TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/4 W185 2124168-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.06.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W185 2124168-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX aliasXXXX alias XXXX, geb.XXXX alias XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2017, Zl. 1052470308-161654408, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG

stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 25.02.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2015 aufgrund der festgestellten Zuständigkeit Italiens nach Art 13 Abs 1 Dublin III-VO gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Beschwerde wurde nicht erhoben.

Am 23.09.2015 wurde der Beschwerdeführer nach Italien überstellt.

Am 08.10.2015 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag). Nach entsprechenden Konsultationen mit Italien stimmte Italien mit Schreiben vom 18.11.2015 zu, den Beschwerdeführer gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO wiederaufzunehmen. Am 19.11.2015 wurde Italien vom unbekannten Aufenthalt des Beschwerdeführers und der sich daraus ergebenden Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate verständigt.

Das Bundesamt hielt mit Aktenvermerk vom 23.11.2015 fest, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 12a Abs. 1 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz nicht zukomme.

Am 10.03.2016 wurde der Beschwerdeführer (erneut) nach Italien abgeschoben.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.03.2016 wurde der (zweite) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen der festgestellten Zuständigkeit Italiens nach Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-VO gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Urkundenvorlage vom 30.06.2016 wurden ein Sozialbericht der Diakonie vom 10.06.2016 sowie ein psychiatrischer Befund vom 21.06.2016 in Vorlage gebracht. Im Sozialbericht der Diakonie wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer seit einer Bombenexplosion im Herkunftsstaat am rechten Ohr fast nichts mehr hören und über stetige Kopfschmerzen klagen würde. Beratungen und medizinische Abklärungen wären bis dato kaum möglich gewesen, da der Beschwerdeführer die Zusammenhänge nicht verstehe bzw. sie falsch interpretieren würde. Seitens der stellvertretenden Leitung des von der Diakonie Flüchtlingsdienstes betriebenen Flüchtlingshauses würde das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw. eine Intelligenzminderung vermutet. Auch würde der Beschwerdeführer schlecht schlafen und hätte "viel Stress", sodass dieser kein Vertrauen zu den Betreuerinnen aufbauen hätte können. Ziel der Beratung wäre es, Vertrauen aufzubauen, um den Beschwerdeführer zu stabilisieren. Im psychiatrischen Befund vom 21.06.2016 wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer unter Ein- und Durchschlafstörungen bzw. unter Albträumen und ständiger Angst leiden würde. Die Konzentration und Aufmerksamkeit seien herabgesetzt. Das Denken wäre eingeengt auf die aktuelle Problematik; einfach strukturiert. Eine produktive Symptomatik würde nicht vorliegen bzw. sei der Beschwerdeführer nicht suizidal.

Diagnose: PTSD 43.1. bzw. schwere depressive Episode F32.2. Eine medikamentöse Behandlung wurde verschrieben (Sertralin; Seroquel); eine intensive psychosoziale Betreuung wurde empfohlen.

Mit Urkundenvorlage vom 08.07.2016 wurden Zuweisungen zu ambulaten Untersuchungen zur Abklärung der vorliegenden Hörstörungen bzw. diesbezügliche Untersuchungsberichte eines Diagnosezentrums vorgelegt, in welchem eine chronisch polypoide Pansinusitis mit Sekretretentionen im Sinuns frontalis maxillaris rechts diagnostiziert wurde. Zudem wurde auch die Verschreibung von zwei Medikamenten eines Arztes für Allgemeinmedizin in Vorlage gebracht.

Mit Urkundenvorlage vom 16.09.2016 wurden die Ambulanzkarte einer HNO Abteilung vom 07.09.2016, ein Radiologie MR Befund vom 07.09.2016 sowie ein Rezept vom 14.09.2016 vorgelegt.

