TE Vwgh Beschluss 2018/5/18 Ra 2018/01/0189

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.05.2018
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1P;
E3R E19103000;
E3R E19104000;
E6J;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;
32003R1560 Dublin-II DV Art8;
32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1;
62016CJ0578 C. K. VORAB;
AsylG 2005 §5 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
MRK Art3;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des H G A E in W, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Jänner 2018, Zl. W185 2163089-1/14E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen Ägyptens, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 1. Juni 2017, mit dem sein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen, die Zuständigkeit Tschechiens für die Prüfung des Antrages ausgesprochen, gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) die Außerlandesbringung angeordnet und gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Tschechien für zulässig erklärt worden war, als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

2 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - zusammengefasst und soweit entscheidungsrelevant - aus, dass neben sonstigen näher festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen es beim Revisionswerber etwa durch Bagatellverletzungen, wie etwa das Anstoßen des Kopfes, zu Einblutungen in das Gehirn kommen könne. Solche Verletzungen und die damit verbundenen möglichen Folgen könnten unabhängig von einer Reisebewegung überall und jederzeit passieren. Um Komplikationen infolge einer allfälligen Bagatellverletzung im Rahmen eines Überstellungsvorgangs zu minimieren, sei eine Arztbegleitung bei der Überstellung des Revisionswerbers nach Tschechien erforderlich. Die Transportfähigkeit des Revisionswerbers sei mit Arztbegleitung gegeben. Trotz des Krankheitsbildes könne vor dem Hintergrund der strengen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht erkannt werden, dass eine Überstellung eine Verletzung der Rechte gemäß Art. 3 EMRK darstellen würde. Auf aktuelle, akute Notfälle gäbe es keine Hinweise. Außerdem handle es sich beim Aufnahmestaat um einen unmittelbaren Nachbarstaat Österreichs. Eine unangemessene Beschwerlichkeit des Transportes sei daher nicht ersichtlich. Die tatsächliche Überstellungsfähigkeit des Revisionswerbers werde zudem vor der Rückführung durch einen fachkundigen Arzt standardmäßig überprüft. Die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sei gegenständlich nicht widerlegt.

3 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. Februar 2018, E 346-348/2018-9, ablehnte und auf Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 3. April 2018, E 346- 348/2018-11, die Beschwerde über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit der Revision mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit der Rechtsfrage, ob der Überstellungsvorgang des Revisionswerbers in den Zielstaat Tschechien aufgrund des damit einhergehenden Risikos körperlicher Einwirkungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK und des Art. 4 GRC im Lichte des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Februar 2017, C.K. u.a./Slowenien, C-578/16 PPU, unzulässig sei und daher zur Notwendigkeit des Selbsteintritts Österreichs nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) bzw. zur Anordnung des Aufschubs einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach § 61 Abs. 3 FPG führen müsse. Überdies weiche das BVwG von den im Urteil des EuGH vom 16. Februar 2017, C.K. u.a./Slowenien, C-578/16 PPU, dargelegten Anforderungen an die Beurteilung, ob ein Überstellungsvorgang aufgrund des damit einhergehenden Risikos körperlicher Einwirkungen zur Notwendigkeit des Selbsteintritts Österreichs nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen müsse, wegen unzureichender Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den möglichen erheblichen und unumkehrbaren gesundheitlichen Folgen des Überstellungsvorgangs aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes ab. Schließlich habe das BVwG entgegen näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die medizinische Fachfrage möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen des Revisionswerbers durch eine während der Überstellung allenfalls geschehene Einblutung im Gehirn selbst und nicht durch einen medizinischen Sachverständigen beurteilt.

Die Feststellung des BVwG, dass der Revisionswerber in Tschechien, dem Zielstaat der Anordnung zur Außerlandesbringung, adäquate Behandlungsmöglichkeiten seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorfindet, wird nicht bestritten.

8 Ist eine Rechtsfrage, von deren Antwort die Entscheidung über die Revision abhängt, durch ein Urteil des EuGH beantwortet, liegt eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor (vgl. VwGH 21.11.2017, Ro 2017/16/0005; VwGH 17.2.2015, Ra 2014/01/0172).

