018).
Laut eigenen Angaben verfolgen die Separatisten zwei Ziele bei der "Verteidigung" der Heimat: sie unregierbar zu machen und die Kosten der "Besatzung" (durch die kamerunische Armee) zu erhöhen (JA 17.2.2018).
In Kamerun wurde berichtet, dass Dörfer im englischsprachigen Nordwesten in Brand gesteckt wurden und Hunderte von Bewohnern wegen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und separatistischen Rebellen geflohen seien. Das Militär behauptet, dass bewaffnete Separatisten mindestens acht Dörfer im Nordwesten Kameruns niedergebrannt haben; jedoch erklärten die Bewohner, dass das Feuer vom Militär gelegt wurde (VOA 20.4.2018).
Zudem kam es in der anglophonen Zone zu einem bewaffneten Angriff auf den Konvoi des Gouverneurs. Quellen berichteten von Schüssen und mehreren Verwundeten im Konvoi (JA 23.4.2018).
Es scheint wenig Hoffnung auf einen Dialog zu geben. Präsident Paul Biya meint, er werde keine Gespräche führen, die die nationale Einheit bedrohen (VOA 20.4.2018). Somit ist eine Entspannung der Situation noch nicht in Sicht. Kameruns Bevölkerung soll darüber hinaus dieses Jahr zu den Urnen, um ihren Langzeitpräsidenten Biya wieder zu wählen (DS 1.2.2018).
Quellen:
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AN- AfricaNews.fr (14.4.2018): Cameroun: des attaques armées sanglantes dans la zone anglophone (médias), http://fr.africanews.com/2018/04/14/cameroun-des-attaques-armees-sanglantes-dans-la-zone-anglophone-medias/, Zugriff 30.4.2018
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DS - derStandard.at (1.2.2018): 43.000 Flüchtlinge:
Kamerun-Konflikt droht zu eskalieren, https://derstandard.at/2000073449239/43-000-Fluechtlinge-Kamerun-Konflikt-in-droht-zu-eskalieren, Zugriff 30.4.20188
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JA - Jeune Afrique (31.1.2018): Cameroun : opération des forces de sécurité camerounaises au Nigeria, http://www.jeuneafrique.com/525808/politique/cameroun-operation-des-forces-de-securite-camerounaises-au-nigeria/, Zugriff 30.1.2018
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JA - Jeune Afrique (8.2.2018): Cameroun : interrogations autour de l'extradition des séparatistes arrêtés au Nigeria, http://www.jeuneafrique.com/527777/politique/cameroun-interrogations-autour-de-lextradition-des-separatistes-arretes-au-nigeria/, Zugriff 30.4.2018
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JA - Jeune Afrique (17.2.2018): Au Cameroun anglophone, les séparatistes armés dans une logique de guérilla, http://www.jeuneafrique.com/532575/politique/au-cameroun-anglophone-les-separatistes-armes-dans-une-logique-de-guerilla/, Zugriff 30.4.2018
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JA - Jeune Afrique (11.4.2018): Cameroun : la situation humanitaire en zone anglophone inquiète l'ONU et des ONG, http://www.jeuneafrique.com/550331/politique/cameroun-la-situation-humanitaire-en-zone-anglophone-inquiete-lonu-et-des-ong/, Zugriff 30.4.2018
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JA - Jeune Afrique (12.4.2018): Cameroun : libération d'un ex-magistrat enlevé en zone anglophone, http://www.jeuneafrique.com/551001/politique/cameroun-liberation-dun-ex-magistrat-enleve-en-zone-anglophone/, Zugriff 30.4.2018
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TS - tagesschau.de (4.4.2018): Touristen in Kamerun: Verwirrung um Geiselnahme,
https://www.tagesschau.de/ausland/touristen-kamerun-101.html, Zugriff 30.4.2018
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VOA - Voice of America; in AllAfrica: Cameroon (20.4.2018):
Villages Burn as Troops Clash With Separatists, http://allafrica.com/stories/201804200241.html, Zugriff 30.4.2018
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JA - Jeune Afrique (23.4.2018): Cameroun: attaque du convoi d'un gouverneur en zone anglophobe
http://www.jeuneafrique.com/553914/politique/cameroun-attaque-du-convoi-dun-gouverneur-en-zone-anglophobe/, Zugriff 30.4.2018
