TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/24 W164 2165796-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.2018
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Entscheidungsdatum

24.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W164 2165796-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch das SOS Kinderdorf, dieses vertreten durch RA Mag. Dr. Martin Enthofer, Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 22.06.2017, Zl. 1083941607-151166481, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben; XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 24.08.2015 nach illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Wesentlichen an, dass er neun Jahre alt, sei in Shiraz, Iran, geboren, sei ledig und Sunnit. Er habe 2 Jahre die Grundschule besucht. Mit seinem älteren Bruder, XXXX , sei der BF nach Österreich eingereist. Seine Eltern und seine Schwester habe er an der türkisch-iranischen Grenze aus den Augen verloren und kenne daher deren derzeitige Adresse nicht. Der BF habe mit seiner Familie in XXXX , Shiraz, Iran gelebt und sei noch nie in Afghanistan gewesen. Seine Eltern hätten seinerzeit in Afghanistan eine Feindschaft gehabt und seien deshalb in den Iran gezogen. Den Iran hätten sie verlassen, da sie als Afghanen schlecht behandelt worden seien.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 12.06.2017 vor dem BFA gab der BF ergänzend an, er sei Tadschike sei und auch schon zwei Jahre in einem Schuhgeschäft gearbeitet habe. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, seine Familie habe Probleme mit zwei Onkeln gehabt. In Afghanistan sei Krieg gewesen und die Taliban seien dort gewesen. Deshalb seien die Eltern in den Iran geflüchtet. Der BF kenne die Namen der Onkel nicht genau. Er glaube, dass einer XXXX heiße. Als er seinen Eltern vorgeschlagen habe, die Familie könnte nach Afghanistan zurückkehren, hätten diese erwidert, dass sie dort Feinde hätten und nicht zurückkehren könnten. Der BF habe die genannten Onkel nie kennengelernt. Der Vater habe einen weiteren Bruder, der im Iran lebe und zu dem ein gute Verhältnis bestehe. Der BF selbst sei nicht persönlich verfolgt oder bedroht worden.

Am 21.06.2017 langte eine Stellungnahme des BF bei der belangten Behörde ein, mit der er ausführt, dass kein Ort in Afghanistan sicher sei. Des Weiteren würden in den ausgehändigten Länderfeststellungen Feststellungen zur Zwangsrekrutierung Jugendlicher durch Taliban, Al Kaida und IS fehlen. Vor diesem Hintergrund sei dem BF zumindest Non-Refoulement zu gewähren. Der BF sei minderjährig, im Iran geboren und sei noch nie in Afghanistan gewesen. Er sei auch niemals in Afghanistan registriert worden, sodass gar nicht geklärt sei, ob er überhaupt als afghanischer Staatsangehöriger qualifiziert werden könne. Der BF wäre daher nicht einmal berechtigt, in Afghanistan staatlichen Schutz zu erhalten. Im Falle seiner Rückverbringung nach Afghanistan wäre er ohne jeden Schutz und ohne jede Lebensgrundlage. Des Weiteren wies der BF darauf hin, dass er binnen kürzester Zeit die deutsche Sprache gelernt habe, bereits vollständig integriert sei und einen großen Freundeskreis habe, mit dem er seine Freizeit verbringe. Seinem Antrag auf internationalen Schutz sei stattzugeben, da er in seinem "Heimatstaat" ohne jeglichen familiären Schutz wäre. Den afghanischen Behörden sei er mangels Registrierung nicht einmal bekannt. Auch sein Aufenthalt im Iran sei illegal gewesen. Er müsste also auf der Straße leben und habe keine Ahnung, wie er durch ein Einkommen sein Überleben sichern könnte. Der BF wäre zudem schutzlos dem Zugriff der Taliban, Al Kaida oder des IS ausgesetzt. Aufgrund seiner Kontaktlosigkeit und seines (jugendlichen) Alters habe er mit einer Zwangsrekrutierung zu rechnen. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage seine Staatsbürger vor Übergriffen der Islamisten zu schützen.

