TE OGH 2018/5/15 5Ob11/18f

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Veröffentlicht am 15.05.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U*****, vertreten durch die Steiner Anderwald Rechtsanwälte OG in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei P*****, vertreten durch Dr. Marvin Gschöpf, Rechtsanwalt in Velden am Wörthersee, wegen 26.094,70 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 14.797,35 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. September 2017, GZ 7 R 16/17b-61, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 6. Dezember 2016, GZ 8 Cg 38/15x-53, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 13. Jänner 2015 ereignete sich im Schigebiet Turracher Höhe in der Nähe der Straßenunterführung „Maulwurf“ ein Unfall, an dem die Klägerin und der Beklagte jeweils als Schifahrer beteiligt waren. Der Unfall ereignete sich auf einer 10 m breiten Piste (Verbindungsweg), die von Westen in Richtung Osten mit einem Gefälle zwischen 6° und 3° abfällt. Am Unfallstag betrug die befahrbare Breite aufgrund der Schneeverhältnisse rund 7,6 m, die Verbindungspiste war gut präpariert und entsprechend schnell zu befahren. Zum Kollisionszeitpunkt herrschte ein aufgelockertes Aufkommen an Schifahrern. Bei dieser Piste handelt es sich um einen Gegenverkehrsbereich. Der Beklagte fuhr von der Kornockbahn-Abfahrt in Richtung Wildkopf „talwärts“ und die Klägerin fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Im Bereich der Unfallstelle befindet sich eine rechtwinkelige Kurve mit wechselseitiger Sicht von 20 m.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten
– ausgehend von dessen Alleinverschulden – Schadenersatz für die bei diesem Schiunfall erlittenen Verletzungen und sonstige damit im Zusammenhang stehende Nachteile sowie die Feststellung seiner Haftung für sämtliche Dauerfolgen aus dem Schiunfall.

Der Beklagte bestritt und beantragte Klageabweisung. Das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe die Klägerin. Der Beklagte habe durch die Kollision ebenfalls Verletzungen erlitten und wende aus dem Titel des Schmerzengeldes eine Gegenforderung ein.

Das Erstgericht sprach – ausgehend von einer Verschuldensteilung von 1:3 zu Lasten des Beklagten – aus, dass die Klageforderung mit 19.571,03 EUR und die Gegenforderung mit 230 EUR zu Recht bestehen. Es stellte fest, dass der Beklagte der Klägerin für sämtliche Dauerfolgen aus dem Schiunfall zu ¾ hafte und verpflichtete den Beklagten zur entsprechenden Zahlung. Das Leistungs- sowie das Feststellungsmehrbegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil ab. Es stellte – ausgehend vom Alleinverschulden des Beklagten – fest, dass die Klageforderung zur Gänze zu Recht bestehe, die Gegenforderung hingegen nicht, und verpflichtete den Beklagten zur entsprechenden Zahlung und stellte seine Haftung für sämtliche Dauerfolgen der Klägerin aus dem Schiunfall fest.

Die ordentliche Revision ließ es über Antrag des Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO nachträglich zu.

         Mit seiner Revision ficht der Beklagte das Urteil des Berufungsgerichts insoweit an, als darin nicht von einer Verschuldensteilung 1:1 ausgegangen wird, und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen in diesem Sinne abzuändern. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die Klägerin bestreitet in ihrer Revisionsbeantwortung die Zulässigkeit und Berechtigung der Revision; sie beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1. Das Berufungsgericht und der Beklagte sehen die Zulässigkeit der Revision darin begründet, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Schifahrer im Gegenverkehrsbereich nach rechts auszuweichen haben.

1.2. Diese Frage stellt sich im hier zu beurteilenden Fall nicht. Das Erstgericht hat festgestellt, dass die Klägerin den Beklagten erst ca eine Sekunde vor dem Aufprall bemerkt hat und daher gar nicht mehr reagieren konnte. Die Klägerin ist weder nach links noch nach rechts ausgewichen. Damit ist die Frage, in welche Richtung sie hätte ausweichen müssen, (bloß) theoretischer Natur. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0111271).

2.1. Der Beklagte begründet die Zulässigkeit der Revision zudem damit, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die FIS-Regel 5 einen Nachrang des Bergauffahrenden in Gegenverkehrsbereichen normiere. Das Berufungsgericht räumt in seiner Zulassungsbegründung ein, in diesem Zusammenhang könne ihm eine im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen sein.

2.2. Die von den verschiedenen Institutionen und Autoren ausgearbeiteten Verhaltensvorschriften für Schifahrer wie die Bestimmungen des vom österreichischen Kuratorium für Sicherung vor Berggefahren erarbeiteten Pistenordnungsentwurfs (POE-Regeln) oder die FIS-Regeln sind keine gültigen Rechtsnormen, insbesondere auch nicht Gewohnheitsrecht. Ihnen kommt aber als Zusammenfassung der Sorgfaltspflichten, die bei der Ausübung des alpinen Schisports im Interesse aller Beteiligten zu beachten sind, und bei der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass sich jeder so verhalten muss, dass er keinen anderen gefährdet, erhebliche Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0023793, RS0023410).

