TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/22 W186 2012832-1

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Veröffentlicht am 22.05.2018
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Entscheidungsdatum

22.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W186 2012832-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2014, Zl. 13-831467009/1730414, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.04.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein volljähriger, männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 10.10.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 12.10.2013 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er ledig, Sunnit und Paschtune sei. Er gehöre der tadschikischen Volksgruppe an und habe von 1996 bis 2011 die Grundschule in Puli Khomri besucht. Nach seinem Schulabschluss habe er als Autohändler gearbeitet. Er und seine Familie besitzen Grundstücke und zwei Häuser in Puli Khomri und Ghorband. Vor seiner Ausreise habe er in Puli Khomri in der Provinz Baghlan gelebt. Zu seinem Fluchtgrund gab der BF an, dass er in Afghanistan seit zwei Jahren eine Beziehung zu einem Mädchen habe. Vor 4,5 Monaten habe er mit dem Mädchen geschlafen, woraufhin die Eltern dieses Mädchens davon erfahren hätten. Der Vater des Mädchens sei ein Kommandant der Polizei gewesen. Er habe den BF nach Andarab bringen und von 20 Männern bis zum Tode vergewaltigen lassen wollen. Der Vater des BF habe mit dem Kommandanten ausgemacht, dass er die Erlaubnis habe den BF umzubringen.

3. Am 28.04.2014 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) zu seiner Asylantragsstellung niederschriftlich einvernommen.

Hierbei gab er an, eine Tante in Wien zu haben und es ihm in Afghanistan bis zu seiner Ausreise gut gegangen sei. Er habe genug zum Leben gehabt. Der Rest seiner Familie, bestehend aus den Eltern und vier Brüdern, wohne nach wie vor in seinem Haus in Puli Khomri. Der BF gab an, noch mehrere Verwandte in Afghanistan zu haben. Er pflege telefonischen Kontakt mit seinen Familienangehörigen in Afghanistan. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass er aufgrund einer Beziehung mit einem Mädchen in Lebensgefahr sei. Ihr Vater sei ein mächtiger Polizist. Nun sei sein Leben in Gefahr. Das seien alle seine Fluchtgründe. Der Vater des Mädchens habe überall Beziehungen, weshalb der BF nicht mehr in Afghanistan habe bleiben können. Er würde den BF auch in Kabul oder einer anderen großen Stadt finden. Nach dem ersten und einzigen Beischlaf habe er das Mädchen nicht mehr gesehen. Nach dem Vorfall sei er noch ca. 20 Tage in Kabul bei Verwandten gewesen, bevor er nach Europa gereist sei. Er habe mit dem Mädchen nach dem Vorfall telefoniert und dieses Telefonat sei von den Eltern des Mädchens mitgehört worden. Den Vater des Mädchens habe er weder getroffen noch mit ihm gesprochen. Ein Fahrer der Familie habe dem BF am selben Tag, nachdem der BF mit dem Mädchen telefoniert habe, telefonisch kontaktiert und ihm ausgerichtet, dass der BF gut auf sich aufpassen und sich verstecken solle, da die Familie des Mädchens den BF suche und wenn sie ihn finden sein Leben zu Ende sein werde. Der BF führte aus, niemals konkret bedroht oder verfolgt worden zu sein. Auch habe er niemals Probleme mit den Behörden in Afghanistan gehabt. Er gehöre weder einer politischen Partei an, noch sei gegen ihn ein Gerichtsverfahren anhängig. Auch sei er nie in Haft gewesen bzw. auch nie festgenommen worden. Seine Versorgung in Afghanistan sei gesichert.

