Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. L***** K*****, 2. G***** K*****, 3. P***** K*****, alle *****, vertreten durch Mag. Roland Schratter, Rechtsanwalt in Wolfsberg, gegen die beklagte Partei F***** H*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Lanner, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2017, GZ 1 R 328/17f-14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 3. Oktober 2017, GZ 14 C 611/16a-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Kläger sind Eigentümer der Liegenschaft „*****“ in Klagenfurt am Wörthersee. Aufgrund eines zwischen den Rechtsvorgängern beider Streitteile 1971 geschlossenen Mietvertrags ist der Beklagte Hauptmieter einer im zweiten Stock gelegenen Wohnung.
Das Mietobjekt ist im Mietvertrag wie folgt beschrieben:
„Mietobjekt ist das komplette 2. Obergeschoß im '*****'. Weitere Nebenräumlichkeiten sind nicht inbegriffen, PKW-Abstellung ist im Hof zulässig, jedoch ausdrücklich unentgeltlich auf Widerruf.“
Der Mietvertrag wurde hinsichtlich der dort festgelegten Parkplatzbenützung nachträglich nicht abgeändert.
Mit dem am 23. 8. 2016 von der Hausverwaltung an den Beklagten zugestellten Schreiben widerriefen die Kläger die dem Mieter eingeräumte Nutzungsmöglichkeit des Parkplatzes mit sofortiger Wirkung. Der Beklagte wurde aufgefordert, in Zukunft weder eigene noch fremde PKW auf der Liegenschaft abzustellen bzw abstellen zu lassen. Ungeachtet des Widerrufs benützen der Beklagte und seine Frau die Parkplätze im Innenhof weiterhin (auch im Kündigungszeitpunkt und bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz) mit zwei Fahrzeugen. Durch das Abstellen der Fahrzeuge ist es den Klägern teilweise nicht möglich, im Hof zu parken.
Die Kläger kündigten dem Beklagten das Mietverhältnis aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auf. Der Beklagte benütze die Parkplätze im Hof nach dem Widerruf des Prekariums widerrechtlich und für die Kläger nachteilig.
Der Beklagte wandte ein, dass bei Abschluss des Mietvertrags 1971 dem jederzeitigen Widerrufsrecht der Kläger ein geplanter Verkauf eines Teils der Liegenschaft zugrunde lag. Nachdem der Grundstücksverkauf stattgefunden habe, sei der dadurch verkleinerte Hofbereich abgegrenzt worden, sodass ab diesem Zeitpunkt der Vorbehalt des Widerrufs „vereinbarungsgemäß gegenstandslos war“. In den nachfolgenden 30 bis 40 Jahren habe der Beklagte und dessen Mitbewohner bzw seine Rechtsvorgänger die Kraftfahrzeuge im Hofbereich abgestellt. Dies sei vermieterseits widerspruchslos und sohin zustimmend hingenommen worden.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und erkannte den Beklagten schuldig, das Bestandobjekt zu räumen. Es legte seiner Entscheidung den eingangs zusammengefassten Sachverhalt und auch die Feststellung zugrunde, dass die Regelung über die Parkplatzbenützung im Mietvertrag 1971 nicht im Zusammenhang mit dem geplanten Grundstücksverkauf geschlossen worden sei. In rechtlicher Hinsicht qualifizierte es das Recht zur Parkplatzbenützung als Prekarium, das von der Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs und der Unentgeltlichkeit geprägt sei. Die jahrzehntelange Benützung der Hoffläche habe nicht dazu geführt, dass dieses Prekarium in ein Mietverhältnis – gebunden an das zweite
Obergeschoß – übergegangen sei. Der Umstand, dass das Prekarium mehr als 40 Jahre lang nicht widerrufen wurde, führe nicht zu einer Änderung des Mietvertrags. Die Kläger hätten auch nicht auf ihr Widerrufsrecht stillschweigend verzichtet. Durch die fortwährende Benützung des Parkplatzes trotz des Widerrufs des Prekariums habe sich der Beklagte gegenüber den Klägern unleidlich verhalten. Dieses Verhalten rechtfertige die Aufkündigung.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Ein die Aufkündigung rechtfertigendes unleidliches Verhalten eines Mieters sei zwar auch dann zu bejahen, wenn dieser laufend versuche, sein Benützungsrecht auszudehnen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung sei hier aber strittig gewesen, ob dem Beklagten das Abstellen von Fahrzeugen nur prekaristisch oder aufgrund eines ihm mündlich eingeräumten Benützungsrechts erlaubt gewesen sei. Die Weigerung des Beklagten, der Aufforderung der Kläger nachzukommen, erfülle hier noch nicht den Tatbestand § 30 Abs 2 Z 3 MRG, weil zum Aufkündigungszeitpunkt die Frage des behaupteten Rechtstitels noch nicht geklärt gewesen sei. Es reiche dabei nicht aus, den Benützungstitel im Aufkündigungsverfahren als Vorfrage zu klären. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels Fragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung nicht zu.