Mit Urkundenvorlage vom 19.10.2016 wurde ein Sozialbericht des Diakonie Flüchtlingsdienstes vom 14.10.2016 vorgelegt. Ergänzend zu diesem Bericht wurde seitens der Beschwerdevertretung ausgeführt, dass aus diesem Bericht hervorgehe, dass für den Beschwerdeführer ein erhöhter Betreuungsbedarf bestehen würde und daher vor diesem Hintergrund und der besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers ausgehend, jedenfalls die Einholung einer Einzelfallzusicherung erforderlich wäre. Im vorgelegten Sozialbericht des Diakonie Flüchtlingsdienstes ist ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bereits drei Mal nach Italien abgeschoben worden wäre. Da sein Bruder jedoch in Österreich wohnen würde, wäre er immer wieder zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer höre am rechten Ohr fast nichts mehr und würde über ständige Kopfschmerzen klagen. Beratungen und medizinische Abklärungen wären bis dato nicht möglich gewesen, da der Beschwerdeführer einfachste Zusammenhänge nicht verstehen würde bzw. diese falsch interpretieren würde. Er wäre sehr misstrauisch und verschlossen. Die behandelnde Psychiaterin hätte am 21.06.2016 eine PTSD und eine schwere Depression diagnostiziert. Die Schlafstörungen wären durch die verschriebenen Psychopharmaka etwas besser geworden. Der Betreuungsaufwand wäre jedoch noch sehr intensiv, weil der Beschwerdeführer immer noch nicht die Zusammenhänge verstehen würde und ständig Gegebenheiten verwechseln würde, Termine verpasse, Treffpunkte verfehle, etc. Der Beschwerdeführer müsse zu jedem Termin aufgeweckt werden und wieder retour begleitet werden, was ein großer Aufwand wäre. Ein zusätzlicher Betreuungsaufwand wäre hinsichtlich Arztkontakten, Medikamentengebarung, Begleitung zu Terminen, psychologischen Gesprächen/Behandlungen, Psychoedukation erforderlich.

Mit neuerlichem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vom 02.11.2016 wurde ausgeführt, dass im Lichte der kürzlich vorgelegten medizinischen Unterlagen, die das Vorliegen einer sehr schlechten psychischen Verfassung und eines hohen Betreuungsaufwandes bescheinigen würden, sowie der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung des Beschwerdeführers, dem neuerlichen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben wäre.

Am 04.12.2016 wurde der Beschwerdeführer erneut nach Italien überstellt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2016 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 15.03.2016 gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

Am 09.12.2016 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag) und gab hiezu in der Befragung vom selben Tag an, krank zu sein und deshalb in Österreich bleiben zu wollen. Er habe in Italien keine Grundversorgung; insbesondere keine Unterkunft. In Österreich habe er einen Bruder, welcher den Beschwerdeführer unterstütze.

In einem Schreiben der Diakonie vom 14.12.2016 wurde festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankung in laufender psychiatrischer Behandlung befinde und Medikamente einnehmen müsse, weshalb auch eine Sachwalterschaft für ihn angeregt worden sei. Dem Schreiben sind ein psychiatrischer Befund vom 21.07.2016 mit den Diagnosen "PTSD F43.1; schwere depressive Episode F32.2", ein Medikamentenplan sowie die Anregung der Sachwalterschaft an ein Bezirksgericht beigefügt.

Am 17.12.2016 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmeersuchen gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin-III-VO an Italien.

Mit Eingaben der rechtsfreundlichen Vertretung (RA Mag. Nadja Lorenz) vom 21.12.2016 und vom 29.12.2016 wurde dem Bundesverwaltungsgericht unter Vorlage entsprechender ärztlicher Unterlagen zur Kenntnis gebracht, dass der Beschwerdeführer vom 18.12.2016 bis zum 27.12.2016 zur Behandlung eines akut psychotischen Zustandsbildes in stationärer Behandlung gewesen sei.

Diagnosen bei Entlassung: "Verdacht auf Paranoide Schizophrenie (F20.0), St.p. Schussverletzung rechter Fuß (T14.9), Hörminderung rechts nach Knalltrauma (H91.9)". Empfohlen wurden die Einnahme von RISPERDAL FTBL, die psychiatrische Weiterbehandlung sowie die Durchführung eines CCT. Die Entlassung sei auf den dringenden Wunsch des Patienten erfolgt.

Mit Schreiben vom 10.01.2017 wies das Bundesamt die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO hin (vgl. AS 103).

In einer Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers vom 27.01.2017 wurde auf den schlechten Gesundheitszustand des Beschwerdeführers verwiesen und ausgeführt, dass diesem im Falle einer Abschiebung nach Italien eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 und Art. 8 EMRK drohe und diesem daher bis zum Abschluss des gegenständlichen Verfahrens ein faktischer Abschiebeschutz zukommen müsse.

Laut einem Aktenvermerk des Bundesamtes vom 01.02.2017 komme dem Beschwerdeführer kein faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 1 AsylG 2005 zu.