Im Zuge der Einvernahme legte der BF eine Kopie seiner Geburtsurkunde vor.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid, der dem BF am 23.09.2014 persönlich zugestellt wurde, wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und wies den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus. Unter einem wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist zur freiwilligen Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben zu seinem Fluchtgrund eklatant widersprüchlich, keinesfalls plausibel und nicht glaubhaft seien. Glaubhaft sei hingegen, dass er mit dem Wunsch auf Migration nach Europa gereist sei und eine fiktive Fluchtgeschichte entwickelt habe. Der BF habe in der Erstbefragung angegeben, dass er vor ca. 4,5 Monaten den Entschluss zu seiner Ausreise gefasst habe; vor ca. 4,5 Monaten mit Hilfe eines Schleppers in den Iran gereist sei und seine Reise 4.5 Monate gedauert habe. Es lasse sich daher aus der Erstbefragung ableiten, dass der BF vor 4.5 Monaten mit dem Mädchen geschlafen habe, sich am selben Tag zur Flucht entschlossen habe und auch am selben Tag (oder kurze Zeit später) aus Afghanistan schlepperunterstützt ausgereist sei. Auch habe der BF in der Erstbefragung behauptet, dass der Vater des Mädchens den BF nach Andarb bringen lassen wolle, in der Absicht den BF dort von 20 Männern vergewaltigen zu lassen bis der BF tot sei, sowie den Umstand, dass der Vater des BF mit dem Vater des Mädchens dieser Vorgehensweise zugestimmt habe. In der Einvernahme vor dem Bundesamt habe der BF davon nichts erzählt, sondern lediglich auf ein Telefonat mit dem Fahrer der Familie des Mädchens verwiesen. Aus den Schilderungen des BF in der Erstbefragung lasse sich ableiten, dass der BF sofort nach dem sexuellen Kontakt mit dem Mädchen geflohen sei. Hingegen führte der BF in der Einvernahme vor dem Bundesamt aus, nach dem ersten und einzigen sexuellen Kontakt mit dem Mädchen noch für ca. 20 Tage in Afghanistan gewesen sei. Es habe sich daher angesichts der unterschiedlichen Aussagen eindeutig ergeben, dass die Fluchtgründe des BF nicht der Wahrheit entsprechen. Die Behörde gehe daher davon aus, dass die vorgebrachte Bedrohung nicht stattgefunden habe und dass es auch keine wie immer geartete konkrete gegen die Person des BF gerichtete Verfolgung in seinem Herkunftsstaat gibt. Im Fall einer Rückkehr des BF nach Afghanistan gebe es keine Hinweise dafür, dass der BF in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde. Seine Eltern und Geschwister leben nach wie vor in Afghanistan. Laut seinen eigenen Angaben habe der BF vor seiner Flucht in Kabul gelegt und gearbeitet. Er verfüge über somit jedenfalls über ein familiäres Netzwerk, welches den BF bei einer Rückkehr unterstützen würde. Der BF sei ein junger, arbeitsfähiger und gesunder Mann, der laut eigenen Angaben die Schule besucht und die Matura gemacht habe. Aufgrund seiner Schulbildung habe er einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen anderen Afghanen. Es bestehe für den BF die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben sei der BF bereits als PKW Händler beruflich tätig gewesen. Der BF habe einen Teil seines Lebens in Kabul verbracht und kenne die örtlichen Gegebenheiten Auch habe er Verwandte und Bekannte in Kabul. Bezüglich des familiären Anknüpfungspunktes der Tante in Wien führt die belangte Behörde aus, dass der BF diese nur in der Einvernahme vor dem Bundesamt erwähnte, und auch hier lediglich ihren Vornamen angab, weshalb im Zuge der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht vom vorliegen eines Familienlebens im Bundesgebiet ausgegangen werden habe können. Auch sonst haben die öffentlichen Interessen an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung die privaten Interessen des BF, der erst seit Anfang Oktober 2013 in Österreich sei, überwogen.

Mit Verfahrensanordnung vom 19.09.2014, die dem BF mit dem angefochtenen Bescheid zugestellt wurde, wurde dem BF ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt. Unter einem wurde dem BF das Informationsblatt über die Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise ausgehändigt.

5. Der Beschwerdeführer erhob, vertreten durch seinen Rechtsberater, mit Schriftsatz vom 30.09.2014 fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes.

Neben der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde beantragt, dass Bundesverwaltungsgericht möge in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an die erste Instanz zurückverweisen; in eventu dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, sowie feststellen, dass die gegen den BF erlassene Rückkehrentscheidung unzulässig sei und ihm einen Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 2 AsylG erteilen.

Begründend wurde in der Beschwerde im Wesentlichen vorgebracht, dass das Vorbringen des BF sehr lebensnah sei, zumal der Vater des BF diesen verstoßen habe indem er den BF zur Ermordung freigegeben habe, um seine Familie vor Blutrache zu beschützen. Die belangte Behörde habe mangelhafte Länderberichte vorgelegt und die darin enthaltenen Rubriken über "Ehrenmorde" nicht mit dem Vorbringen des BF in Beziehung gebracht. Hätte die Behörde dies getan, so hätte sie zu der Feststellung kommen müssen, dass das Vorbringen des BF Deckung in den Länderberichten finde. Die belangte Behörde habe den BF nicht von den vorläufigen Beweisergebnissen in Kenntnis gesetzt, sondern seine Angaben im Bescheid plötzlich pauschal für unglaubwürdig erklärt. Der BF habe somit nicht die Möglichkeit gehabt, der Beweiswürdigung entgegenzutreten. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht verletzt. Im Dorf des BF sei der von ihm geschilderte Vorfall sicherlich bekannt, da der Vater des Mädchens Polizeikommandant und der Vater des BF der Dorfälteste sei. Die Behörde hätte daher Ermittlungen vor Ort in Afghanistan durchführen müssen. Die zeitlichen Angaben des BF, auf die die belangte Behörde im Wesentlichen die Unglaubwürdigkeit des BF stütze, stimmen im Große und Ganzen überein, da man auch davon ausgehen müsse, dass der BF in der Erstbefragung gar keine so genauen Angaben dazu machen habe dürfen. Der BF sei von der Familie des Mädchens verfolgt worden und von seiner Familie verstoßen worden, er habe damit unmenschliche Behandlung und eine Bedrohung seines Lebens zu erwarten. Dies lasse für den BF die Definition als Flüchtling im Sinne der GFK zu. Der BF sei zudem bei einer Rückkehr einer realen Gefahr ausgesetzt, Opfer von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Gewaltanwendung zu werden. Der BF sei von seiner Familie verstoßen worden und habe daher bei einer Rückkehr keinerlei Lebensgrundlage mehr, weshalb dem BF in eventu subsidiärer Schutz gemäß § 8 AsylG 2005 zuzuerkennen gewesen sei. Bezüglich der Rückkehrentscheidung führte die Beschwerde aus, dass die Interessensabwägung zugunsten des BF ausgehen müsse, zumal der BF versuche, sich zu integrieren und sehr bemüht sei, schnell Deutsch zu lernen. Mangels Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat sei seine Bindung zu Österreich als sehr viel stärker anzusehen. Zu der Tante der BF in Österreich, habe der BF mittlerweile mehr Kontakt.

