TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/29 W135 2188172-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2018
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Entscheidungsdatum

29.05.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W135 2188172-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz TROMPISCH als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 13.02.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist seit 07.04.2006 Inhaberin eines Behindertenpasses, in welchem ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v. H. (festgestellte Funktionseinschränkungen: 1. Zustand nach Subarachnoidalblutung, 2. reaktive Depressio und 3. Bandscheibenvorfall Th 11/12, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule) ausgewiesen ist. Sie brachte am 01.07.2014 einen (ersten) Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde) ein, welcher mit Bescheid vom 19.11.2014 abgewiesen wurde.

Die Beschwerdeführerin brachte am 14.11.2017 bei der belangten Behörde einen (zweiten) Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass ein und gab als neue Gesundheitsschädigung "Borderline" an.

Die belangte Behörde holte ein allgemeinärztliches Sachverständigengutachten ein, welches am 11.02.2018, nach einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 07.02.2018, erstellt wurde. Die Sachverständige hält darin wie folgt fest:

"Anamnese:

Antragsleiden: Borderline

Siehe auch VGA vom 08.09.2014 bezüglich Ablehnung der ZE "Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel"

Siehe auch VGA vom 15.11.2005 Zustand nach Subarachnoidalblutung und derzeit bestehender Hemisymptomatik links 50%, Schwere reaktive Depressio 30%, Bandscheibenvorfall Th 11/12, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule 40%, GesamtGdB 70%

Derzeitige Beschwerden:

Ich war schon zwei Mal auf der Psychiatrie aufgenommen wegen Selbstmordversuchen 2010 und 2011. Weihnachten 2016 habe ich zwar keinen Selbstmordversuch probiert, bin aber in die Psychiatrie gefahren damit ich es nicht tue. Dort ist eine Borderline-Störung und eine Angststörung festgestellt worden. Ich bin nun bei Frau Mag. Gatternig in Psychotherapie. Da habe ich letztes Jahr 30 Stunden bewilligt bekommen. Ich bin in der Regel alle zwei Wochen dort. Bei Dr. Beck, meinem Neurologen bin ich in unregelmäßigen Abständen. Seit meiner Scheidung geht es mir nicht gut. Damit komme ich nach wie vor überhaupt nicht zurecht.

Behandlung(en)/Medikamente/Hilfsmittel:

Amelior, Tolvon, Interium, Venlafaxin, Seraporam, Xanor, Psychopax bei Bedarf

Sozialanamnese:

geschieden, 1 behinderten Sohn, in Pension

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

KFJ vom 27.12.2016

Rezidivierende depressive Störung, nicht näher bezeichnet, Monopolare Depression o.n.A. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Persönlichkeit(sstörung): agressiv, Borderline, reizbar (explosiv)

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: gut

Größe: 166,00 cm Gewicht: 61,00 kg Blutdruck: 120/70

Klinischer Status - Fachstatus:

58 Jahre

Haut/farbe: rosig sichtbare Schleimhäute gut durchblutet

Caput:, Visus: unauffällig Hörvermögen nicht eingeschränkt

keine Lippenzyanose, Sensorium: altersentsprechend, HNA frei

Collum: SD: schluckverschieblich, keine Einflussstauung,

Lymphknoten: nicht palpabel

Thorax. Symmetrisch, elastisch

Cor: Rhythmisch, rein normfrequent

Pulmo: Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe

Abdomen: Bauchdecke: weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen tastbar, Hepar am Ribo, Lien nicht palp. Nierenlager: Frei.

Pulse: Allseits tastbar

Obere Extremität: Symmetrische Muskelverhältnisse. Nackengriff und Schürzengriff bds. uneingeschränkt durchführbar, grobe Kraft links mittelgradig vermindert, Faustschluß bds und Spitzgriff rechts durchführbar, links nicht durchführbar. Die übrigen Gelenke altersentsprechend frei beweglich. Sensibilität wird links als vermindert angegeben,

Untere Extremität: Zehenspitzen und Fersenstand sowie Einbeinstand bds. wird nicht durchgeführt (Mangelnde Compliance), linkes Bein kaum von der Unterlage abhebbbar, Tonus links erhöht, grobe Kraft links distal betont vermindert, freie Beweglichkeit in Hüftgelenken und Kniegelenken, bandstabil, kein Erguss, symmetrische Muskelverhältnisse, Sensibilität wird unauffällig angegeben keine Varikositas, keine Ödeme bds.,

Wirbelsäule: Kein Klopfschmerz, Finger-Bodenabstand im Stehen: 30 cm,

Rotation und Seitwärtsneigung in allen Ebenen wird eingeschränkt durchgeführt

Gesamtmobilität - Gangbild:

normales Gangbild

Status Psychicus:

bewusstseinsklar, orientiert, kein kognitives-mnestisches Defizit,

Gedankenstruktur: geordnet, kohärent, keine Denkstörung, Konzentration ungestört, Antrieb vermindert, Stimmungslage depressiv, keine produktive Symptomatik

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

Zustand nach Subarachnoidalblutung und derzeit bestehender Hemisymptomatik links

2

Schwere reaktive Depressio, Borderline

3

Bandscheibenvorfall Th 11/12, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

...