Mit Urkundenvorlage vom 08.02.2017 legte die rechtfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers folgende Unterlagen vor:

-

einen Patientenbrief vom 30.01.2017, wonach der Beschwerdeführer bei "gestörter Impulskontrolle und Suizidgedanken bei fraglich psychotischer Reaktionsbereitschaft" am 24.01.2017 stationär aufgenommen und am 30.01.2017 in psychopathologisch stabilisiertem Zustand entlassen worden sei; Diagnosen: "Rezidivierende psychotische Störung (F20.0), St.p. Schussverletzung rechter Fuß (T14.9), Hörminderung rechts nach Knalltrauma (Bombenexplosion) (H91.9)"

-

einen Situationsbericht vom 30.01.2017 über seine Pflege; demnach sei der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entlassung am 30.01.2017 selbstständig und bedürfe keiner Unterstützung durch professionelle Pflege; dies beziehe sich aber nicht auf die Unterstützung, welche vor oder nach dem Krankenhausaufenthalt im häuslichen Umfeld benötigt worden sei und werde

-

eine Bestätigung über seinen stationären Aufenthalt vom 24.01.2017 bis zum 30.01.2017

Mit Eingabe vom 13.02.2017 legte die rechtsfreundliche Vertretung einen fachärztlichen Befundbericht vom 09.02.2017 hinsichtlich des stationären Aufenthalts im Zeitraum vom 18.12.2016 bis 27.12.2016 mit den bereits bekannten Diagnosen "paranoide Schizophrenie F20.0, Hörminderung rechts nach Knalltrauma, St.p. Schussverletzung des rechten Fußes" vor. Darin wurde weiteres ausgeführt, dass ein wesentlicher Beitrag zur psychischen Stabilisierung neben der medikamentösen Behandlung eine für den Beschwerdeführer sichere Umgebung, eine Reduktion von Belastungsfaktoren sowie ein stabiles soziales Umfeld mit Personen seines Vertrauens, wie dem Bruder, der ebenfalls in Wien lebe und zu dem enger Kontakt bestehe, sei. Neben der Ungewissheit über den Aufenthaltsstatus seien für den Beschwerdeführer auch die wiederholt durchgeführten Abschiebungen nach Italien eine massive Belastung. Der Beschwerdeführer stehe seit 03.01.2017 in der do Ambulanz in sozialpsychiatrischer Behandlung.

Mit Eingabe vom 01.03.2017 wies die rechtsfreundliche Vertretung darauf hin, dass nunmehr der Bruder des Beschwerdeführers zu dessen einstweiligem Sachwalter bestellt worden sei. Der entsprechende Beschluss eines Bezirksgerichts vom 22.02.2017 wurde dem Schreiben beigefügt.

Am 28.04.2017 wurde der Beschwerdeführer, in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie seines Bruders als Sachwalter, einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterzogen. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer hierbei an, nicht nach Italien zurückkehren zu wollen, da er dort niemanden habe. In Österreich lebe sein Bruder, der ihm helfe und Inhaber eines Konventionsreisepasses sei. Grundsätzlich wohne der Beschwerdeführer in einer Einrichtung der Diakonie, am Wochenende wohne er jedoch bei seinem Bruder. Im Zuge der Einvernahme gab der Bruder und zugleich Sachwalter des Beschwerdeführers noch an, dass er dem Beschwerdeführer alle 14 Tage etwa 50 Euro Taschengeld zukommen lasse. Er passe darauf auf, dass der Beschwerdeführer seine Medikamente einnehme. Sein Bruder brauche Hilfe, weshalb er ersuche, diesen in Österreich bleiben zu lassen. Am Ende der Einvernahme beantragte der Rechtsberater das Verfahren des Beschwerdeführers aufgrund seiner psychischen Erkrankung, des intensiven Familienlebens und der Tatsache, dass sein in Österreich niedergelassener Bruder die Sachwalterschaft für den Beschwerdeführer innehabe, in Österreich zuzulassen.

