TE Vwgh Beschluss 2018/4/26 Ra 2018/11/0072

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Veröffentlicht am 26.04.2018
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §52;
VOG 1972 §1 Abs1;
VOG 1972 §1 Abs3;
VOG 1972 §3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Schick sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der S J in W, vertreten durch Dr. Johannes Öhlböck, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 26/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2018, Zl. W132 2115183- 1/13E, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 14. August 2015 wies die belangte Behörde den - im Wesentlichen auf Misshandlungen während der Aufenthalte in Kinderheimen, durch deren Folgen und durch die Ermöglichung bloß des Besuchs einer Sonderschule eine aussichtsreiche Berufslaufbahn verhindert worden sei, gestützten - Antrag der Revisionswerberin auf Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes von Verdienstentgang ab. Als Rechtsgrundlagen waren § 1 Abs. 1 und 3, § 3 und § 10 Abs. 1 VOG angegeben.

2 Die dagegen gerichtete Beschwerde der Revisionswerberin hat das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen und ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht (gestützt unter anderem auf zahlreiche medizinische Sachverständigengutachten und Befunde) im Wesentlichen aus, die 1961 geborene Revisionswerberin sei von 1964 bis 1977 mit kurzen Unterbrechungen in verschiedenen Kinderheimen untergebracht gewesen, wo sie körperlich und seelisch misshandelt worden sei (wurde näher ausgeführt). Im Alter von sechs Jahren sei sie von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden. Als Folge der Misshandlungen leide die Revisionswerberin an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit chronischer Depression und Selbstverletzung. Die Folgen eines bei einem Sturz (beim Eislaufen) erfolgten Bruchs des linken Handgelenks im Jahr 1973 hätten in der Zeit nach der Heimunterbringung kein die Arbeitsfähigkeit der Revisionswerberin maßgeblich einschränkendes Ausmaß erreicht. Nach einem neuerlichen Sturz im Jahr 2006 seien drei Operationen an der linken Hand erfolgt. Die Funktionseinschränkung der linken Hand sowie weitere körperliche Leiden (Dorsolumbalgie, Beckenschiefstand mit Rundrückenbildung, Asthma, Bluthochdruck, Epilepsie, Gallenblasenentfernung, Sectio, Sulcus Ulnaris Syndrom) seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die festgestellten Verbrechen zurückzuführen.

Die Revisionswerberin habe die Sonderschule besucht, sei in der dritten Klasse Hauptschule ausgetreten und habe eine Lehre als Verkäuferin begonnen. Mit 17 Jahren habe sie ihr erstes Kind geboren und weiter die Berufsschule besucht. Mit 18 Jahren habe sie ein weiteres Kind geboren, welches nach drei Monaten verstorben sei. Daraufhin habe sie die Lehre abgebrochen und nicht wieder aufgenommen, weil sie durch den Tod des einen und eine schwere Krankheit des anderen Kindes nervlich nicht dazu in der Lage gewesen sei. Überdies sei sie mangels finanzieller Unterstützung gezwungen gewesen zu arbeiten. Die Revisionswerberin sei in verschiedenen, häufig wechselnden Dienstverhältnissen etwa als Reinigungskraft, Kellnerin oder Verkäuferin beschäftigt gewesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie die Lehre aus verbrechenskausalen Gründen abgebrochen habe; auch sei ihr Berufsverlauf durch die verbrechenskausalen Leiden nicht maßgebend negativ beeinflusst worden. Diese Feststellungen gründeten sich auch auf die glaubwürdigen Schilderungen der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung.

Nach Wiedergabe der Rechtslage führte das Verwaltungsgericht aus, es sei zwar überwiegend wahrscheinlich, dass die Revisionswerberin durch Tathandlungen iSd. § 1 VOG - zu denen die Aufnahme in eine Sonderschule jedoch nicht zähle - Gesundheitsschädigungen erlitten habe. Allerdings hätten diese nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als wesentliche Ursache zu jenem Leidenszustand beigetragen, der die Revisionswerberin am Abschluss einer Ausbildung und einem maßgebend günstigeren Beschäftigungsverlauf gehindert habe. Vielmehr seien dafür akausale Ereignisse ursächlich, wie die frühe Schwangerschaft, der Tod des einen und die schwere Krankheit des anderen Kindes, die finanzielle Notlage und später zahlreiche Krankenstände wegen akausaler Gesundheitseinschränkungen. Ein verbrechenskausaler Verdienstentgang liege somit nicht vor.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. etwa die Beschlüsse VwGH 23.3.2017, Ra 2017/11/0014, und VwGH 1.9.2017, Ra 2017/11/0225, jeweils mwN).

     8 Zur Zulässigkeit wird in der Revision ausgeführt, es fehle

hg. Rechtsprechung dazu,

     "ob zur Beurteilung der Rechtsfragen

1.        ob ein Kausalzusammenhang zwischen den Einschränkungen

der Arbeitsfähigkeit und den erlittenen Misshandlungen besteht sowie

2.        ob die während der Heimunterbringung erlittenen

Misshandlungen und der sexuelle Missbrauch der Revisionswerberin mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als wesentliche Ursache zu jenem Leidenszustand der Revisionswerberin beigetragen haben, welcher sie an einem maßgebend günstigeren Beschäftigungsverlauf gehindert hat

zwingend auch ein berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen ist."

Die Berufskunde umfasse die breite und empirisch überprüfte und begründete Fachkunde über die physischen und psychischen Anforderungen und Belastungen in den verschiedenen Berufen, über Lehrberufe und ihre Ausbildungen, über die Arbeitsmärkte, die Vermittlungschancen und Verdienstmöglichkeiten auf dem gesamten Arbeitsmarkt. Um die physischen und psychischen Anforderungen und Belastungen in den verschiedenen Berufen und den Kausalzusammenhang zwischen den Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit und den erlittenen Misshandlungen sowie den beruflichen Werdegang bei einem fiktiven schadensfreien Verlauf feststellen zu können, sei nach Einschätzung der Revisionswerberin zwingend auch ein berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen.

9 Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ist die rechtliche Beurteilung, ob ein Kausalzusammenhang mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit zwischen den Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit und den erlittenen Misshandlungen besteht, auf der Basis von Feststellungen, denen ein ärztliches Sachverständigengutachten zugrunde zu legen ist, zu treffen (vgl. etwa VwGH 6.3.2008, 2006/09/0043, oder VwGH 27.4.2015, Ra 2015/11/0004, jeweils mwN). Wie auch aus der Darstellung in der Revision hervorgeht, obliegt dem berufskundlichen Sachverständigen hingegen die (darauf aufbauende) Einschätzung, welche Berufsausübung die (ärztlich festgestellten) Einschränkungen der Revisionswerberin zulassen würden.

10 Die zur Begründung der Zulässigkeit der Revision aufgeworfene Rechtsfrage, ob zur Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen den erlittenen Misshandlungen und den Leidenszuständen bzw. der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ein berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen ist, wurde somit durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bereits geklärt. In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

11 Da im Übrigen eine grob fehlerhafte Beurteilung durch das Verwaltungsgericht schon aufgrund der nicht als unschlüssig zu erkennenden Würdigung zahlreicher Beweismittel (darunter mehrerer medizinischer Gutachten, denen die Revisionswerberin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist), nicht ersichtlich ist, war die Revision zurückzuweisen.

Wien, am 26. April 2018

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes FachgebietSachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110072.L00

Im RIS seit

14.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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