Entscheidungsdatum
12.06.2018Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z3Spruch
W117 2142287-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Sta: Indien, vertreten durch Österreichische Flüchtlings- und Migrantinnenhilfe, und emeritierten Rechtsanwalt Dr. Lennart Binder, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2016, Zahl:
1049381005/161532817 sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 12.11.2016 bis 06.12.2016 zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG idgF stattgegeben, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft vom 12.11.2016 bis 06.12.2016 für rechtswidrig erklärt.
II. Der Bund hat gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF iVm § 1 Z 1 und Z2 VwG-AufwErsV dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von € 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Verwaltungsbehörde ordnete mit Bescheid des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2016, Zahl: 1049381005/161532817, gemäß §76 Absatz 2 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, iVm §57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr. 51/1991 (AVG) idgF, die Schubhaft zum Zwecke
der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Sicherung der Abschiebung an.
Begründend führte die Verwaltungsbehörde im Wesentlichen aus (Hervorhebung laut Original):
"? Zu Ihrer rechtlichen Position in Österreich:
Sei reisten illegal ins Bundesgebiet ein und stellten einen Asylantrag. Im Zuge des Verfahrens konnte festgestellt werden, dass Dänemark für ihr Verfahren zuständig ist. Die dänischen Behörden stimmten der Übernahme ihrer Person gemäß Artikel 20 (5) am 28.01.2015 zu. Sie tauchten anschließend unter und musste der Bescheid durch Hinterlegung zugestellt werden. Da die Überstellungsfrist am 28.07.2016 abgelaufen ist, ist die Durchsetzung der getroffenen Entscheidung nicht mehr möglich, und muss in Österreich ein inhaltliches Verfahren geführt werden."
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 06.12.2016 fristgerecht Beschwerde "gegen die Schubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft" und führte im Wesentlichen aus:
"Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen indischen Staatsbürger. Er hat am 02.01.2015 in Österreich um Asyl angesucht. Das BFA hat eine Entscheidung gem § 5 AsylG erlassen und Dänemark für Zuständig erklärt (Bescheid vom 28.03.2015, GZ 1049381005- 150003240). Mittlerweile wurde diese ursprüngliche Entscheidung von derselben Behörde, dem BFA EAST Ost, von Amts wegen behoben {Bescheid vom 28.11.2016, GZ 1049381005-150003240). Der Bescheid begründet, dass die Überstellungsfrist gem der Dublin Verordnung bereits am 28.07.2016 abgelaufen sei.
Der Asylantrag ist somit seit diesem Bescheid auch formal zugelassen und der BF kraft AsyiG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Am selben Tag, also dem 28.11.2016, wurde für den BF auch eine Aufenthaltsberechtigungskarte gern § 51 AsyiG ausgestellt.
Weites ist festzuhalten, dass (2.) das BFA EAST Ost Traiskirchen dementsprechend den Asylantrag formal mit Bescheid vom 28.11.2016 zugelassen hat.
[...]
Signifikant für die gegenständliche Beschwerde ist, dass für die belBeh, das BFA RD Wien, von Anfang an klar war, dass ein inhaltliches Verfahren in Österreich zu führen sein wird. (Siehe Seite 4, Mitte, im bekämpften Mandatsbescheid.
Die Situation stellte sich somit so dar, dass im Falle des BF, der ganz am Beginn eines ersten inhaltlichen Asylverfahrens steht, die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens (auf internationalen Schutz) im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Sicherung der Abschiebung verhängt wurde. (Siehe Spruch auf Seite 1 des Mandatsbescheids.)
[...]
Der verzweifelte BF trat in den Hungerstreik und wurde am 06.12.2016 aus der Schubhaft (vermutlich wegen Haftunfähigkeit) entlassen."
Beschwerdegründe:
Unverhältnismäßigkeit der Schubhaftnahme und Anhaltung
[...]
Zum Zeitpunkt der Festnahme hätte dem BF erklärt werden müssen, dass er in Österreich nun in den Genuss eines inhaltlichen Asylverfahrens kommen werde.
Signifikant ist, dass der belBeh genau bewusst war, dass ein inhaltliches Asylverfahren in Österreich geführt werden wird. Vor diesem Hintergrund ist die Schubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft unverhältnismäßig.
[...] Jedoch konnte der entscheidende Referent der Behörde noch nicht absehen, ob es überhaupt zu einer Rückkehrentscheidung und einer Abschiebung kommen könnte. Jedenfalls ist eine Rückkehrentscheidung - in Anbetracht des gerade erst beginnenden Asylverfahrens noch in ferner Zukunft. Es gibt auf unabsehbare Zeit keinen Grund für eine Abschiebung. Dass der Asylantrag unbegründet wäre, oder die aufschiebende Wirkung einer zukünftigen Beschwerde gegen eine allenfalls zukünftige negative Entscheidung der Asylbehörde aberkannt werden könnte, wurde von der belBeh nicht einmal behauptet. Dazu kommt, dass Indien nicht auf der Liste der sogenannten "sicheren Herkunftsländer" enthalten ist.
[...]
Beantragt wird daher, nach mündlicher Verhandlung und Durchführung der beantragten Beweise die Schubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären, der belangten Behörde aufzutragen, die Verfahrenskosten zu ersetzen.