KI vom 23.10.2017: Verhaftungen und Todesfälle bei Demonstrationen in den englischsprachigen Regionen Süd- und Nordwest Kamerun (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 11/Allgemeine Menschenrechtslage, Abschnitt 12/Meinungs- und Pressefreiheit und Abschnitt 13. und 13.1/ Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit/Opposition)
Die Lage im Kamerun ist angespannt (DW 3.10.2017). Kameruns Anglophonen-Krise erreichte einen neuen Tiefstand (IRIN 4.10.2017), als laut Amnesty International, im Zuge der Proteste für die Unabhängigkeit der englischsprachigen Regionen Süd- und Nordwest Kamerun (BAMF 16.10.2017; vgl. DW 3.10.2017), Sicherheitskräfte zwischen 17 und 20 Menschen töteten (DS 2.10.2017; vgl. DW 3.10.2017, BAMF 16.10.2017). Ferner kam es vom 1.10. bis 8.10.2017 zu willkürlichen Verhaftungen in beiden Regionen. In Bamenda (Hauptstadt der Region Nordwest) wurden mindestens 200 Personen und in Buea (Hauptstadt der Region Südwest) mindestens 300 in überfüllte Haftanstalten gebracht (BAMF 16.10.2017; vgl. DM 16.10.2017). Die Regierung reagiert mit Repression, weil sich die englischsprachigen 20 Prozent der Kameruner zunehmend durch die französischsprachige Zentralregierung unterdrückt sehen und an eine Abspaltung vom Staat denken. Als sich mit Demonstrationen von 50.000 Menschen, eine neue Protestwelle abzeichnete, kam es zum Einsatz des Militärs (DS 2.10.2017).
Anführer der Proteste proklamierten symbolisch am Sonntag, 1.10.2017, die Unabhängigkeit des selbst ernannten Staates "Ambazonia" (DW 3.10.2017; vgl. DS 2.10.2017, JA 12.10.2017), bestehend aus den beiden anglophonen Provinzen des Landes an der Grenze zu Nigeria (DW 3.10.2017; vgl. DS 2.10.2017). Die Proteste wurden von den Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt: 10 Tote laut Regierung, 17 laut Amnesty International, 100 laut dem Zentralafrikanischen Netzwerk für Menschenrechtsverteidiger (JA 12.10.2017; vgl. DW 3.10.2017).
Bereits im Dezember 2016 kam es in Bamenda und in der Universitätsstadt Buea zu heftigen Ausschreitungen. Polizei und Armee griffen brutal ein. Staatlich gelenkten Medien informieren nicht objektiv, so dass Falsch- und Hassmeldungen große Wirkung entfalten können. Viele Kameruner bestätigen, dass sie verunsichert sind und gar nicht wissen, wer eigentlich hinter den einzelnen Protestaktionen steckt. Das führt auch dazu, dass viele Angestellte und Geschäftsleute in den anglophonen Regionen seit Wochen montags zu Hause bleiben. Per anonymen Anruf oder SMS wird montags "Ghosttown" ausgerufen - alle Geschäfte und Märkte bleiben zu. Man weiß nicht, ob die Anordnungen aus Überzeugung oder aus Angst befolgt werden (DF 6.5.2017).
Viele englischsprachige Kameruner protestieren seit fast einem Jahr gegen Benachteiligung, die sich nach ihrer Ansicht in sprachlicher Diskriminierung, mangelnder Repräsentation in staatlichen Instanzen sowie in einer zunehmenden Zentralisierung niederschlägt (DS 2.10.2017). Die Wurzel des Missstands liegt in der Wut über die Unterentwicklung der Region, ihrer fehlenden politischen Repräsentation und der wahrgenommenen Erosion eines anglophonen Kulturerbes (IRIN 4.10.2017). Gemäß einer Meldung der UN-Nachrichtenagentur IRIN vom Oktober 2017 hat sich die Aufruhr im Zuge der Forderung nach einer Rückkehr zu einem längst aufgelösten föderalistischen System insofern verstärkt, als nun auch zunehmenden Forderungen nach völliger Sezession geäußert werden (JA 2.10.2017; vgl. IRIN 4.10.2017). Diese Szenarien werden von Yaoundé kategorisch abgelehnt (JA 2.10.2017) und Demonstranten werden als "Terroristen" bezeichnet (DS 2.10.2017). Statt mit politischen Gesprächen auf die Beschwerden einzugehen, versucht Präsident Biya die Revolte mit Gewalt zu zerschlagen. Mit solchen Maßnahmen erzielt der Präsident das Gegenteil seiner Absicht: Nachdem die Westkameruner zunächst nur die Wiederherstellung der Föderation gefordert hätten, treten sie nun immer mehr für eine Abspaltung ein (DS 2.10.2017).
