TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/29 I415 1418075-3

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Veröffentlicht am 29.05.2018
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Entscheidungsdatum

29.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

I415 1418075-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Marokko, vertreten durch die "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" und durch die "Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH", gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA) vom 31.03.2018, Zl. 801010402/170585715, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet und und stellte am 29.10.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er wie folgt begründete:

"Ich war in Marokko bei den Moslembrüdern und sie verlangten von mir, dass ich meine Mutter zwinge, einen Schleier zu tragen. Weiters sollte ich immer in die Moschee beten gehen. Dies wollte ich nicht und aus diesem Grund habe ich meine Heimat verlassen. Dies ist mein einziger Fluchtgrund. Ich habe in meiner Heimat mit den Behörden keinerlei Probleme".

Auf die Frage, was der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seine Heimat zu befürchten habe, gab dieser zur Antwort: "Ich habe in meiner Heimat keinerlei Existenzmöglichkeiten." und auf die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass dem BF bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe, replizierte dieser: "Nein."

Auf Aufforderung seine Fluchtgründe zu konkretisieren gab der Beschwerdeführer an: "Die moslemische Brüderschaft verlangte von mir, dass ich nur mit ihnen Kontakt halten soll. Von der Arbeit zur Moschee und umgekehrt. Sie wollten, dass ich ständig bete und dass meine Mutter einen Schleier tragen soll. Das Ganze ist dann immer extremer geworden und ging in Richtung Extremismus. Darum bekam ich Angst."

Auf die Frage, ob er in seinem Heimatland aufgrund seiner Rasse, Religion, Volkszugehörig-keit, politischen Gesinnung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ethnischen Herkunft verfolgt werden, replizierte der BF: "Nein".

Zur Frage seiner Rückkehrbefürchtungen gab der BF an: "Einerseits habe ich Angst vor der Regierung, dass ich von ihnen gesucht werde. Andererseits habe ich Angst um mein Leben vor der moslemischen Bruderschaft."

2. Das Bundesasylamt (in weiterer Folge: BAA) wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 28.10.2010, Zl. 10 10.104-EAST-Ost, sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko aus (Spruchpunkt III). Als Rechtsgrundlagen wurden die § 1 (1) iVm § 2 (1) Z 11 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG), § 8 (1) iVm § 2 (1) Z 11 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) und § 10 (1) AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) herangezogen. Der Beschwerdeführer erhob gegen den bezeichneten Bescheid des BAA fristgerecht Beschwerde.

3. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 19.03.2011, Zl. III-1.301.583/FrB/11, wurde gegen den Beschwerdeführer aufgrund seiner Suchtmitteldelinquenzen ein bis zum 23.03.2021 gültiges Rückkehrverbot erlassen, welches am 07.04.2011 in Rechtskraft erwachsen ist.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.11.2014, Zl. I408 1418075-1/18E, wurde die Beschwerde gegen den genannten Bescheid des BAA nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde zugleich vom Bundesverwaltungsgericht das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das zwischenzeitlich dem BAA als zuständige Behörde nachgefolgte BFA zurückverwiesen.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2015, Zl. 801010402/1309365, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß den §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 idgF erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt I.). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG idgF die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt II.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 i.d.g.F. ein auf Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 08.06.2015, Zl. I407 1418075-2/5E, als unbegründet abgewiesen.

6. Am 16.05.2017 stellte der Beschwerdeführer bei der LPD Wien Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug einen (Folge-)Asylantrag. Auf Vorhalt, dass sein Vorverfahren bereits rechtskräftig entschieden worden wäre und warum er jetzt einen (neuerlichen) Asylantrag stelle und was sich gegenüber dem abgeschlossenen Vorverfahren geändert habe führte der Beschwerdeführer aus: "Ich halte meine damaligen Asylgründe vollinhaltlich aufrecht, nur möchte ich jetzt angeben, dass ich nicht mehr der radikalen (Salafisten) abgeschworen habe. Ich bin seit ca. 2 Jahren konfessionslos. Das sind meine einzigen und neuen Asylgründe." Auf die Frage was er bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, führte der Beschwerdeführer aus wie folgt: "Ich habe bei meinem ersten Asylantrag angeführt, dass ich gegen die Monarchie und das Regime in Marokko bin und deswegen erwarte ich die schlimmsten Sanktionen, falls ich nach Marokko abgeschoben werde." Er wäre weiters Angehöriger der Armee gewesen und erwarte eine lebenslange Haftstrafe. Die Änderung der Situation bzw. der Fluchtgründe wäre ihm auf Nachfrage seit ca. zwei Jahren bekannt, er könne jedoch keine Beweise und kein genaues Datum nennen.

Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA am 08.06.2017 stellte sich wie folgt dar:

L: Sie haben bereits am 28.10.2010, unter der Zahl 801010402 - 1309365, einen Asylantrag gestellt, der rechtskräftig abgewiesen wurde. Warum stellen Sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz?

A: Ich kann nicht nach Marokko. Ich war seit 18 Jahren nicht mehr in Marokko. Ich habe politische Probleme. Ich habe auch Probleme mit der Moslem Brüderschaft in Marokko. Ich habe diese Probleme schon in meinem Erstverfahren geäußert. Ich bin seit ca. einem Jahr ohne Bekenntnis. Meine Fluchtgründe vom ersten Verfahren sind noch alle aufrecht.

L: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

A: Dadurch das ich jetzt ohne Bekenntnis bin. Ist es in Marokko sehr gefährlich, da ich von der Familie verfolgt werde. Die Gesellschaft würde mich auch verfolgen. Es ist in Marokko verboten vom Islam abzufallen. Wenn man in Marokko zb. zu Ramadan nicht fastet, muss man für ein Jahr ins Gefängnis.

L: Sind das alle Ihre Fluchtgründe?

A: Ja.

L: Sie haben am 02.06.2017 eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes gem. §29/3/4/6 AsylG 2005 übernommen, in welcher Ihnen mitgeteilt wurde, dass, seitens des Bundesamtes die Absicht besteht, Ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zu Ihrem Erstverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergibt. Sie haben nunmehr Gelegenheit, zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes Stellung zu beziehen. Möchten Sie eine Stellungnahme abgeben?

A: Ich habe einen neuen Grund. Mein Austritt vom Islam ist ja wohl ein sehr wichtiger Grund. Die vorhin angeführten Familiären Probleme sind auch ein Grund, dass ich nicht nach Marokko kann. Für mich ist ein Todesurteil leichter als eine Rückkehr nach Marokko.

[...]

L: Haben Sie in der EU bzw. in Österreich, in Norwegen, der Schweiz, in Liechtenstein oder in Island aufhältige Eltern, Kinder oder sonstige Verwandte?

A: Nein.

L: Leben Sie mit einer sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft, wenn ja, beschreiben Sie diese Gemeinschaft?

A: Nein.

[...]

7. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 31.03.2018, Zl. 801010402/170585715, wies das BFA den Folgeantrag des Beschwerdeführers vom 16.05.2017 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt II.).

8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht per E-Mail vom 30.04.2018 eingebrachte Beschwerde, in der beantragt wurde, das BVwG möge, (1) der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen, (2) eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, (3) Spruchpunkt I. des angefochtenes Bescheides beheben und die Sache zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückverweisen, (4) Spruchpunkt II. des angefochtenes Bescheides beheben bzw. in eventu dahingehend abändern, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt wird, oder (5) den hier angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverweisen. Der Beschwerde wurden eine Teilnahmebescheinigung Deutsch A1 im Ausmaß von 36 Unterrichtseinheiten datiert vom 23.12.2014, eine Therapiebestätigung seitens des Vereins zur Vernetzung psychosozialer Berufsgruppen datiert mit 15.05.2017, sowie eine Bestätig der Caritas, wonach bescheinigt werde, dass der seit 21.12.2016 im Notquartier der Caritas wohnhafte Beschwerdeführer dort ein vorbildliches und friedliches Verhalten an den Tag lege, beigelegt.

9. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich seit seiner Einreise ins Bundesgebiet am 28.10.2010 im Zeitraum von Jänner 2011 bis April 2017 insgesamt fünf Mal wegen Suchtgiftdelinquenzen zu Freiheitsstrafen in Summe von acht Jahren rechtskräftig verurteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, kinderlos, ledig und Staatsbürger von Marokko.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. Sein Gesundheitszustand steht seiner Rückkehr nicht entgegen.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich erstreckt sich über einen Zeitraum von 28.10.2010 bis in die Gegenwart, wobei seine Einreise nach Österreich illegal erfolgte. Der Beschwerdeführer verfügt über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der Beschwerdeführer spricht arabisch auf Muttersprachenniveau.