6. Das Bundesamt legte den Akt am 07.10.2014, hg. eingelangt am 09.10.2014, dem Bundesverwaltungsgericht vor.

7. Mit Eingabe vom 14.06.2015 gab der MIGRANTINNENVEREIN ST. MARX die ihm seitens des BF erteilte Vollmacht bekannt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.04.2018 eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, ein Dolmetscher für die Sprache Dari, sowie ein länderkundiger Sachverständiger teilnahmen. Das Bundesamt blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlung gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

"R: Wovon leben Sie in Österreich?

P: Ich lebe in einem Heim, ich bekomme Hilfe.

R: Wo leben Sie in Wien?

P: In Klagenfurt.

R: Machen Sie eine Ausbildung in Österreich?

P: Ich mach einen Deutschkurs an der Universität.

R: Welches Niveau hat dieser Kurs?

P: A2. Das erste Mal habe ich es nicht geschafft, ich mache es zum zweiten Mal.

R: Welche Schulbildung besitzen Sie?

P: Ich habe in Afghanistan maturiert, sonst konnte ich nicht mehr weitermachen. Ich bin nur 12 Jahre in die Schule gegangen.

R: Wann haben Sie maturiert? In welchem Jahr?

P: BF rechnet nach: 2011 oder 2012, ich weiß es nicht genau.

R: Was haben Sie danach gemacht?

P: Ich habe als Gebrauchsautohändler gearbeitet.

R: Wie alt waren Sie, wie Sie die Matura gemacht haben?

P: Ich weiß nicht so genau, das Datum?

R: Ihr Alter damals?

P: 20 oder 21 bin ich gewesen.

R: Welchen Beruf hat Ihr Vater?

P: Er hat bei einem Gericht als Finanzchef gearbeitet.

R: Was für ein Gericht ist das gewesen?

P: Es war das höchste Gericht von der Provinz Baghlan:

Mahkama-e-Esstinaf

R: Ist Ihr Vater jetzt in Pension?

P: Ja.

R: Wo lebt Ihr Vater jetzt?

P: In der Provinz Baghlan in der Stadt Pol-e-Khomri.

R: Welche Ausbildung hat Ihr Vater gehabt? War er Jurist, Finanzbuchhalter?

P: Er hat nur maturiert, danach als Angestellter gearbeitet.

R: Haben Sie Geschwister?

P: Ja, 4 Brüder.

R: Wie alt sind die Brüder ungefähr?

P: Ich habe sogar mein Alter vergessen...

R: Sind sie älter oder jünger, als Sie?

P: Sie sind alle jünger.

R: Hat Ihre Mutter eine Ausbildung?

P: Nein.

R: Wissen Sie, ob Ihr Vater bei einer politischen Partei war.

P: Nein, er war nicht bei einer Partei, er war ein Angestellter.

R: Hat Ihr Vater Brüder?

P: Ja.

R: Wie viele?

R: Ich habe 5 Onkel väterlicherseits gehabt, einer ist gestorben.

R: Wie alt sind diese ungefähr? Sind diese jünger oder älter, als Ihr Vater?

P: Der älteste ist mein Vater.

R: Wissen Sie, wo der zweite Bruder lebt und was er für einen Beruf hat?

P: Er lebt in Russland. Er arbeitet dort.

R: Und die anderen drei Brüder, wo leben diese?

P: Einer lebt in der Provinz Baghlan und der andere in Kabul. Der dritte ist verstorben. Nachgefragt: Es leben zwei Onkel väterlicherseits in Russland.

R: Wissen Sie, welche Tätigkeit Ihre Onkel dort nachgehen?

P: Sie arbeiten als Händler am Markt, in einem Bazar in Moskau.

R: Wie lange sind die Onkel schon in Russland?

P: Schon sehr lange.

R: Haben diese Onkel gesehen, oder nur gehört, dass sie weggegangen sind?

P: Ich habe nur Fotos gesehen.

R: Haben Sie auf den Fotos Uniformen getragen?

P: Ein Onkel von mir, der in Russland lebt, ist früher General gewesen. Der andere hat früher privat gearbeitet.

R: Der General ist der zweite Bruder?

P: Der General ist der dritte Bruder.

R: Wissen Sie, bei welcher Armee dieser Onkel war und wie heißt er?

P: Ich denke, es war in der Zeit von Dr. Nagib. Er heißt General Abdul Rahman.

R: Welchen Generalsrang hatte er?

P: Er war "Turan".

R: Vor dem Hintergrund Ihrer Familie, was hat Ihr Vater vor Ihrer Geburt, dh in den 80er Jahren gemacht?

P: Wie ich mitbekommen habe, hatte er früher als ein Angestellter bei einer staatlichen Firma namens Spinzar gearbeitet. Diese Firma war eine Wollproduktionsfirma.

R: Die Familie war immer in Pol-e-Khomri?

P: Ja.

R: Woher stammt Ihr Vater, von seinen Eltern her, ursprünglich?

P: Er stammt aus der Provinz Parwan aus dem Bezirk Gorband, aus der Ortschaft Galian.

R: Haben Sie Verwandte, außerhalb von Afghanistan?

P: In Wien lebt eine Tante von mir, mütterlicherseits.

R: Und aus der Familie des Vaters, außerhalb von Russland?

P: Nein, es kann sein, ich weiß aber nichts davon. Es ist schon möglich, es kann schon sein.

R hält dem P die Ausführungen im Bescheid der Behörde (Seite 116 bis 118) - wie angezeichnet - vor. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der BF widersprüchliche Angaben zu seiner Fluchtgeschichte gemacht hat. Die Behörde hat diesen Teil des Vorbringens daher für unglaubwürdig erachtet. Diesen beweiswürdigenden Ausführungen ist auch die Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten.

P: Es ist vieles hier falsch geschrieben. Ich muss zuerst sagen, dass ich heute weiß, dass ich auch einen Dolmetscher ablehnen kann und in dieser Zeit, wusste ich das nicht. Als ich bei meiner Einvernahme erschien, gab es einen Iraner und ich habe in meiner Einvernahme gesagt, nach dem dieses Ereignis (der sexuelle Kontakt) stattgefunden hat. Bin ich zufällig nach Kabul gefahren. Als ich nach Kabul fuhr, das habe ich nie im Sinn gehabt, dass ich wegen dieser Sache nach Kabul fahre. Es war etwas, das Geschehen war, und damit sozusagen zu Ende war. Als ich in Kabul war und in einem Telefongespräch mit dem Mädchen... In diesem Gespräch hat ihre Mutter das mitbekommen und nach diesem Telefonat, besser gesagt ein paar Tage danach, hat der Fahrer der Familie angerufen. Er hat mich telefonisch gefragt, was ich gemacht hätte. Ich habe ihn gefragt, worüber sprichst du, was meinst du. Dann hat er geantwortet, dass der Haji mich suchen würde und nach diesen Ereignissen sind sie (gemeint die Familie des Mädchens) zu uns gegangen sind (das Elternhaus). Nach dem sie bei uns waren, habe ich natürlich von zu Hause auch einen Anruf bekommen, mit der Frage, was ich gemacht hätte. Ich muss noch dazu sagen, dass ich bei meiner Einvernahme gesagt habe, dass ich ca. 20 Tage in Kabul gewesen bin und ich habe ebenso bei meiner Einvernahme gesagt, dass ich nach diesen 20 Tagen, als ich aus Kabul fortging, danach muss man diese 4 1/2 Monate rechnen.

R: Was ist mit der Aussage, Ihr Vater hat mit dem Kommandanten ausgemacht, dass Sie umgebracht werden? Haben Sie das gesagt?

P: Ich muss zuerst sagen, wir leben in einem anderen Kulturkreis und zweitens, mein Vater war jemand, den man dort kannte, er war eine Art Bürgermeister des Ortes, man hatte immer in der Moschee gesehen, man kannte ihn.

R wiederholt die Frage.

P: Ja, ich habe das gesagt.

Er hat mir wortwörtlich gesagt, wenn ich sterben würde, würde das für ihn bedeute, dass ich in einem Selbstmordanschlag zufällig getötet worden wäre, so viel war ich für ihn wert.

R: Sie haben das gesagt in der ersten Einvernahme, die Sache mit dem Vater?

P: Ja, ich habe das auch gesagt.

R: Sie haben dies später nicht mehr gesagt.

P: Was soll ich Ihnen sagen.

R: Ich stelle fest, dass Sie das nicht mehr gesagt haben, dass auch Ihr Vater gemeint hätte, dass Sie getötet werden sollten.

P: Ich weiß es nicht, wie ich Ihnen sagen soll. Ich sage es nochmal, ich habe einen Dolmetscher gehabt, nämlich den Iraner, denn ich nicht gut verstand und umgekehrt, er verstand mich nicht gut.

R: Wann hatten Sie den Dolmetscher?

P: Beim zweiten Mal.

R: Im Akt scheint der Name XXXX auf.

R: Es ist eine Frau?

P. Ja, es ist eine Frau, eine Iranerin.

R: Es ist das Protokoll, aber auch zurückübersetzt worden. Hat es denn nicht noch eine Gelegenheit gegeben, dass Sie etwas dazu sagen, Zumal es sehr schwerwiegend erscheint, dass der eigene Vater, meint man solle getötet werden.