Im Zuge der Befragung wurden einige medizinische Unterlagen für den Beschwerdeführer vorgelegt. Neben den bereits bekannten ärztlichen Schreiben handelt es sich noch um

-

eine Liste über seine Medikamenteneinnahme

-

ein ärztliches Schreiben vom 05.07.2016 mit folgendem Untersuchungsergebnis: "NNH: Chronisch polypoide Pansinusitis mit Sekretretentionen im Sinus frontalis maxillaris rechts; Hypoplastisch angelegter Sinus frontalis links; Bilaterale Recussus frontalis und Infundibulum Blockade; Schläfenbeine: geringe Flüssigkeitsretentionen in den Cellulae mastoideae links, sonst unauffällige CT beider Schläfenbeine"

Mit Schreiben vom 04.05.2017 wurde eine außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2016 erhoben.

Am 09.05.2017 wurde der Beschwerdeführer einer Untersuchung durch eine allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige unterzogen. In der gutachterlichen Stellungnahme vom 18.05.2017 wurde festgehalten, "dass beim Beschwerdeführer ein Zustand nach einer psychotischen Episode in Remission vorliege. Zur Zeit der Befundaufnahme würden sich keine Symptome einer psychotischen Störung mehr finden. Eventuell hätten die Medikamente bereits zu einer Remission geführt. Die Behandlung mit Antipsychotika solle weiter erfolgen. Zudem seien Kontrollen am jeweiligen Aufenthaltsort anzuraten. Bei einer Überstellung sei eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers nicht sicher auszuschließen; eine akute Selbstgefährdung liege zur Zeit der Befundaufnahme und zur Zeit der auswärts durchgeführten Untersuchungen bzw. stationären psychiatrischen Aufenthalte nicht vor."

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.05.2017 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in Hinblick auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2016, gegen das Revision erhoben wurde, stattgegeben.

Mit Schreiben vom 30.05.2017 wurden die italienischen Behörden über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in Kenntnis gesetzt.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2017 wurde die Revision in Hinblick auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2016 zurückgewiesen.

In weiterer Folge wurden die italienischen Behörden mit Schreiben des Bundesamtes vom 24.08.2017 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Überstellungsfrist mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu laufen begonnen habe.

Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2016 wurde am 01.06.2017 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin-III-VO zuständig sei, sowie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig sei. Zusammengefasst wurde festgehalten, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass dieser tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesem eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Der Beschwerdeführer leide an einer Hörminderung am rechten Ohr infolge eines Knalltraumas und befinde sich im Zustand nach einer psychotischen Episode. Die Feststellungen zum psychischen Zustand würden sich aus einem durchgeführten PSY III-Gutachten ergeben. Es sei demnach zu einer Remission der Symptome eventuell infolge Medikamenteneinnahme gekommen. Es könne nicht festgestellt werden, dass im Fall des Beschwerdeführers schwere psychische Störungen oder schwere bzw. ansteckende Krankheiten bestehen würden. Der Beschwerdeführer sei nicht lebensbedrohlich erkrankt. Auch wenn in Österreich der Bruder des Beschwerdeführers als anerkannter Flüchtling lebe, welcher zugleich Sachwalter des Beschwerdeführers sei, bestehe kein gemeinsamer Haushalt mit dem Genannten. Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Bruder gehe über ein übliches verwandtschaftliches Maß nicht hinaus; es sei nicht vom Vorliegen eines iSd Art 8 EMRK schützenswerten Familienlebens auszugehen. Nach Überstellung nach Italien könne dem Beschwerdeführer dort ein Sachwalter bestellt werden. Eine vom Beschwerdeführer befürchtete Abschiebung in den Herkunftsstaat könne nur nach erfolgter Refoulementprüfung erfolgen. In Italien herrsche eine unbedenkliche Versorgungslage für Asylwerber; dies gelte auch für die medizinische Versorgung. Zusammengefasst sei davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG habe nicht erschüttert werden können; ein zwingender Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts habe sich nicht ergeben.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und erneut vorgebracht, dass der Beschwerdeführer an einer schweren psychischen Erkrankung (paranoide Schizophrenie) leide und einen Bruder in Österreich habe, welcher zugleich dessen Sachwalter sei. Am Wochenende wohne der Beschwerdeführer bei dem genannten Bruder; unter der Woche lebe er in einem Heim für erhöhten Betreuungsbedarf, in dem er permanenten Zugang zu klinischen Psychologen habe. Der Bruder des Beschwerdeführers sei anerkannter Flüchtling in Österreich und unterstütze den Beschwerdeführer materiell und psychisch. Bei psychotischen Schüben brauche der Beschwerdeführer seinen Bruder, um ihn zu beruhigen; sein begleite den Beschwerdeführer stets zu Ärzten und sei in täglichem Kontakt mit ihm. Sein Bruder sei der größte psychische Beistand für den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer könne seinen Alltag aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie nicht selbstständig bewältigen. Außerdem benötige der Beschwerdeführer beidseitig Hörgeräte. Der Beschwerdeführer stehe in laufender Behandlung bei einer Fachärztin für Psychiatrie und müsse täglich zwei Mal Olanzapin einnehmen. Es liege auf der Hand, dass hier eine besonders intensive Nahebeziehung und ein sowohl materielles als auch psychisches Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Bruder bestehe. Obwohl der Beschwerdeführer aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankung eine besonders vulnerable Person sei, habe es die belangte Behörde unterlassen, sich hinreichend mit der Aufnahme- und der (medizinischen) Versorgungssituation für besonders vulnerable Personen in Italien auseinanderzusetzen. Der Beschwerdeführer sei bereits mehrmals (auch im Rahmen von Dublin-Überstellungen) in Italien gewesen und sei bei seinen letzten Ankünften obdachlos geblieben. Dies würde auch bei einer erneuten Überstellung ein reales Risiko für den Beschwerdeführer darstellen. Im vorliegenden Fall wäre daher jedenfalls eine Einzelfallzusicherung einzuholen gewesen. Die Feststellung der Behörde, dass beim Beschwerdeführer keine schweren psychischen Störungen festgestellt hätten werden können sei grob verfehlt und würden ausdrücklich bestritten. Diese Feststellungen würden überdies auf einem mangelhaften Verfahren basieren, zumal dem Beschwerdeführer bzw dessen Vertretern insbesondere das PSY III-Gutachten vom 09.05.2017 nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Dieser "Gutachterlichen Stellungnahme" hätte man die viel aussagekräftigeren Beweismittel entgegenhalten können, aus welchen sich einhellig die Diagnose "paranoide Schizophrenie F20.0" ergeben würde; diese Beweismittel würden nun im Rahmen der Beschwerde vorgelegt. Von einer unbedenklichen Versorgungslage für Asylwerber in Italien könne, entgegen den Ausführungen der Behörde, keineswegs gesprochen werden. So habe der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben auf der Straße leben müssen und hätte keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung gehabt; auch aufgrund der schweren psychischen Erkrankung könne sich dieser nicht selbst um eine Unterbringung kümmern. Auch in Österreich sei ein erhöhter Betreuungsbedarf mit permanentem Zugang zu klinischen Psychologen erforderlich; er könne seinen Alltag aufgrund der bestehenden paranoiden Schizophrenie nicht selbständig bewältigen. Dem Beschwerdeführer drohe in Italien aufgrund der besonderen Schwere seiner Erkrankung in Zusammenschau mit der mangelhaften Versorgungs- und Unterbringungssituation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung seiner durch Art 3 EMRK geschützten Rechte. Es hätte aufgrund der besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers jedenfalls eine Einzelfallzusicherung eingeholt werden müssen. Im vorliegenden Fall liege sowohl ein Eingriff in das Privat- als auch in das Familienleben des Beschwerdeführers vor. Dieser Eingriff sei, wie bereits oben dargelegt, auch insbesondere in Hinblick auf die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers nicht gerechtfertigt.

