Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*****Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch MMag. Hermann Bogensperger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Alexander Rehrl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Entfernung und Wiederherstellung (Streitwert 6.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 12. September 2017, GZ 53 R 100/17p-17, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 20. Februar 2017, GZ 34 C 236/16t-13, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Parteien des Verfahrens sind (neben weiteren am Verfahren nicht beteiligten Personen) Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die Klägerin war die Wohnungseigentumsorganisatorin; mit den ihr nach der Begründung von Wohnungseigentum verbliebenen Miteigentumsanteilen ist Wohnungseigentum an einem Kfz-Abstellplatz verbunden. Mit den Miteigentumsanteilen des Beklagten ist Wohnungseigentum an einer Wohnung verbunden. Auf der zu dieser Wohnung gehörenden Terrasse hat der Beklagte ohne Zustimmung aller anderen Miteigentümer einen Wintergarten errichtet.
Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, diesen Wintergarten zu entfernen und den ursprünglichen Bauzustand wiederherzustellen. Der Beklagte habe den Wintergarten errichtet, ohne vorher die Zustimmung der übrigen Miteigentümer der Liegenschaft einzuholen. Die erteilte baurechtliche Bewilligung ersetze die fehlende Zustimmung der Miteigentümer nicht. Durch den Wintergarten sei die Optik der Wohnhausanlage schwer beeinträchtigt.
Der Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. Das Vorgehen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich und schikanös. Als Verkäuferin der Eigentumswohnung habe sie den Beklagten (und auch andere Käufer) im Zuge der Verkaufsgespräche als zusätzliches Verkaufsargument auf die Möglichkeit des Umbaus der Terrasse zu einem Wintergarten aufmerksam gemacht. Die Klägerin selbst sei nur mehr Wohnungseigentümerin eines PKW-Abstellplatzes. Die Errichtung des Wintergartens sei zudem verkehrsüblich und beeinträchtige weder die Optik der Wohnhausanlage noch sonstige schutzwürdige Interessen anderer Miteigentümer.
Im Laufe des – bis dahin unterbrochenen – Verfahrens bestätigte das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht einen Sachbeschluss des Bezirksgerichts Salzburg, in welchem das Begehren des hier Beklagten abgewiesen wurde, die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer – unter anderem der Klägerin – zur Errichtung eines Wintergartens zu ersetzen, weil durch die Errichtung schutzwürdige Interessen der anderen Wohnungseigentümer beeinträchtigt würden.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Klageführung sei schikanös und rechtsmissbräuchlich. Vertreter bzw Repräsentanten der Klägerin hätten dem Beklagten bei den Verkaufsgesprächen – wie anderen späteren Eigentümern auch – zugesagt, er könne den Wohnraum durch Errichtung eines Wintergartens vergrößern. Der Beklagte habe die Wohnung auch aufgrund dieses Arguments gekauft. Wenn sich nun die Klägerin – noch dazu als Eigentümerin nur eines Parkplatzes – darüber beschwere, dass der Wintergarten tatsächlich errichtet worden sei, dann liege darin eine missbräuchliche Rechtsausübung. Bedenke man den weiteren Hintergrund, konkret den Umstand, dass der Geschäftsführer der Klägerin der Ansicht sei, der Beklagte habe in der Eigentümergemeinschaft einen Mängelprozess gegen die Klägerin und deren Abberufung als Hausverwalterin „angezettelt“, dann könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei der hier zu beurteilenden Klageführung um eine versuchte Retourkutsche gegenüber dem Beklagten handle.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im klagestattgebenden Sinn ab. Schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichte den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Tue er das nicht oder setze er sich über den Widerspruch eines anderen Miteigentümers hinweg, handle er in unerlaubter Eigenmacht, insofern rechtswidrig und könne im streitigen Rechtsweg zur Beseitigung der Änderung gegebenenfalls auch zur Unterlassung künftiger Änderungen verhalten werden. Das Interesse an der Abwehr des eigenmächtigen Eingriffs eines Mit-(Wohnungs-)eigentümers durch einen anderen Mit-(Wohnungs-)eigentümer sei stets zuzubilligen, darin liege noch keine Schikane. Die Beweispflicht für den Rechtsmissbrauch treffe denjenigen, der ihn behaupte. Der unzulässige Eingriff des Beklagten in Form von unerlaubter Eigenmacht iSd § 523 ABGB stehe hier fest. Die ausschließlich im außerstreitigen Verfahren zu treffende Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit infolge Vorliegens der Voraussetzungen nach § 16 Abs 2 WEG und damit über die Verpflichtung zur Duldung einer Änderung sei hier auch bereits rechtskräftig zum Nachteil des Beklagten gefällt worden, weil die Zustimmung der Antragsgegner in diesem Verfahren (ua der Klägerin) nicht ersetzt worden sei. Selbst wenn die Klägerin ihren Anspruch nach § 523 ABGB aus Gründen einer Revanche verfolgte, sei dies daher keine Schikane. Abgesehen davon habe die Klägerin den Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt ohnehin darauf hingewiesen, dass er vor dem Bau des Wintergartens die Zustimmung sämtlicher Eigentümer einholen müsse, was er offensichtlich nicht getan habe.
