Entscheidungsdatum
04.06.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
L506 2162364-1/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , Regionaldirektion Wien, beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Antrag des Beschwerdeführers (nachfolgend BF) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Studierender" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz wurde mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35, vom 12.09.2016 abgewiesen, da die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht mehr vorlagen und wurde die betreffende Entscheidung dem Bundesamt übermittelt.
2. Zur Klärung der Verhältnisse und Überprüfung des Aufenthaltes wurde der BF zum Bundesamt geladen und führte dieser in der niederschriftlichen Einvernahme vom 13.03.2017 kurz zusammengefasst aus, er habe keine österreichische Matura und werde sein Türkisch nicht akzeptiert und müsste er in die Türkei reisen, um eine Prüfung abzulegen. Dies werde er jedoch unterlassen, da er einen Hund in Österreich habe, die politische Lage in der Türkei verrückt sei und die Prüfung dort ca. ein Jahr dauern würde. Hinsichtlich der politischen Lage in der Türkei und auf die Frage zu seinen diesbezüglichen Befürchtungen gab der BF an, er nehme an, von Erdogan-Anhängern für seine politische Meinung in Österreich in der Türkei denunziert worden zu sein und fürchte er, dass er verhaftet werde.
Zu seiner Situation in Österreich führte der BF aus, er habe hier keine familiären Bindungen, er erledige als Programmierer Gelegenheitsjobs und werde er auch von seinen Eltern, die in der Türkei leben, finanziell (900-1000 € monatlich) unterstützt.
Der Reisepass des BF wurde sichergestellt.
3. Der BF legte medizinische Unterlagen vom 25.03.2017 mit der Diagnose tachykarde Episoden (Herzstolpern) vor.
4. Mit einer Verständigung von der Beweisaufnahme vom 03.05.2017 wurde dem BF die Beabsichtigung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung mitgeteilt und diesem eine Frist zur Stellungnahme von sieben Tagen eingeräumt.
5. Am 11.05.2017 langte beim Bundesamt eine Stellungnahme des BF ein, in der er neben der Schilderung seiner privaten Situation in Österreich auch auf seine politischen Tätigkeiten im Internet verwies.
6. Lt. Aktenvermerk des BFA vom 15.05.2017 beabsichtige der BF einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 31.05.2017 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 55 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (ASylG) idgF nicht erteilt und gegen den BF gem. § 52 Abs. 1 Z 1 FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung erlassen und wurde gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Türkei gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt I.).
Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt II.).
Das BFA stellte fest, dass der BF 2012 in der Absicht, in Österreich zu studieren, eingereist sei und sei dieser nach 5 Jahren Aufenthalt in Österreich sozial teilweise integriert, doch habe er im Bundesgebiet weder familiäre noch berufliche Anknüpfungspunkte und lebe der BF sowie seine Familie grundsätzlich in der Türkei.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BFA aus, dass die schützenswerten Interessen des BF an einem Aufenthalt in Österreich unter Zugrundelegung des Maßstabes des Art 8 EMRK wesentlich geringer zu werten seien als das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit und komme auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht. Ferner könne der BF grundsätzlich in die Türkei abgeschoben werden. Der BF habe einen nationalen Reisepass vorgelegt und sei die Abschiebung in die Türkei somit zulässig.
Zu seinen Rückkehrbefürchtungen in Verbindung mit den politischen Olineaktivitäten des BF und der Angst vor einer Verhaftung im Rückkehrfall in die Türkei wird im angefochtenen Bescheid festgehalten, dass der BF diesbezüglich keinen einzigen Beweis vorgelegt habe. Dem BF sei ferner die Möglichkeit eingeräumt worden, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, was der BF jedoch nicht getan habe, weshalb die Behörde davon ausgehen müsse, dass die Verhaftungsgefahr in der Türkei nicht existent bzw. weit geringer, als der BF vor der Behörde vorgetragen habe, sei. Gem. § 50 Abs. 2 FPG wäre eine Abschiebung unzulässig, wenn dem Fremden die Flüchtlingseigenschaft zukomme, doch habe der BF keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
8. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seinen nunmehrigen Vertreter am 31.05.2017 innerhalb offener Frist vollumfängliche Beschwerde. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).
Im wesentlichen wurde moniert, dass der angefochtene Bescheid keine länderkundlichen Feststellungen zur aktuellen Lage in der Türkei enthalte und habe die Angabe des BF in der behördlichen Einvernahme, wonach er Angst habe, im Rückkehrfall aufgrund seiner politischen Meinung, die er in Österreich vertrete, denunziert worden zu sein und verhaftet zu werden, als Antrag auf internationalen Schutz gewertet werden müssen. Die belangte Behörde habe ihre Verpflichtung gem. § 52 Abs. 1 FPG iVm § 13 a AVG somit nicht wahrgenommen. Der Beschwerdeführer habe am 09.06.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und sei am selben Tag dazu erstbefragt worden.
9. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
10. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen:
1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin
Die gegenständliche Beschwerde wurde am 11.02.2016 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage durch das BFA am 12.02.2016 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.
Zu Spruchpunkt A)
2. Ersatzlose Behebung des Bescheides
Im gegenständlichen Fall ist zur gleichen Zeit sowohl ein Verfahren über eine Rückkehrentscheidung beim Bundesverwaltungsgericht als auch seit 09.06.2017 ein Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesamt anhängig.
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang zentral auf die rezente Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0138-9 mit Verweis auf VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162, Rn. 12 und 13 iVm Rn. 1, wonach die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig ist, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, in unzulässiger Weise vorwegzunehmen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ist daher grundsätzlich nicht zulässig.
Die zitierten Ausführungen sind zur Gänze auf den vorliegenden Fall umlegbar, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war. Über die Rückkehrentscheidung wird das BFA gegebenenfalls im nunmehr anhängigen Asylverfahren zu entscheiden haben.
Gemäß § 28 Abs 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.
Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass das BFA in seine hg. angefochtene Entscheidung zur Zulässigkeit der Abschiebung keine länderkundlichen Feststellungen zur aktuellen Situation in der Türkei aufgenommen und dem BF zuvor im Zuge des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht hat, was zur fundierten Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung jedenfalls unerlässlich ist, sodass der angefochtenen Bescheid jedenfalls mit Rechtswidrigkeit belastet ist.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG sind im gegenständlichen Fall erfüllt, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid zu Gänze aufzuheben ist.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Bindungswirkung, Rechtsanschauung desEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L506.2162364.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.06.2018