Der Beschwerde wurden (der bereits bekannte) fachärztliche Befundbericht vom 09.02.2017 sowie ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten vom 26.06.2017 beigefügt, worin zusammengefasst Folgendes festgehalten wurde: Beim Beschwerdeführer finde sich eine psychiatrische Symptomatik im Sinne einer paranoiden Schizophrenie. Aufgrund der krankheitswertigen Ausprägung der Symptomatik bedürfe er der Beistellung eines Sachwalters in verschiedenen (näher aufgezählten) Belangen. Eine Besserung des Zustandsbildes sei unter Fortsetzung der psychiatrisch psychopharmakologischen Behandlung in Teilbereichen zu erwarten. Aus dem fachärztlichen Befundbericht vom 09.02.2017 ergibt sich folgende Diagnose: paranoide Schizophrenie F20.0; Hörminderung rechts nach Knalltrauma; St. P. Schussverletzung des rechten Fußes; Medikation: Zyprexa. Neben dem paranoid akustisch halluzinierenden Erleben seien für den Beschwerdeführer auch die bereits wiederholten Abschiebungen nach Italien massiv belastend. Neben der medikamentösen Behandlung seien eine sichere Umgebung, eine Reduktion von Belastungsfaktoren sowie ein stabiles soziales Umfeld mit Personen seines Vertrauens, wie seinem Bruder, zu welchem enger Kontakt bestehe, zur psychischen Stabilisierung erforderlich.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.12.2017 wurde der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 27.11.2017 gem. § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Eingabe vom 25.01.2018 wurde dem erkennenden Gericht ein aktueller fachärztlicher Befundbericht vom 11.01.2018 in Vorlage gebracht, worin nach wie vor die Diagnosen "paranoide Schizophrenie F20.0, Hörminderung rechts nach Knalltrauma, St.p. Schussverletzung des rechten Fußes" aufscheinen und erneut darauf hingewiesen wurde, dass zur psychischen Stabilisierung des Beschwerdeführers neben der medikamentösen Behandlung ein stabiles soziales Umfeld mit Personen seines Vertrauens, wie dem Bruder, beitragen würde. Die Medikation wurde offensichtlich auf OLNZAPIN umgestellt.

Mit Eingabe vom 09.05.2018 wurde dem erkennenden Gericht zur Kenntnis gebracht, dass beim Beschwerdeführer wegen seiner schweren Hörbehinderung ein Grad der Behinderung von 70 % festgestellt worden sei, weshalb ihm ein (vorläufig befristeter) Behindertenpass ausgestellt werde. Ergebnis der Begutachtung: Rechts Taubheit; links "an Taubheit grenzende Hörstörung".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger aus Somalia, stellte insgesamt drei Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Zu den Asylanträgen vom 25.02.2015 sowie vom 08.10.2015 sind rechtskräftig negative Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichts ergangen. Der Beschwerdeführer wurde am 23.09.2015, am 10.03.2016 sowie am 05.12.2016 nach Italien überstellt, gelangte jedoch jeweils erneut illegal in das Bundesgebiet.

Im Rahmen des nunmehr (dritten) Antrages auf internationalen Schutz vom 09.12.2016 wurden erneut Konsultationen mit Italien geführt, wobei sich eine Zuständigkeit Italiens aufgrund Verfristung ergeben hat.

Der Beschwerdeführer leidet unter schweren psychischen Problemen, die bereits wiederholt zu längerdauernden stationäre Unterbringungen in psychiatrischen Krankenhäusern sowie die Bestellung eines Sachwalters erforderlich machten. Es wurden u.a. folgende Diagnosen gestellt: "PTSD; schwere depressive Episode; rezidivierende psychotische Störung; paranoide Schizophrenie F20.0". Neben den Diagnosen "St.p. Schussverletzung des rechten Fußes; chronisch polypoide Pansinusitis mit Sekretretentionen im Sinus frontalis maxillaris rechts; hypoplastisch angelegter Sinus frontalis links; bilaterale Recussus frontalis und Infundibulum Blockade; geringe Flüssigkeitsretentionen in den Cellulae mastoideae links" wurde bei ihm weiters eine "Hörminderung rechts nach einem Knalltrauma" festgestellt, weshalb ihm letztlich auch ein befristeter Behindertenpass ausgestellt wurde. Der Beschwerdeführer benötigt ein stabiles Umfeld und wird medikamentös behandelt. Seit 03.01.2017 steht der Beschwerdeführer in einem Sozialpsychiatrischen Ambulatorium in sozialpsychiatrischer Behandlung.

In Österreich lebt der Bruder des Beschwerdeführers als anerkannter Flüchtling, der als dessen Sachwalter bestellt wurde und den Beschwerdeführer im täglichen Leben unterstützt. Die Wochenenden verbringt der Beschwerdeführer mit dem genannten Bruder; während der Woche wohnt der Beschwerdeführer in einem Heim mit erhöhtem Betreuungsbedarf und permanentem Zugang zu klinischen Psychologen.

2. Beweiswürdigung: Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der Vorverfahren des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers basieren auf den unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunden.

Die Feststellungen zum Familienbezug des Beschwerdeführers zu seinem Bruder und der Intensität desselben, ergeben sich aus der Aktenlage; insbesondere aus den Aussagen der Genannten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenord-nung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß an-zuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegan-genen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zu-ständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zu-ständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaub-haft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offen-kundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Abs. 1:

"(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaats-angehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird."