In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision beantragen die Kläger die Abänderung der Berufungsentscheidung im stattgebenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
1.1 Ein Prekarium ist ein Vertrag, bei der der Verleiher die Sache jederzeit zurückfordern kann (§ 974 ABGB; RIS-Justiz RS0019212). Eine solche Bittleihe wird zwar nicht vermutet und ist im Zweifel daher nicht anzunehmen (RIS-Justiz RS0019200). Überlässt ein Bestandgeber dem Bestandnehmer Parkflächen zur weiteren Benützung, ist von einem Prekarium grundsätzlich daher nur dann auszugehen, wenn der Vermieter ausdrücklich klargestellt hat, dass es sich nur um eine jederzeit widerrufbare Benützungsüberlassung handelt (RIS-Justiz RS0014302 [T4, T7], RS0014305).
1.2 Derartiges liegt hier vor. Nach dem Mietvertrag war der Bestandnehmer von Beginn an zum Parken im Hof berechtigt, „jedoch ausdrücklich unentgeltlich auf Widerruf“. Der Mietvertrag wurde hier nachträglich weder mündlich noch schriftlich geändert. Nach den Feststellungen bestehen daher keine Zweifel daran, dass dem Beklagten (bzw seinem Rechtsvorgänger) hinsichtlich der Parkplätze im Hof nur eine jederzeitig widerrufbare Benützungsmöglichkeit eingeräumt wurde.
1.3 Auch die Behauptung des Beklagten, dass er bzw seine Mitbewohner und Rechtsvorgänger auf dem Innenhof Fahrzeuge seit über 40 Jahre widerspruchslos abgestellt hätten („vermieterseits widerspruchslos und sohin zustimmend hingenommen“), widerlegt das Bestehen eines Prekariums nicht, weil auch eine Bittleihe gerade davon geprägt ist, dass die Benützung der Sache durch den Prekaristen vom Verleiher (eben bis zum Widerruf des Prekariums!) akzeptiert wird.
2.1 Ungeachtet des wirksamen Widerrufs des Prekariums benützt der Beklagte die Parkflächen auch weiterhin und damit titellos. Auch im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung und danach setzte er dieses Verhalten fort.
2.2 Nach ständiger Rechtsprechung sind laufende Versuche des Mieters, sein Benützungsrecht auf nicht in Bestand genommene Räume oder Gegenstände auszudehnen, als unleidliches Verhalten iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0070417; 7 Ob 624/91; 1 Ob 39/12k mwN; 3 Ob 120/17v).
3.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der hier geltend gemachte Kündigungsgrund bereits deshalb zu verneinen sein soll, weil sich der beklagte Mieter auf einen zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung (Oktober 2016) zwischen den Parteien strittigen Rechtstitel berufe und es nicht ausreiche, diesen Titel im Aufkündigungsverfahren als Vorfrage zu klären, findet im Gesetz keine Deckung. Schließt man sich dieser Rechtsmeinung an, könnte jede auf § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (wegen einer unrechtmäßigen Ausdehnung eines Benützungsrechts) gestützte Aufkündigung schon allein daran scheitern, dass der Bestandnehmer die Rechtswidrigkeit der ihm vorgeworfenen Ausdehnung seiner Nutzungsrechte in Abrede stellt.
3.2 Das Gesagte korrespondiert mit der Entscheidung 1 Ob 39/12k, bei der das Vorliegen des Auflösungsgrundes nach § 1118 erster Fall ABGB (vergleichbar mit § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG, siehe RIS-Justiz RS0020956) wegen vertragswidriger Benützung eines Objekts durch die beklagte Bestandnehmerin eines anderen Objekts zu prüfen war. Die Beklagte berief sich hinsichtlich des strittigen Objekts auf ein ihr eingeräumtes Bestandrecht. Der Oberste Gerichtshof bejahte den Auflösungsgrund, wobei nicht nur das behauptete Nutzungsrecht als Vorfrage geprüft (und verneint) wurde, sondern auch die Erkennbarkeit der unrechtmäßigen Nutzung und das Vorliegen einer bloß irrigen Rechtsansicht.