P: Ich muss noch einmal zu unserer Kultur hinweisen und ich meine, ich persönlich mit nicht der Meinung, dass ich etwas falsches oder schlechtes gemacht habe, aber da unsere Kultur sagt (musste mein Vater auch damit einverstanden sein). Ich muss aber auch schon sagen, dass ich etwas falsches gemacht getan zu haben.

R: Wie hat das Mädchen geheißen?

P: Fatima?

R: Was ist mit Fatima passiert?

P: Ein Jahr, nach diesem Ereignis, als ich mit meiner Mutter Kontakt aufgenommen habe, hat sie mir gesagt, dass ihr Bruder hat sie in Andarab getötet hat und ihr Bruder arbeitet zurzeit als ein Art Chef der Polizeistation der Provinz Baghlan.

R: Wie oft haben Sie das Mädchen wirklich getroffen?

P: Ich kannte sie seit 2 Jahren, wir haben uns oft getroffen, aber nicht in dem Sinne, was sie meinen.

R: wie lange hat die intime Beziehung gedauert?

P: Ich habe sie sehr viel getroffen...

R: Wo haben Sie sie den getroffen?

P: Sie war in dieser Zeit in der Schule und nach der Schule haben wir uns öfters getroffen.

R: Wann haben Sie, mit ihr sexuellen Kontakt aufgenommen?

P: Es war unser letztes Treffen, da ist diese Sache passiert.

R: Wo?

P: Es war in Pol-e-Khomri, im Haus meines Onkels, mütterlicherseits.

R: Wenn es möglich ist, erklären Sie mir bitte, wie es dazu gekommen ist.

P: Ich bin zu ihrer Schule gegangen. Nach der Schule ist sie mit einem Tschadori rausgekommen, der ihr aber nicht gehört hat, sie hat dies von ihren Freundinnen bekommen. Mit ihr sind wir zu zweit zum Haus meines Onkels mütterlicherseits gegangen. Im Haus waren wir nur zwei alleine. Mein Onkel war in dieser Zeit überhaupt nicht zu Hause, weil er irgendwohin gefahren ist, ich ging immer am Abend in dieses Haus.

R: Warum sind Sie da hingegangen?

P: Ich habe auf dieses Haus aufgepasst.

R: Sie sind dann mit Fatima in das Haus Ihres Onkels gegangen?

P: Wir waren ca. eine Stunde zusammen haben gesprochen und letztendlich ...

R: Wieso hat Faitma den Tschadori ihrer Freundinnen getragen?

P: Aus diesem Grund, weil sie in offiziellen Autos (staatliche Autos) zur Schule und wieder zurück nach Hause gebracht wurde.

R: Verstehe ich es richtig, sie wollte entkommen?

P: Ja.

R: Was war mit der Freundin, die Fatima den Tschadori geborgt hat?

P: Ja, für die Freundin, war überhaupt keine Gefahr, weil wir waren ja nicht ein paar Tage weg, wir sind dann wieder zur Schule gegangen und dort hat Fatima den Tschadori ihrer Freundin zurückgegeben.

R: Und es ist nicht aufgefallen, dass Fatima, bei Schulschluss das Schulgebäude nicht verlassen hat?

P: An dem Tag war es so, dass sie zuerst um 09:00 Uhr in die Schule gegangen ist, wir haben dann Kontakt aufgenommen mit Handy, und sie ist dann vor Schulschluss aus der Schule wieder rausgegangen.

SV dazu: Nach der neuen Regelung in den Schulen, vor allem Mädchenschule (seit dem Sturz des Talibanregimes) werden an einem Schultag abwesenden Mädchen jeweils bei der Familie von der Schulbehörde gemeldet. Was sagen Sie dazu?

P: Das stimmt nicht, ich bin selber in die Schule gegangen, jederzeit konnte ich rein- und rausgehen, aber da sie die Tochter eines Kommandanten gewesen ist, hat niemand danach gefragt, ob sie anwesend ist oder nicht. Ich muss sagen, dass ihr Bruder, auch ein ziemlich mächtiger Mensch gewesen ist, er war einmal mein Mitschüler, damit meine ich, sie waren mächtige Leute und niemand hat danach gefragt, ob sie anwesend sind oder nicht.

R: Was macht Ihr Vater jetzt?

P: Ich habe seit langem keinen Kontakt mit ihm, aber ich weiß, dass er seit 2 oder 3 Jahren pensioniert ist.

R: Lebt er in Pol-e-Khomri?

P: Ja.

R: Was macht Ihr Bruder, der in Pol-e-Khomri lebt?

P: Als ich in Österreich war, vor ca. 1 Jahr ist er in die Türkei gegangen um bei der Polizei zu studieren. Nachher weiß ich nichts mehr von ihm

R: Wo ist er jetzt?

P: In Baghlan.

R: Hat er eine Polizeiausbildung gemacht?

P: Ja. Er hat sein Studium bei der Polizei fertiggemacht. Ich weiß nicht wo er arbeitet, ich weiß nur dass er in Baghlan lebt.

R: Wissen Sie, ob er mit Ihren Eltern zusammen lebt?