Quellen:
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (16.10.2017): Briefing Notes, Kamerun, AI: Mindestens 500 Personen nach Demonstrationen inhaftiert, Zugriff 16.10.2017
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DF - Deutschlandfunk.de (6.5.2017): Anglofone Minderheit streikt für das Recht auf Selbstbestimmung, http://www.deutschlandfunk.de/kamerun-anglofone-minderheit-streikt-fuer-das-recht-auf.799.de.html?dram:article_id=385538, Zugriff 19.10.2017
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DM - Daily Mail Online (16.10.2017): Cameroon premier in troubled anglophone region for 'dialogue', http://www.dailymail.co.uk/wires/afp/article-4986008/Cameroon-premier-troubled-anglophone-region-dialogue.html, uen Staat in Kamerun,
http://derstandard.at/2000065196591/Grossproteste-fuer-neuen-Staat-in-Kamerun, Zugriff 19.10.2017
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DW - Deutsche Welle (3.10.2017): Amnesty: Tote bei Protesten in Kamerun,
http://www.dw.com/de/amnesty-tote-bei-protesten-in-kamerun/a-40785242, Zugriff 19.10.2017
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IRIN - Integrated Regional Information Network (4.10.2017):
Cameroon's descent into crisis: the long history of anglophone discord,
http://www.irinnews.org/news/2017/10/04/cameroon-s-descent-crisis-long-history-anglophone-discord, Zugriff 19.10.2017
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JA - Jeune Afrique (2.10.2017): Cameroun anglophone : sept morts en marge de la proclamation symbolique d'indépendance, http://www.jeuneafrique.com/479228/politique/cameroun-anglophone-sept-morts-en-marge-de-la-proclamation-symbolique-dindependance/, Zugriff 19.10.2017
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JA - Jeune Afrique (12.10.2017): Cameroun : comment éviter la fracture? francophone-anglophone?, http://www.jeuneafrique.com/mag/481489/politique/cameroun-comment-eviter-la-fracture%e2%80%89-francophone-anglophone/, Zugriff 19.10.2017
2. Politische Lage
Kamerun ist eine Präsidialrepublik. Zwar kann die Staatsform als semipräsidentiell bezeichnet werden, d.h. es gibt neben dem Präsidenten als zweite Exekutivgewalt den Regierungschef (= Premierminister), dessen Regierung dem Parlament verantwortlich ist, aber die Verfassung sichert dem Staatspräsidenten - seit 1982 ist dies Paul Biya - eine überragende Stellung (GIZ 2.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017). Legislative und Justiz haben nur geringe Kontrolle über die Exekutive (BS 2016).
Das Land wird seit 1966 von der Partei "Rassemblement Démocratique du Peuple Camerounais" (RDPC, bis 1985 "Union Nationale Camerounaise") regiert. Staatspräsident Paul Biya (82 Jahre) regiert seit 1982. Die nächsten Präsidentenwahlen finden turnusgemäß 2018 statt. Nach Einführung des Mehrparteiensystems fanden 1992 zum ersten Mal Parlaments- und Präsidentenwahlen statt. Diese und nachfolgende Wahlen verliefen nicht ganz regulär. Die seit 1996 geltende Verfassung ist eine Präsidialverfassung nach französischem Vorbild und sieht die Schaffung eines Verfassungsgerichts vor, was allerdings bis heute nicht geschehen ist. Das politische System Kameruns ist auf den Präsidenten ausgerichtet, der die verschiedenen politischen, ethnischen und regionalen Kräfte im Lande so an der Macht beteiligt, dass sie in einer effizient austarierten Balance verharren (AA 9.12.2016).