Mit Bescheid des BFA vom 22.06.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.06.2018 erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass aus den Ausführungen des BF keine Verfolgung in seinem Heimatland festgestellt abzuleiten sei. Der BF habe keine tatsächliche, personenbezogene, asylrelevante Verfolgung seiner Person vorgebracht. Soweit der BF vor dem BFA am 12.06.2017 angegeben habe, sein wahres Geburtsdatum laute XXXX , dies habe ihm seine Mutter gesagt, werde dem mangels vorgelegter Identitätsnachweise nicht weiter nachgegangen. Es werde der XXXX als Geburtsdatum festgestellt. Aus den glaubhaften Angaben des BF ergebe sich seine Staatsangehörigkeit sowie seine ethnische und religiöse Zugehörigkeit, die Tatsache, dass er illegal und schlepperunterstützt nach Österreich eingereist sei, dass er gesund sei, eine zweijährige Schuldbildung und Berufserfahrung in einem Schuhgeschäft habe und dass er noch nie in Afghanistan aufhältig gewesen sei sowie dass seine Eltern aus der Provinz Parvan stammen, ebenso, dass er seit seiner Geburt im Iran gelebt habe und keine Verwandten oder engen Bekannten in Afghanistan habe, die er kenne und zu denen der Kontakt pflege. Eine Verfolgung in seinem Heimatland Afghanistan könne nicht festgestellt werden, da der BF zu keiner Zeit eine tatsächliche personenbezogene asylrelevante Verfolgung seiner Person vorgebracht habe. Bei der Erstbefragung vom 24.8.2015 habe der BF zu seinen Fluchtgründen angegeben, dass er und seine Familie als afghanische Staatsbürger im Iran schlecht behandelt worden seien. In der Klasse wären 40 afghanische Schüler gesessen und diese wären nicht wie Iraner unterrichtet worden. Die Eltern hätten gesagt dass sie in Afghanistan eine Feindschaft hätten; mehr würde der BF darüber nicht wissen. Auch auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen habe der BF geantwortet, "das weiß ich nicht". Auch in seiner Einvernahme vor dem BFA vom 12.6.2017 habe der BF keine näheren Angaben bezüglich der angeblichen Probleme des Vaters machen können und habe angegeben, dass er selbst weder persönlich bedroht noch verfolgt werde. Aus den genannten Ausführungen lasse sich keine individuelle speziell gegen den BE gerichtete Verfolgungsgefährdung ableiten. Zu einer allenfalls stattgefundenen Bedrohung der Eltern sei zu bemerken dass es sich bei einem Verfolgungstatbestand im Sinne der GfK um Nachteile des Asylwerbers selbst handeln müsse, nicht etwa um Nachteile betreffend seine Angehörigen. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH könne aus Maßnahmen, die sich gegen einen Angehörigen richten, für sich allein nicht auf die Verfolgung eines dieser Familie angehörenden Asylwerbers geschlossen werden. Wirtschaftliche Erwägungen und allgemein schlechte Verhältnisse eines Staates würden keine asylrelevante Gründe darstellen. Aus dem Umstand das die Lebensbedingungen im Iran schlecht gewesen seien lasse sich ebenfalls keine asylrelevante Verfolgung ableiten. Der BF sei im Heimatstaat nicht politisch aktiv gewesen und kein Mitglied einer Partei es sei im Heimatstaat wieder vorbestraft noch inhaftiert gewesen und habe keine Probleme mit den dortigen Behörden gehabt. Es sei von keiner asylrelevante Verfolgung auszugehen.

Jedoch würden besondere Umstände vorliegen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstünden, nämlich das mangelnde soziale Netz in Afghanistan und die Tatsache, dass er noch nie in Afghanistan aufhältig gewesen sei. Seine Existenzgrundlage scheine daher gefährdet, weshalb eine Verbringung nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 3 EMRK bewirken würde. Dem BF sei subsidiärer Schutz zuzusprechen.

Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften. Des Weiteren lägen sekundäre Feststellungsmängel vor. Dazu führte der BF aus, die Feststellung, dass er afghanischer Staatsbürger sei, sei unzutreffend. Er sei im Iran geboren und habe sich nie in Afghanistan aufgehalten. Der afghanische Staat habe keine Kenntnis über seine Existenz, da seine Geburt in Afghanistan nicht registriert worden sei. Es würden keine Nachweise seiner afghanischen Staatsangehörigkeit vorliegen. Es sei also richtigerweise festzustellen, dass er staatenlos sei. Der BF habe weiters darauf hingewiesen, dass er minderjährig sei, sämtliche Familienangehörige im Iran leben würden und er weder soziale noch familiäre Kontakte in Afghanistan habe. Ausgehend von diesen Umständen wäre seinem Antrag auf internationalen Schutz stattzugeben gewesen. Im Fall seiner Rückkehr wäre er in seinem Heimatstaat unmittelbarer, konventionswidriger und asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Er könne keine Unterstützung durch den afghanischen Staat erwarten um vor den islamistischen, kriminellen und fundamentalistischen Organisationen wie Al Kaida, IS und Taliban geschützt zu werden. Aufgrund seines jugendlichen Alters sei er für terroristische Organisationen in Afghanistan von erhöhtem Interesse. Insbesondere Taliban und Al Kaida hätten in den letzten Jahren männliche Jugendliche zwangsrekrutiert. Da der BF keine Familie oder sonstige soziale Anbindung in Afghanistan habe, drohe ihm ein Schicksal der Zwangsrekrutierung in erhöhtem Maße. Der afghanische Staat versuche zwar, staatliche Strukturen zu implementieren und terroristische Organisationen aus ihren Einflussbereichen zurückzudrängen, sei aber nicht einmal in der Lage seine eigenen Einrichtungen und Organisationen zu schützen. Aus diesem Umstand sei ableitbar, dass das Risiko einer jeden Privatperson in Afghanistan hoch sei und der afghanische Staat nicht in der Lage sei, Schutz vor individueller Verfolgung durch die Taliban zu bieten. Im Fall des BF wäre das Risiko noch einmal ungleich höher als das für jeden ansässigen Afghanen. Zu diesem Problemkreis lägen weder Feststellungen betreffend Afghanistan vor, noch hätten diese in seiner Stellungnahme vom 12.06.2017 dargestellten Verfolgungsproblematiken Eingang in die angefochtene Entscheidung gefunden. Es liege somit ein sekundärer Feststellungsmangel vor. In den Feststellungen des angefochtenen Bescheides fänden sich Gefährdungsfeststellungen für Minderjährige, die auch auf den BF zutreffen würden. Die Behörde habe sich jedoch nicht konkret damit auseinandergesetzt, sondern lediglich lapidar behauptet, dass eine Verfolgungsgefahr zu verneinen sei. Die spezielle Situation des BF habe sie nicht entsprechend gewürdigt. Der BF beantragte, den Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides dahingehend abzuändern, dass seinem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben werde und ihm Asyl zuerkannt werde; den angefochtenen Bescheid hinsichtlich seines Spruchpunkt I. aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen; jedenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und durchzuführen.