Gutachterliche Stellungnahme:

Es liegen keine erheblichen Funktionsstörungen der oberen und unteren Extremitäten, sowie der Wirbelsäule vor. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist selbständig möglich. Bei ausreichend guten Kraftverhältnissen der oberen und unteren Extremitäten ist das Ein- und Aussteigen ohne fremde Hilfe zumutbar. Ein sicherer Transport in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist unter üblichen Transportbedingungen möglich. Aufenthalt und Orientierung in öffentlichen Räumen ist trotz depressiver Störung, möglich und begründen nicht die Unzumutbarkeit der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel."

Mit angefochtenem Bescheid vom 13.02.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung" in den Behindertenpass ab. In der Begründung stützte sich die belangte Behörde auf das im vorangegangenen Ermittlungsverfahren eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, nach welchem die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Die Ergebnisse dieses ärztlichen Begutachtungsverfahrens wurden als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt. Mit dem Bescheid wurde der Beschwerdeführerin das ärztliche Sachverständigengutachten übermittelt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26.02.2018 Beschwerde. Sie bringt darin im Wesentlichen vor, dass es neben den Nachwirkungen ihrer Gehirnblutung, den starken Depressionen, welche auch zu zwei Selbstmordversuchen geführt hätten, nun noch eine weitere Diagnose gäbe, nämlich Borderline. Diese Krankheit mache es ihr unmöglich sich in Räumen mit mehreren Personen aufzuhalten. Die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel sei ihr daher nicht zumutbar. Diese Diagnosen wären von einem Neurologen bzw. Psychiater zu begutachten und nicht von einer Ärztin für Allgemeinmedizin, da es dieser an notwendiger Fachausbildung fehle, eine Erkrankung dieser Schwere einzuschätzen.

Die Beschwerdeführerin legte ihrer Beschwerde keine weiteren Befunde bei. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht gestellt.

Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 05.03.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines gültigen Behindertenpasses, in welchem ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v. H. ausgewiesen ist.

Bei der Beschwerdeführerin liegen folgende dauernde Funktionseinschränkungen vor:

1. Zustand nach Subarachnoidalblutung und derzeit bestehender Hemisymptomatik links

2. Schwere reaktive Depressio, Borderline

3. Bandscheibenvorfall Th 11/12, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Die Beschwerdeführerin weist ein normales Gangbild auf. Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der unteren oder oberen Extremitäten vor. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist der Beschwerdeführerin selbständig möglich.

Der Aufenthalt und die Orientierung in öffentlichen Räumen sind trotz der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Borderline-Persönlichkeitsstörung möglich.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Funktionseinschränkungen beruhen auf dem von der belangten Behörde veranlassten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 11.02.2018, welches oben im Detail wiedergegeben wurde.

Die Ausführungen der beigezogenen Sachverständigen sind vor dem Hintergrund des umfassenden Untersuchungsbefundes nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchsfrei. In die Beurteilung der Sachverständigen ist auch der von der Beschwerdeführerin mit dem gegenständlichen Antrag einzig vorgelegte Patientenbrief vom 27.12.2016 über einen stationären Aufenthalt in einer Psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses, in welchem die Diagnosen "F33.9 Rezidivierende depressive Störung, nicht näher bezeichnet, Monopolare Depression o.n.A., F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Persönlichkeit(störung): agressiv, Borderline, reizbar (explosiv)" angeführt werden, miteingeflossen.

In Zusammenschau mit dem bei der Untersuchung am 07.02.2018 erstellten Untersuchungsbefund ergibt sich schlüssig die von der Gutachterin vorgenommene Feststellung, dass bei der Beschwerdeführerin ein normales Gangbild vorliegt. Es besteht eine freie Beweglichkeit in beiden Hüft- und Kniegelenken. Die Muskelverhältnisse betreffend die unteren Extremitäten sind symmetrisch gegeben. Trotz verminderter grober Kraft der linken unteren Extremität sind die Kraftverhältnisse insgesamt ausreichend gut vorhanden und ist der Beschwerdeführerin das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke selbständig möglich, weshalb auch die entsprechende Feststellung getroffen wurde.