In Österreich ist er nicht Mitglied von Organisationen oder Vereinen.

Er war und ist in Österreich auch nicht berufstätig.

Der Beschwerdeführer wurde wiederholt straffällig und wurde deshalb mehrfach rechtskräftig verurteilt. Das Strafregister der Republik Österreich weist seine Person betreffend fünf Verurteilungen auf:

01) LG XXXX XXXX vom 17.01.2011 RK 17.01.2011

PAR 27 ABS 1/1 (8. FALL) U ABS 3 SMG

PAR 15 StGB

PAR 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) SMG

Datum der (letzten) Tat 03.12.2010

Freiheitsstrafe 11 Monate, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG XXXX XXXX RK 17.01.2011

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 17.01.2011

LG XXXX XXXX vom 25.01.2011

zu LG XXXX XXXX RK 17.01.2011

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX XXXX vom 30.08.2011

zu LG XXXX XXXX RK 17.01.2011

Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX XXXX vom 13.12.2013

02) LG XXXX XXXX vom 30.08.2011 RK 03.09.2011

PAR 27 ABS 1/1 (8. FALL) SMG

PAR 15 StGB

PAR 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) SMG

Datum der (letzten) Tat 18.05.2011

Freiheitsstrafe 14 Monate

Vollzugsdatum 13.07.2012

03) LG XXXX XXXX vom 13.12.2013 RK 13.12.2013

§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG

Datum der (letzten) Tat 29.10.2013

Freiheitsstrafe 18 Monate

Vollzugsdatum 29.04.2015

zu LG XXXX XXXX RK 13.12.2013

zu LG XXXX XXXX RK 17.01.2011

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 19.05.2015, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 09.03.2015

zu LG XXXX XXXX RK 13.12.2013

zu LG XXXX XXXX RK 17.01.2011

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX XXXX vom 01.09.2015

04) LG XXXX XXXX vom 01.09.2015 RK 01.09.2015

§ 27 (1) Z 1 8. Fall (3) SMG § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 14.06.2015

Freiheitsstrafe 18 Monate

05) BG XXXX vom 03.04.2017 RK 06.04.2017

§§ 27 (1) Z 1 1. 2. Fall, 27 (2) SMG

Datum der (letzten) Tat 06.12.2016

Freiheitsstrafe 3 Monate

Der Beschwerdeführer reiste erstmals im Oktober 2010 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Dieses erste Asylverfahren unter der Zahl 801010402/1309365 wurde am 20.11.2014 rechtskräftig mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zur Zl. I408 1418075-1/18E abgeschlossen. Das gesamte Erstverfahren beruhte auf einem nicht glaubhaften Vorbringen.

Der Beschwerdeführer hat im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des oben genannten Erstverfahrens entstanden ist.

Sein Vorbringen im gegenständlichen Verfahren, wonach er nunmehr ohne Bekenntnis ist und es nunmehr für ihn in Marokko sehr gefährlich wäre und er verfolgt werden würde, weist keinen glaubhaften Kern auf.

Die Landespolizeidirektion Wien hat mit Bescheid vom 11.04.2011, Zl. III-1101581/FrB/11, gegen den Beschwerdeführer aufgrund seiner Suchtmitteldelinquenzen ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen, welches nach wie vor aufrecht ist.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Marokko:

Marokko ist ein sicherer Herkunftsstaat. Es ist politisch wie sicherheitspolitisch ein stabiles Land. Marokko ist fähig und willig, seine Bürger zu schützen. Justiz und Sicherheitsapparate funktionieren. Die Justiz ist gemäß der geltenden Verfassung unabhängig. Ein rechtsstaatliches, faires Verfahren mit dem Recht, Berufung einzulegen, ist gesetzlich gewährleistet. Über Beeinflussung der Gerichte durch Korruption oder durch außergerichtliche Einflussmaßnahmen wird berichtet. Der Sicherheitsapparat besteht aus Polizei- und paramilitärischen Organisationen. Eine zivile Kontrolle über Sicherheitskräfte ist abgesehen von Einzelfällen effektiv. Folter steht unter Strafe, wobei Berichte über Folterungen und Gewaltanwendung gegenüber Gefangenen bestehen. Die in Marokko verbreitete Korruption steht unter Strafe, welche aber nicht effektiv vollzogen wird. Eine Reform der Korruptionsbekämpfungsbehörde ist geplant, aber noch nicht verwirklicht.