Das Berufungsgericht sprach – in Stattgebung des Abänderungsantrags des Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO – nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ob im Lichte der Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung im streitigen Verfahren auf Entfernung des Wintergartens dem Klagebegehren die ursprünglich erteilte Zustimmung der klagenden Partei entgegengehalten, somit Rechtsmissbrauch oder Schikane eingewandt werden könne, sei eine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt, die angefochtene Entscheidung abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1.1. Gemäß § 828 ABGB darf kein Miteigentümer gegen den Willen der übrigen an der gemeinschaftlichen Sache Veränderungen vornehmen, wodurch über den Anteil der anderen verfügt würde (RIS-Justiz RS0013205 [T10]). Substanzveränderungen ohne Einstimmigkeit sind selbst dann unzulässig, wenn sie einen zur ausschließlichen Benutzung durch einen Teilhaber zugewiesenen Teil des Gemeinschaftsguts betreffen, sofern dadurch in die Rechtssphäre der übrigen eingegriffen wird und wichtige Interessen berührt werden (RIS-Justiz RS0013205 [T3]).
1.2. Auch im Bereich des Wohnungseigentums verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller anderen Mit- und Wohnungseigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Tut er das nicht, nimmt er also Änderungen iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 ohne vorherige Zustimmung der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer und ohne Genehmigung des Außerstreitrichters vor, handelt er in unerlaubter Eigenmacht und kann im streitigen Rechtsweg petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB zur Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen verhalten werden (RIS-Justiz RS0083156; RS0005944; RS0012137).
1.3. Grundsätzlich wird auch das Eigentumsrecht durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt (RIS-Justiz RS0026265 [T9]; RS0013203 [T4]), doch ist dem Mit- und Wohnungseigentümer stets ein Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in das Miteigentum zuzubilligen (RIS-Justiz RS0013203); darin liegt daher noch keine Schikane (RIS-Justiz RS0012138). Zwar liegt schikanöse Rechtsausübung nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten und den beeinträchtigten Interessen eines anderen ein krasses Missverhältnis besteht und das Interesse des Rechtsausübenden an der Wiederherstellung des ehemaligen Zustands gegenüber den Interessen des Beklagten auf Belassung des gegenwärtigen Zustands völlig in den Hintergrund tritt (missbräuchliche Rechtsausübung; 8 Ob 54/15x mwN; RIS-Justiz RS0013207; RS0026265; RS0037903 [T7]). Die Genehmigungsfähigkeit einer eigenmächtigen Änderung ist aber nicht als Vorfrage für die Berechtigung des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens zu prüfen. Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits ausgesprochen, dass der Einwand der Schikane in einem solchen Fall Fragen dieser Interessensabwägung berührt, für die im streitigen Verfahren kein Raum bleibt (5 Ob 5/15v; 5 Ob 40/12m).
2.1. Der Beklagte begründet die Zulässigkeit und die Berechtigung seiner Revision mit der Behauptung, das Berufungsgericht habe übersehen, dass die Klägerin nicht nur mit der Möglichkeit der Errichtung eines Wintergartens geworben, sondern dieser Änderung auch bereits zugestimmt habe. Eine einmal erteilte Zustimmung könne nicht ohne weiteres zurückgenommen werden und binde die Klägerin. Rechtsprechung zur Frage, ob ein dem Eingriff ursprünglich zustimmender Mit- und/oder Wohnungseigentümer nach Ablehnung einer Duldungspflicht durch den Außerstreitrichter den Beseitigungsanspruch „ohne Prüfung“ des Rechtsmissbrauchs und der Schikane durchsetzen könne oder die „Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung“ zu prüfen sei, fehle. Auch das Berufungsgericht unterstellt in seiner Zulassungsbegründung das Bestehen eben einer solchen Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung.