Die jetzt gültige Verfassung ist die 3. seit dem Erlangen der Unabhängigkeit im Jahr 1960. Diese 3. Verfassung wurde unter Biya inzwischen dreimalig einer Revision unterzogen: 1984, in der Phase der Machtkonsolidierung Biyas, wurde der Staat in "Republik Kamerun" umbenannt und die Provinzgrenzen neu gezogen. 1996 wurden die Weichen für eine moderate Dezentralisierung gestellt. So wurde die Einrichtung einer zweiten Parlamentskammer (Senat) beschlossen und die Amtszeit des Staatspräsidenten auf sieben Jahre, mit einmaliger Möglichkeit der Wiederwahl, festgesetzt. 2008 kam es zur vorläufig letzten Verfassungsänderung: die RDPC /CPDM nutzte ihre breite Parlamentsmehrheit und beschloss sowohl eine unbeschränkte Amtszeit des Präsidenten, als auch dessen Immunität über die Zeit der Präsidentschaft hinaus (GIZ 2.2017a).
Bei den letzten Präsidentschaftswahlen Anfang Oktober 2011 wurde Paul Biya mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt und bleibt damit kamerunischer Präsident für die nächsten sieben Jahre. Paul Biya erhielt 78% der Stimmen. Gemäß offiziellen Angaben soll die Wahlbeteiligung bei 65% gelegen haben (GIZ 2.2017a; vgl. BS 2016). Mit ihren 22 Präsidentschaftskandidaten landete die Opposition weit abgeschlagen. Der Ausgang dieser Wahl war kaum überraschend, im Land herrscht Resignation hinsichtlich eines demokratischen Wandels vor, scharfe Kritik wird vor allem von den im Ausland lebenden Kamerunern geäußert (GIZ 2.2017a).
Parlaments- und Kommunalwahlen werden zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen abgehalten. Nach wiederholter Wahlterminverlegung (die Opposition hatte immer wieder Reformen des Wahlverfahrens angemahnt) fanden am 30. September 2013 die bislang letzten Parlaments- und Kommunalwahlen statt; - mit wenig überraschendem Ergebnis: Die RDPC/CPDM behauptete sich mit Abstand (GIZ 2.2017a). Ihr gehören 148 (zuvor 152) der 180 Abgeordneten an. Als größte Oppositionspartei stellt die SDF (Mitglied der Sozialistischen Internationale) 18 Abgeordnete, während 5 kleinere Parteien insgesamt 14 Sitze erhielten. Die Kommunalwahlen entschied die RDPC ebenfalls klar für sich: Sie kann in 305 Kommunen allein regieren, die Oppositionsparteien lediglich in 24 (AA 9.12.2016).
Am 14.4.2013 wurden zum ersten Mal Senatoren für die 2.Kammer gewählt - 17 Jahre nach Schaffung der verfassungsrechtlichen Grundlagen. Großer Gewinner war die RDPC/CPDM (GIZ 2.2017a; vgl. AA 9.12.2016). Senatspräsident ist der 81-jährige Marcel Niat Njifendji, ex-Vizepremierminister. Er würde im Falle der Amtsunfähigkeit des Staatspräsidenten übergangsweise dessen Amtsgeschäfte führen (AA 9.12.2016).
Die über 200 Parteien bieten kaum politische Alternativen: Die meisten Oppositionsparteien, so auch die SDF, kranken an ähnlich überkommenen Strukturen wie die Regierungspartei RDPC. Parteigründer sind oftmals gleichzeitig ewige Vorsitzende (in einigen Fällen inzwischen deren Söhne) und führen ihre Partei in autokratischem Stil. Zudem stützen sich die meisten Oppositionsparteien auf eine regionale Hochburg (meist der Herkunftsort des Vorsitzenden). So auch die SDF: 13 ihrer 18 Parlamentssitze errang sie in der anglophonen Region Nord-West, aus der Parteigründer und Vorsitzender John Fru Ndi (74 Jahre) stammt (AA 9.12.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Cameroon Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Cameroon.pdf, Zugriff 9.3.2017
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2017a): Kamerun - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/kamerun/geschichte-staat/, Zugriff 9.3.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Cameroon, http://www.ecoi.net/local_link/337135/479899_de.html, Zugriff 9.3.2017
3. Sicherheitslage
Für den Großteil des Staatsgebiets Kameruns wird seitens des französischen Außenministeriums bzgl. Reisen nicht abgeraten. Abgeraten wird lediglich von Reisen in die Grenzgebiete zu Nigeria, dem Tschad und der zentralafrikanischen Republik; in die Provinz Extrême-Nord und den nördlichen Teil der Provinz Nord. Reisen in die Provinzen Nord und Adamoua sollten nur unternommen werden, wenn diese dringend notwendig sind (FD 17.3.2017b). In den englischsprachigen Regionen um die Städte Bamenda und Buea kommt es nach Streiks von Teilen der anglophonen Bevölkerung zu gewalttätigen Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, die bereits mehrere Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Das österreichische Außenministerium warnt ausdrücklich vor Reisen in den Norden des Landes. Reisen in die Grenzgebiete zum Tschad und zur zentralafrikanischen Republik sollen nur unternommen werden, wenn diese dringend notwendig sind. Die Lage ist gespannt und unsicher und kann sich innerhalb kürzester Zeit verschlechtern. Das Risiko von Überfällen durch gewalttätige Straßenräuber sowie Entführungen ist besonders hoch. In den letzten Jahren wurden mehr als 20 ausländische Staatsangehörige im Norden des Landes entführt (BMEIA 17.3.2017).
