TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/23 97/09/0097

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Veröffentlicht am 23.02.2000
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

61993CJ0434 Ahmet Bozkurt VORAB;
61995CJ0386 Süleyman Eker VORAB;
61996CJ0036 Günaydin VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
AuslBG §1 Abs3;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):97/09/0115 E 23. Februar 2000 97/09/0114 E 23. Februar 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des E in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Prader und Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwälte in Wien VII, Seidengasse 28, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Februar 1997, Zl. LGSW/Abt. 10/13117/688.810/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer (ein türkischer Staatsangehöriger) begehrte mit Antrag vom 20. September 1996 die Erlassung eines Feststellungsbescheides darüber, dass er ohne zusätzliche Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz jede von ihm gewählte Beschäftigung in Österreich aufzunehmen berechtigt sei. Er brachte - unter Hinweis auf Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 - u.a. vor, er sei in der Zeit von 25. Oktober 1989 bis 5. Juni 1996 durchgehend in Österreich ordnungsgemäß beschäftigt gewesen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. Februar 1997 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 keine Folge gegeben und damit die Erlassung des begehrten Feststellungsbescheides abgelehnt.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe sich bis 1. März 1996 rechtmäßig in Österreich aufgehalten; er stehe auch nachweislich seit 1990 in durchgehender Beschäftigung (das Erfordernis einer durchgehenden vierjährigen Beschäftigung sei demnach unstrittig erfüllt) und er verfüge über einen BS (Befreiungsschein) bis in das Jahr 2000. Mit Bescheiden vom 4. April 1996 bzw. 7. Mai 1996 sei jedoch sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung abgelehnt worden. Da somit eine entsprechende Aufenthaltsbewilligung fehle bzw. dem Beschwerdeführer nicht erteilt worden sei, bestehe keine Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum regulären Arbeitsmarkt. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 seien daher nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid wegen "Verstoß gegen Art. 6 des Beschlusses des Assoziationsrates 1980, gefasst vom Assoziationsrat des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, in eventu wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Beachtung die belangte Behörde zu einem für den BF günstigeren Bescheid gelangt wäre, in seinen Rechten verletzt". Er beantragt, den angefochtenen Bescheid nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation

(ARB Nr. 1/80) hat folgenden Wortlaut:

"Art. 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

-

nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

-

nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung

-

vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

-

nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

              2)              Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

              3)              Die Einzelheiten der Durchführung der Abs. 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

Die belangte Behörde gelangte im Beschwerdefall ausschließlich deshalb zur Verneinung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80, weil sie die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Arbeitsmarkt von seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung nach der im Jahr 1996 ergangenen Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag abhängig gemacht hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (vgl. etwa das Urteil des EuGH vom 25. September 1997 in der Rechtssache C-36/96, Faik Günaydin u.a. gegen Freistaat Bayern, RNr 49 f) stehen türkischen Arbeitnehmern die durch Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 verliehenen Rechte unabhängig davon zu, dass die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein spezielles Verwaltungsdokument wie eine Arbeits- oder eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen. Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinn von Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats voraus; sie ist an Hand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaats zu prüfen, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt. Liegen diese Voraussetzungen vor, so impliziert Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80, der dem türkischen Arbeitnehmer das Recht verleiht, nach einem bestimmten Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung seine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis bei dem gleichen Arbeitgeber oder im gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl weiter auszuüben oder jede Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis seiner Wahl frei aufzunehmen, zwangsläufig, dass dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht zusteht, weil sonst das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf Ausübung einer Beschäftigung völlig wirkungslos wäre (vgl. hiezu auch das Urteil des EuGH vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Ahmet Bozkurt gegen Staatssecretaris van Justitie, RNr 26 bis 28, und die dort angegebene Judikatur). Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat wird im Sinn des Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 somit davon abhängig gemacht, dass dieser ein Jahr ununterbrochen eine ordnungsgemäße Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber ausgeübt hat (vgl. insoweit das Urteil des EuGH vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-386/95, Süleyman Eker gegen Land Baden-Würtemberg, RNr. 31).

Die belangte Behörde hat, indem sie die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum regulären Arbeitsmarkt von der Ausstellung einer förmlichen Verlängerung seiner bis 1. März 1996 erteilten Aufenthaltsbewilligung abhängig machte, die - der dargestellten Rechtsprechung des EuGH entnehmbare - Rechtslage verkannt, war der Beschwerdeführer von Oktober 1989 bis Juni 1996 doch unbestrittenermaßen ordnungsgemäß (mehr als vier Jahre durchgehend) beschäftigt und konnte derart seinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bereits unmittelbar auf Art. 6 Abs. 1 des ARB Nr. 1/80 stützen (vgl. insoweit auch das Urteil des EuGH vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-237/91, Kazim Kus gegen Landeshauptstadt Wiesbaden, RNr. 27 ff). Die in einem Aufenthaltsverfahren nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften erfolgte Versagung einer Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung kann dem Beschwerdeführer bei der im Beschwerdefall gegebenen Sach- und Rechtslage nicht entgegengehalten werden, durfte die Ausübung der vom Beschwerdeführer gestützt auf Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 erlangte (mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 wirksam gewordene) Rechtsstellung von einem Mitgliedstaat doch weder an Bedingungen geknüpft noch eingeschränkt werden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Februar 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997090097.X00

Im RIS seit

23.03.2001

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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