Am 31.01.2018 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu an der der BF gemeinsam mit seinem älteren Bruder, XXXX , geb. XXXX , teilnahmen. Von der belangten Behörde ist kein Vertreter zur Verhandlung erschienen.

BF machte dabei folgende Angaben: Er habe keine Tazkira? Er sei mit acht und neun Jahren zur Schule gegangen. Danach sei für etwa sechs bis sieben Monate er mit seinem Bruder mitgegangen Schuhe verkaufen, bis zur Flucht. Im Iran habe es für die Familie keine Sicherheit gegeben. Der BF und sein Bruder seien auf der Straße als Afghanen beschimpft worden. Die Eltern hätten einen Schlepper kontaktiert und schließlich den Kindern mitgeteilt: "Wir fliehen jetzt." An die Flucht selbst habe der BF kaum Erinnerungen. Sie seien mit dem PKW, mit dem Auto, zu Fuß, durch Wasser unterwegs gewesen. Die Eltern hätten sie an der iranisch-türkischen Grenze verloren, weil die Polizei kam: alle Leute seien weggelaufen. Der BF sei mit seinem Bruder zusammen gewesen. Bezüglich der im erstinstanzlichen Verfahren erwähnten Feindschaft in Afghanistan habe am Tag vor Verhandlung der ältere Bruder die Eltern am Telefon befragt. Nun sei dem BF bekannt, dass der Bruder des Vaters verlangt habe, dass sich dieser mit seiner Familie den Taliban anschließen und gegen die Regierung kämpfen solle. Der Vater sei deshalb geflüchtet. Würde der Vater zurückkehren, würde er von seinem Bruder ermordet werden.

Auf Befragen der BFV zu seinem aktuellen religiösen Leben gab der Bruder des BF im Beisein des BF an, sie beide würden manchmal gemeinsam die Moschee in der XXXX , es handle sich um eine Schiitische Moschee. Zuletzt seien sie zu Ahshura (D: Ahshura ist ein schiitischer religiöser Feiertag) dort gewesen. Der BF stimmte dieser Aussage zu.

Die Beschwerdeführervertreterin wies bezüglich der fehlenden Tazkiras darauf hin dass der BF im Iran geboren sei und dort keine Dokumente für afghanische Flüchtlinge ausgestellt würden. Bezüglich des kindlichen Alters des BF verwies die BFV in Bezug auf die Dichte und Detailliertheit des Vorbringens auf die höchstgerichtliche Judikatur etwa VwGH 2006/01/0362 vom 14.12.2006, VfGH U98/12 vom 27.06.2012, sowie VwGH RA2014/19/0127 vom 02.09.2015. Der BF erfülle kumulativ mehrere Risikoprofile nach den UNHCR-Richtlinien. Verwiesen werde auf den ins Verfahren eingebrachten Länderbericht, insbesondere auf die Risikoprofile für Männer im wehrfähigen Alter und Kindern im Kontext von Minderjährigen und Zwangsrekrutierung (Punkt 3), als verwestlicht wahrgenommene Personen (Punkt 8j), Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben (Punkt 10) sowie an Blutfehden beteiligten Personen (Punkt 14). In diesem Zusammenhang werde auf die von UNHCR angewandte Bewertung mehrerer Faktoren für die Schutzgewährung verwiesen. Die Quelle zur letzten Feststellung werde nachgereicht. Verwiesen werde auf ein Judikat des BVwG zu dieser Thematik, W255 2145523 vom 18.04.2017 sowie auf zwei weitere Erkenntnisse, in denen ebenfalls alleinstehenden Kindern der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, W121 2117943 vom 30.09.2016 und W131 1438161 vom 09.01.2015.

Der BF habe sich mit seinem westlichen Lebens- und Kleidungsstil angepasst. Die BFV verwies auf den Länderbericht von Asylos "Situation of young male westernized returning to Kabul" vom August 2017 wonach Rückkehrer aus dem Westen als "Kontaminierung" angesehen werde bzw. eine Art Generalverdacht gegen Personen vorliege, die als mit dem Westen verbunden wahrgenommen würden.

Befragt, woraus die BFV eine Blutfehde ableite, gab diese an, es bestehe offensichtlich zwischen dem Vater des BF und dessen noch in Afghanistan befindlichen Brüdern eine Fehde, die nach der afghanischen Tradition auch auf dessen unmittelbare männliche Verwandte, nämlich also auch den BF durchgreifen würde.

Mit Stellungnahme vom 02.02.2018 verwies die BFV ergänzend auf das UNHCR Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft; Neuauflage Genf Dezember 2011 (deutsche Version 2013) S. 15, Punkt 53 zur zur Bewertung von mehreren Faktoren für die Schutzgewährung, wo ausgeführt werde, dass ein Antragsteller einer Reihe von Maßnahmen ausgesetzt sein könne, die - jede für sich genommen - nicht den Tatbestand der Verfolgung erfüllen würden(z.B. verschiedene Formen der Diskriminierung) - zu denen in manchen Fällen jedoch weitere Faktoren hinzukommen würden (z.B. die allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit im Herkunftsland). In solchen Situationen mögen die verschiedenen Faktoren in ihrer Gesamtheit auf den Antragsteller eine derartige Wirkung ausgelöst haben .

Die BFV verwies weiters auf die unmittelbar anwendbare Bestimmung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011, der zufolge eine Verfolgungshandlung auch dann vorliege, wenn eine Handlung in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehe, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.

Die Familie des mj. Beschwerdeführers (BF) stamme ursprünglich aus einer aktuell umkämpften Provinz, wo die Taliban eine große Rolle spielen würden. Die Provinz liege strategisch wichtig im Norden von Kabul an der sog. Ring Road und beheimate das Bagram Airfield, wo es immer wieder zu strategischen Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen komme. Der BF sei aber bereits im Iran geboren und würde Afghanistan aus eigener Erfahrung nicht kennen.

Afghanistan werde von der UNO nunmehr erneut als "Land im Krieg" eingestuft. Die Situation in der Heimatprovinz des BF sei von einem solchen Grad willkürlicher Gewalt betroffen, dass jeder Zivilist einem maßgeblichen Risiko ausgesetzt sei. Als schutzloses Kind (Minderjähriger ohne familiären Anschluss) drohe dem BF in Parwan, Opfer von Zwangsrekrutierung, Ausbeutung und sonstiger kinderspezifischer Gewalt zu werden. Außerdem seien die Feindschaften des Vaters zu berücksichtigen, die den BF als männlichen Verwandten in direkter Linie (im Sinne der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) ebenfalls betreffen und die Verfolgung auf ihn durchschlagen würden.

Der BF erfülle mehrere der von UNHCR identifizierten Risikoprofile. Ihm drohe aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der männlichen Jugendlichen ohne Schutz in seiner Herkunftsprovinz Verfolgung, sowie Verfolgung durch die Onkel väterlicherseits aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Familie.

Die BFV verwies weiters auf EGMR, J.K. and Others v Sweden (no. 59166/12) [Article 3], 23 August 2016. Unter dem Gesichtspunkt des § 3 AsylG seien individuelle Risiken und individuelle Nachteile vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Der BF erfülle folgende Risikoprofile entsprechend der UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016: Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext von Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung; Frauen und Männer, die vermeintlich gegen soziale Sitten verstoßen; (10) Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben; an Blutfehden beteiligte Personen.

EASO - European Asylum Support Office: Afghanistan Security Situation, December 2017"2: EASO bzw. UNAMA dokumentiere zahlreiche Beispielsfälle kinderspezifischer Verfolgung wie Entführungen, konfliktbezogene sexuelle Gewalt und Rekrutierungen im Laufe des letzten Jahres (wie UNAMA selbst sagt, kann von abschließender Aufzählung keine Rede sein)(S. 57 f.).