Kosten:
Zum Antrag auf Ersatz des Aufwandes
Gem. § 35 Abs 1 und 4 Z 3 VwGVG stehen der obsiegenden Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördiicher Befehls- und Zwangsgewalt der Ersatz der Aufwendungen gern VwG-Aufwandersatzverordnung (BGBL. II Nummer, 517/2013) zu. Daher beantragt der BF gem § 1 Z 1 VwG-Autwandersatzverordung als Ersatz des Schnftsatzautwandes des BF als obsiegende Partei iHv 737.60 Euro.
[...]
Es wird beantragt, das BVwG möge der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen des BF gem VwG-Aufwandersatzverordnung auferlegen.
Am 06.12.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen Haftunfähigkeit entlassen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt erwogen:
Entscheidungsrundlagen:
* gegenständliche Aktenlage.
Würdigung der Entscheidungsrundlagen:
Der für die Entscheidung wesentliche Verfahrensgang/Sachverhalt, also der einzig und allein maßgebliche Umstand, dass der vom Beschwerdeführer gestellte Asylantrag seit 28.07.2016 inhaltlich zu prüfen ist, wurde von der Verwaltungsbehörde selbst in ihrem Schubhaftbescheid ausdrücklich angeführt - wie die Beschwerde zutreffend hinweist:
"Da die Überstellungsfrist am 28.07.2016 abgelaufen ist, ist die Durchsetzung der getroffenen Entscheidung nicht mehr möglich, und muss in Österreich ein inhaltliches Verfahren geführt werden."
Ihm wurde ja auch in der Folge, am 28.11.2016, eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß §51 AsylG ausgestellt.
Ebenso unstrittig natürlich aber auch Haftanfang und Haftende - all diese Sachverhaltsparameter sind im Akt unzweifelhaft dokumentiert.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht im Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 11 VwGVG sind, soweit in diesem und im vorangehenden Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren nach diesem Abschnitt jene Verfahrensvorschriften anzuwenden, die die Behörde in einem Verfahren anzuwenden hat, das der Beschwerde beim Verwaltungsgericht vorangeht.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in den dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 idgF ist das AsylG 2005 am 01.01.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG 2005 idgF samt jenen Normen, auf welche das AsylG 2005 verweist, anzuwenden.
Letzteres insofern in der geltenden Fassung, als der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz am 04.07.2013 gestellt hat.
Zu Spruchpunkt I.
In rechtlicher Hinsicht bedeutet der Umstand der Verpflichtung, seit 28.07.2016 den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag inhaltlich zu prüfen, vor dem Hintergrund des für die Entscheidung maßgeblichen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 05.10.2017, ZI.
Ro2017/21/0009, folgendes:
Der Beschwerdeführer durfte zu keinem Zeitpunkt seiner Anhaltung in Schubhaft außer Landes gebracht werden.
Wenn der VwGH nämlich ausführt, dass "mit der Durchführung der mit einer abweisenden Asylentscheidung, der keine aufschiebende Wirkung zukommt, verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme bis zum Ende der Rechtsmittelfrist - wird ein Rechtsmittel ergriffen, bis zum Ablauf des 7. Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage - zuzuwarten ist [...] und dass die Mitgliedsstaaten dem Antragsteller bis zu dieser Entscheidung den Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet gestatten müssen, was die Anhaltung in Schubhaft ausschließt", muss dies umso mehr für den gegenständlichen Fall gelten, in dem von einer Durchführung einer Rückführung noch nicht einmal ansatzweise gesprochen werden konnte.
So wie im angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ist also die gegenständliche Schubhaft nicht an der Rückführungsrichtlinie, sondern der Aufnahmerichtlinie zu messen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang weiters ausführt, ist keiner der im Art. 8 der Aufnahmerichtlinie normierten Hafttatbestände, abgesehen von Art.8 Abs. 3 lit. d, im innerstaatlichen Recht bis heute umgesetzt.
Letztere Bestimmung hat aber für den gegenständlichen Fall keine Bedeutung.
Dies wiederum hat zur Konsequenz, dass § 76 Abs. 2 Ziffer Z 1 FPG nicht als Umsetzung eines Schubhaftgrundes nach Art. 8 Abs.3 der Aufnahmerichtlinie gedeutet werden konnte und auch aktuell nicht gedeutet werden kann.
Dies macht die auf diese innerstaatliche Bestimmung gestützte Schubhaft, weil der BF zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft unter die Aufnahmerichtlinie fiel, rechtswidrig.
Daher erweisen sich im Hinblick auf die eindeutige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowohl der Schubhaftbescheid als auch die Anhaltung in Schubhaft auf der Grundlage dieses Bescheides als rechtswidrig und war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Kosten):
Da der Beschwerdeführer vollständig obsiegte, waren ihm die beantragten Kosten zuzusprechen.
Zu Spruchpunkt IV. (Revision)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da der gegenständliche Fall nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als eindeutig gelöst anzusehen ist.
Schlagworte
Fristablauf, Kostenersatz, Rechtswidrigkeit, Schubhaftbeschwerde,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W117.2142287.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.06.2018