3.3 Damit widerlegt diese Entscheidung den Standpunkt des Berufungsgerichts, dass ein unleidliches Verhalten des Mieters wegen vertragswidriger Ausdehnung seiner Benützungsrechte bereits dann zu verneinen ist, wenn sich der Mieter auf ein vertragskonformes Verhalten beruft bzw ein solches im kündigungsrelevanten Zeitraum zwischen den Parteien „strittig“ oder „nicht geklärt“ ist. Nach richtiger Ansicht muss der Rechtsstandpunkt des Bestandnehmers zumindest – etwa im Fall eines nicht vorwerfbaren Rechtsirrtums – vertretbar sein (Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 63). Im Kern geht es darum, dass ein beharrlich vertragswidriges Verhalten des Mieters, der seine Benützungsrechte unberechtigt auszudehnen versucht, dem Vermieter die Vertragsfortsetzung unzumutbar macht (vgl auch 3 Ob 120/17v – Negieren eines rechtskräftigen Urteils über das Nichtbestehen von Benützungsrechten).
3.4 Die angefochtene Entscheidung lässt sich auch nicht mit der (mangels erheblicher Rechtsfrage zurückweisenden) Entscheidung 5 Ob 61/08v in Einklang bringen, in der die Rechtmäßigkeit einer Aufkündigung wegen angeblicher unrechtmäßiger Ausdehnung des Bestandverhältnisses zu prüfen war. Im Gegensatz zum hier vorliegenden Fall ließen die Feststellungen dort den Bestand eines Prekariums nicht zu. Hingegen wurde der dort beklagten Mieterin eingeräumt, dass sie sich auf eine Nebenabrede mit der Rechtsvorgängerin des Klägers stützen könne. Schon deshalb erachtete es der Senat 5 in seiner Entscheidung nicht für erforderlich, den Benützungstitel der Mieterin als Vorfrage zu klären, konnten die Vorinstanzen jedenfalls von einem vertretbaren Standpunkt der beklagten Mieterin ausgehen. In einer derartigen Konstellation stellt demnach die Weigerung, den strittigen Raum zu räumen, den Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 3 MRG nicht her.
3.5 Bereits aus der kurz davor ergangenen Entscheidung des 5. Senats (5 Ob 235/07f) ist bei einer behaupteten Ausdehnung der Bestandrechte durch den Mieter ebenfalls abzuleiten, dass Aufkündigung § 30 Abs 2 Z 3 MRG bei einem strittigen Benützungsrecht nicht per se gehindert wird, sondern eben nur dann, wenn der Rechtsstandpunkt des Mieters zumindest auch vertretbar ist (Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 63). Denn: „Dass über das Recht zur Benützung dieser Räume deshalb Streit herrscht, weil die beklagten Bestandnehmer die Nutzung unberechtigt für sich in Anspruch nehmen, entlastet diese nicht.“
4.1 Unter Heranziehung der aufgezeigten Grundsätze, erweist sich die Rechtssache noch nicht als spruchreif.
4.2 Nach der erstgerichtlichen Beweiswürdigung „mag es sein“, dass der den Mietvertrag abschließende Rechtsvorgänger des Beklagten „davon ausgegangen ist, dass die Parkmöglichkeit zum Mietvertrag gehört“. Das Erstgericht beschränkte sich auf die Prüfung des Rechtstitels, ohne jedoch Feststellungen zur Klärung der Frage zu treffen, ob der Beklagte im relevanten Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung (RIS-Justiz RS0067534) zumindest vertretbar davon ausgehen konnte, er sei (ungeachtet des Widerrufs des Prekariums) als Mieter zur Benützung der Hoffläche berechtigt.
4.3 Im Vorbringen des Beklagten, er sei aufgrund des Mietvertrags zur Benützung des Hofs berechtigt, steckt der – wenn auch nicht ausdrücklich erhobene – Einwand, seine Rechtsansicht sei jedenfalls mit guten Gründen vertretbar (vgl 4 Ob 39/04w; 4 Ob 104/10p). Allerdings lässt sich aus dem bisherigen Vorbringen des Beklagten nicht im Ansatz schlüssig ableiten, aufgrund welcher konkreten Umstände (zB Verhalten oder Mitteilungen der Kläger bzw der Rechtsvorgänger der Parteien) er immerhin vertretbar davon ausgehen konnte, der Mietvertrag umfasse (mittlerweile) auch das unwiderrufliche Recht zur Benützung des Hofs.
5. Ungeachtet des Fehlens eines schlüssigen Vorbringens des Beklagten zur Vertretbarkeit steht der von den Klägern angestrebten Abänderung im klagsstattgebenden Sinn durch das Revisionsgericht allerdings das Verbot von Überraschungsentscheidungen (§ 182a ZPO) entgegen, zumal die Vorinstanzen die Frage der Vertretbarkeit nicht ausreichend erörtert haben. Das Erstgericht wird daher nach Erörterung mit den Streitteilen zur Frage der Vertretbarkeit und allfälliger Ergänzung des Beweisverfahrens über die Aufkündigung im aufgezeigten Sinn neuerlich zu entscheiden haben.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E121657European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00051.18F.0419.000Im RIS seit
14.06.2018Zuletzt aktualisiert am
23.07.2018