Die BFV verwies weiters auf den Länderbericht von ASYLOS research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul", aus August 20173, demzufolge, Rückkehrer aus dem Westen als "kontaminiert" angesehen würden und Studien zufolge deutlich weniger Zugang zu medizinischer Grundversorgung hätten (Seite 32 f.). UNHCR bestätige die Gefahr für Rückkehrer aus dem Westen, die als "verwestlicht" oder als mit dem Westen verbunden wahrgenommen würden:

https://asylos.eu/wp-content/uploads/2017/08/AFG2017-05-Afghanistan-Situation-of-young-male-Westernised-returnees-to-Kabul-1.pdf (Zugriff 04.10.2017). Aus anderer Quelle würden entsprechende Einzelfälle zitiert, etwa von einem afghanischen Rückkehrer der als "Westerner" angesehen wurde und von Taliban an einem Checkpoint aus dem Bus gezerrt, gefoltert und exekutiert wurde (Seite 33). Der Bericht dokumentiere existenzielle und langfristige Diskriminierung solcher Rückkehrer, etwa durch die Verweigerung von Jobs: Ein unabhängiger Dokumenarfilmer und Journalist aus Afghanistan bestätige, dass Menschen angegriffen wurden, die sich während ihrem Aufenthalt im "Westen" entsprechend verändert haben: Der Direktor von AMASO führe aus, dass jene Personen, die nie in Afghanistan waren, explizit auch in den vergleichsweise offenen Gesellschaften wie in Kabul besonders vulnerabel seien. Dasselbe gelte für Personen, die einen "verwestlichten Lebensstil" angenommen hätten:

Dr. Anicée Van Engeland beschreibe die Problemfelder von Rückkehrern aus dem Westen: Rückkehrern drohe Verfolgung in ihrem ursprünglichen Herkunftsort und Obdachlosigkeit beim Versuch einer Neuansiedelung in einem anderen Landesteil: Kabul bzw. die großen Städte würden keine Sicherheit mehr vor den Taliban bieten insbesondere auch nicht vor Rekrutierungen die "alle Formen" annehmen.

Der BF habe ferner geltend gemacht, dass sein Vater Afghanistan bereits aufgrund familiärer Streitigkeiten mit seinen Brüdern, die sich vermutlich den Taliban anschlossen, was der Vater verweigerte, verlassen mussten. Dem BF drohe aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters (GFK-Anknüpfung: Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Familie) ebenfalls individuelle Verfolgung.

Gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte könne dem BF nicht entgegengehalten werden, dass er aufgrund seines jugendlichen bzw. kindlichen Alters zum Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse nicht zu allen Fragen detaillierte Angaben machen können (Verweis auf VwGH 2006/01/0362 vom 14.12.2006, Ra 2014/19/0127 vom 02.09.2015 und VfGH U98/12, 27.06.2012, U2699/2013 vom 29.09.2014.

Die BFV verwies ferner auf ein Gutachten des im Erkenntnis des BVwG vom 21.05.2014, GZ W1741227561 herangezogenen SV demzufolge Blutrache bei allen Ethnien weit verbreitet sei, die Gefahr auch nach Jahren aktuell bleibe, und ein Sohn des Auslösers einer sogenannten "Blutrache" (nichts anderes bringe der BF durch seine Angst vor Verfolgung durch die Onkel väterlicherseits vor) bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch nach Jahren von den Feinden erkannt werden würde. Verwiesen werde hierzu etwa auch auf ACCORD a-6633 vom 25.03.2009, sowie die Ausführungen des länderkundigen SV in BVwG vom 21.05.2014, GZ W174 1227561 und SV in BVwG vom 07.04.2014, GZ W174 227561, BVwG vom 08.06.2016 zur Zahl W119 2110871 u.v.m., wo ebenso die Blutrache als eine reale und aktuelle Gefahr im Falle einer Rückkehr qualifiziert wurde.

Der EASO-Security-Report für 2017 beweise aktuell den Einfluss regierungsfeindlicher Kräfte in der strategisch wichtigen Provinz Parwan was die Gefahr von Zwangsrekrutierung durch die Taliban sehr realistisch erscheinen lasse: Der BF erfülle ein geradezu klassisches Profil jener Personen, die akut Gefahr laufen, von den Taliban zwangsrekrutiert zu werden: Er stamme- aus einer strategisch wichtigen und umkämpften Provinz; in seinem Heimatgebiet gebe es laufend bewaffnete Auseinandersetzungen und damit einen hohen Bedarf an Kämpfern; Der BF sei 16 Jahre alt; er sei somit "kampffähig"; gleichzeitig sei der BF aufgrund seiner Jugend leicht beeinflussbar und ohne männliche Beschützer nicht in der Lage, sich vor solchen Übergriffen zu schützen.

Dem BF sei aufgrund seiner individuellen Verfolgungsrisiken und Nachteile vor dem Hintergrund der laufenden Kriegshandlungen in seinem Heimatland aus kumulativen Gründen Asyl im Sinne der oben zitierten Richtlinien und Judikatur zu gewähren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der noch nicht strafmündige Beschwerdeführer ist am XXXX , in XXXX , Shiraz, Iran, geboren; seine Eltern sind afghanische Staatsbürger und haben Afghanistan vor etwa 20 Jahren von ihrer Herkunftsprovinz Parwan aus verlassen, da sich die Brüder des Vaters des BF den Taliban angeschlossen hatten, wohingegen der Vater des BF dies ablehnte und sich die Feindschaft seiner Brüder zugezogen hatte. Im Sommer 2015 kam der BF gemeinsam mit seinem älteren Bruder im Wege der illegalen Einreise nach Österreich. Von seinen Eltern wurde er während eines durch einen Polizeieinsatz an der türkisch-iranischen Grenze ausgelösten Tumults getrennt. Die Eltern leben mit der jüngeren Schwester wieder im Iran.

Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, HCR/EG/AFG/16/02 vom 19.04.2016:

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung - einschließlich Frauen und Kinder - sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden Berichten zufolge in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die von regierungsnahen bewaffneten Gruppen (teilweise) kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Auferlegung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet sind.

Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hindert Zivilisten zudem an der Ausübung ihres Rechts auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Zugang zu Bildung und zu wirksamem Rechtsschutz. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen die Abwesenheit staatlicher Justizmechanismen oder -dienste aus, um eigene parallele "Justiz"-Strukturen, vor allem, jedoch nicht ausschließlich in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen.

Wie aus Berichten hervorgeht, beschränken regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) das Recht auf freie Meinungsäußerung. Zivilisten, die sich gegen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) oder zugunsten der Regierung äußern oder von regierungsfeindlichen Kräften der Spionage für die Regierung beschuldigt werden, sind, wie berichtet wird, dem Risiko ausgesetzt, in von regierungsfeindlichen Kräften durchgeführten illegalen und parallelen Justizverfahren im Schnellverfahren verurteilt zu werden; die Strafe für solche angeblich "kriminellen" Handlungen stellen regelmäßig Hinrichtungen dar (siehe Abschnitt III.A.1.g).

Es liegen Berichte darüber vor, dass sowohl Taliban wie auch mit ISIS verbundene Gruppen Schulen und Medresen (Koranschulen) nutzen, um Kinder zu indoktrinieren und für den Einsatz in Kampfhandlungen und für die Unterstützung von Kampfhandlungen zu rekrutieren. Berichten zufolge griffen die Taliban in Lehrpläne ein oder unternahmen Versuche, Lehrpläne in Hinblick auf die Einhaltung von durch die Taliban genehmigte Kriterien zu überprüfen. Vorfälle von konfliktbezogener Gewalt, die sich direkt auf den Zugang zu Bildung auswirken, finden Berichten zufolge weiterhin in allen Regionen des Landes statt. Die berichteten Vorfälle, darunter das Abbrennen von Schulen, gezielte Tötungen und Einschüchterung von Lehrern und Mitarbeitern, in oder in der Nähe von Schulen gelegte Sprengsätze, Raketenangriffe auf Bildungseinrichtungen und Schließung von Schulen, insbesondere von Schulen für Mädchen, werden überwiegend regierungsfeindlichen bewaffneten Kräften, einschließlich den Taliban, zugerechnet. Schulen wurden Berichten zufolge außerdem besetzt und für militärische Zwecke benutzt, wodurch ihr geschützter Status nach dem humanitären Völkerrecht beeinträchtigt und den Kindern der Zugang zu Bildung entzogen wurde. Außerdem bleiben Berichten zufolge viele Schulen in Afghanistan aufgrund der vor Ort herrschenden Sicherheitsbedingungen geschlossen. Gleichermaßen geht aus Berichten hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) den Zugang zur Gesundheitsversorgung beschränken. 2015 dokumentierte UNAMA 63 gegen Krankenhäuser und medizinisches Personal gerichtete Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), ein Anstieg um 47 Prozent im Vergleich zu 2014. Das Recht auf Religionsfreiheit wird Berichten zufolge ebenfalls von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, einschließlich durch Bedrohungen und Angriffe auf Einzelpersonen und Gemeinschaften, die vermeintlich gegen die Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch die regierungsfeindlichen Kräfte verstoßen. Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der Verpflichtungen Afghanistans, nach nationalem und internationalem Recht diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung.

Die Regierungsgewalt Afghanistans und die Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen, die Zufriedenheit der Öffentlichkeit mit der Regierungsarbeit und das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen sanken Berichten zufolge im Jahr 2015 auf drastische Weise. Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird in vielen Distrikten durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte sind Berichten zufolge oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass bis zu zwei Drittel der afghanischen Bürger, die Kontakt zu Staatsbediensteten auf Provinz- und Distriktebene hatten, Schmiergelder zahlen mussten, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten. Innerhalb der Polizei sind Berichten zufolge Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem ist Berichten zufolge auf ähnliche Weise von weitreichender Korruption betroffen. In einigen Gebieten bevorzugen Berichten zufolge lokale Gemeinschaften parallele Justizstrukturen, etwa Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle auszutragen. Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die durch diese parallelen Justizstrukturen begangen wurden, haben Berichten zufolge keinen Zugang zu staatlichen Rechtsschutzmechanismen.

