TE Bvwg Beschluss 2018/5/24 W256 2160648-1

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Veröffentlicht am 24.05.2018
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Entscheidungsdatum

24.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W256 2160653-1/5E

W256 2160648-1/5E

W256 2160651-1/5E

W256 2160650-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX und 4. XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 4. Mai 2017, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX und 4.

Zl. XXXX :

A) Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz

VwGVG hinsichtlich Spruchpunkt I. aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer, afghanische Staatsangehörige, stellten am 25. September 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet, beide sind Eltern des Dritt- und Viertbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer wurden am 28. September 2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 6. März 2017 durch die belangte Behörde befragt. Im Zuge der Befragung durch die belangte Behörde führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt neben der allgemeinen schlechten Sicherheitslage und den Problemen ihres Mannes mit einem Kommandanten ergänzend aus, dass es für Frauen in Afghanistan sehr schwierig sei. Diese könnten nicht "rausgehen oder zur Schule gehen".

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 4. Mai 2017 wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz ab. Gleichzeitig wurde den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 4. Mai 2018 erteilt. Begründend führte die belangte Behörde - sofern hier wesentlich - aus, eine asylrelevante Verfolgung sei nicht hervorgekommen. Eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Lebensstil der Erstbeschwerdeführerin fand nicht statt.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführer, mit welcher u.a. die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung geltend gemacht werden. Die belangte Behörde habe es zu Unrecht unterlassen, die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem westlichen Lebensstil in Österreich zu befragen, weshalb ein schwerer Ermittlungsmangel vorliege.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

zur Erstbeschwerdeführerin:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (siehe dazu zuletzt das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 2017, Ra 2016/20/0089 u.v.m.).

In Bezug auf die Situation von Frauen in Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Jänner 2008, Zl. 2006/19/0182, ausgesprochen, dass unter anderem afghanische Frauen, von denen angenommen werde, dass sie soziale Normen verletzen (oder die dies tatsächlich tun), bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund dieser individuellen Eigenschaft als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (siehe auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Juli 2011, Zl. 2008/19/0994 u.v.m.).

Im vorliegenden Fall hat die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Befragung vor der belangten Behörde u.a. vorgebracht, dass es Frauen wegen ihrer fehlenden Bewegungs- und Bildungsmöglichkeiten in Afghanistan schwierig haben würden.

Vor dem Hintergrund der obigen Rechtsprechung war die belangte Behörde daher - und zwar von sich aus - verpflichtet, Ermittlungen zum aktuellen Lebensstil der Erstbeschwerdeführerin und einer sich daraus ergebenden allfälligen Bedrohung in Afghanistan anzustellen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Die belangte Behörde ist dieser Verpflichtung insofern nachgekommen, als sie die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Alltag in Österreich befragt hat. Ihrer weiteren Pflicht, die daraus gewonnenen Ermittlungsergebnisse einer Prüfung zu unterziehen, ist sie aber nicht nachgekommen. Zwar finden sich im angefochtenen Bescheid - die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation enthaltenen allgemeinen - Ausführungen zur Situation von Frauen in Afghanistan. Sonstige Anhaltspunkte, dass die belangte Behörde auch konkret die derzeitige Lebenseinstellung bzw. -situation der Erstbeschwerdeführerin (auch in Afghanistan) beleuchtet und einer Beurteilung unterzogen hätte, fehlen allerdings gänzlich.

Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - insgesamt unterlassen, sich mit den von der Erstbeschwerdeführerin geltend gemachten bzw. im Verfahren hervorgekommenen Fluchtgründen eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin, sie habe es in Afghanistan als Frau schwierig, eingehend auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte Befragung, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebende Maßnahmen, zu setzen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Im vorliegenden Fall handelt es sich sowohl beim Zweitbeschwerdeführer als Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, als auch bei den Dritt- und Viertbeschwerdeführern, als minderjährige Kinder der Erstbeschwerdeführerin um Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 22 AsylG 2005.

Da das die Erstbeschwerdeführerin betreffende Verfahren hinsichtlich der Gewährung des Status einer Asylberechtigten wieder bei der belangten Behörde anhängig ist und gemäß § 34 Abs. 4 AsylG solche Verfahren von Familienangehörigen "unter einem" zu führen sind, waren die die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer betreffenden Bescheide ebenso aufzuheben (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, 2011/23/0098; vom 25. November 2009, 2007/01/1153; sowie vom 26. Juni 2007, 2007/20/0281, ua).

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W256.2160648.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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