TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/29 W271 2170519-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2018
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Entscheidungsdatum

29.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W271 2170154-2/22E

W271 2170519-1/21E

Schriftliche Ausfertigung der am 05.04.2018 verkündeten Erkenntnisse

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2017, Zl. XXXX , nach der Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 06.02.2018 und 05.04.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2017, Zl. XXXX , nach der Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 06.02.2018 und 05.04.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. XXXX (in der Folge "Erstbeschwerdeführer" oder "BF1"), und XXXX (in der Folge "Zweitbeschwerdeführer" oder "BF2") sind Brüder (gemeinsam: "BF" oder "Beschwerdeführer"). Beide sind afghanische Staatsangehörige der Volksgruppe der Hazara und stellten am 06.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der am 08.05.2015 durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion

XXXX gab der BF1 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in XXXX , Afghanistan (Behsud), geboren worden, habe sein Herkunftsland im Kindesalter verlassen und habe seitdem in XXXX Iran, in schlechten finanziellen Verhältnissen gelebt. Er habe die Grundschule von 1996 bis 2001 in XXXX besucht und später als Hilfsarbeiter gearbeitet. Der BF1 gab an, über eine Familie zu verfügen: Diese bestehe aus seinen Eltern (Vater ca. 67 Jahre alt und Mutter ca. 51 Jahre alt) und seinem mitgereisten Bruder. Zwei weitere Brüder (Zwillinge) seien im Kindesalter bei einem Bombenattentat in Afghanistan verstorben.

Als Fluchtgrund führte der BF1 an, dass er im Iran von der Polizei angehalten und beschimpft worden sei. Diese hätte ihn und seinen Bruder nach Afghanistan abgeschoben, weil er einen Polizeibeamten gefragt habe, wieso er ihn beschimpfe. Der BF1 und sein Bruder hätten Flüchtlingskarten gehabt. In Afghanistan herrsche Krieg und Unsicherheit, viele Hazara würden getötet werden, weil diese Schiiten seien. Aus Angst um ihr Leben hätten die Brüder die Flucht beschlossen. Das seien ihre einzigen Fluchtgründe.

3. Der BF2 gab in seiner Erstbefragung am selben Tag an, dass er am

XXXX in Kashan, XXXX , Iran, geboren worden sei und dort von 2006 bis 2010 die Grundschule besucht habe. Zuletzt habe er als Teppichknüpfer gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF2 an, dass in Afghanistan zwei seiner Brüder druch Bomben getötet worden seien. Im Iran hätten sie keine Rechte gehabt und die Iraner hätten seine Aufenthaltskarte weggenommen und zerrissen. Er sei geschlagen und misshandelt und danach nach Afghanistan abgeschoben worden. Mit seinem Bruder sei der BF2 wieder illegal in den Iran gereist. Seine einzigen Fluchtgründe seien, dass in Afghanistan Krieg herrsche und er im Iran keine Dokumente habe. Zudem würde er, wenn er wieder aufgegriffen werde, neuerlich nach Afghanistan zurückgeschickt werden. Er habe Angst in Afghanistan getötet zu werden, weil er ein Hazara sei.

4. Aufgrund von Zweifeln an der Altersangabe des BF2 wurde ein Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung eingeholt und dessen Geburtsdatum mit dem XXXX festgelegt.

5. Am 19.01.2017 erfolgte die Einvernahme des BF1 vor dem BFA. Der BF1 sei in Behsud, XXXX , geboren worden und habe dort bis zu seinem zweiten Lebensjahr gelebt. Danach sei er mit seinen Eltern in den Iran gezogen. Seine Mutter lebe nach wie vor in Kashan, XXXX , Iran. Sein Vater sei im Jahr 2015 an Krebs verstorben. Der BF1 habe von 1996 bis 2001 eine Grundschule und von 2001 bis 2002 eine Hauptschule besucht. Ab dem 16. Lebensjahr habe er als Hilfsarbeiter gearbeitet. Die Mutter sei Teppichknüpferin gewesen und sein kleiner Bruder habe ihr manchmal dabei geholfen.