P: Solange ich damals Bescheid wusste, haben sie zusammen gelebt, jetzt weiß ich es nicht.

R: Wie lange sind Sie noch in Afghanistan geblieben, nach dem der sexuelle Kontakt mit Fatima stattgefunden hat?

P: Noch ca. 20 Tage.

R: Wann war der letzte Kontakt mit Ihrer Familie?

P: Es war 2 oder 3 Tage nach diesem Zusammenkommen mit dem Mädchen.

R: Wann war Ihr letzter Kontakt von hier aus, zu Ihrer Familie?

P: Vor ca. 3 Jahren. Ich habe damals immer versucht, alle 2 bis 3 Monaten Kontakt mit meiner Mutter zu halten, dies gelang mir dann nicht mehr.

R: Warum nicht?

P: In der Zeit, in der, als ich mit meiner Familie Kontakt auch gehabt habe, hat mein Vater nie mehr mit mir gesprochen, ich hatten nur Kontakt zu meiner Mutter .In dieser Zeit war ich nicht der Sohn meines Vaters. Mein Vater meinte, ich sei sein Sohn nicht mehr.

R: Meine Frage war, warum der Kontakt mit Ihrer Mutter abgebrochen ist.

P: Meine Mutter, bei unserem letzten Gespräch sagte, dass das Mädchen meinetwegen getötet worden sei, aus diesem Grund wäre meine Mutter auch nicht mehr meine Mutter und ich wäre auch nicht mehr ihr Sohn. Aus diesem Grund haben wir keinen Kontakt mehr gehabt.

SV: Wie kommen Sie darauf, dass gerade die Tochter des Kommandanten, die aus Gründen der Ehre unter besonderer Aufmerksamkeit steht, die Schule betreten und verlassen kann, ohne dass dieser Umstand gemeldet wird? Das ist unlogisch. Zumal in Afghanistan nicht einmal die Frau des Präsidenten einfach so aus dem Haus gehen kann.

P: Wenn jemand in die Schule geht, wird nicht eine Wachperson vor der Schule warten, um zu kontrollieren, wo die Schülerin ist, so ist es bei uns auch wieder nicht.

R: Es gibt in der Schule ja, einen Schulwart bzw. die Lehrerin, der es auffallen würde, wenn ein Mädchen fehlt.

P: Sie haben vollkommen recht, mit ihren Fragen, aber wenn sie in Afghanistan Macht haben, Geld haben und Einfluss haben, dann spielt diese Beschränkung keine Rolle mehr.

Die Verhandlung wird bis 12:15 Uhr unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 12:20 Uhr fortgesetzt.

SV führt eingangs aus: Bis jetzt wurden hier zwei Begriffe für Beschwerde synonym für die II Instanz verwendet, nämlich Murafia Talabi und Istinaf. Der hier anwesende D hat mit seinen Bemerkungen

Recht. Muafia wird für die II: Instanz verwendet in Afghanistan und diese II. Instanz existiert in jeder Provinz, Istinaf wird für die Beschwerde verwendet, die man beim Höchstgericht einbringt.

R: Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie nach Afghanistan zurückgehen müssten?

P: Erstens habe ich kein Platz dort, weder eine Wohnung noch ein Haus. Früher hatte ich zumindest eine Familie, jetzt habe ich keine Familie mehr und zweitens herrscht dort nicht das Gesetz der

Menschen, .... Wenn ich das vergleichen darf, hier hat sogar ein

Fisch Rechte, aber dort haben die Menschen keine Rechte.

R: Was meinen Sie mit, Sie haben jetzt keine Familie mehr?

P: Damit meine ich, sowohl meine Mutter und mein Vater haben mich offiziell abgelehnt, ich wäre nicht mehr ihr Sohn, wegen der Geschichte mit Fatima.

R an SV: Erstens, zum Vorbringen des BF bezüglich des Vorfalles mit

Fatima: Welche Auswirkungen hat eine Geschichte, wie die geschilderte auf die Familie des jungen Mannes, insbesondere unter dem Aspekt der Sippenhaftung?

Zweitens: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation in den Herkunftsprovinz des BF, sowohl hinsichtlich der Sicherheits-, als auch der Versorgungslage?

Und drittens: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation in Kabul für einen jungen Mann mit dem Profil des BF?

SV: Erstens Sippenhaftung: eine Sippenhaft kommt in Afghanistan dann in Frage, wenn ein Täter flüchtig ist bzw. nicht greifbar ist. In diesem Fall werden die direkten Verwandten, das sind die Geschwister, Vater, Frau und Kinder, zur Verantwortung gezogen und möglicherweise auch schwer bestraft. Der Hintergrund: Die Bestrafung der Verwandten des Täters soll den Täter schwer treffen. Diese besondere Vergeltungsmaßnahme und der Vergeltungsgedanke ergibt sich daraus, dass die Opfer bzw. die Familie in ihrer Ehre verletzt worden ist, und durch die Vergeltung befriedet wird, unabhängig davon, ob die Familie des Täters mit dem Täter gebrochen hat oder nicht.

