TE Vwgh Beschluss 2018/5/23 Ra 2018/22/0074

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Veröffentlicht am 23.05.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs1;
AVG §69 Abs2;
AVG §69 Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache der H G in W, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt-Platz 7, gegen das am 4. Dezember 2017 mündlich verkündete und am 18. Jänner 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/047/14260/2017-12, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 18. Juli 2017, mit dem - unter amtswegiger Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über den Erstantrag der Revisionswerberin vom 30. April 2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie den Verlängerungsantrag vom 2. Juni 2016 jeweils nach § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG - der Erstantrag gemäß den §§ 11 Abs. 1 Z 4, 30 Abs. 1 NAG sowie der Verlängerungsantrag und der Zweckänderungsantrag vom 11. November 2016 (auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus") gemäß § 24 NAG abgewiesen worden waren, mit der Maßgabe keine Folge, dass die Antragsabweisung zudem auf § 11 Abs. 2 Z 1 NAG gestützt werde.

Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es sich bei der zwischen der Revisionswerberin und dem österreichischen Staatsbürger N G am 18. April 2015 in Serbien geschlossenen und am 20. Oktober 2016 einvernehmlich geschiedenen Ehe um eine sogenannte "Aufenthaltsehe" gehandelt habe. Die Ehe sei nämlich nur deshalb geschlossen worden, um der Revisionswerberin die Erlangung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" zu ermöglichen, ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK sei zwischen den Ehepartnern nicht geführt worden. Die Revisionswerberin habe den erstmals für die Zeit vom 16. Juli 2015 bis zum 16. Juli 2016 erteilten und für die Zeit vom 17. Juli 2016 bis zum 17. Juli 2017 verlängerten Aufenthaltstitel unter Berufung auf ihre mit N G geschlossene Ehe erschlichen, sodass die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme der Verfahren erfüllt seien. In den wiederaufgenommenen Verfahren seien die Anträge auf Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels sowie der zuletzt gestellte Zweckänderungsantrag im Hinblick auf die Aufenthaltsehe - wobei auch eine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu Ungunsten der Revisionswerberin ausfalle - als unbegründet abzuweisen (gewesen).

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in mehreren Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

4.1. Die Revisionswerberin macht geltend, die Beweiswürdigung dürfe erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzen (Hinweis auf VwGH 25.6.1996, 95/05/0331). Vorliegend habe das Verwaltungsgericht die Revisionswerberin und den Zeugen N G zum maßgeblichen Sachverhalt unzulänglich einvernommen.

4.2. Ein Verfahrensmangel führt nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids, wenn die Behörde bei der Vermeidung des Mangels zu einem anderen für den Rechtsmittelwerber günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Der Rechtsmittelwerber hat daher die Entscheidungswesentlichkeit des Mangels konkret zu behaupten. Er darf sich nicht darauf beschränken, einen Verfahrensmangel (bloß) zu relevieren, ohne die Relevanz für den Verfahrensausgang durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen. Im Fall einer unterbliebenen (bzw. auch unzureichenden) Vernehmung hat der Rechtsmittelwerber konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer (hinreichenden) Vernehmung ausgesagt hätte bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. etwa VwGH 28.6.2016, 2013/17/0582; 11.5.2017, Ro 2014/08/0021).

4.3. Vorliegend ist der Zulassungsbegründung der Revision eine im soeben erörterten Sinn ausreichende Relevanzdarstellung nicht zu entnehmen. Die Revisionswerberin legt in keiner Weise dar, inwiefern sie und der Zeuge N G unzulänglich vernommen worden seien. Sie führt insbesondere nicht aus, welche vor dem Hintergrund der zu beantwortenden Rechtsfragen entscheidungswesentlichen tatsächlichen Angaben sie und der Zeuge N G hätten machen können und inwieweit sich daraus eine für ihren Standpunkt günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können.

4.4. Im Übrigen geht aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2017 hervor, dass das Verwaltungsgericht eine gründliche und sorgfältige Vernehmung der Revisionswerberin und der Zeugen durchgeführt und die Beweisergebnisse im Verfahren berücksichtigt hat.

Davon abgesehen wäre es der anwaltlich vertretenen Revisionswerberin unbenommen gewesen, in der Verhandlung durch weitergehende Angaben und ergänzende Befragung der Zeugen auf eine - sofern von ihr als notwendig erachtete - umfassendere Ermittlung des Sachverhalts hinzuwirken.