Art. 13 Abs. 1:

"Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

Art. 16

"Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen."

Art. 17 lautet:

"Ermessensklauseln:

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen."

Art. 18 lautet:

"Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen."

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Im gegenständlichen Verfahren ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Zugrundelegung der Ergebnisse der Ermittlungsverfahren zunächst zutreffend davon aus, dass aufgrund der illegalen Einreise und der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers Italien gemäß der Dublin-III-VO zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zuständig ist. Italien hat der Aufnahme des Beschwerdeführers nunmehr durch Verfristung zugestimmt.

Zur Frage des im vorliegenden Fall gebotenen Selbsteintritts Österreichs wird Folgendes ausgeführt:

Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn dieser nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngster Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 17 K2).

Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10.12.2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, 2.12.2014, Ra 2014/18/0100, 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig und es ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Zwar ist dem Bundesamt insofern zuzustimmen, dass die Behinderung bzw die Erkrankung des Beschwerdeführers per se nicht aktuell lebensbedrohlich sind und grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im zuständigen Mitgliedstaat bestehen (und auch dort gegebenenfalls ein Sachwalter für den Beschwerdeführer bestellt werden könnte). Dennoch erscheint es in casu sinnvoll und angezeigt, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Dies aufgrund folgender Erwägungen:

Wie sich aus den zahlreichen Befunden/Arztschreiben ergibt, welche zum Teil von einem Zeitpunkt nach der Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 09.05.2017 datieren, ergibt, liegen beim Beschwerdeführer einerseits eine schwere Behinderung (Taubheit auf dem rechten Ohr; beinahe Taubheit auf dem linken Ohr; 70%-Behinderung) und zusätzlich eine schwere psychische Erkrankung in Form einer paranoiden Schizophrenie (F20.0), welche medikamentös behandelt wird, vor. Seit Jänner 2017 befindet sich der Beschwerdeführer zudem in sozialpsychiatrischer Behandlung in einem Ambulatorium. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seines gesundheitlichen Zustands als besonders vulnerabel anzusehen. Die, entgegen der Ansicht der Behörde, zweifelsohne als schwer zu qualifizierende psychische Erkrankung erforderte immer wieder längerdauernde stationäre Krankenhausaufenthalte und führte letztlich auch dazu, dass der Bruder des Beschwerdeführers als dessen Sachwalter bestellt werden musste, um die täglichen Angelegenheiten des Beschwerdeführers zu besorgen. Unter der Woche lebt der Beschwerdeführer zwar in einem Heim der Diakonie, in welchem er stets Zugang zu ausgebildeten klinischen Psychologen hat; die Wochenenden jedoch verbringt der Beschwerdeführer bei seinem Bruder, welcher ihm, wie auch jüngst in einem ärztlichen Schreiben vom 11.01.2018 festgehalten wurde, als Vertrauensperson ein stabiles soziales Umfeld bietet und so einen wichtigen Teil zur psychischen Stabilisierung des Beschwerdeführers beiträgt. So begleitet der Genannte den Beschwerdeführer etwa zu Arztterminen, verhält diesen auch zur regelmäßigen Einnahme der Medikamente und gewährt ihm geringfügige, aber regelmäßige finanzielle Unterstützung. Im oben angeführten Arztschreiben wird auch explizit darauf hingewiesen, dass die wiederholt erfolgten Abschiebungen eine massive Belastung für den Beschwerdeführer dargestellt hätten, welche zu vermeiden wären.

Nach dem Gesagten erscheint es fallgegenständlich - infolge der vorliegenden Konstellation aus dem Bestehen einer schweren Behinderung und dem Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung in Zusammenschau mit der vorliegenden familiären Nahebeziehung zu dem in Österreich als anerkannter Flüchtling aufhältigen Bruder - zur Vermeidung einer Verletzung des Art 8 EMRK im Rahmen der "Ermessensklausel" des Art 17 Abs 1 Dublin III-VO im konkreten, speziellen Einzelfall angezeigt, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben, zumal sämtliche verfahrenswesentliche Abklärungen, insbesondere aber der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers, eindeutig aus den vorliegenden Verwaltungsakten beantwortet werden konnten.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Familienangehöriger, gesundheitliche Beeinträchtigung,
Selbsteintrittsrecht, Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W185.2124168.2.00

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten