Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sedik M***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 2. Oktober 2017, GZ 8 Hv 54/17f-59, und über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen 1./ und 2./, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch über den Verfall, ebenso wie der Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sedik M***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (1./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (2./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (3./) schuldig erkannt.
Danach hat er in G*****
1./ von Anfang August bis 5. November 2016 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er zumindest 4.500 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 8,5 Prozent, somit 382 Gramm Delta-9-THC, gewinnbringend an Reshad Z***** und andere unbekannte Abnehmer verkaufte;
2./ von zumindest 21. Mai 2015 bis 9. März 2017 vorschriftswidrig Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er unbekannte Mengen Heroin, Kokain und Delta-9-THC beinhaltendes Cannabiskraut bis zum Eigenkonsum innehatte;
3./ am 13. Oktober 2016 Samuel P***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm mit einem Klappmesser eine zirka 1,5 cm lange Rissquetschwunde an der linken Gesäßhälfte zufügte.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobenen, auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.
Wie die Verfahrensrüge (Z 3) zutreffend aufzeigt, wurde vorliegend ein Nichtigkeit begründender Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung (§ 228 Abs 1 StPO) bewirkt.
Nach dem Verhandlungsprotokoll wurde Reshad Z***** in der (zunächst) öffentlichen Hauptverhandlung am 2. Oktober 2017 als Zeuge vernommen. Über Antrag der Staatsanwaltschaft, die (weitere) Zeugenvernehmung in Abwesenheit des Angeklagten vorzunehmen, verkündete der Vorsitzende (nach geheimer Beratung des Schöffengerichts) den Beschluss „auf gesonderte Einvernahme des Zeugen unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ (ON 58 S 6). Gründe für das zuletzt genannte Vorgehen wurden nicht bekanntgegeben (vgl aber § 229 Abs 3 StPO; RIS-Justiz RS0098132 [T1]). Die Befragung des Zeugen wurde sodann einerseits in Abwesenheit des Angeklagten, andererseits unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt. Nach Entlassung des Zeugen wurde sowohl die Vorführung des Angeklagten veranlasst als auch die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung wiederhergestellt (ON 58 S 9).
Zu Recht kritisiert der Beschwerdeführer, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit keiner der in § 229 Abs 1 StPO taxativ aufgezählten (eng auszulegenden) Gründe vorlag, der diesen für den zuvor genannten Teil des (Beweis-)Verfahrens legitimiert hätte (vgl RIS-Justiz RS0053667 [T2]; Danek/Mann, WK-StPO § 229 Rz 1 ff, Rz 5/1). Dem (bloßen) Interesse der Wahrheitsforschung (hier: der ersichtlich intendierten Förderung der wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen) kann zwar durch § 250 Abs 1 StPO Rechnung getragen werden (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 250 Rz 4, 7), ein (allenfalls zusätzlicher) Ausschluss der Öffentlichkeit wäre aber nur dann zulässig, wenn (auch) ein in § 229 Abs 1 StPO genanntes schutzwürdiges (Individual- oder Allgemein-)Interesse unzweifelhaft vorliegt (vgl dazu Danek/Mann, WK-StPO § 229 Rz 1 bis 5).
Im Hinblick darauf, dass die Feststellungen zu 1./ (US 4 f) auf die Angaben des Zeugen Reshad Z***** gestützt sind (US 7 f), erfordert die bewirkte Nichtigkeit (ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch 1./ (ebenso wie im Strafausspruch und im Ausspruch des Verfalls), damit einhergehend auch die Kassation des Beschlusses nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO und die Verweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung (§ 285e StPO).
Daran anknüpfend (§ 289 StPO) ist mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35 und 37 SMG auch die Aufhebung des Schuldspruchs 2./ erforderlich (RIS-Justiz RS0119278).
Soweit die Verfahrensrüge (ohne Hinweis, worin die Möglichkeit einer Benachteiligung des Beschwerdeführers liege [vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 743]) auch die Kassation des Schuldspruchs 3./ fordert, bleibt sie erfolglos, weil der Zeuge Reshad Z***** zu diesem Faktum gar nicht befragt wurde. Im Übrigen gründen sich die Feststellungen zu 3./ (US 6) nur auf die geständige Verantwortung des Angeklagten (US 7; vgl auch ON 37 S 3 iVm ON 58 S 2 und ON 4 S 19). Damit ist unzweifelhaft erkennbar, dass die aufgezeigte Formverletzung in diesem Umfang auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 741).
Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte ebenso wie Letzterer mit seiner Beschwerde auf die Kassation zu verweisen.
Bleibt für den zweiten Rechtsgang anzumerken, dass sich die in § 28a Abs 1 SMG angeführten Tathandlungen auf in der Suchtgiftverordnung (SGV) erfasste, die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende und im Tatzeitpunkt tatsächlich vorhandene Wirkstoffe beziehen, weshalb (unter anderem) Feststellungen zur Beschaffenheit tatverfangener Substanzen im Zeitpunkt der Tatbegehung und zu einem darauf bezogenen Vorsatz erforderlich sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E121676European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00033.18M.0529.000Im RIS seit
15.06.2018Zuletzt aktualisiert am
23.07.2021