Auch die oberen Extremitäten sind frei beweglich. Demnach konnte die Feststellung getroffen werden, dass bei der Beschwerdeführerin keine erheblichen Einschränkungen der unteren oder oberen Extremitäten vorliegen.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin trotz der (unstrittig) vorliegenden Borderline-Persönlichkeitsstörung in der Lage ist sich in öffentlichen Räumen aufzuhalten, basiert ebenfalls auf dem ärztlichen Sachverständigengutachten. Die Sachverständige führte in ihrem Gutachten unter dem Punkt "gutachterliche Stellungnahme" aus, dass der Aufenthalt und die Orientierung in öffentlichen Räumen trotz depressiver Störung möglich sind und daher nicht die Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel begründet werden kann. Wie bereits festgehalten, berücksichtigt die Sachverständige bei ihrer gutachterlichen Stellungnahme den von der Beschwerdeführerin vorgelegten psychiatrischen Befund vom 27.12.2016, welcher mit der gutachterlichen Einschätzung der Sachverständigen nicht im Widerspruch steht.

Festzuhalten ist weiters, dass auch den Symptomen zu der im Befund vom 27.12.2016 gestellten Diagnose F60.3 nach ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) "Emotional instabile Persöndlichkeitsstörung, Persönlichkeits(störung): aggressiv, Borderline, reizbar (explosiv)" nicht entnommen werden kann, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bzw. der Aufenthalt in diesen unzumutbar wäre.

Dass sich die Beschwerdeführerin mangels psychischer Fähigkeiten nicht in Räumen mit mehreren Personen aufhalten könne, wie sie in ihrer Beschwerde ausführt, ist aus dem vorgelegten Befund daher nicht ersichtlich. Mit der Beschwerde legte die Beschwerdeführerin auch keine neuen medizinischen Beweismittel vor.

In der Beschwerde moniert die Beschwerdeführerin weiters, dass der im Verfahren beigezogenen Ärztin für Allgemeinmedizin die nötige Fachausbildung fehle und die Beschwerdeführerin daher von einem Neurologen/Psychiater zu begutachten wäre. Mit diesem Vorbringen tritt die Beschwerdeführerin dem Sachverständigengutachten vom 11.02.2018, welches nach Würdigung des erkennenden Gerichtes die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen erfüllt und als vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei anzusehen ist, nicht substantiiert entgegen. Die beigezogene Sachverständige hat in nachvollziehbarer Weise dargestellt, dass die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Borderline-Persönlichkeitsstörung keine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bewirkt.

Das Sachverständigengutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin vom 11.02.2018 wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG können im Behindertenpass auf Antrag des behinderten Menschen zusätzliche Eintragungen vorgenommen werden, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen.

Gemäß § 45 Abs. 1 leg.cit. sind Anträge auf Vornahme einer Zusatzeintragung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) einzubringen.

Nach § 47 leg.cit. ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.

In Ausübung dieser Ermächtigung wurde die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II 495/2013, erlassen.

Der für die hier begehrte Zusatzeintragung relevante § 1 Abs. 4 Z 3 der zitierten Verordnung hat folgenden Wortlaut:

"§ 1 ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls

einzutragen: 1. ... 2. ...

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und - erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder - erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder - erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder - eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder - eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen."

In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:

"§ 1 Abs. 2 Z 3:

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

...

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-

anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID - sever combined immundeficiency),

-

schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-

fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-

selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-

vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

-

laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

-

Kleinwuchs,

-

gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

-

bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar."

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde im oben in den wesentlichen Teilen wiedergegebenen, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basierenden und einen ausführlichen Untersuchungsbefund beinhaltenden Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 11.02.2018 nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin - trotz der bei ihr unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und unter Berücksichtigung dieser - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen. Bei der Beschwerdeführerin sind ausgehend von diesem Sachverständigengutachten aktuell keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der oberen und unteren Extremitäten, aber auch keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit - diese betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen -, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen und auch nicht das Vorliegen einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen objektiviert.

Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten, sie hat kein Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Annahmen und Schlussfolgerungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien und sie hat im Rahmen der Beschwerde auch keine Unterlagen vorgelegt, die Hinweise auf ein zusätzliches Dauerleiden oder aber auf eine wesentliche Änderung gegenüber den bereits im Verfahren vor der belangten Behörde berücksichtigten Leiden ergeben würden.

Betreffend den Einwand in der Beschwerde, die sachverständige Begutachtung der Beschwerdeführerin hätte durch einen Facharzt für Neurologie/Psychiatrie erfolgen müssen, ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen die Beiziehung von Ärzten eines bestimmten Fachbereiches nicht zwingend anordnet (vgl. VwGH 17.08.2016, Ra 2016/11/0095).

Da aus den dargelegten Gründen die Voraussetzungen für die gegenständliche Zusatzeintragung nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Fragen der Art und des Ausmaßes der Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurden unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Betreffend die Frage, ab wann die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass gerechtfertigt ist, konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ohnehin klare Rechtslage des BBG bzw. der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen. Dass bei der Beurteilung dieser Frage ein medizinischer Sachverständiger beizuziehen ist, gründet auf der - an entsprechender Stelle angeführten - ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W135.2188172.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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