Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** S*****, vertreten durch Dr. Ulla Ulrich-Mossbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. H***** D*****, vertreten durch Rudeck-Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen 35.560 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2017, GZ 11 R 183/17p-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. September 2017, GZ 17 Cg 19/17i-8, teilweise abgeändert, teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich des Leistungsbegehrens aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger brachte am 17. 2. 2011 seinen damals 8-jährigen Sohn in die öffentliche Volksschule. Beim Verlassen der Schule rutschte er auf einer vereisten Stufe aus und fiel die Außentreppe hinunter, wodurch er verletzt wurde. Er beauftragte den Beklagten mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung, um seine Schmerzengeldansprüche gegen die Schulerhalterin geltend zu machen. Der Beklagte erhob im Namen des Klägers Klage und brachte vor, die Schulerhalterin hafte als Wegehalterin und – aufgrund des Umstands, dass der Kläger seinen Sohn zur Schule begleitet habe – auch aus Vertrag.
In diesem Verfahren gab das Erstgericht dem Leistungsbegehren teilweise und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht bestätigte die Haftung der Schulerhalterin. Zwar seien die Voraussetzungen der Wegehalter- und Vertragshaftung nicht erfüllt, allerdings seien §§ 2 und 3 Wiener Schulgesetz Schutznormen, deren Zweck auch den gefahrlosen Zugang zur Schule umfasse. § 1313a ABGB setzte aber eine rechtliche Sonderbeziehung voraus, die nicht nur in einem Vertrag, sondern auch in einer öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung bestehen könnte, wie zB bei als Parteien oder Zeugen geladenen Personen im Amtsgebäude auf dem Weg zur Teilnahme an der Amtshandlung oder bei beabsichtigter Inanspruchnahme einer im hoheitlichen Bereich agierenden Dienststelle. Diese Grundsätze seien auch in dem Fall heranzuziehen, in dem ein Elternteil sein minderjähriges Kind zur Schule begleite.
Der Oberste Gerichtshof gab zu 2 Ob 103/13f der Revision der Schulerhalterin Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe seine Ansprüche im erstinstanzlichen Verfahren lediglich auf § 1319a ABGB und das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses gestützt. Das Bestehen eines Vertragsverhältnisses lasse sich aus den Feststellungen ebenso wenig ableiten wie ein grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten bzw des Schulwarts im Sinne des § 1319a ABGB. Auf die vom Berufungsgericht erörterte öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung und eine daraus resultierende Haftung habe sich der Kläger hingegen nie gestützt, sodass die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts überschießend seien.
Der Kläger begehrt vom Beklagten wegen Schlechtvertretung im Vorprozess die Zahlung von insgesamt 35.560 EUR sA an Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle zukünftigen Schäden des Klägers aus diesem Vorfall. Hätte der Beklagte im Vorprozess zusätzlich zu dem von ihm angesprochenen § 1319a ABGB und der Haftung aus einem Vertragsverhältnis die Klage noch auf „jeden weiteren erdenklichen Rechtsgrund“ gestützt, hätte das Oberlandesgericht Wien zu Recht eine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung und damit § 1313a ABGB heranziehen können und hätte der Oberste Gerichtshof der Revision der Schulerhalterin nicht Folge gegeben. Hier handle es sich um eine öffentliche Schule, die von Minderjährigen besucht werde. Das Wiener Schulgesetz verpflichte die Eltern zur Mitwirkung am schulischen Geschehen. Sie seien daher von der Schutzwirkung zu Gunsten Dritter umfasst.
Der Beklagte wendet ein, dass ihm kein Kunstfehler im Vorverfahren unterlaufen sei. Die bloße Anführung der Leerfloskel, dass der Anspruch auch auf „jeden erdenklichen Rechtsgrund“ gestützt werde, hätte an der gänzlichen Klagsabweisung nichts geändert. Mangels einer im öffentlichen Recht wurzelnden Sonderbeziehung liege ein Anwendungsfall des § 1313a ABGB nicht vor. Ein 8-Jähriger könne allein zur Schule gehen. Das Betreten der Schule sei für schulfremde Personen – ausgenommen den Weg zur Direktion – verboten.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung im Vorverfahren nicht ausgesprochen, dass der Kläger dort obsiegt hätte, wenn er sich auf eine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung gestützt hätte. Dem Kläger sei daher der Kausalitätsbeweis nicht gelungen.
Das Berufungsgericht sprach mit Teilzwischenurteil das Zurechtbestehen des Leistungsbegehrens dem Grunde nach aus und hob die Entscheidung in Ansehung des Feststellungsbegehrens auf. Zwar sei eine Berufung auf „jeden erdenklichen Rechtsgrund“ eine Leerformel, die ein Tatsachenvorbringen nicht ersetzen könne. Allerdings habe bereits das Berufungsgericht im Vorprozess auf die im Rahmen einer – auch öffentlich-rechtlichen – Sonderverbindung bestehende strenge Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen hingewiesen. Der Erhalter einer öffentlichen Schule sei verpflichtet, auch (Außen-)Treppen des Schulgebäudes in einem für Besucher, namentlich für Eltern von Volksschülern beim Bringen zur und Abholen von der Schule, gefahrlosen Zustand zu halten. Immerhin handle es sich bei diesen grundsätzlich um die Obsorgeberechtigten, denen Fürsorgepflichten zukämen, was dem Schulerhalter bekannt sei und daher nicht zu einer unerträglichen Ausweitung der Haftung führe.
Dem Rechtsanwalt obliege es, in seiner beratenden und vertretenden Tätigkeit so vorzugehen, dass die von seinem Mandanten angestrebten Ziele sicher und ungefährdet erreicht würden. Diesen Anforderungen sei der Beklagte hier nicht nachgekommen, weil er es im Vorprozess unterlassen habe, auch Bezug auf „alle erdenklichen Rechtsgründe“ zu nehmen, um den geltend gemachten Ansprüchen (zumindest teilweise) rechtlich zum Erfolg zu verhelfen. Es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dann die Entscheidung des Berufungsgerichts im Vorprozess bestätigt worden wäre.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Frage, inwieweit Verkehrssicherungspflichten des Schulerhalters auch gegenüber Angehörigen von Schülern bestehen, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und dazu Judikatur des Obersten Gerichtshofs fehle.
Der Beklagte strebt mit seiner Revision die Abweisung des Klagebegehrens an und macht geltend, dass hier keine den vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidungen vergleichbare öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung vorliege, und dem Beklagten daher auch mit der Unterlassung dieses Vorbringens kein Kunstfehler unterlaufen sei.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben. Er habe seinen Sohn zur Frühbetreuung gebracht. Diverse Hausordnungen öffentlicher Schulen Wiens würden das Begleiten bis zum Schultor vorsehen. Auch sei dem Schulerhalter die Notwendigkeit des gefahrlosen Betretens des Gebäudes durch Eltern bewusst, müssten diese ihre Kinder doch im Schulgebäude anmelden, im Unterricht mitwirken (zB Buchstabentag, Schulfeste) und gebe es Elternsprechtage sowie Schulausflüge mit Begleitung der Eltern. Dass Eltern von den Schutznormen des Wiener Schulgesetzes umfasst seien, liege auf der Hand. Schon aufgrund ihrer Obsorge- und Aufsichtspflicht sei ihnen das Betreten des Schulgeländes (jedenfalls bis zum Schultor) zu gewähren. Der Kläger sei seiner öffentlich-rechtlichen Verpflichtung aus § 24 Schulpflichtgesetz nachgekommen, wonach die Eltern bzw Erziehungsberechtigten „für die Erfüllung der Schulpflicht, insbesondere für den regelmäßigen Schulbesuch und die Einhaltung der Schulordnung durch den Schüler … zu sorgen“ hätten. Hätte sich daher im Vorprozess das Berufungsgericht auf „alle erdenklichen Rechtsgründe“ beziehen dürfen, hätte dies letztlich zu einer für den Kläger positiven Entscheidung geführt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten; diese Bestimmung ergänzt § 1009 ABGB, der den Gewalthaber bestimmt, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus ergibt sich die „Kardinalspflicht“ des Rechtsanwalts zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (8 Ob 162/08v; RIS-Justiz RS0112203; vgl auch RS0123208). Der an § 1299 ABGB zu messende Rechtsanwalt (vgl RIS-Justiz RS0026535; RS0038724) hat bei Wahrung der Interessen seiner Auftraggeber so vorzugehen, wie es ihm aufgrund der erhaltenen Informationen und seiner sonstigen Kenntnisse als sachgerecht erscheinen muss (RIS-Justiz RS0038695 [T4]).
2. Der Kläger hat sich im vorliegenden Verfahren gegen seinen früheren Rechtsvertreter neben der bereits vom Berufungsgericht als reine Leerformel erkannten Berufung auf „alle erdenklichen Rechtsgründe“ (vgl RIS-Justiz RS0037591) darauf gestützt, dass er als Elternteil zur Mitwirkung am schulischen Geschehen verpflichtet und in die „Schutzwirkung zugunsten Dritter“ einbezogen sei, was bei großzügiger Auslegung dahin verstanden werden kann, dass er durch das Begleiten seines Sohnes zur Schule dieser Mitwirkungspflicht nachzukommen trachtete und insofern eine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung iSd Judikatur entstanden sei, und dass dies vom Beklagten im Vorprozess vorgebracht hätte werden müssen, um zu einer Klagsstattgebung zu gelangen.
