TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/27 B279/97

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
AufenthaltsG §13
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG §10 Abs1 Z4

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung einer Berufung gegen die Zurückweisung eines im Inland gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für einen vor Inkrafttreten des FremdenG nach Österreich eingereisten Asylwerber; völlige Außerachtlassung des konkreten Sachverhalts, der maßgeblichen Rechtslage und des Berufungsvorbringens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, bringt vor, seit 1992 in Österreich zu leben. Seine Ehefrau, ebenfalls jugoslawische Staatsanhörige, sei 1973 nach Österreich gekommen und befinde sich derzeit auf Karenzurlaub. Ihre (gemeinsamen) vier Kinder seien in Wien zur Welt gekommen und gingen hier auch zur Schule bzw. in den Kindergarten.

Der Beschwerdeführer verfügte bis zum 4. August 1994 über eine Aufenthaltsbewilligung. Sein am 12. Juli 1994 (nach §6 Abs3 AufG aF um fünf Tage zu spät) gestellter Verlängerungsantrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 18. Juli 1994 mangels rechtzeitiger Antragstellung zurückgewiesen. Die Berufung an den Bundesminister für Inneres blieb erfolglos, der von diesem erlassene Bescheid vom 14. März 1996 wurde vom Beschwerdeführer nicht weiter bekämpft.

Ein am 23. April 1996 gestellter, neuerlicher Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 25. September 1996 gemäß §5 Abs1 AufG iVm §10 Abs1 Z4 FrG wegen illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet abgewiesen. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde ua. geltend gemacht, die abweisende Entscheidung beruhe offensichtlich auf einer unrichtigen Interpretation der Verordnung der Bundesregierung BGBl. 408/1995. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1996 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung wird ua. ausgeführt:

"Unter Hinweis auf die Verordnung BGBl. 408/1995 hätten Sie für sich und Ihre Familie den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Inland gestellt.

Dazu wurde erwogen:

Unter sorgfältiger Abwägung des Sachverhaltes kommt die Berufungsbehörde zur Ansicht, daß es sich bei Ihrem Antrag eindeutig um keinen Verlängerungsantrag, sondern um einen Erstantrag handelt, da die Verlängerung Ihrer letzten Aufenthaltsbewilligung nicht gewährt wurde, zumal Ihr Verlängerungsantrag vom 12. Juli 1994 mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 14. März 1996 rechtskräftig abgewiesen wurde.

Somit halten Sie sich seit Ablauf Ihres letzten Sichtvermerkes (gültig bis 4. August 1994) gemäß §15 FrG illegal im Bundesgebiet auf. Infolge dieses Sachverhaltes ergibt sich, daß Ihre Inlandsantragstellung vom 23. April 1996 unzulässig war und der Antrag vom Ausland aus vor der Einreise gestellt hätte werden müssen, um die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Antragstellung gemäß §6 Abs2 AufG zu erfüllen."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Der Bundesminister für Inneres legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner neueren Judikatur (VfSlg. 13836/1994, 14191/1995, 14369/1995, 14393/1995) die Meinung, daß ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden.

Diesem Gleichbehandlungsgebot, das dem Fremden durch ArtI Abs1 des genannten BVG BGBl. 390/1973 als subjektives Recht gewährleistet ist, widerstreitet ein Bescheid, bei dessen Erlassung die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift und bei seinem Zutreffen verletzt, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

2. §3 Z3 der Verordnung BGBl. 408/1995 lautet:

"Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:

3. Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörige im Sinne des §3 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten."

3. Die belangte Behörde gibt in der Begründung des angefochtenen Bescheides zwar wieder, daß der Beschwerdeführer sein Recht zur Antragstellung im Inland auf die dargestellte Verordnung stützt, die aus der "sorgfältigen Abwägung des Sachverhaltes" resultierende Auffassung der Behörde, die am 23. April 1996 erfolgte Inlandsantragstellung sei unzulässig gewesen, wird aber ausschließlich damit begründet, der Verlängerungsantrag vom 12. Juli 1994 sei rechtskräftig abgewiesen worden. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund der genannten Verordnung zur Stellung eines Antrages im Inland berechtigt war, geht die belangte Behörde mit keinem Wort ein. Sie hat das Parteivorbringen in der Berufung ignoriert und dadurch Willkür geübt.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Asylrecht, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B279.1997

Dokumentnummer

JFT_10028873_97B00279_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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