TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/24 99/20/0457

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Veröffentlicht am 24.02.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des IU in Graz, geboren am 9. Februar 1970, vertreten durch Dr. Peter Platzer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schönaugasse 49, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Juni 1999, Zl. 201.416/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 2. Mai 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 5. Mai 1997 Asyl.

Im ersten, die Angaben zur Person und zum Reiseweg betreffenden Teil seiner Einvernahme am 14. Mai 1997 verwickelte er sich nach dem Inhalt der darüber aufgenommenen Niederschrift in Widersprüche betreffend das Datum seiner Verhaftung (10. März 1996, richtig gestellt auf 10. Mai 1996) und Ausreise (10. März 1996, richtig gestellt auf 10./11. April 1997, bzw. unmittelbar nach der Freilassung aus der fünfmonatigen Haft). Nach Vorhalt der Widersprüche verweigerte der Beschwerdeführer die Unterfertigung dieses Teils der Niederschrift.

Im zweiten, die Fluchtgründe betreffenden Teil der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer vor, er gehöre der MOSOP an und sei bei einer Kundgebung am 10. November 1996, dem Jahrestag der Hinrichtung "der neun Häuptlinge" (gemeint: Ken Saro-Wiwa und die acht anderen am 10. November 1995 hingerichteten MOSOP-Aktivisten), verhaftet und in ein Gefängnis gebracht worden, aus dem er mit Hilfe eines Onkels freigekommen sei. Im Gefängnis sei er mit einem Schuh in die rechte Lendenseite und in den linken Oberschenkel getreten worden, wovon er noch immer Schmerzen verspüre.

In der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. Mai 1997, mit dem sein Asylantrag abgewiesen wurde, brachte der Beschwerdeführer zu den widersprüchlichen Daten in der Niederschrift vor, er habe von Anfang an angegeben, dass er am 10. November 1996 verhaftet worden und nach fünfmonatiger Haft am 10. April 1997 aus Nigeria geflüchtet sei. Da er im Zuge der Einvernahme angeherrscht worden sei, man offenbar bewusst versucht habe, ihn hinsichtlich der Daten zu verwirren und in Widersprüche zu verwickeln und der Verhandlungsleiter seine Korrekturen nicht akzeptiert habe, habe er die Unterfertigung der Niederschrift verweigert.

Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 9. März 1999 und 29. März 1999 Änderungen der Lage in Nigeria vor und führte am 16. Juni 1999 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer nochmals einvernommen wurde.

Der Beschwerdeführer gab nun an, die Regierung habe sich zur Bekämpfung der MOSOP einer "bezahlten Oppositionsbewegung" bedient, die 1994 vier "MOSOP-Führer" getötet habe. Daraufhin hätten "die Ogoni-Menschen aus der Region flüchten" müssen. Der Beschwerdeführer habe "gehört, dass Menschen getötet wurden bzw. getötet werden würden". Da alle geflüchtet seien, sei auch er aus seiner Heimatstadt Bori nach Port Harcourt geflüchtet. Drei Monate später, das sei 1995 gewesen, sei er nach Bori zurückgekehrt. 1995 habe er an mehreren Treffen der MOSOP teilgenommen. Über die Zahl und Häufigkeit dieser Treffen könne er keine Angaben machen. Er könne auch die Adresse der "Dorfhalle", in der die Treffen stattgefunden hätten, nicht nennen, weil Bori ein Dorf sei, in dem es keine Adressen gebe. Am ersten Jahrestag eines "Treffens", das im Jahre 1995 stattgefunden habe, sei er bei einer Demonstration, die von der Einsatzpolizei zu Unrecht als gewaltsam eingestuft worden sei, festgenommen worden.

Den ihm vorgehaltenen Widerspruch zwischen seiner wiederholten Behauptung, in Bori gebe es keine Adressen, und seiner - gleichfalls wiederholten - Angabe seiner früheren Wohnadresse in Bori konnte der Beschwerdeführer nicht aufklären. Als Hauptstadt des Ogonilandes nannte er auf Befragen Dere, konnte diesen Ort auf einer Straßenkarte - im Gegensatz zu Bori und Port Harcourt - aber nicht finden. Auf den Vorhalt, Bori sei die Hauptstadt des Ogonilandes, gab er an, Bori sei die größte Stadt im Ogoniland. Der Beschwerdeführer gab weiters an, Ken Saro-Wiwa persönlich gekannt zu haben. Den Vorhalt, seine Beschreibung Ken Saro-Wiwas als "sehr groß und beleibt" sei nicht richtig, quittierte der Beschwerdeführer mit Belustigung.