2.3. Nach der FIS-Regel 5 (Einfahren, Anfahren und hangaufwärts Fahren) muss jeder Skifahrer und Snowboarder, der in eine Skiabfahrt einfahren, nach einem Halt wieder anfahren oder hangaufwärts schwingen oder fahren will, sich nach oben und unten vergewissern, dass er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann. Der Unfall hier ereignete sich in einem – auch nach dem Standpunkt des Beklagten „echten“ – Gegenverkehrsbereich. Dass die FIS-Regel 5 für die Begegnung in einem solchen Gegenverkehrsbereich nicht einschlägig ist, ergibt sich sowohl aus ihrem Wortlaut als auch dem damit verfolgten Zweck (vgl 1 Ob 16/12b [Schiunfall im echten „Gegenverkehr“]). Die FIS-Regel 5 ist Ausdruck des Gedankens, dass denjenigen, der sich in atypischer Weise entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung bewegt und so eine Gefahr begründet, die andere Pistenbenützer häufig überrascht, besondere Sorgfaltspflichten treffen (RIS-Justiz RS0120377). Das Bergauffahren auf der Piste ist ein ungewöhnliches Fahrmanöver mit erhöhtem Kollisionsrisiko. Wer ein solches kollisionsgefährliches Fahrmanöver ausführen will, muss sich daher vorher von der Ungefährlichkeit seines Fahrverhaltens überzeugen (1 Ob 219/05w; Pichler, Wer hat Vorrang, wer hat Nachrang beim Schifahren, ZVR 2005, 116 ff). Es mag zwar richtig sein, dass die Klägerin bei einer festgestellten Steigung zwischen 6° und 3° streng genommen „bergauf“ fuhr, die von der FIS-Regel 5 behandelte Gefahrensituation eines plötzlich auftretenden „Gegenverkehrs“ war damit aber nicht verwirklicht. Die Piste wurde im Unfallsbereich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten vielmehr grundsätzlich in beide Richtungen befahren, weder die Klägerin noch der Beklagte bewegten sich also gegen die allgemeine Fahrtrichtung.

2.4. Wenn eine Norm – wie hier – eine klare Regelung trifft und im Auslegungsweg ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen ist, liegt auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn zu einer konkreten Fallgestaltung ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt (RIS-Justiz RS0042656; vgl auch RS0122015). Das gilt auch für FIS-Regeln (vgl RIS-Justiz RS0042656 [T15, T31] für Kollektivverträge und Ö-Normen; RS0121516 [T4] für AGB; RIS-Justiz RS0042656 [T37] und RS0121516 [T6] für Allgemeine Versicherungsbedingungen).

3.1. Nach der FIS-Regel 1 (Rücksichtnahme auf andere Schifahrer und Snowboarder) und auch schon nach allgemeinen Grundsätzen muss jeder Schifahrer und Snowboarder sich so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt. In neuralgischen Pistenbereichen, wie eben etwa einem Gegenverkehrsbereich, besteht daher eine Verpflichtung zur besonderen Vorsicht und Aufmerksamkeit sowie zur Beobachtung des „entgegenkommenden Verkehrs“ (1 Ob 16/12b [Annäherung an Pisteneinmündungen und dadurch bedingter Gegenverkehr]).

         3.2. Der Beklagte macht geltend, dass die Klägerin diesem Verhaltensgebot nicht entsprochen habe und deshalb ein erhebliches Mitverschulden vorliege.

3.3. Das Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinne voraus. Auch Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt (RIS-Justiz RS0022681, RS0032045). Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Verletzten steht die Frage im Vordergrund, ob er jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung zu verhindern oder abzuwenden (RIS-Justiz RS0022681 [T15]). Das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606 [T1], RS0022681 [T8, T10, T11]). Das gilt auch für die Frage, ob ein Mitverschulden so gering ist, dass es gegenüber dem des Beklagten gänzlich in den Hintergrund tritt und daher vernachlässigt werden kann (RIS-Justiz RS0087606 [T7]). Eine solche Einzelfallentscheidung

ist vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn eine auffallende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt (RIS-Justiz RS0044088; RS0042405). Das ist hier aber nicht der Fall.

3.4. Nach den Feststellungen wich die Klägerin einer sich am rechten Rand der Verbindungspiste befindlichen Kindergruppe aus, indem sie ihre Fahrlinie zur Pistenmitte verlagerte, um sich dann langsam mit Schlittschuhschritt unter Einsatz ihrer Stöcke weiterzubewegen. Es war entgegenkommenden Schifahrern möglich, sowohl rechts als auch links an der Klägerin vorbeizufahren. Der Beklagte fuhr mit langgezogenen Schwüngen in mittlerer Geschwindigkeit talwärts. Kurz vor dem Erreichen der Unterführung hörte er mit den Schwüngen auf und ging in die Schussfahrt über. Der Beklagte beabsichtigte die in seiner Fahrtrichtung nach rechts verlaufende Kurve auf deren Innenseite zu durchfahren. Aufgrund der von ihm gewählten Geschwindigkeit wurde er im Kurvenverlauf in Richtung Pistenmitte getragen. Aus Fahrtrichtung des Beklagten gesehen, befand sich in einem Tiefenabstand von 1 m und einem Seitenabstand von etwa 60 bis 80 cm rechts hinter der Klägerin ein weiterer Schifahrer. Nachdem der Beklagte die Klägerin und den weiteren Schifahrer wahrgenommen und erkannt hatte, dass ein Abbremsen aufgrund seiner Geschwindigkeit nicht mehr kollisionsvermeidend sein werde, beabsichtigte er, zwischen der Klägerin und dem hinter ihr befindlichen Schifahrer durchzufahren. Dieses Fahrmanöver misslang, der Beklagte fädelte mit seinem linken Bein zwischen die Beine der Klägerin ein und prallte mit seiner linken Schulter und dem Kopf gegen die linke Schulter und den Kopf der Klägerin. Anschließend stürzten die Streitteile und der sich hinter der Klägerin befindliche Schifahrer auf die Piste. Die Klägerin hatte sich vor der Kollision auf ihren rund 5 m vor ihr fahrenden Ehemann konzentriert. Feststellungen dazu, ab wann es der Klägerin grundsätzlich möglich gewesen wäre, den entgegenkommenden Beklagten wahrzunehmen, wurden nicht getroffen, auch nicht, ob die Klägerin bei gehöriger (hier wegen des Gegenverkehrs: erhöhter) Aufmerksamkeit und einem früheren Erkennen der Kollisionsgefahr den Unfall verhindern hätte können. Nach Auffassung des Berufungsgerichts bedürfe es der Klärung dieser Umstände aber schon deswegen nicht, weil auch ein allfälliger Beobachtungsfehler der Klägerin gegenüber dem besonders gefahrenträchtigen Verhalten des Beklagten derart in den Hintergrund treten würde, dass dieser bei der Verschuldensabwägung zur Gänze vernachlässigt werden könnte. Der Beklagte habe eine der konkreten Situation nicht angepasste Geschwindigkeit eingehalten und sei aufgrund dieser im Kurvenverlauf in Richtung Pistenmitte getragen worden. Er habe die Klägerin erst kurz vor der Kollision wahrgenommen und aufgrund seiner Geschwindigkeit nicht mehr kollisionsverhindernd anhalten können. Das von ihm geplante Fahrmanöver („Durchschlängeln“ zwischen der Klägerin und einem hinter ihr fahrenden weiteren Schifahrer) sei misslungen. Demgegenüber sei von der Klägerin in der konkreten Situation (Fortbewegung durch Schlittschuhschritt mit Stockeinsatz) nicht zu erwarten, dass sie sich ausschließlich auf entgegenkommende Schifahrer konzentriere, diese unablässig mit besonderer Aufmerksamkeit beobachte und sich am äußersten Pistenrand bewege. Mit angepasster Geschwindigkeit fahrende Schifahrer hätten sowohl rechts als auch links an der Klägerin vorbeifahren können. Damit, dass der Beklagte infolge der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit in Richtung Pistenmitte getragen werde und dem von ihm zur Vermeidung einer Kollision geplanten Fahrmanöver, habe sie nicht zu rechnen brauchen.

Diese Beurteilung des Berufungsgerichts ist jedenfalls vertretbar. Zwar ist nach den bisherigen Feststellungen ein (kausaler) Aufmerksamkeitsverstoß der Klägerin nicht auszuschließen. Einem damit allenfalls verbundenen Mitverschulden der Klägerin steht jedoch ein besonders grober Verstoß des Beklagten gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht (vgl RIS-Justiz RS0023345; RS0023544; RS0023868; RS0023686) und zur kontrollierten Fahrweise (vgl RIS-Justiz RS0023429; RS0023267) gegenüber (vgl FIS-Regel 2 [Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise]). Der Beklagte fuhr in einem Gegenverkehrsbereich in eine übersichtliche Kurve mit einer situativ so stark überhöhten Geschwindigkeit ein, dass er die Kontrolle über seine Fahrlinie verlor.

4.1. Die außerordentliche Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass diese – auch ohne ausdrücklichen Zurückweisungsantrag – der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente (RIS-Justiz RS0112296; RS0035962 [T28]; RS0035979 [T22]).

Textnummer

E121722

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00011.18F.0515.000

Im RIS seit

18.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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