Marokko verfügt über einen umfassenden Grundrechtebestand, lediglich das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit fehlt. Die Grundrechte werden durch den Vorbehalt in Bezug auf die Monarchie, den islamischen Charakter von Staat und Gesellschaft und die territoriale Integrität beschränkt. Ferner fehlen zT Durchführungsgesetze. Allgemein bestehen grundrechtliche Probleme hinsichtlich der Sicherheitskräfte sowie schlechter Haftbedingungen.

Staatliche Repressionen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer religiösen Überzeugung können nicht festgestellt werden.

Die Haftbedingungen sind generell schlecht und entsprechen nicht internationalen Standards. Hygienische Verhältnisse und die medizinische Versorgung in Gefängnissen sind nicht gut. Gefängnisse sind in Marokko überbelegt. Es existieren Berichte über folterähnliche Praktiken in Gefängnissen. Die Todesstrafe wird weiterhin in Marokko verhängt. Seit 1993 wurden aber keine Todesstrafen mehr vollstreckt.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 31.03.2018 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

1. Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert. Medizinische Dienste sind kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards. In den Medien finden sich regelmäßig Berichte über wenig motiviertes Personal insbesondere in den öffentlichen Krankenhäusern, das unter schwierigen Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung leidet. Eine Behandlung kann oft nur mit einem Eigenanteil sichergestellt werden. Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 10.3.2017).

Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist allerdings fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 10.3.2017).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3 Prozent der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis ("Carte RAMED"), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 9.2015). Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine "Carte RAMED" erhalten. Bei Vorlage dieser Karte sind Behandlungen kostenfrei (AA 10.3.2017).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.200 Einwohner); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 9.2015).

2. Politische Lage

Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 6.2017a; vgl. ÖB 9.2015). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Die in Marokko überwiegend auf ökonomisch-soziale Verbesserungen, aber nicht auf "Regimewechsel" gerichteten Proteste wurden so aufgefangen (AA 2.2017a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 9.2015). Einige Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen. Dies betrifft folgenden vier Ressorts: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 6.2017a).

Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt (jüngste Wahl: 7.10.2016). Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 6.2017a). In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Repräsentantenhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD - Parti de la Justice et du Développement) hervor (AA 2.2017a; vgl. GIZ 6.2017a). Sie erreichte 125 Sitze (GIZ 6.2017a). Ihr Vorsitzender, der bisherige Regierungschef Abdelilah Benkirane, wurde von König Mohammed VI. mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (AA 2.2017a). An zweiter Stelle rangiert mit 102 Sitzen die liberal-konservative Partei für Authentizität und Moderne (PAM - Parti Authenticité et Modernité). Sie konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI - Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 6.2017a).

Auf dem Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba am 30.1.2017 wurde Marokko wieder in die AU aufgenommen (DS 31.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Marokko - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Marokko/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.6.2017

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DS - Der Standard (31.1.2017): Marokko wieder in der AU, doch Westsahara-Streit bleibt,

http://derstandard.at/2000051784210/Afrikanische-Union-diskutiert-Wiederaufnahme-von-Marokko, Zugriff 30.6.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH (6.2017a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

3. Sicherheitslage

Marokko ist grundsätzlich ein politisch stabiles Land mit gut ausgebauter Sicherheitspräsenz (BMEIA 5.7.2017). Das französische Außenministerium rät zu normaler Aufmerksamkeit im Land (das einzige in Nordafrika), außer in den Grenzregionen zu Algerien, wo zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten wird. Die Westsahara bildet natürlich eine Ausnahme, diese darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden. Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (FD 5.7.2017). Seitens des BMEIA besteht eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos, insbesondere an der Grenze zu Algerien. Erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt in den übrigen Landesteilen (BMEIA 5.7.2017).