Derzeit steht Kamerun vor großen Herausforderungen, da sich das Umfeld in den Nachbarländern Zentralafrikanische Republik und Nigeria destabilisiert hat. An der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik ist es seit Ausbruch der Seleka-Rebellion im Dezember 2012 mehrfach zu bewaffneten Übergriffen auf kamerunische Orte gekommen. Seit Beginn der Rebellion sind über 259.000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in Kamerun eingetroffen (AA 9.12.2016). Das Grenzgebiet mit der Zentralafrikanischen Republik gilt wegen dieser grenzüberschreitender Übergriffe bewaffneter Gruppen der dortigen Rebellen als unsicher (AA 17.3.2017; vgl. FH 2016). Es kam dort auch zu Gefechten zwischen zentralafrikanischen Rebellen und kamerunischen Kräften (FH 2016).
In der Provinz Extrême-Nord, die an die Hochburg der Boko Haram in Nigeria grenzt, kommt es zu wiederholten Einfällen der Extremisten (FH 2016). Im Norden Kameruns, besonders in der Region Extreme-Nord, bedrohen Übergriffe von Boko Haram die Stabilität. Die Regierung geht u. a. mit Militäreinsätzen gegen die Bedrohung vor. Vor allem in der Region Extrême -Nord sind fast 59.000 Menschen aus Nigeria geflüchtet (AA 9.12.2016).
In der Provinz Extrême-Nord besteht ein hohes Entführungsrisiko für Ausländer. An der Grenze zu Nigeria und in Maroua, der Hauptstadt der Region Extrême-Nord, ist es zu Selbstmordanschlägen mit zahlreichen Todesopfern gekommen (AA 17.3.2017; vgl. FD 17.3.2017a). Auch in den Grenzgebieten zu Nigeria in den Provinzen Nord und Adamaoua können terroristische Aktivitäten vorkommen (FD 17.3.2017b). Laut einem Bericht der International Crisis Group wurden im Zuge der Angriffe durch Boko Haram, seit März 2014, 1.500 Menschen getötet und 155.000 verdrängt (IRIN 11.1.2017). Boko Haram war vor allem in der Region Extrême-Nord für Menschenrechtsverstöße verantwortlich (AI 22.2.2017).
Gewarnt wird darüber hinaus vor Reisen zur Halbinsel Bakassi und Umgebung aufgrund fortdauernder Sicherheitsprobleme. Im gesamten Golf von Guinea gibt es Bandenunwesen. In der Vergangenheit gab es Überfälle und Geiselnahmen auf Küstenorte, Fischkutter, Öltanker oder Ölplattformen (AA 17.3.2017; vgl. BMEIA 17.3.2017).
Die allgemeine Sicherheitslage ist vor allem in den Städten bzw. auf den Überlandstraßen von zunehmender Gewaltkriminalität gekennzeichnet (GIZ 2.2017a). In den Regionen Nord und Adamaoua sowie in den Grenzgebieten zu Nigeria und Tschad kommt es vermehrt zu gewalttätigen Raubüberfällen (AA 17.3.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 17.3.2017
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AA - Auswärtiges Amt (17.3.2017): Kamerun: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/KamerunSicherheit_node.html, Zugriff 17.3.2017
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Cameroon, https://www.ecoi.net/local_link/336459/479100_de.html, Zugriff 17.3.2017
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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (17.3.2017): Reiseinformation Kamerun, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/kamerun/, Zugriff 17.3.2017
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