3. Eine zur Anwendung des § 1313a ABGB führende Sonderverbindung wird in der Rechtsprechung auch dann angenommen, wenn die Beziehung zwischen Geschäftsherrn und Geschädigtem im öffentlichen Recht begründet ist, der Inhalt dieser Rechtsbeziehung sich aber mit einer sonst privatrechtlichen deckt. Eine im öffentlichen Recht wurzelnde Sonderbeziehung zum Verkehrssicherungspflichtigen liegt dann vor, wenn jemand etwa nicht bloß ein öffentliches Gebäude betritt, um es wegen seiner kulturellen Bedeutung zu besichtigen, sondern wenn er das Gebäude aufsucht, um eine dort untergebrachte, im hoheitlichen Bereich agierende Dienststelle in Anspruch zu nehmen, sei es, weil er dazu gesetzlich verpflichtet ist, sei es aber auch nur deshalb, um die Behörde im eigenen Interesse, etwa zur Anbringung von Protokollaranträgen, Einholung von Rechtsauskünften oder aus ähnlichen Gründen aufzusuchen. In beiden Fällen entsteht ein besonders enges Verhältnis, ein spezifischer sozialer Kontakt des Einzelnen zur Behörde, der die allgemeinen, der Öffentlichkeit gegenüber bestehenden Verkehrssicherungspflichten zu spezifischen Pflichten gleichen Inhalts ihm gegenüber werden lässt. Wenn jemand einer ihn treffenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nachkommen oder zur Regelung eines ihn betreffenden, aber im öffentlichen Recht wurzelnden Rechtsverhältnisses vorsprechen oder Anträge stellen will, und deshalb die Notwendigkeit, ein öffentliches Gebäude zu betreten entsteht, ist daher eine rechtliche Sonderverbindung anzunehmen, die bei Schädigung durch einen Gehilfen zur Anwendung des § 1313a ABGB führt (1 Ob 5/91 mwN; vgl auch Schragel, AHG³, Rz 120).
4. Nach § 24 Schulpflichtgesetz sind Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte verpflichtet, ua für die Erfüllung der Schulpflicht, insbesondere für den regelmäßigen Schulbesuch und die Einhaltung der Schulordnung durch den Schüler zu sorgen.
Diese Bestimmung betrifft bloß die Pflicht der Erziehungsberechtigten, allgemein erzieherische Maßnahmen zu treffen, um den Schulbesuch des Schulpflichtigen an sich zu gewährleisten. Es wird damit aber nicht generell die Pflicht normiert, sein minderjähriges Kind bis zur Schulklasse oder bis zum Schultor zu begleiten. Der Kläger kann sich damit nicht auf seine allgemeine (zivilrechtliche) Fürsorge- und Aufsichtspflicht als Erziehungsberechtigter zur Begründung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, die Außentreppe zur Schule an diesem Tag zu betreten, berufen.
5. Der Kläger stützt sich im konkreten Fall erkennbar aber auch darauf, dass er die Schule im Zuge der Frühbetreuung für seinen Sohn aufgesucht habe und beim Verlassen der Schule auf der Außentreppe zu Fall gekommen sei. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang inwiefern dabei den Kläger aufgrund allfälliger Anordnungen der Schule eine Pflicht zum Betreten des Schulgebäudes getroffen hat. Zu diesem Vorbringen ist im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern, wie die Frühbetreuung organisiert war und welche Vorgaben der Schule dazu, insbesondere betreffend die Mitwirkung der Eltern, bestanden. Erst nach Verbreiterung der Tatsachengrundlage in diesem Punkt kann beurteilt werden, ob für den Kläger der Schule gegenüber eine im Sinn der zu Punkt 3 der Entscheidung dargelegten Judikatur vergleichbare Pflicht zum Aufsuchen des Gebäudes zur Übergabe des Kindes bestand.
Da sich aus dem Vorbringen des Klägers kein Hinweis auf ein besonderes Eigeninteresse des Klägers vergleichbar der Antragstellung bei einer Behörde im Sinn der zu Punkt 3 der Entscheidung dargelegten Judikatur ergibt, könnte sich im vorliegenden Fall eine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung nur aus der Pflicht zum Betreten der Schule ergeben.
6. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass eine Schutzgesetzverletzung (Verpflichtung des Schulerhalters zur Reinigung des Gebäudes) nur im Rahmen einer nach den zuvor genannten Grundsätzen erweislichen öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung zur Haftung nach § 1313a ABGB führen würde, wie dies für Lehrer und Schüler in der Judikatur bereits bejaht wurde (1 Ob 236/07y; 1 Ob 213/06i). Bestünde diese aber nicht, steht dem Kläger nur die allgemeine Verkehrssicherungspflicht als Haftungsgrundlage zur Verfügung, die dem Deliktsrecht entspringt und daher eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen für Gehilfen nur nach § 1315 ABGB eintreten lässt (RIS-Justiz RS0023938). Für eine Haftung in diesen Sinn besteht kein Anhaltspunkt. In diesem Fall wäre das unterlassene Vorbringen des Beklagten im Vorprozess für den Prozessverlust nicht kausal gewesen. Das Klagebegehren wäre abzuweisen.
7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 dritter Satz ZPO.
Textnummer
E121689European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00058.18G.0524.000Im RIS seit
15.06.2018Zuletzt aktualisiert am
14.05.2019