Der BF1 habe durch Freunde erfahren, dass es in Teheran eine Arbeitsstelle gebe und er sei daher mit seinem Bruder ohne Genehmigung dorthin gefahren (die Einholung einer Genehmigung sei aufgrund eines Feiertages nicht möglich gewesen). Auf dem Weg seien diese in der Stadt XXXX von der Polizei aufgehalten und ohne Genehmigung erwischt worden. Der Polizist habe sie beleidigt und ihnen ihre Aufenthaltsberechtigungskarten für den Iran weggenommen. Als sich der BF1 in Haft befunden habe, habe er von einem Polizisten die Auskunft erhalten, dass er diese nur zurückbekomme, wenn er nach Syrien gehe. Daraufhin seien er und sein Bruder nach Afghanistan abgeschoben worden. In Afghanistan hätten sie sich in einem Hotel in Herat aufgehalten und der BF1 habe zusammen mit seinem Bruder nach einem Schlepper gesucht, der diese schlussendlich auch zurück in den Iran gebracht habe.

In Afghanistan habe der BF1 nicht bleiben wollen, weil es ein fremdes Land sei, er dort niemanden kenne und sie Hazara und Schiiten seien. Die Mutter des BF1 sei in Sorge, dass der BF1 in Afghanistan von den Taliban getötet werde oder er vom Iran aus nach Syrien geschickt werde. Deswegen habe der BF1 wieder zu ihr in den Iran müssen.

Der BF1 führte an, dass seine Eltern Afghanistan verlassen hätten, da es viele kleinere Anschläge gegen die Hazara gegeben habe, aber nicht durch die Taliban. Der Bombenanschlag, bei dem seine beiden Brüder ums Leben gekommen seien, sei ausschlaggeben für die Ausreise gewesen. Der BF1 könne nicht nach Afghanistan, weil er dort niemanden kenne und außerdem sei er Hazara und Schiit.

6. Der BF2 gab im Rahmen seiner Befragung vor dem BFA am selben Tag an, dass er in Kashan, XXXX , Iran geboren worden sei und dort eine Grundschule von 2006 bis 2010 besucht habe. Seit seinem zehnten Lebensjahr habe er als Teppichknüpfer und ab seinem 14. Lebensjahr als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Der BF2 habe keine Aufenthaltskarte mehr im Iran gehabt, weil die Polizei ihm diese weggenommen habe. Er hätte diese nur zurückbekommen, wenn er nach Syrien kämpfen gegangen wäre. Da sich der BF2 geweigert habe, sei er zusammen mit seinem Bruder nach Afghanistan abgeschoben worden. In Afghanistan habe er keine Zukunft, weil sein Leben als Schiite und Hazara in Gefahr sei. Er wäre in beiden Ländern umgebracht worden. Im Falle einer Rückkehr könne das, was seinen Brüdern passiert sei auch ihm passieren; Taliban und IS seien hinter den Hazara her.

7. Am 16.08.2017 wurden die Beschwerdeführer erneut vor dem BFA befragt, um unter anderem zu den beiden eingeholten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 13.06.2017 (Nachforschungen im Iran) Stellung zu nehmen.

8. Mit Bescheid vom 22.08.2017 wies die belangte Behörde jeweils den Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte jeweils fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

9. Die Beschwerdeführer erhoben gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde (der BF1 am 04.09.2017, der BF2 am 07.09.2017).

10. Die Beschwerdevorlagen erfolgten mit Schreiben vom 06.09.2017 bzw. 08.09.2017. Am 13.09.2017 langten die Akte beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch "BVwG") ein.

11. Das BVwG ersuchte die Staatendokumentation am 19.01.2018 um Informationen bezüglich der Behandlungsmöglichkeit von Magenerkrankungen in Kabul sowie der Erhältlichkeit eines Medikamentes an und erhielt ein Antwortschreiben am 30.01.2018.

12. Das BVwG führte am 06.02.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und Farsi und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung wurden an die Beschwerdeführer zwei Medcoi-Berichte (BDA-20180110-AF-6713; BDA-20160616-AF-6306) ausgehändigt.

13. Mit Eingabe vom 12.12.2018 reichte der BF2 eine Arztbestätigung vom 09.02.2018 nach.

14. Das BFA übersandte eine Stellungnahme, datiert mit 14.02.2018, mit Bezugnahme auf die Verhandlung.

15. Das BVwG erhielt am 20.02.2018 ein Antwortschreiben auf eine weitere Anfrage bei der Staatendokumentation vom 15.02.2018 hinsichtlich Informationen zu der Erhältlichkeit von drei Medikamenten in Kabul.

16. Am 05.04.2018 fand eine weitere Verhandlung in der Sache in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Persönliche Angaben der Beschwerdeführer

1.1.1. Zu BF1

1.1.1.1. Der BF1 trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Hazara und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben (Jahfari). Der BF1 spricht Hazaragi (Dialekt von Dari), Farsi und Türkisch. BF1 hatte keine Verständigungsschwierigkeiten bei der jeweils in Dari durchgeführten Ersteinvernahme und der Einvernahme vor dem BFA. Er ist volljährig (etwa Ende Zwanzig), ledig und kinderlos. Der BF1 wurde in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Besud, Dorf XXXX , geboren. Als er etwa zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Kashan, XXXX , Iran, wo der BF1 lebte.

1.1.1.2. Von 1996 bis 2001 besuchte der BF1 eine Grundschule in XXXX sowie von 2001 bis 2002 eine Hauptschule in XXXX (beides Bezirke in Kashan). Er arbeitete spätestens seit seinem 16. Lebensjahr als Hilfsarbeiter, unter anderem in Teppichfabriken, auf Baustellen, als Schweißer oder Monteur von Fenstern und Türen; er arbeitete bis zur Ausreise. Der BF1 konnte im Iran für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Die finanzielle Lage war nicht gut, doch hatte sich BF1 daran gewöhnt und war zufrieden damit.

1.1.1.3. Der BF1 hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat und war nicht politisch tätig. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft.

1.1.1.4. Zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA war der BF1 vollkommen gesund. Er litt zum Zeitpunkt der zweiten mündlichen Verhandlung an den Armen an Skabies ("Krätzmilbe"), einer juckenden Hauterkrankung. Der Arzt gab ihm neben Cremen und einem Pulver Hygienetipps und den Rat, das schimmelbefallene, feuchte Zimmer, in dem die Beschwerdeführer zu zweit wohnen, zu wechseln und die Krankheit würde heilen. Der BF1 hat außerdem eine leichte Sehschwäche. Dass es ihm psychisch nicht gut geht, konnte hingegen nicht festgestellt werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Er ist arbeitsfähig.

1.1.1.5. In Österreich hat der BF1 nur seinen Bruder, mit dem er zusammen lebt, und sonst keine Verwandten. Der Cousin des BF1 (Sohn des Onkels mütterlicherseits) ist in Schweden anerkannter Asylwerber; Kontakt besteht derzeit nicht.

1.1.1.6. Der BF1 geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, er lebt in Österreich von der Grundversorgung und besuchte einen A1-Deutschkurs und einen Werte- und Orientierungskurs. Er kann nur sehr wenig Deutsch und lernt die Sprache selbst mit Hilfe von Youtube. Der BF1 arbeitet nicht und hat sich nicht beim AMS um eine Arbeitsbewilligung bemüht. Er war ein- oder zweimal ehrenamtlich in der Kirche tätig und früher bei seinem Unterkunftsgeber. In seiner Freizeit geht er mit Bekannten Fußball spielen oder setzt sich mit diesen in den Park zum Unterhalten.

1.1.1.7. Der BF1 hatte im Iran und hat in Österreich afghanische Freunde bzw. Bekannte. Er hat kaum Kontakt mit Österreichern. Für BF1 und BF2 wurde ein Empfehlungsschreiben von einer österreichischen Familie ausgestellt.

1.1.1.8. Der BF1 ist in Österreich nicht vorbestraft, er war nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und hat keine Verwaltungsstrafe begangen.

1.1.1.9. BF1 beschrieb die von ihm angenommene Einstellung der Afghanen gegenüber Frauen so, dass diese aus seiner Sicht schlecht behandelt werden, sich nicht frei kleiden dürfen und nichts bedeuten; nicht einmal ein Gespräch dürften sie mit einem Mann führen, weil sie ansonsten gesteinigt würden. Der BF1 denkt nicht so und sieht darin den Unterschied zwischen seiner Einstellung und jener der anderen Menschen, die in Afghanistan leben. BF1 führte keine Informationen über eine Gefahr an, die nur ihm in Afghanistan droht. BF1 kritisierte, dass es im Iran keine Meinungsfreiheit gebe und er hinsichtlich der Wahl seiner Kleidung, seiner Frisur und Partnerin eingeschränkt sei. Die Erfahrungen des BF1 mit "westlicher" Kleidung beschränken sich auf seinen kurzen Aufenthalt im Herat zwischen seiner Abschiebung aus dem Iran und seiner Ausreise nach Europa. Wegen seines Sprachakzents und seiner äußerlichen Erscheinung wurde gleich erkannt, dass er aus dem Ausland kommt und gefragt, ob er einen Schlepper benötige. BF1 gab an, das traditionelle afghanische Männergewand nicht zu mögen und es nicht gerne zu tragen; schlimm findet er das traditionelle Männergewand jedoch nicht. BF1 gab an, dass es in Afghanistan auch einige Leute gibt, die Hosenanzug und Anzüge tragen. Mit Problemen wegen seiner aktuellen Einstellung rechnet der BF1 nicht. Er rechne aber, sollte er seine Religion zum Christentum ändern wollen, mit Problemen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF1 derzeit zum Christentum konvertieren möchte.

1.1.2. Zu BF2

1.1.2.1. Der BF2 trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Hazara und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben (Jahfari). Der BF2 spricht Hazaragi (Dialekt von Dari) und Farsi. BF2 hatte keine Verständigungsschwierigkeiten bei der jeweils in Dari durchgeführten Ersteinvernahme und der Einvernahme vor dem BFA. Er ist volljährig (etwa Anfang Zwanzig), ledig und kinderlos. Er wurde in Kashan, XXXX , Iran, geboren, wo der BF2 lebte. Der BF2 war - abgesehen vom kurzen Aufenthalt in Herat - nie in Afghanistan.

1.1.2.2. Von 2006 bis 2010 besuchte der BF2 eine Grundschule in Kashan. Er arbeitete spätestens seit seinem zehnten oder elften Lebensjahr als Teppichknüpfer und seit seinem 14. Lebensjahr als Hilfsarbeiter; er arbeitete bis zur Ausreise. Der BF2 konnte im Iran für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Die finanzielle Lage des BF2 im Iran war schlecht aber nicht aussichtslos.

1.1.2.3. Der BF2 hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat und war nicht politisch tätig. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft.

1.1.2.4. Der BF2 leidet an Magenbeschwerden. Früher nahm er dagegen bei Bedarf XXXX -Tabletten ein, aktuell nimmt er die Medikamente XXXX , XXXX , XXXX und XXXX zu sich. Diese Medikamente sind auch in Kabul verfügbar. Der BF2 nahm bereits im Iran verschiedene Medikamente. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF2 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Er ist arbeitsfähig.

1.1.2.5. In Österreich hat der BF2 nur seinen Bruder, mit dem er zusammen lebt, und sonst keine Verwandten. Der Cousin des BF2 (Sohn des Onkels mütterlicherseits) ist in Schweden anerkannter Asylwerber; Kontakt besteht derzeit nicht.

1.1.2.6. Der BF2 geht außer dem Schulbesuch keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, er lebt in Österreich von der Grundversorgung und besucht bzw. besuchte Deutschkurse, einen Werte- und Orientierungskurs und einen Integrationskurs und arbeitete an einem Zeitungsworkshop für Asylwerber mit. Er kann ganze Sätze mit lediglich kleinen Fehlern auf Deutsch formulieren und frequentiert die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Der BF2 arbeitet nicht und möchte künftig eine Lehre machen. Er war ein- oder zweimal ehrenamtlich in der Kirche tätig und früher bei seinem Unterkunftsgeber.

1.1.2.7. Der BF2 hatte im Iran und hat in Österreich afghanische Freunde bzw. Bekannte. Er hat viele österreichische Freunde in der Schule. Für BF1 und BF2 wurde ein Empfehlungsschreiben von einer österreichischen Familie ausgestellt.

1.1.2.8. Der BF2 ist in Österreich nicht vorbestraft, er war nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und hat keine Verwaltungsstrafe begangen.

1.1.2.9. BF2 ist der Ansicht, wegen seiner Lebensweise, seiner politischen, gesellschaftlichen und religiösen Einstellung in Kabul verfolgt zu werden; eine Feststellung dazu konnte jedoch nicht getroffen werden. Wie auch sein Bruder schätzt BF2 die Religions- und Meinungsfreiheit und die - im Vergleich zu Afghanistan - bessere Situation für Frauen in Österreich. Weitere Feststellungen hinsichtlich seiner Einstellungen, insbesondere nach einer "westlichen Orientierung" und einer möglicherweise unterstellten "politischen Einstellung" konnten nicht getroffen werden. BF2 gab an, dass Männer in Herat sowohl das traditionell-afghanische Männerkleid, welches der BF2 nicht schätzt, als auch Hose mit T-Shirt oder Hemd trugen, wobei letztere oft rückkehrende oder abgeschobene Afghanen aus dem Iran waren. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF2 in Afghanistan gezwungen wäre, das traditionelle Männergewand zu tragen.