Auch in Marokko besteht jedoch ein Risiko terroristischer Anschläge mit islamistischem Hintergrund, die insbesondere auf ausländische Staatsangehörige abzielen können (AA 5.7.2017, vgl. BMEIA 5.7.2017). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die instabile Sicherheitslage in den Regionen Nordafrika, Sahel und Nah-/Mittelost auf Marokko auswirkt. Es muss mit Anschlägen durch Kämpfer aus diesen Regionen gerechnet werden sowie mit Aktionen von Personen oder Gruppierungen, die innerhalb Marokkos agieren und sich von der Propaganda terroristischer Gruppierungen beeinflussen lassen. So ereignete sich zuletzt im April 2011 in Marrakesch eine Bombenexplosion mit terroristischem Hintergrund, die 17 Todesopfer und mehrere Verletzte - zumeist Touristen - forderte (AA 5.7.2017).

Marokko steht im Kampf gegen den Terrorismus im Lager des Westens. Die marokkanischen Dienste gelten als gut unterrichtet und operationell fähig; die laufende Aushebung von Terrorzellen spricht für deren Effizienz. AQIM und andere islamisch-fundamentalistische Gruppierungen, Salafisten und IS-Kämpfer werden als Staatsfeinde Nummer eins betrachtet. Besondere Sorge gilt seit Ausbruch der Mali-Krise einer vermuteten Verbindung der Polisario mit fundamentalistischen Elementen aus dem Sahel (AQIM, Ansareddine, Mujao) sowie aus Syrien und dem Irak. Die marokkanischen Behörden befürchten einen Rückfluss von Kämpfern nach Marokko aus Syrien und dem Irak und das Entstehen von grenzüberschreitenden Terrornetzwerken. Die - auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten - Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation (ÖB 9.2015).

Demonstrationen, insbesondere in Großstädten, können sich spontan und unerwartet entwickeln, so zum Beispiel aktuell im Norden Marokkos in Al Hoceima und umliegenden Orten. Die Proteste richten sich meist gegen soziale Ungerechtigkeit, Korruption und Behördenwillkür (AA 5.7.2017). Im Oktober 2016 flammten in verschiedenen Landesteilen Proteste gegen soziale und wirtschaftliche Missstände auf. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Anwohnern und der Polizei, als die Behörden mit dem Abriss von informellen Siedlungen in Sidi Bibi, einer Stadt in der Nähe von Agadir, begannen. Tausende Menschen gingen in größeren Städten, u.

a. in der Hauptstadt Rabat sowie in Marrakesch, auf die Straße, nachdem der Fischhändler Mouhcine Fikri in Al-Hoceima (Region Tanger-Tétuan-Al Hoceima) getötet worden war. Er hatte versucht, seine von Staatsbediensteten beschlagnahmte Ware zurückzuerhalten. Auch in Al-Hoceima fanden große Demonstrationen statt (AI 22.2.2017). Seitdem kommt es v.a. in Al-Hoceima immer wieder zu Protesten. Dort ist das Zentrum einer Protestbewegung gegen soziale und wirtschaftliche Missstände entstanden. Ende Mai 2017 wurde der Anführer der Protestbewegung, Nasser Zafzafi, verhaftet (DS 29.5.2017). Dies führte zu weiteren Protesten. Auch Ende des Ramadans, am 27. und 28.6.2017, kam es zu Ausschreitungen, bei denen zahlreiche Polizisten und auch Demonstranten verletzt wurden und Demonstranten verhaftet wurden (DS 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.7.2017): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/MarokkoSicherheit_node.html, Zugriff 5.7.2017

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (5.7.2017): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 5.7.2017

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DS - Der Standard (29.5.2017): Anführer der Proteste in Marokko festgenommen,

http://derstandard.at/2000058382533/Hunderte-Marokkaner-demonstrierten-in-Protesthochburg-Al-Hoceima?ref=rec, Zugriff 5.7.2017

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DS - Der Standard (28.6.2017): Marokko: Fast 80 Polizisten bei Ausschreitungen verletzt,

http://derstandard.at/2000060215022/Marokko-Fast-80-Polizisten-bei-Ausschreitungen-verletzt?ref=rec, Zugriff 5.7.2017

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FD - France Diplomatie (5.7.2017): Conseils aux Voyageurs - Maroc

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Sécurité,

http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/maroc/, Zugriff 5.7.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

4. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 3.3.2017). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 3.3.2017; vgl. ÖB 9.2015; AA 10.3.2017) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden respektieren Anordnungen der Gerichte fallweise nicht (USDOS 3.3.2017). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Die eher traditionell und konservativ eingestellte Richterschaft setzt Neuerungen oftmals nur sehr zurückhaltend um. Geltende Gesetze und Vorschriften werden auch aus administrativen Schwächen oft nicht einheitlich und flächendeckend angewandt (AA 10.3.2017).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche

Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 10.3.2017). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden. Im Rahmen der Strafrechtsreform und der Entwicklung seiner Untersuchungsbehörden bemüht sich Marokko darum, Beschuldigtenrechte besser zu wahren und andere Möglichkeiten des Tatbeweises zu nutzen. Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minderschweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 10.3.2017).

Seit dem 1.7.2015 ist die Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilisten nicht mehr zuständig. Im Juli 2016 wurden durch das Revisionsgericht die Urteile eines Militärgerichts gegen 23 sahrauische Aktivisten im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften bei der Räumung des Protestlagers Gdim Izik aufgehoben. Neue Verfahren finden vor einem Zivilgericht statt (AA 10.3.2017).

Verwaltungsentscheidungen können vor Verwaltungsgerichten appelliert werden, der Instanzenzug führt zum Kassations-Gerichtshof. Die Verfassung sieht eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (Oberster Justizrat, Gleichstellungs-Rat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 9.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/337215/479978_de.html, Zugriff 30.6.2017

5. Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die Nationalpolizei (DGSN) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den "Forces auxiliaires" handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Autobahnen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 10.3.2017). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED ("Direction Générale des Etudes et de Documentation") und den Inlandsdienst DGST ("Direction Générale de la Surveillance du Territoire") (AA 10.3.2017; vgl. ÖB 9.2015). Im April 2015 wurde zusätzlich das "Bureau central d'investigations judiciaires" (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST. Von der Funktion entspricht es etwa dem deutschen Bundeskriminalamt mit originären Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 10.3.2017).

Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte [Anm.: durch den König] ist abgesehen von Einzelfällen effektiv (USDOS 3.3.2017), jedoch sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 10.3.2017). Es besteht kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen, was Straffreiheit bei Vergehen durch die Sicherheitskräfte begünstigt (USDOS 3.3.2017). Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat, insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST, vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z.B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien dokumentieren diese Vorwürfe nur bruchstückhaft (AA 10.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/337215/479978_de.html, Zugriff 30.6.2017

6. Religionsfreiheit

Der sunnitische Islam malikitischer Rechtsschule ist die Staatsreligion in Marokko. Die verfassungsmäßige Stellung des Königs als Führer der Gläubigen und Vorsitzender des Ulema Rats (Möglichkeit des Erlassens religiös verbindlicher "fatwas") ist weithin akzeptiert. Das Religionsministerium kontrolliert strikt alle religiösen Einrichtungen und Aktivitäten und gibt das wöchentliche Freitagsgebet vor (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Zur Prävention von Radikalisierung überwachen die Sicherheitsorgane islamistische Aktivitäten in Moscheen und Schulen (AA 10.3.2017).

Art. 3 der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch die Ausübung anderer anerkannter traditioneller Schriftreligionen wie Judentum und Christentum. Neuere Religionsgemeinschaften wie etwa die Baha'i werden ebenso wenig staatlich anerkannt wie abweichende islamische Konfessionen wie zum Beispiel die Schia. Fälle staatlicher Verfolgung aufgrund der Ausübung einer anderen als den anerkannten Religionen sind nicht bekannt (AA 10.3.2017).

Missionierung ist in Marokko nur Muslimen (de facto ausschließlich den Sunniten der malikitischen Rechtsschule) erlaubt (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Mit Strafe bedroht ist es, Gottesdienste jeder Art zu behindern, den Glauben eines (sunnitischen) Muslim "zu erschüttern" und zu missionieren (Art 220 Abs. 2 des marokkanischen Strafgesetzbuches). Dies schließt das Verteilen nicht-islamischer religiöser Schriften ein. Bibeln sind frei verkäuflich, werden jedoch bei Verdacht auf Missionarstätigkeit beschlagnahmt. Ausländische Missionare können unverzüglich des Landes verwiesen werden, wovon die marokkanischen Behörden in Einzelfällen Gebrauch machen (AA 10.3.2017).

Laizismus und Säkularismus sind gesellschaftlich negativ besetzt, der Abfall vom Islam (Apostasie) gilt als eine Art Todsünde, ist aber nicht strafbewehrt. Es gibt einen starken sozialen Druck, die islamischen Glaubensregeln zumindest im öffentlichen Raum zu befolgen. Grundsätzlich ist der freiwillige Religionswechsel Marokkanern nicht verboten, aber in allen Gesellschaftsschichten stark geächtet. Statusrechtlich ist eine Konversion zum Christentum für Marokkaner nicht möglich. Staatliche Stellen behandeln Konvertiten insbesondere familienrechtlich weiter als Muslime (AA 10.3.2017).

Nicht-Muslime müssten zum Islam konvertieren, um die Pflegschaft für ein muslimisches Kind übernehmen zu können. Ein muslimischer Mann darf nach marokkanischem muslimischem Recht eine nicht-muslimische Frau heiraten, eine muslimische Frau kann dagegen in keinem Fall einen nicht-muslimischen Mann heiraten (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 10.8.2016).

Im Jahr 2015 inhaftierten die Behörden marokkanische Christen und befragten diese über ihren Kontakt zu anderen Christen. Es gab einige Verhaftung von Muslimen, die während des Ramadans in der Öffentlichkeit Nahrung zu sich nahmen (USDOS 10.8.2016).

Es gibt Berichte von gesellschaftlicher Diskriminierung basierend auf Religionszugehörigkeit, Glauben oder Religionsausübung. Christen berichten über sozialen Druck seitens nicht-christlicher Familienangehöriger und Freunde, zum Islam zu konvertieren. Juden leben vorwiegend unbehelligt im Land und können Gottesdienste in Synagogen feiern, es gibt jedoch vereinzelte Fälle von Antisemitismus. Baha'i bekennen sich nicht öffentlich zu ihrem Glauben, da ihre Glaubensrichtung als häretisch gilt (USDOS 10.8.2016). Marokkanische Christen und andere Religionsgemeinschaften üben ihren Glauben in der Regel nur im privaten Bereich aus (AA 10.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)

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USDOS - U.S. Department of State (10.8.2016): 2015 International Religious Freedom Report - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/328443/469221_de.html, Zugriff 3.7.2017

6.1. Religiöse Gruppen

Mehr als 99 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Moslems. Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha'is) machen weniger als 1 Prozent der Bevölkerung aus (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 10.8.2107).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)

-

USDOS - U.S. Department of State (10.8.2016): 2015 International Religious Freedom Report - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/328443/469221_de.html, Zugriff 3.7.2017

7. Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 10.3.2017). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet (AA 10.3.2017). Ein Nationaler Präventionsmechanismus zum Schutz vor Folter ist allerdings noch immer nicht eingerichtet worden (AI 22.2.2017). Die marokkanische Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention. Systematische Folter findet nicht statt. Gleichwohl berichten NGOs über Fälle von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte. Betroffen sind laut Bericht des VN-Menschenrechtsausschusses vom Oktober 2016 vor allem Terrorverdächtige und Personen, die Straftaten verdächtig sind, die die Sicherheit oder die territoriale Integrität des Staats gefährden. Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt. Die marokkanische Menschenrechtsorganisation OMDH ("Organisation Marocaine des Droits de l'Homme") geht vom Fehlverhalten einzelner Personen aus (AA 10.3.2017). Berichte über Folter sind in den letzten Jahren zurückgegangen, aber dennoch langen immer wieder Berichte über Misshandlungen von Gefangenen durch Sicherheitskräfte bei Regierungsinstitutionen oder NGOs ein (USDOS 3.3.2017).

Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweise nicht anzunehmen ist, werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert. Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte), UN Sonderbeauftragter für Folter Juan Mendez, Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, die frühere UN-HCHR Navi Pillay. Justizminister Ramid hat die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen. Marokko hat das Fakultativprotokoll zur Antifolter-Konvention Ende 2014 ratifiziert, eine Durchführungsgesetzgebung (nationaler Mechanismus) muss aber erst erfolgen (ÖB 9.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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