2.2. Die damit angesprochenen Rechtsfragen, ob und wenn ja, wie lange die von einem Wohnungseigentümer erteilte Zustimmung zu einer – mangels Zustimmung auch aller anderen Wohnungseigentümer im Sinne der dargestellten Rechtsprechung eigenmächtig – vorgenommenen Änderung diesen zumindest noch in dem Sinn bindet, dass sie als Verzicht auf den Entfernungs- und Wiederherstellungs-anspruch gewertet werden kann, sowie ob einem zustimmenden Wohnungseigentümer in diesem Fall zumindest in der Regel das Interesse an der Abwehr des Eingriffs abzusprechen ist (vgl 5 Ob 23/16t; Vonkilch, Nachträglicher Sanierungsversuch eigenmächtig durchgeführter Maßnahmen durch ein „Beschluss-Paket“ der Mit- und Wohnungseigentümer – Bindungswirkung, wobl 2017,193 [Anmerkung zu 5 Ob 23/16t]), sind für die Entscheidung in diesem Rechtsstreit allerdings nicht relevant. Der Beklagte hat die förmliche Zustimmung der Klägerin in dem hier maßgeblichen Sinn im Verfahren vor dem Erstgericht nämlich gar nicht behauptet. Eine solche ist aus den Feststellungen des Erstgerichts auch nicht abzuleiten. Die vom Erstgericht festgestellten, mehrere Jahre vor der späteren Errichtung des Wintergartens getätigten Aussagen über das Bestehen dieser Möglichkeit, zu einem Zeitpunkt, als die spätere, nun hier zu beurteilende Änderung weder zeitlich absehbar noch der Gestalt nach auch nur in irgendeiner Form konkretisiert war, sind nach dem für deren Verständnis maßgeblichen objektiven Erklärungswert zwar als eine Art Absichtserklärung zu verstehen (vgl 5 Ob 114/05h [„Zustimmungserklärung eigener Art“, die Änderung „nicht mehr grundsätzlich abzulehnen und zu beeinspruchen“]), aber nicht als bindende Vorwegzustimmung zu den konkreten, nunmehr beanstandeten Baumaßnahmen.
2.3. Daher sind die in der Revision im Zusammenhang mit den Konsequenzen einer zumindest vorläufig bindenden Zustimmungserklärung aufgeworfenen Fragen hier (bloß) theoretischer Natur. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0111271).
3.1. Ob eine Rechtsausübung als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (8 Ob 54/15x; RIS-Justiz RS0013207 [T1]). Eine Einzelfallentscheidung ist aber für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit eine grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts korrigiert werden müsste (vgl RIS-Justiz RS0044088). Das ist hier jedoch nicht der Fall.
3.2. Der Klägerin ist das Interesse an der Abwehr eines eigenmächtigen Eingriffs in ihr Miteigentum zuzubilligen. Das schließt die Annahme aus, der einzige Grund der Rechtsausübung bilde die Absicht, den Beklagten zu schädigen (5 Ob 40/12m; RIS-Justiz RS0013203). Dass die Klägerin den Eingriff in ihr Miteigentumsrecht ausschließlich bekämpft, um dem Beklagten zu schaden, wurde auch nicht positiv festgestellt (vgl 5 Ob 56/07g).
3.3. Bei der Beurteilung, ob die Klageführung zufolge eines krassen Missverhältnisses zwischen den beiderseitigen Interessen rechtsmissbräuchlich ist, ist zunächst zu beachten, dass für eine Interessenabwägung im eigentlichen Sinn in diesem streitigen Verfahren kein Raum bleibt (5 Ob 5/15v; 5 Ob 40/12m). Abgesehen davon, verweist das Berufungsgericht zu Recht darauf, dass der Klägerin hier nicht nur das Interesse an der Verteidigung ihres Eigentumsrechts im Allgemeinen, sondern die Wahrung konkreter schutzwürdiger Interessen iSd § 16 Abs 2 Z 1 WEG zuzugestehen ist, eben jener schutzwürdigen Interessen, die im erwähnten Außerstreitverfahren der Ersetzung (auch) ihrer Zustimmung entgegenstanden.
4.1. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt der Beklagte daher nicht auf. Die Revision ist somit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und deshalb zurückzuweisen.
4.2. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS-Justiz RS0112296; RS0035962; RS0035979).
Textnummer
E121753European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00236.17T.0515.000Im RIS seit
20.06.2018Zuletzt aktualisiert am
14.01.2019