Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. T*****, vertreten durch Rechtsanwälte Waldbauer. Paumgarten. Naschberger und Partner in Kufstein, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2017, GZ 23 Rs 48/17f-13, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Tochter der Klägerin wurde am 21. 11. 2016 geboren. Ab 14. 6. 2016 befand sich die Klägerin in vorzeitigem Mutterschutz und bezog von diesem Tag an bis zum 16. 1. 2017 Wochengeld.
Sechs Monate vor Beginn des individuellen Beschäftigungsverbots (§ 3 Abs 3 MSchG) war die Klägerin als Arbeitnehmerin der D***** KG beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis – das am 1. 7. 2010 begonnen hatte – wurde einvernehmlich zum 29. 2. 2016 beendet.
Auf die Zeit vom 1. 3. 2016 bis 23. 3. 2016 wurde der Klägerin die von ihr bezogene Urlaubsersatzleistung angerechnet. Vom 24. 3. 2016 bis 3. 4. 2016 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.
Am 4. 4. 2016 nahm die Klägerin ein Arbeitsverhältnis bei der W***** Handels GmbH auf, wo sie ab 14. 6. 2016 den vorzeitigen Mutterschutz in Anspruch nahm.
Am 20. 12. 2016 beantragte die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Die beklagte Tiroler Gebietskrankenkasse lehnte diesen Antrag ab, weil das Erfordernis einer durchgehenden zumindest sechsmonatigen Beschäftigung vor dem Beginn des individuellen Beschäftigungsverbots nicht erfüllt sei und die Klägerin Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten habe.
Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens im gesetzlichen Ausmaß ab 17. 1. 2017 statt.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil infolge der Berufung der Beklagten im klageabweisenden Sinn ab.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend.
1. Zentral argumentiert die Klägerin damit, dass die Zeit des Bezugs der Urlaubsersatzleistung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichzuhalten sei. Wirtschaftlich stehe die Klägerin genau so da, als hätte sie den Urlaub während des Arbeitsverhältnisses verbraucht. Das aus der Urlaubsersatzleistung erzielte Entgelt begründe ja gerade den Einkommensausfall, den das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld ersetzen solle.
2. Wie das Berufungsgericht jedoch bereits im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausgeführt hat, soll das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nur vor der Geburt tatsächlich erwerbstätigen Eltern offenstehen (10 ObS 92/15z; RIS-Justiz RS0128183; Sonntag in Sonntag, KBGG² § 24 Rz 10; Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, KBGG [2017], 142; Burger-Ehrnhofer, KBGG³ § 24 Rz 3 ff). Gemäß § 24 Abs 1 Z 2 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2013/117 ist im vorliegenden Fall auf den Zeitraum vom 13. 12. 2015 bis zum 13. 6. 2016 vor Beginn des individuellen Beschäftigungsverbots der Mutter (10 ObS 5/14d, SSV-NF 28/8; 10 ObS 103/14s, SSV-NF 28/61) abzustellen. In diesem Zeitraum beendete die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit (ihr Arbeitsverhältnis) jedoch einvernehmlich am 29. 2. 2016 und nahm eine neue Erwerbstätigkeit (ein neues Arbeitsverhältnis) erst wieder am 4. 4. 2016 auf. Der bloße Umstand, dass die Urlaubsersatzleistung einen während des Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchten Urlaub abgelten soll und die Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs 2 ASVG für die Zeit des Bezugs einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt weiter besteht, ändert nichts daran, dass dieser Anspruch gemäß § 10 UrlG die vorherige und hier auch erfolgte Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit der Erwerbstätigkeit voraussetzt. Eine „tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken- und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit“ (Legaldefinition der Erwerbstätigkeit in § 24 Abs 2 KBGG) während des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung liegt daher schon nach dem Wortlaut (vgl auch die Überschrift) des § 10 UrlG nicht vor.
3. Dem Anlassfall liegt kein grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde, sodass weder die Vertragsbestimmungen des Unionsrechts über die Freizügigkeit noch die zu ihrer Durchführung erlassenen Maßnahmen zur Anwendung gelangen (allgemein EuGH Rs C-268/15, Ullens de Schooten, Rn 47 mwH; 8 ObA 74/16i mwH; für das Sozialrecht der Europäischen Union EuGH Rs C-153/91, Petit, Rn 8 und Tenor; EuGH Rs C-212/06, Gouvernement de la Communauté française ua, Rn 33 mwH). Mit dem Argument, dass sich auch aus Art 1 lit a der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie dem Beschluss der Verwaltungskommission Nr F 1 vom 12. Juni 2009 zur Auslegung des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen ergebe, dass es sich beim Zeitraum des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung um eine „Beschäftigung“ im Sinn des § 24 Abs 2 KBGG handle, zeigt die Revisionswerberin daher keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf.
4. Bereits der Zeitraum für den der Klägerin nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses (am 29. 2. 2016) bis zum 23. 3. 2016 die von ihr bezogene Urlaubsersatzleistung angerechnet wurde, dauerte damit mehr als 14 Tage, sodass bereits aus diesem Grund die Anspruchsvoraussetzung des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der weiteren von der Revisionswerberin aufgeworfenen Frage, ob ein Bezug von Arbeitslosengeld von weniger als 14 Tagen anspruchsschädlich sei.
Textnummer
E121625European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00164.17S.0417.000Im RIS seit
13.06.2018Zuletzt aktualisiert am
22.06.2020