TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/27 B4133/96, B4134/96, B4135/96, B4136/96

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

86 Veterinärrecht
86/02 Tierärzte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §58 Abs2
AVG §60
TierärzteG §72 Abs4
TierärzteG §14d Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung von Anträgen auf Befreiung von bestimmten Voraussetzungen für den Erwerb eines Facharzttitels für Kleintiere mangels Begründung für die Nichtanerkennung als fachkundiger Spezialist

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Die Bundeskammer der Tierärzte Österreichs ist schuldig, jedem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit je S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Beschwerdeführer stellten bei der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs jeweils einen Antrag gemäß §72 Abs4 Tierärztegesetz auf Befreiung von den Voraussetzungen gemäß §14b Abs1 Z3 bis 6 leg. cit. für den Erwerb eines Fachtierarzttitels (sogenannte de facto-Anerkennung als Fachtierarzt) für Kleintiere.

Die Fachtierarzt-Prüfungskommission für Kleintiere wies die Anträge jeweils mit Bescheid vom 27. April 1996 ab und führte in der Begründung aus, die Bundeskammer der Tierärzte habe am selben Tag mit Mehrheit nicht bestätigt, daß die Beschwerdeführer in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundige Spezialisten auf dem Fachgebiet "Kleintiere" anerkannt seien.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden wies der Vorstand der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs die Berufung der Beschwerdeführer jeweils mit der Begründung ab, daß der Vorstand der Bundeskammer einen Fehler im erstinstanzlichen Verfahren nicht zu entdecken vermochte.

3. Gegen diese Bescheide richten sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf ein faires Verfahren (Art6 Abs1 EMRK), auf Erwerbsausübungsfreiheit (Art6 Abs1 StGG) und auf Freiheit der Berufsausbildung (Art18 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

Der Vorstand der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs legte die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften, in denen er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerden richten sich gegen Bescheide des Vorstandes der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs. Gemäß §72 Abs6 Tierärztegesetz, BGBl. 16/1974 idF BGBl. 99/1993, steht dem Antragsteller gegen die Entscheidung eines Senates gemäß §72 Abs4 Tierärztegesetz das Recht der Berufung an den Vorstand der Bundeskammer zu. Eine weitere Berufung ist nicht zulässig. Der Instanzenzug ist daher erschöpft.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Beschwerden zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof ist im Erkenntnis B3672/96 vom 10. Oktober 1997, auf dessen ausführliche Begründung verwiesen wird, zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die Hauptversammlung der Bundeskammer nicht mit einer bloßen Willensbildung zur Frage der Anerkennung als Spezialist auf einem bestimmten Fachgebiet begnügen darf, sondern ihre Entscheidung auch begründen muß. Insoweit wirkt nämlich die Verpflichtung aus §58 Abs2 und §60 AVG, die gemäß §52 Tierärztegesetz in den gegenständlichen Verfahren anzuwenden sind, auf die Hauptversammlung der Bundeskammer zurück. Der gemäß §14d Abs2 leg. cit. zuständige Senat hat dann diese Begründung der Hauptversammlung der Bundeskammer in seinen Bescheid zu übernehmen.

Ferner unterliegt die solcherart ergangene Erledigung des Antrages auf de facto-Anerkennung als Fachtierarzt der Überprüfung im administrativen Instanzenzug. Auch diesbezüglich gilt für das im §72 Abs4 Z3 leg. cit. geregelte Tatbestandselement nichts anderes als für die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für die de facto-Anerkennung. In diesem Zusammenhang ist der im Instanzenzug zuständige Vorstand der Bundeskammer zur Überprüfung des erstinstanzlichen Bescheides auch insoweit zuständig, als dieser auf der Bestätigung der Hauptversammlung der Bundeskammer fußt. Der Vorstand der Bundeskammer ist dabei - anders als die in erster Instanz entscheidende Fachtierarzt-Prüfungskommission für Kleintiere - nicht an die Bestätigung der Hauptversammlung gebunden.

3. Diese Rechtsauffassung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß der als Berufungsbehörde entscheidende Vorstand der Bundeskammer seiner Aufgabe nicht nachgekommen ist, den erstinstanzlichen Bescheid in dem für die Antragsabweisung maßgeblichen Bereich zu überprüfen und eine eigenständige, nachvollziehbare Begründung zu liefern.

4. Dieser Fehler reicht aus folgenden Gründen in die Verfassungssphäre:

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

Die Behörde hat es - wie oben ausgeführt - unter krasser Verkennung der Rechtslage unterlassen, die notwendigen Feststellungen zu treffen, die für die rechtliche Beurteilung erforderlich gewesen wären.

5. Die Bescheide waren daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuheben.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je

S 3000,- enthalten.

Schlagworte

Tierärzte Kammer, Tierärzte, Kollegialbehörde, Behördenzuständigkeit, Berufsrecht Tierärzte, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B4133.1996

Dokumentnummer

JFT_10028873_96B04133_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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