4.5. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin kann daher von einer unvollständigen Beweiserhebung, die einer mängelfreien Beweiswürdigung entgegengestanden wäre, keine Rede sein.

5.1. Die Revisionswerberin releviert, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeute nicht, dass der diesbezügliche Denkvorgang einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzogen wäre (Hinweis auf VwGH 24.2.2012, 2011/02/0058). Das Verwaltungsgericht habe der Revisionswerberin die Glaubwürdigkeit aberkannt und sei ausschließlich und ohne gesonderte Begründung den Angaben des Zeugen N G gefolgt, obwohl dieser im Verfahren als sehr launenhaft, wankelmütig und widersprüchlich aufgefallen sei (so habe er etwa die Angaben im Schreiben vom 12. Mai 2016 mit dem Schreiben vom 6. Juni 2016 wieder revidiert).

5.2. Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. VwGH 11.2.2016, Ra 2016/22/0001; 21.3.2017, Ra 2017/22/0017).

5.3. Vorliegend hält die Beweiswürdigung den aufgezeigten Kriterien einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof stand. Das Verwaltungsgericht traf die Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf Basis der vorliegenden Urkunden und der getätigten Beweisaussagen. Es legte dabei die wesentlichen Erwägungen für die Beweiswürdigung dar, wobei nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Vielmehr ist die Schlüssigkeit der maßgeblichen Erwägungen gewährleistet, die Beweisergebnisse wurden auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt.

Dem vermag die Revisionswerberin im Zulässigkeitsvorbringen nichts Stichhältiges entgegenzusetzen. Insbesondere liegen (auch) der Würdigung der Beweisaussagen der Revisionswerberin und des Zeugen N G fallbezogen schlüssige und überzeugende Erwägungen zugrunde. Gleiches gilt für die Umstände des Zustandekommens der Schreiben des Zeugen N G vom 12. Mai und 6. Juni 2016. Das Verwaltungsgericht hat seine diesbezüglichen Erwägungen zudem hinreichend begründet.

5.4. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin kann somit fallbezogen von einer fehlerhaften bzw. unzulänglichen Beweiswürdigung keine Rede sein.

6.1. Die Revisionswerberin bemängelt, entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf 17.9.2012, 2011/23/0440) fehlten hinreichende Feststellungen, um das Vorliegen einer Aufenthaltsehe beurteilen zu können.

6.2. Dem ist zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht hinreichende Feststellungen getroffen hat, um das Vorliegen einer Aufenthaltsehe beurteilen zu können. Die Revisionswerberin zeigt auch nicht konkret auf, inwiefern weitere Feststellungen aus welchen rechtlichen Erwägungen zu treffen gewesen wären. Ein Feststellungsmangel liegt daher nicht vor (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2014/08/0021). Dem von der Revisionswerberin zitierten Erkenntnis lag ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde.

7.1. Die Revisionswerberin argumentiert, der Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe sei bereits durch das Schreiben des N G vom 12. Mai 2016 aufgekommen. Weil dieses Schreiben durch das weitere Schreiben vom 6. Juni 2016 als gegenstandslos erklärt worden sei, habe die Behörde keine Erhebungen angestellt und ihrer Nachprüfungspflicht nicht entsprochen.

7.2. Diesem Vorbringen kommt schon deshalb keine Bedeutung zu, weil die Revisionswerberin nicht aufzeigt und auch nicht zu sehen ist, inwiefern das Unterbleiben von Nachforschungen auf Grund des Schreibens vom 12. Mai 2016 im gegebenen Zusammenhang rechtserheblich sein sollte.

Sofern die Revisionswerberin allenfalls zum Ausdruck bringen will, die Behörde habe die Wiederaufnahme nicht rechtzeitig veranlasst, übersieht sie, dass die 14-tägige Frist des § 69 Abs. 2 AVG für eine amtswegige Wiederaufnahme ohne Bedeutung ist, kann doch eine solche gemäß § 69 Abs. 3 AVG unter den Voraussetzungen des Abs. 1 grundsätzlich innerhalb von drei Jahren nach der Erlassung des Bescheids - aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 sogar darüber hinaus - stattfinden (vgl. VwGH 14.2.2018, Ra 2017/22/0173).

8. Insgesamt wird daher - in der maßgeblichen Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162) - keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 23. Mai 2018

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5"zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220074.L00

Im RIS seit

14.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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