Zum Vorhalt der geänderten Lage in Nigeria gab er im Wesentlichen Folgendes an:

"BW: Mein Leben ist aber noch in Gefahr. Die Familien bzw. familiären Verhältnisse dieser vier Anführer sind noch immer tätig. 1994 haben Anhänger der MOSOP die obgenannten vier Personen umgebracht.

VL: Sie haben also Angst vor den Verwandten jener Personen, die von Anhängern der MOSOP getötet wurden?

BW: Diese Familienmitglieder können gedungene Mörder schicken.

VL: Haben Sie selber an diesen Verbrechen teilgenommen oder waren Sie involviert?

BW: Jedes MOSOP-Mitglied wurde als schuldig bezeichnet.

VL: Demgemäß haben Sie keine Angst vor dieser Regierung oder vor den Behörden?

BW: Ich habe keine Angst vor der Regierung, weil sich alles beruhigt hat.

VL: Gibt es in Ihrer Heimatregion Polizeibehörden?

BW: Ja.

VL: Wenn man Sie bedrohen würde, könnten Sie dort hingehen und sagen; 'Ich werde bedroht'?

BW: Wenn die Mörder kommen, kommen sie in der Nacht und da kann die Polizei nicht helfen?

VL: Was würde passieren, wenn Sie in Lagos leben würden?

BW: Die Mörder werden bezahlt und können eine Person in ganz Nigeria umbringen."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. In der Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde aus, dem Beschwerdeführer fehle jede persönliche Glaubwürdigkeit. Selbst dann, wenn seine Angaben über seine Fluchtgründe wahr wären, hätte er mit seiner in der Berufungsverhandlung geäußerten Befürchtung, im Falle einer nunmehrigen Rückkehr nach Nigeria das Opfer privater Rache zu werden, aber keine asylrelevante Gefährdung im gesamten Staatsgebiet Nigerias glaubhaft dargelegt. Bei dieser Befürchtung handle es sich um die "letzte Schutzbehauptung" des Beschwerdeführers. Im Besonderen sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei der MOSOP, deren einfaches Mitglied der Beschwerdeführer seinen Angaben nach gewesen sei, um eine Massenbewegung handle, weshalb eine sich auf das gesamte Staatsgebiet erstreckende Verfolgung gerade des Beschwerdeführers durch die Angehörigen der ermordeten Ogoni-Führer nicht plausibel erscheine.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung der belangten Behörde zunächst auf ihrer Ansicht, dem Beschwerdeführer fehle "jegliche persönliche Glaubwürdigkeit". Die nähere Begründung dieser Ansicht in den Ausführungen der belangten Behörde ist insofern nicht zufrieden stellend, als die belangte Behörde ihr Amtswissen um die vom Beschwerdeführer beschriebenen Vorgänge nur teilweise in die Betrachtung einbezogen hat. So wird zwar aufgrund "fundierter Quellen" die Körpergröße Ken Saro-Wiwas festgestellt, um den Beschwerdeführer zu widerlegen, auf die Objektivierbarkeit der von ihm dargestellten politischen Ereignisse (Ermordung von vier Ogoni-Führern im Mai 1994, nachfolgende Militäraktionen, Hinrichtungen im November 1995) aber nicht eingegangen. Auch im Zusammenhang mit der ihm vorgeworfenen Unkenntnis allgemeiner Gegebenheiten im Ogoniland fehlt eine Abwägung der aufgezeigten Widersprüche mit der offenbar richtigen Beantwortung anderer das Ogoniland betreffender Fragen. Die Gewichtung der als falsch kritisierten Behauptung, Dere sei die Hauptstadt des Ogonilandes, hätte einen Hinweis auf die tatsächliche Bedeutung dieses in den Länderberichten oft erwähnten Ortes erfordert. Davon abgesehen wird nicht klar, ob die belangte Behörde entgegen ihrer Bezugnahme auf das Ogoniland als "engere Heimat" des Beschwerdeführers zu dem Schluss gelangt ist, schon seine Herkunft von dort sei zweifelhaft, und welche Bedeutung die mangelnden Geografiekenntnisse des Beschwerdeführers andernfalls haben sollen.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer aber auch die Änderung der Verhältnisse in Nigeria entgegengehalten und ihre Entscheidung vor diesem vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Hintergrund auf die Ansicht gestützt, seine Behauptung, jedes einfache Mitglied der MOSOP sei im Falle einer Rückkehr nach Nigeria im gesamten Staatsgebiet einer asylrelevanten Bedrohung durch die Angehörigen der vier im Mai 1994 ermordeten Ogoni-Führer ausgesetzt, sei nicht nachvollziehbar. In diesem für das Verfahrensergebnis letztlich entscheidenden Punkt hält die Beweiswürdigung der belangten Behörde der Schlüssigkeitsprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof jedenfalls stand.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Februar 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999200457.X00

Im RIS seit

04.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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