1.2. Zur Familie der Beschwerdeführer

1.2.1. Der Grund für die Ausreise der Eltern der Beschwerdeführer aus Afghanistan im Jahr 1991 waren viele kleinere Anschläge gegen die Hazara. Ausschlaggebend für die Ausreise war ein Vorfall, bei dem zwei Brüder der Beschwerdeführer im Kindesalter ums Leben kamen. Es konnte nicht genau festgestellt werden, wodurch die Zwillinge verstarben und wie alt diese genau waren, als sie verstarben; es handelte sich dabei entweder um eine Mine oder Bombe. Nicht festgestellt werden konnte, dass dies ein gezielter Anschlag auf die Brüder bzw. die Familie der Beschwerdeführer war. Die Familie zog daraufhin nach Kashan, XXXX , Iran, wo die Beschwerdeführer im Kreise ihrer afghanischen Familie aufwuchsen und dadurch mit der afghanischen Lebensweise in Kontakt traten.

1.2.2. Die Mutter der Beschwerdeführer lebt nach wie vor in Kashan, Iran. Sie war Teppichknüpferin, arbeitet derzeit aber nicht, weil sie verschiedene gesundheitliche Probleme hat. Sie wohnt aktuell bei einem Onkel mütterlicherseits namens XXXX . Die Beschwerdeführer sparen und schicken der Mutter Geld. Sie haben regelmäßig Kontakt zu ihrer Mutter und manchmal zum Onkel.

1.2.3. Der Vater der Beschwerdeführer war im Iran Arbeiter auf diversen Baustellen und verstarb an Krebs. Der Vater starb, als die Beschwerdeführer bereits in Österreich waren zwischen 2015 und 2016.

1.2.4. Die Beschwerdeführer haben bis auf die Familie des Onkels mütterlicherseits keine weiteren Familienangehörigen in Afghanistan. Es gibt eine Dame, die wie eine Schwester für ihre Mutter ist, weshalb die Beschwerdeführer diese "Tante" nennen.

1.3. Zu den Fluchtgründen

1.3.1. BF1 und BF2 haben im Iran Schwierigkeiten und ua ethnische Diskriminierung erlebt. Vor der gemeinsamen Ausreise in Richtung Europa wurden die Beschwerdeführer zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vom Iran nach Afghanistan abgeschoben, weil sie keine gültigen Aufenthaltskarten hatten und nicht nach Syrien in den Krieg ziehen wollten. Sie verbrachten daraufhin drei Tage in Herat in einem Hotel und verließen dieses nur, um einen Schlepper zu finden; die Beschwerdeführer erhielten während ihrer Zeit in Herat finanzielle Unterstützung durch die Eltern. Gleich darauf reisten der BF1 und der BF2 illegal in den Iran ein. Wie lange sich die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr dort aufhielten, konnte nicht festgestellt werden. Aus Angst vor einer erneuten Abschiebung nach Afghanistan machten sie sich auf den Weg nach Europa und gelangten über mehrere Etappen weiter nach Österreich, wo sie am 06.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass in Afghanistan eine gegen die Beschwerdeführer persönlich gerichtete Handlung oder Maßnahme, insbesondere nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religionszugehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit einer sozialen Gruppe, gesetzt wurde, unmittelbar bevorstand oder ihnen im Fall einer Rückkehr in ganz Afghanistan drohen würde.

1.3.2. Die Ausreise nach Europa wurde durch den BF1 organisiert. Das Geld dafür stammte zum Teil aus Ersparnissen der Mutter, der Rest wurde von den Beschwerdeführern finanziert und ein Teil von Freunden des Onkels ausgeborgt; die Schulden dafür wurden bereits beglichen. Die Ausreise wurde in mehreren Teilbeträgen bezahlt; je 2 Mio iranische Toman kostete die Reise vom Iran in die Türkei; von der Türkei bis nach Griechenland wurden USD 1.500,00 aufgebracht und von Griechenland bis nach Österreich bezahlten die Beschwerdeführer ca. EUR 3.000,00.

1.4. Situation im Herkunftsstaat

1.4.1. Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

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The Guardian (22.1.2018)

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017 (Stand 21.12.2017)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierenden Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verluste aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017).

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten Großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichneten in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In

Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im si

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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