Zweitens: Die Sicherheitslage in der Provinz Baghlan ist weiterhin prekär. Alle Distrikte in der Umgebung von Stadt Pol-e-Khomri sind in der Hand der Taliban oder stehen unter deren Einfluss. Die Stadt Pol-e-Khomri kann von den Taliban jederzeit erreicht werden, wenn es um einzelne Personen geht. Die Wirtschaftslage in Afghanistan insgesamt ist weiterhin prekär. Ca 60% der jungen Menschen sind arbeitslos. Diese Wirtschaftssituation gilt auch für die Provinz Baghlan.

Drittens: Die Wirtschafslage in der Stadt Kabul ist ebenfalls prekär und es herrscht dort ebenfalls fast 60% Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen. Für die Rückkehrer nach Kabul, soweit die Versorgungslage betroffen ist, ist ein Vorhandensein eines familiären Rückhaltes notwendig, sobald diese Familie für eine Übergangsphase dem Rückkehrer, Wohnraum bietet, aber auch sozusagen ihn versorgt, bis er sich selbstständig macht, kann er Fuß fassen, wenn er eine gebildete gesunde (physisch und psychisch) Person ist.

P: Ich kann über eine Sache reden und damit meine ich, ob meine Familie in Gefahr ist oder nicht. Ich kann nur sagen, dass die Familie des Mädchens ein Art Nachbarn von uns sind, sie beten in derselben Moschee, deswegen treffen sie sich auch. Außerdem ist mein Vater, ein bekannter Mensch in diesem Ort und mein Vater hat immer versucht, eine gute Beziehung mit den anderen Menschen zu pflegen, aus diesem Grund lieben ihn die Menschen. Nach diesem Ereignis, was passiert war, hat sich die ganze Nachbarschaft zusammengegangen und ist zu Haji Logha gegangen, aber bei einem solchen Fehlverhalten, nimmt man normalerweise in Afghanistan ein Mädchen aus der Familie des Täters, als eine Art Wiedergutmachung. Aus diesem Grund haben der Ältestenrat, die Nachbarschaft und die Bekanntschaft mit Haji Logha gesprochen und dieser Sitzung hat man entschieden, dass jederzeit, wen man den Sohn der Familie (also mich) in die Hand bekommt, dann kann man mich bestrafen. Aus diesem Grund hat mein Vater in dieser Sitzung gesagt, dass ich nicht sein Sohn wäre und er hatte auch dazu gesagt, wenn jemand so etwas tut und damit auch seinen Namen in den Schmutz zieht, dann wäre er nicht sein Sohn. Also damit hatte er gemeint, weder in dieser Welt noch im Jenseits, wäre ich sein Sohn.

R: Was spricht dagegen, dass Sie theoretisch in Kabul leben?

P: Erstens: Ich muss mich nochmal wiederholen, dort herrscht kein

Gesetz. Zweitens: Ich werde niemals dort ein gutes Gefühl für das Leben haben. Außerdem: Die Familie des Mädchens sind mächtige Leute. Wenn es nach mir ginge, ich würde niemals zurück nach Afghanistan zurückgehen wollen. Hier herrschen zumindest Gesetz und Menschlichkeit. Ich bin seit 4 1/2 Jahren hier, aber bis zum heutigen Tage, kenne ich keine Polizeistation, ich hatte nie mit der Polizei zu tun gehabt. Aber natürlich gibt es auch Leute, die ein paar Tage da sind und schon mit Gericht und Polizei zu tun haben. Ich würde mich auf für solche Leute schämen.

Ich möchte Leben und wenn ich etwas der Gesellschaft nicht zurückgeben kann, will ich auch nichts von der Gesellschaft wegnehmen.

R: Das Erkenntnis wird in Schriftform ergehen und sich unter anderem auf relevante Länderdokumentation zur Lage in Afghanistan stützen. Wollen Sie dazu (in Schriftform) Stellung nehmen?

P: Wie Sie das für wichtig halten, es wäre für mich okay. Ich habe nichts mehr zu sagen. Ja, wie sie wollen. P verzichtet auf Übermittlung der Länderdokumentation, betont aber, dass er als Mensch in Afghanistan ein Problem hat. Ich bitte sie, mir als Menschen zu helfen. Ich bin bei meiner ersten Befragung gefragt worden, ob ich auch Selbstmordgedanken hätte, ich habe es damals verneint, aber im Laufe der Zeit habe ich jetzt mehrere Male mit diesem Gedanken gespielt. Ich bitte sie als Mensch wirklich, dass sie mir helfen können. (BF weint).

R. Waren Sie jemals in psychologischer Betretung?

P: In Wien war ich beim Arzt, ich habe sogar die Ergebnisse der Gespräche meinem Anwalt gegeben, aber dann habe ich nachher weder zum Anwalt noch zum Arzt Kontakt gehabt. Ich habe es nicht mehr weiter versucht. Ich will nur etwas, damit ich auf meinen Beinen stehen kann. Wenn ich morgen eine positive Antwort haben wäre, wäre ich bereits morgen bei der Arbeit, da bin ich sicher. BF legt Unterlagen vor, die in Kopie zum Akt genommen werden.

R: Haben Sie sonst noch besondere Bedingungen zu Österreich?

P: Ja natürlich habe ich. Ein großer Teil meiner Freunde sind Österreicher. BF legt weitere Schreiben vor, diese werden in Kopie zum Akt genommen.

R: Haben Sie alles gesagt, was Ihnen wichtig ist?

P: Ja, ich habe nichts mehr zu sagen. Ich kann mich nur noch einmal wiederholen, helfen Sie mir bei meiner Hoffnung fürs Leben. Ich bin seit 4 1/2 Jahren hier und habe noch nie etwas falsch gemacht."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF führt den im Spruch genannten Namen und das GeburtsdatumXXXX. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der BF lebte in Puli Khomri in der Provinz Baghlan im Haus der Familie des BF.

Im Herkunftsstaat leben die Eltern und vier Brüder im gemeinsamen Haus in Puli Khomri. Ein Onkel väterlicherseits des BF lebt in Kabul, der anderer ebenfalls in der Provinz Baghlan.

Die Familie des BF besitzt ein Haus in Puli Khomri, sowie Grundstücke. Die finanzielle Situation des BF im Herkunftsland war gut. Der Vater des BF hat als Finanzchef bei Gericht gearbeitet und ist mittlerweile in Pension.

Der BF hat in seinem Herkunftsstaat 12 Jahre lang eine Schule besucht und anschließend maturiert. Er war danach als PKW Händler tätig.

1.2. Zur maßgeblichen Situation des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF stellte im Bundesgebiet am 10.10.2013 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und lebt seither im Rahmen der Grundversorgung in Österreich.

Der BF ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

Er besuchte in Österreich Deutschkurse der Niveaustufe A1, und nahm an Integrationskursen wie beispielsweise dem Kurs Asylrecht § Arbeitsmarktzugang des BFI Kärnten teil.

Zwar lebt eine Tante des BF in Österreich, zu dieser kann jedoch keine intensives familiäres Abhängigkeitsverhältnis festgestellt werden.

Der BF ist gesund.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass konkret er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr ausgesetzt wäre.

Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Der BF hat seine Angaben, wonach er mit einem Mädchen geschlafen habe und daraufhin vom Vater des Mädchens mit dem Tod bedroht und von seinem eigenen Vater verstoßen worden sei, nicht glaubhaft gemacht.

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass dem BF selbst bei Wahrunterstellung eine innerstaatliche Fluchtalternative, beispielsweise nach Kabul offen stehen würde, da nicht angenommen werden kann, dass der BF, der keine exponierte Persönlichkeit darstellt, in einer Millionenstadt vom Vater des Mädchens gesucht bzw. erfolgreich gefunden werden würde.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem BF würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Baghlan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der BF hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Fall einer Rückkehr in Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist gesund, im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden. Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal er über langjährige Schulbildung verfügt und sogar die Matura hat. Auch aufgrund seiner familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan ist anzunehmen, dass er nicht in eine existenzgefährdende Situation geraten wird. Selbst wenn der BF nicht mehr auf sein familiäres Netzt zurückgreifen könnte, hat er selbst angegeben, in Kabul bereits vor seiner Ausreise gelebt zu haben und ist somit mit den örtlichen Gegebenheiten der Stadt vertraut. Auch verfügt er über Berufserfahrung und könnte er auch in Kabul seinen Lebensunterhalt als PKW Händler bestreiten. Da auch ein Onkel des BF in Kabul lebt, bzw. der BF darüber hinaus angesichts seines Aufenthaltes vor seiner Ausreise über soziale Kontakte verfügt, ist anzunehmen, dass er nicht in eine existenzgefährdende Situation geraten wird.

Der BF kann Kabul von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018, wiedergegeben:

1.5.1 Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

Quellen:

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Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul,

https://www.channelnewsasia.com/news/asiapacific/taliban-and-is-create-perfect-storm-of-bloodshed-in-kabul-9909494, Zugriff 30.1.2018

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BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire, http://www.bbc.com/news/world-asia-42855374, Zugriff 29.1.2018

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BBC (24.1.2018): Save the Children offices attacked in Jalalabad, Afghanistan, http://www.bbc.com/news/world-asia-42800271, Zugriff 29.1.2018

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BBC (21.1.2018): Kabul: Afghan forces end Intercontinental Hotel siege, http://www.bbc.com/news/world-asia-42763517, Zugriff 29.1.2018

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DW - Deutsche Welle (21.1.2018): Taliban militants claim responsibility for attack on Kabul hotel, http://www.dw.com/en/taliban-militants-claim-responsibility-for-attack-on-kabul-hotel/a-42238097, Zugriff 29.1.2018

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NYT - The New York Times (28.1.2018): Attack Near Kabul Military Academy Kills 11 Afghan Soldiers, https://www.nytimes.com/2018/01/28/world/asia/kabul-attack-afghanistan.html, Zugriff 29.1.2018

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NYT - The New York Times (21.1.2018): Siege at Kabul Hotel Caps a Violent 24 Hours in Afghanistan,

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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