Personen, die aus Afghanistan fliehen, können einem Verfolgungsrisiko aus Gründen ausgesetzt sein, die mit dem fortwährenden Konflikt in Afghanistan oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die nicht in direkter Verbindung zum Konflikt stehen, zusammenhängen, oder aufgrund der Kombination beider Gründe.

Eine besonders sorgfältige Prüfung der möglichen Risken ist insbesondere unter anderem notwendig bei Personen mit den folgenden Profilen:

-

Kinder im Kontext von Minderjährigen und Zwangsrekrutierung;

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Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen;

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Frauen und Männer, die vermeintlich gegen soziale Sitten verstoßen,

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an Blutfehden beteiligte Personen.

Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben. In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das "Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters" tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder einen Haarschnitt tragen, der ihrer Auffassung nach eitel ist. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft.

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden.

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung der Rekrutierung Minderjähriger. Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Einhaltung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem 2014 von Parlament und Senat beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) unter Strafe stellte. Trotz der Unterstützung des Aktionsplans seitens der Regierung und trotz der erreichten Fortschritte bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, darunter mangelnde Rechenschaftspflicht für die Rekrutierung von Minderjährigen. Im März 2016 stellte die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte fest, dass zwar deutliche Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans erreicht worden seien, dass die Vereinten Nationen jedoch nach wie vor die Rekrutierung und den Einsatz von Jungen durch die afghanische lokale Polizei (ALP) und die afghanische nationale Polizei (ANP) dokumentierten sowie in einigen Fällen, die den afghanischen nationalen Streitkräften zugeordnet werden. Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Einheimische zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.

Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen.

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie.502 In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat.

Frage der internen Fluchtalternative:

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Bewertung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes festgestellt wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere und sinnvolle Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. Wenn im Zuge eines Asylverfahrens eine interne Schutzalternative erwogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen und dem Antragsteller eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern.

Bei der Bewertung der Relevanz einer internen Schutzalternative für Antragsteller aus Afghanistan ist die Berücksichtigung folgender Punkte von besonderer Bedeutung: (i) das vorgeschlagene Neuansiedlungsgebiet muss dauerhaft sicher sein und (ii) das Gebiet einer voraussichtlichen internen Schutzalternative muss praktisch, sicher und legal für die Person erreichbar sein. In Hinblick auf den ersten Punkt sollte insbesondere der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan sowie die Tatsache berücksichtigt werden, dass sich in Provinzen und Distrikten, die vormals nicht direkt vom Konflikt betroffen waren, die Sicherheitslage verschlechtert hat, und es im Zusammenhang damit zu Binnenvertreibung kommt. Zum zweiten Punkt gehört eine Bewertung der konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem im ganzen Land weit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern, Landminen und explosiven Kampfmittelrückständen, Angriffen und auf den Straßen ausgetragenen Kämpfen und der von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) aufgezwungenen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine sinnvolle interne Schutzalternative. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-i-Islami Hekmatyar, Gruppen, die nach eigenen Angaben mit ISIS verbunden sind, sowie andere bewaffnete Gruppierungen über die operativen Kapazitäten verfügen, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen, darunter auch in solchen Gebieten, die nicht von diesen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, wie anhand des Beispiels der steigenden Anzahl öffentlichkeitswirksamer Anschläge in urbanen Gebieten, die sich unter der Kontrolle regierungsnaher Kräfte befinden, ersichtlich wird.

Die Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative muss anhand einer Einzelprüfung untersucht werden. Dabei sollten die persönlichen Umstände des Antragstellers einschließlich der Auswirkungen etwaiger in der Vergangenheit vorgekommener Verfolgung auf den Antragsteller berücksichtigt werden. Weitere zu berücksichtigende Aspekte sind die Sicherheitslage, die Achtung der Menschenrechte und die Möglichkeiten für das wirtschaftliche Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet. UNHCR ist der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten nicht existiert. In Hinblick auf andere Gebiete Afghanistans ist eine interne Schutzalternative nur dann verfügbar, wenn der Antragsteller dort in Sicherheit, ohne Gefahr sowie ohne Verletzungsrisiko leben kann. Diese Bedingungen müssen dauerhaft und dürfen weder illusorisch noch unvorhersehbar sein. Die steigende Zahl der vom Konflikt betroffenen Provinzen in Afghanistan sowie die Zunahme von konfliktbezogenen gewaltsamen Bevölkerungsbewegungen, die schnellen Verschiebungen der Fronten und die Unfähigkeit der meisten Konfliktparteien, Gebietsgewinne zu halten, sind ebenfalls Faktoren, die Berücksichtigung finden sollten. Die Informationen nach Abschnitt II.B dieser Richtlinien (Anmerkung: Sicherheitslage in Afghanistan) und II.C (Anmerkung: Menschenrechtssituation in Afghanistan) sowie zuverlässige, aktuelle Informationen über die Sicherheitslage im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet sind wichtig für die Bewertung der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde sowie durch Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vom 31.01.2018. Was das Geburtsdatum des BF betrifft, so war - unter Einbeziehung der von der BFV gemachten Erklärung, dass dem BF als weder im Iran noch in Afghanistan registriertes Kind keine Dokumente zur Verfügung stehen - auf seine unbedenkliche Bekanntgabe vom 12.6.2017 zurückzugreifen, derzufolge er seine Mutter telefonisch nach seinem Geburtsdatum gefragt habe und nun den XXXX als sein Geburtsdatum nennen könne.

Zu seinen Fluchtgründen hat der BF bereits in erster Instanz in lebensnaher Weise angegeben, seine Eltern hätten erzählt, damals in Afghanistan eine Feindschaft gehabt zu haben und deshalb in den Iran gezogen zu sein. In Afghanistan sei Krieg gewesen und die Taliban seien dort gewesen. Deshalb seien die Eltern in den Iran geflüchtet, mehr wisse er nicht. Diese Angaben ergänzte der BF im Zuge des Beschwerdeverfahrens in der Weise, als er bekannt gab, sein Bruder Alireza habe am Vortag bei den Eltern angerufen. Nun wisse der BF, dass der Bruder des Vaters von diesem verlangt habe, sich mit seiner Familie den Taliban anzuschließen und gegen die Regierung zu kämpfen. Diese Aussage erscheint vor dem Hintergrund, dass die Eltern des BF (wie der Bruder des BF im Verfahren W164 20165797-1 angegeben hatte) vor etwa 20 Jahren Afghanistan verlassen hatten (also etwa 1996, 1997 oder 1998), und unter Berücksichtigung der historischen Ereignisse in Afghanistan während der genannten Jahre glaubwürdig. Der im angefochtenen Bescheid vertretenen Meinung, aus der festgestellten Feindschaft des Vaters mit seinen in Afghanistan lebenden Brüdern, könne keine Verfolgungsgefahr für den BF abgeleitet werden, wird daher im vorliegenden Gesamtzusammenhang nicht gefolgt. Die vom BFA in diesem Zusammenhang herangezogene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bildet nur eine grundsätzliche Aussage, von der bei Vorliegen besonderer Begleitumstände (wie hier) abzuweichen ist (vgl. VwGH 95/01/0247).

Weiters war zu beachten, dass der BF seinen bisherigen Aufenthaltsort, den Iran, im Alter von 9 Jahren verlassen hat und nach wie vor minderjährig ist. Seine Vorbringen waren daher mit anderen Maßstäben zu messen, als etwa Vorbringen erwachsener Asylwerber. Die Schilderungen des BF ergeben durchwegs in lebensnaher Weise ein aus der Perspektive des BF erlebtes Bild von zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern geführten Gesprächen über ein Thema, das offenbar von den Eltern selbst als "heikel" betrachtet wurde. Der genaue Grund der vom BF angegebenen Feindschaft muss nicht mehr ermittelt werden. Denn selbst wenn es sich nicht um eine aus politischen Differenzen entstandene Feindschaft sondern um eine rein familiäre Streitigkeit gehandelt haben sollte (beispielsweise um Land, das der Vater des BF im Bestreben, Afghanistan zu verlassen, ohne Absprache mit seinen Brüdern verkauft haben könnte), muss für den vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass die in Afghanistan lebenden Onkel väterlicherseits des BF aufgrund ihres Naheverhältnisses zu regierungsfeindlichen Gruppen die reale Möglichkeit hätten, sich eines regierungsfeindlichen Netzwerks zu bedienen, um den BF auszuforschen und im Rahmen von familiären Feindschaften Vergeltung zu üben. Dass eine solche Gefahr im Bereich des maßgeblich Wahrscheinlichen liegt, zeigen die obigen Länderfeststellungen, wonach etwa auch ungelöste Streitigkeiten um Land zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen können. Diese Wahrscheinlichkeit wird zusätzlich dadurch erhöht, dass der BF als Minderjähriger - auch in einer Großstadt wie Kabul - besonders ungeschützt und daher leicht aufzugreifen wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen ist im vorliegenden Fall daher Einzelrichterzuständigkeit gegeben.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A):

§ 3. AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen is

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

§ 11 AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:

(1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "begründete Furcht vor Verfolgung".

Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 17.3.2009, 2007/19/0459 ausgesprochen hat, wird die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht.

Der für die Annahme einer aktuellen Verfolgungsgefahr erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen den behaupteten Misshandlungen und dem Verlassen des Landes besteht auch bei länger zurückliegenden Ereignissen dann, wenn sich der Asylwerber während seines bis zur Ausreise noch andauernden Aufenthaltes im Lande verstecken oder sonst durch Verschleierung seiner Identität der Verfolgung einstweilen entziehen konnte. Ab welcher Dauer eines derartigen Aufenthaltes Zweifel am Vorliegen einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen mögen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. VwGH 94/20/0793 vom 7.11.1995).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung m

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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