9 Der EuGH setzt sich in dem Urteil vom 16. Februar 2017, C.K. u.a. gegen Slowenien, C-578/16 PPU, auf welches sich der Revisionswerber bezieht, unter anderem mit der Zulässigkeit der Überstellung eines gesundheitlich beeinträchtigten Asylwerbers im Rahmen der Dublin III-VO auseinander. Demnach darf die Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen der Dublin-III-VO nur unter Bedingungen vorgenommen werden, die es ausschließen, dass mit seiner Überstellung eine tatsächliche und erwiesene Gefahr verbunden ist, dass er eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRC erleidet, auch wenn es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass in dem für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen bestehen. Wäre mit der Überstellung eines Asylbewerbers, der eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweist, die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden, würde die Überstellung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des genannten Artikels darstellen (Tenor Pkt 2, erster und zweiter Spiegelstrich). Überdies legt der EuGH in diesem Urteil klar, dass es den Behörden des Mitgliedstaats, der die Überstellung vorzunehmen hat, und gegebenenfalls dessen Gerichten obliegt, alle ernsthaften Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der Überstellung auf den Gesundheitszustand des Betroffenen zu beseitigen, indem sie die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, damit seine Überstellung unter Bedingungen stattfindet, die es ermöglichen, seinen Gesundheitszustand in angemessener und hinreichender Weise zu schützen. Sofern diese Vorsichtsmaßnahmen in Anbetracht der besonderen Schwere der Beeinträchtigung des betreffenden Asylbewerbers nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass seine Überstellung nicht mit der tatsächlichen Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden sein wird, obliegt es den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, die Durchführung seiner Überstellung auszusetzen, solange er aufgrund seines Zustands nicht überstellungsfähig ist. Gegebenenfalls, wenn sich herausstellt, dass nicht mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands des betreffenden Asylbewerbers zu rechnen ist oder dass bei einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens die Gefahr der Verschlechterung seines Zustands bestünde, kann der ersuchende Mitgliedstaat beschließen, den Antrag des Asylbewerbers in Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO vorgesehenen "Ermessensklausel" selbst zu prüfen (Tenor Pkt 2 dritter und vierter Spiegelstrich).

10 Zu den Vorsichtsmaßnahmen hob der EuGH im Urteil C.K. u. a. gegen Slowenien, C-578/16 PPU, hervor, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung vorzunehmen hat, nach Art. 8 der Verordnung (EG) 1560/2003 (Durchführungsverordnung) mit dem zuständigen Mitgliedstaat zusammenarbeiten kann, um sicherzustellen, dass der betreffende Asylwerber während und nach der Überstellung eine medizinische Versorgung erhält (Rn. 80). Insoweit muss der überstellende Mitgliedstaat die Möglichkeit haben, die Überstellung so zu gestalten, dass der betreffende Asylwerber während des Transports von geeignetem medizinischen Personal begleitet wird, das über Ausrüstung, Ressourcen und Arzneimittel im erforderlichen Umfang verfügt, um jede Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und jede Gewaltanwendung gegenüber seiner eigenen Person oder Dritten zu verhindern (Rn. 81). Wenn nötig muss der Gesundheitszustand vor der Durchführung der Überstellung neu bewertet werden (Rn. 84).

11 Von dieser Rechtsprechung ist das BVwG nicht abgewichen, zumal es auf Basis der vom Revisionswerber selbst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Stellungnahme des Amtsarztes zur Überstellung des Revisionswerbers nach Tschechien unter Bedachtnahme auf dessen Gesundheitszustand die Transportfähigkeit des Revisionswerbers unter der Voraussetzung einer Arztbegleitung und der zusätzlichen standardmäßigen Überprüfung der Überstellungsfähigkeit vor der Rückführung durch einen fachkundigen Arzt bejahte. Die Feststellung des BVwG, wonach der Transport nach Tschechien nicht unangemessen beschwerlich ist, blieb vom Revisionswerber unbestritten.

12 Entgegen dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung hat das BVwG die Frage der Überstellungsfähigkeit des Revisionswerbers somit nicht auf eine eigene Würdigung der vorgelegten medizinischen Befunde und Unterlagen gestützt.

13 Mit der allgemeinen Behauptung, es hätte die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zur Klärung der Frage möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch eine während der Überstellung allenfalls geschehende Einblutung im Gehirn des Revisionswerbers bedurft, vermag die Revision nicht darzulegen, dass der Amtsarzt nicht fachlich ausreichend in der Lage gewesen wäre, die Transportfähigkeit des Revisionswerbers und allfälliger Vorsichtsmaßnahmen hinreichend zu beurteilen. Überdies ist der Revisionswerber der Stellungnahme des Amtsarztes nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten und hat keinen Widerspruch der Stellungnahme mit den Denkgesetzen bzw. mit den Erfahrungen des Lebens sowie den vorgelegten medizinischen Unterlagen und keine Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten der Stellungnahme aufgezeigt (vgl. zur Möglichkeit der Parteien, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten VwGH 4.7.2016, Ra 2016/04/0057). Ebenso wenig hat der Revisionswerber behauptet, die vom Amtsarzt begutachteten medizinischen Unterlagen wären unvollständig oder nicht mehr aktuell. Das BVwG war daher angesichts der amtsärztlichen Stellungnahme nicht verpflichtet, einen medizinischen Sachverständigen beizuziehen.

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 18. Mai 2018

Gerichtsentscheidung

EuGH 62016CJ0578 C. K. VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018010189.L00

Im RIS seit

15.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten