Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei V*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 105.000 EUR und Feststellung, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 42.000 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse 32.500 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2017, GZ 1 R 114/17z-153, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 12. Juni 2017, GZ 7 Cg 92/12t-148, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit 2.213,10 EUR (darin 368,85 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die 1974 geborene Klägerin litt seit ihrer Kindheit an wiederkehrenden Schmerzen im Bereich der linken Ferse aufgrund eines kongenitalen kavenösen Hämangioms. Im von der Beklagten betriebenen Spital wurde ihr eine Operation empfohlen, die wegen der Angst der Klägerin davor zunächst unterblieb. Am 21. 11. 2008 suchte sie wegen anhaltender Beschwerden wieder das Spital auf und erklärte, nun eine Operation zu wünschen. Aufklärungsgespräche mit der Klägerin fanden am 21. 11. und 9. 12. 2008 statt. Eine konkrete Aufklärung über eine funktionelle Beeinträchtigung als Folge des Eingriffs (wie etwa die Krallenzehenstellung) wurde im Aufklärungsbogen nicht vermerkt. Neben der Operation hätte es auch andere Behandlungsmöglichkeiten für das Hämangiom gegeben, so etwa durch eine medikamentöse Therapie durch Schmerzmittel, durch Verödung oder auch durch direkte Punktion, über die die Klägerin nicht aufgeklärt wurde. Aufgrund des durch die starken Schmerzen der Klägerin verursachten Leidens war eine Behandlung jedenfalls indiziert.
Am 10. 12. 2008 wurde eine Hämangiomteilresektion lege artis durchgeführt. Es verwirklichte sich allerdings das Risiko einer Schädigung des musculus flexor digitorum brevis (kurzer Zehenbeuger), was zu einer Krallenzehenstellung führte. Diese optisch störende Fehlstellung hatte bei der Klägerin ein gestörtes Auftreten und eine asymmetrische Belastung des linken Fußes zur Folge, woraus sich eine Gangstörung mit Schmerzen am Bewegungsapparat entwickelte. Aufgrund der Operation alleine hatte die Klägerin ein bis zwei Tage schwere, drei bis fünf Tage mittelstarke und ein bis drei Wochen leichte Schmerzen zu erleiden, aufgrund der Krallenzehenstellung allein einen Tag schwere, fünf Tage mittlere und drei Wochen lang leichte Schmerzen.
Aufgrund des Hämangioms hätte die Klägerin auch ohne die Operation weiterhin unter Schmerzen gelitten, wobei nicht fest steht, ob sie stärker geworden wären oder länger angehalten hätten oder auch nur fallweise aufgetreten wären. Ob die Schmerzen auch ohne Operation das Ausmaß erreicht hätten wie diejenigen, unter denen die Klägerin nunmehr leidet, steht nicht fest.
Überdies hat die Klägerin nunmehr auch eine schwere psychovegetative Erschöpfung, ein chronisches Schmerzsyndrom mit schwerwiegender psychosomatischer Komponente und eine schwere Depression entwickelt. Sie ist nicht mehr arbeitsfähig. Wäre es auch ohne die Operation zu chronischen Schmerzen in gleichem Ausmaß gekommen, wäre der psychische Zustand der Klägerin in gleicher Weise aufgetreten. Wäre es hingegen nur zu fallweise – mit Schmerzmittel behandelbaren – Schmerzen gekommen, wäre das Erschöpfungssyndrom nur mittelstark aufgetreten und auch nicht chronisch geworden. Wie sich das Hämangiom ohne Operation entwickelt hätte, steht nicht fest.
Aufgrund der psychischen Probleme erlitt die Klägerin sechs Wochen starke Schmerzen, neun Monate mittelgradige Schmerzen und neun Monate leichtgradige Schmerzen bis zum 5. Dezember 2016; bis zum Schluss der Verhandlung am 2. 3. 2017 hatte sie weitere fünf bis sechs Wochen mittelgradige Schmerzen zu erleiden. Zur Hälfte sind diese psychischen Schmerzen auf die Operation zurückzuführen. Ein Endausheilungszustand ist bei der Klägerin nicht erreicht. Spät- und Folgeschäden sind nicht auszuschließen.
Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung eines Schmerzengeldes von 105.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden und Folgen aus der Operation vom 10. 12. 2008. Die Ärzte der Beklagten hätten eine Verletzung der Aufklärungspflicht zu verantworten.
Das Erstgericht sprach der Klägerin Schmerzengeld von 72.000 EUR sA zu, wies hingegen ein Mehrbegehren von 33.000 EUR – insoweit unbekämpft – ab. Dem Feststellungsbegehren gab es hinsichtlich der Folgen allein aus der Krallenzehenstellung zu 100 %, hinsichtlich der Folgen, bei denen die Krallenzehenstellung neben dem Hämangiom mitursächlich sei, zu 50 % statt, ohne allerdings ein Feststellungsmehrbegehren explizit abzuweisen.
Das nur von der Beklagten angerufene Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzengeldes von 30.000 EUR, während es das Mehrbegehren von 75.000 EUR abwies. Die Entscheidung über den stattgebenden Teil des Feststellungsbegehrens bestätigte es mit der Maßgabe, dass es die unangefochten gebliebene Teilabweisung des Feststellungsmehrbegehrens in den Spruch ausdrücklich aufnahm.
Verfahrensmängel verneinte das Berufungsgericht. Die Beweisrüge sei weitgehend nicht gesetzesgemäß ausgeführt. Die erkennbar konkret angefochtenen Feststellungen seien als unbedenklich zu übernehmen. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dem Erstgericht sei bei seiner Entscheidung über das Feststellungsbegehren ein Rechtsirrtum unterlaufen, der allerdings nicht zu Lasten der Beklagten ausschlage. Diese wäre behauptungs- und beweispflichtig gewesen, dass das Hämangiom als krankhafte Anlage der Klägerin auch ohne die Operation in absehbarer Zeit den gleichen Schaden herbeigeführt, beschleunigt oder sogar verschlimmert hätte. Dieser Beweis sei der Beklagten nicht gelungen. Das vom Erstgericht zuerkannte Schmerzengeld von 72.000 EUR sei überhöht. Eine Hochrechnung der festgestellten komprimierten Schmerzperioden insbesondere betreffend psychische Schmerzen mit Tagessätzen habe nicht zu erfolgen. Die Schmerzperioden seien nur Berechnungshilfe. Als Orientierungshilfe zog das Berufungsgericht Entscheidungen zu Schockschäden naher Angehöriger heran. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Hämangiom auch ohne die Operation jedenfalls zu psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin beigetragen hätte, ihrer subjektiv-individuell besonderen seelischen Empfindsamkeit und der bloßen Teilglobalbemessung bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz hielt es ein Schmerzengeld von 30.000 EUR für angemessen.
Die ordentliche Revision ließ es mit der Begründung zu, der Oberste Gerichtshof habe sich mit Schmerzengeldbemessung in Fällen, in denen die psychischen Schmerzen die körperlichen in den Hintergrund drängen, noch nicht befasst.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen beider Parteien sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042392) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, sie zeigen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
I. Grundsätzliches zu beiden Revisionen:
1. Die Bemessung des Schmerzengeldes hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0031075, RS0107773 [T1], RS0042887). Allerdings ist zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Der von der Judikatur allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall darf nicht gesprengt werden (RIS-Justiz RS0031075). Im Fall einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt, wäre zur Vermeidung gravierender Ungleichbehandlungen durch die Rechtsprechung daher aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Revision ausnahmsweise zulässig (2 Ob 83/14s mwN; RIS-Justiz RS0031075 [T7]).
2. Verletzung iSd § 1325 ABGB ist jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit und Unversehrtheit (RIS-Justiz RS0030792). Mehrfach wurde bereits ausgesprochen (RIS-Justiz RS0030792 [T6, T8, T9, T10, T12]), dass massive Einwirkungen auf die psychische Sphäre dann als körperliche Verletzung anzusehen sind, wenn sie mit körperlichen krankheitswertigen Symptomen einhergehen, wie dies etwa bei der posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Unfalls, bei Erkrankungen aus dem psychosomatischen Formenkreis oder aber auch bei Erleben von Todesangst anzunehmen ist. Dass auch psychische Schmerzen, die Folgen einer körperlichen Beschädigung sind, durch Schmerzengeld abgegolten werden sollen, ist somit in der Rechtsprechung bereits geklärt (vgl auch Danzl in KBB5 § 1325 ABGB Rz 28). Eine allgemeine Aussage, welcher Intensität körperlicher Schmerzen das durch eine Handlung bewirkte psychische Leiden gleichzusetzen sei, lässt sich nicht treffen. Schmerzperioden können insoweit lediglich eine Berechnungshilfe sein (RIS-Justiz RS0118172; RS0122794 [T4]). Die einzelnen Bemessungskriterien sind als „bewegliches System“ zu verstehen, innerhalb dessen Grenzen ein weiter Spielraum für die den Erfordernissen des Einzelfalls jeweils gerecht werdende Ermessensübung besteht. Auch im Fall von psychischen Schäden ist Schmerzengeld daher grundsätzlich global zu bemessen (RIS-Justiz RS0122794). Im Rahmen der Globalbemessung sind psychische Schmerzen nicht anders zu beurteilen als körperliche (RIS-Justiz RS0030792 [T10]).
Es macht demgemäß keinen Unterschied, ob psychische Schmerzen mit Krankheitswert – wie etwa bei den vom Berufungsgericht zitierten Schockschadensfällen – isoliert für sich alleine auftreten oder als Folge einer – wenn auch geringfügigen – Körperverletzung, die zu körperlichen Schmerzen geführt hat. In diesem Sinn entschied der Oberste Gerichtshof etwa zu 1 Ob 200/03y (EvBl 2004/58), wo der Kläger bei einem Raubüberfall lediglich leichte Prellungen erlitt, das brutale Vorgehen der Täter bei ihm aber akute Todesangst und eine posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hatte, die als krankheitswertige psychische Schädigung die physischen Nachteile klar überwog. Auch in der einen ärztlichen Behandlungsfehler betreffenden Entscheidung 6 Ob 248/09b (RdM 2010/160 [Leischner]) erlitt der Kläger zwar als Folge der unterlassenen EKG-Auswertung einen Kollaps mit Prellungen, im Vordergrund der Schmerzengeldbemessung stand allerdings die von ihm erlittene sechstägige Todesangst. In 2 Ob 39/09p (ZVR 2010/119 [Huber]) erlitt der Kläger als Beifahrer in einem Pkw eine Gehirnerschütterung, eine Schulterblattfraktur und einen Verrenkungsbruch, was körperliche Schmerzen zur Folge hatte. Die Schmerzengeldbemessung durch den Obersten Gerichtshof berücksichtigte aber wesentlich auch die durch den Tod des Bruders erlittene krankheitswertige Gesundheitsstörung in Form einer behandlungsbedürftigen Depression und sprach unmissverständlich aus, dass dem Kläger Schmerzengeld für die Phasen seiner psychischen Beeinträchtigung neben demjenigen für die rein körperlichen Schmerzen zustehe.
Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage ist daher bereits durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt.
3. Zwar soll das Schmerzengeld grundsätzlich als einmalige Abfindung für alles Ungemach, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat, den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RIS-Justiz RS0031307). Eine Globalbemessung ist aber dann nicht vorzunehmen, wenn noch gar kein Dauer-(End-)Zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder noch nicht in vollem Umfang und mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können (RIS-Justiz RS0031307 [T17, T27]). Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dies sei hier der Fall, weshalb nur eine Teilbemessung des Schmerzengeldes in Betracht komme, bezweifeln beide Parteien in ihren Revisionen nicht, sondern legen sie ihrer Argumentation sogar ausdrücklich zugrunde. Darauf ist daher nicht näher einzugehen. Allerdings bedingt die Teilbemessung, von der Einbeziehung derzeit bereits bekannter, nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz voraussichtlich auftretender künftiger Schmerzen abzusehen (RIS-Justiz RS0115721). Die Berücksichtigung der festgestellten mittelstarken Schmerzen von sechs Monaten (abzüglich fünf bis sechs Wochen bis zum 2. 3. 2017) kommt daher schon aus diesem Grund nicht in Betracht.
4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts zur überholenden Kausalität entspricht ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0022684, RS0106535) und wird in den Revisionen nicht in Zweifel gezogen. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beklagten der ihr obliegende Beweis, die Krallenzehenstellung und die damit verbundenen psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin hätten sich im gleichen Ausmaß auch ohne Operation mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickelt, nicht gelang. Es steht allerdings fest, dass sie auch ohne Operation jedenfalls zumindest fallweise Schmerzen aufgrund des Hämangioms erleiden hätte müssen, was allerdings nur ein mittelstarkes und nicht chronisches Erschöpfungssyndrom hervorgerufen hätte. Das Erstgericht ging – im Berufungsverfahren unbekämpft – davon aus, die Hälfte der festgestellten psychischen Schmerzen sei auf die Fehlbehandlung zurückzuführen, was der Sache nach auch bei der Bemessung des Schmerzengeldanspruchs der Klägerin durch das Berufungsgericht Berücksichtigung fand.
II. Zur Revision der Beklagten:
1. Das Berufungsgericht setzte sich eingehend mit der Mängelrüge der Beklagten auseinander und ging auf die Feststellung der Schmerzperioden durch den Sachverständigen und die Überprüfbarkeit seines Gutachtens ausführlich ein (Berufungsentscheidung S 13 bis 15). Der in zweiter Instanz verneinte Verfahrensmangel ist nicht mehr revisibel (RIS-Justiz RS0106371). Im Übrigen fallen die Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens und die allfällige Notwendigkeit einer Ergänzung in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0113643).
2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsurteils wegen Widerspruchs in sich selbst wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
3. Der Höhe nach hält die Beklagte einen Schmerzengeldanspruch von lediglich 12.000 EUR für angemessen. Die von der Beklagten als Beleg hiefür ins Treffen geführten höchstgerichtlichen Entscheidungen sind aber nicht einschlägig:
3.1. 1 Ob 22/16s (= RdM 2016/143) ist nicht vergleichbar, weil 20.000 EUR für eine posttraumatische Belastungsstörung über einen Zeitraum von drei Monaten im Sinn einer depressiven Phase zugesprochen wurden, diese Störung allerdings nach sechs Monaten gut beherrschbar war und keine weiteren psychischen Beeinträchtigungen zu erwarten waren. Die Klägerin hatte aber neben körperlichen Schmerzen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mehr als acht Jahre an psychischen Folgen der Operation zu leiden.
3.2. Zu 2 Ob 135/07b (= ZVR 2008/59 [Huber]) wurde dem Kläger, der nach dem Unfalltod der Mutter eine depressive Symptomatik entwickelt hatte, die letztlich zum Suizid führte, Schmerzengeld von 35.000 EUR zugesprochen. Dies kann den Standpunkt der Beklagten schon deshalb nicht stützen, weil dieser Betrag dem im Revisionsverfahren noch strittigen Begehren entsprach.
3.3. Die Entscheidungen 2 Ob 78/05t (= Zak 2010/255) und 2 Ob 261/04b (ZVR 2006/42 [Danzl]) sind nicht vergleichbar, weil die dortigen Kläger, denen Schmerzengeld von 17.000 EUR bzw 35.800 EUR zugesprochen wurde, ausschließlich körperliche Schmerzen insbesondere durch Bruchverletzungen mit Dauerfolgen erlitten hatten. Ähnliches gilt für die Entscheidung 7 Ob 29/05y, in der der Zuspruch von 36.000 EUR an den beim Unfall 12-jährigen Kläger insbesondere auch mit dem jugendlichen Alter des Klägers begründet wurde. In all diesen Fällen wäre überdies die seither eingetretene Geldentwertung zu berücksichtigen.
3.4. Die verbleibenden Möglichkeiten zur familiären und beruflichen Lebensgestaltung sind im Rahmen des beweglichen Systems in die Schmerzengeldbemessung miteinzubeziehen (10 Ob 89/15h = EvBl 2016/146). Zu berücksichtigen ist daher, dass die Klägerin aufgrund der psychovegetativen Erschöpfung und ihrer schweren Depression nicht mehr arbeitsfähig ist und unter Existenzängsten leidet. Das Berufungsgericht hat durch den Zuspruch von 30.000 EUR den ihm zustehenden Ermessensspielraum nicht zu Lasten der Beklagten überschritten.
4. Ein Abweichen von der Rechtsprechung zu § 1304 ABGB bei der Entscheidung des Berufungsgerichts über das Feststellungsbegehren ist nicht zu erkennen. Das Berufungsgericht legte nicht etwa eine Haftungsquote für zukünftige Schäden fest, sondern sprach – von der Beklagten unbeanstandet – aus, dieser sei der Beweis der überholenden Kausalität nicht gelungen, sodass zur Frage, inwiefern künftige Schmerzen aus der Krallenzehenstellung oder aber dem bereits vorhandenen Hämangiom entstehen würden, ein von der Beklagten zu vertretendes „non liquet“ vorliege. Nur aufgrund der vom Erstgericht vorgenommenen Haftungsteilung und der daraus zu erschließenden implizit erfolgten, in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung des Feststellungsmehrbegehrens fügte das Berufungsgericht zur Klarstellung iSd § 419 ZPO einen explizit teilabweisenden Spruch in Bezug auf das Feststellungsmehrbegehren ein. Eine vom Höchstgericht aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt darin nicht.
III. Zur Revision der Klägerin:
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin können höchstgerichtliche Entscheidungen zu Angehörigenschmerzen-
geld jedenfalls insoweit als Orientierungshilfe herangezogen werden, als es dort um die Beurteilung psychischer Beeinträchtigungen mit Krankheitswert ging. Ob eine krankheitswertige Depression durch das Überbringen einer Todesnachricht (wie etwa in der Entscheidung 2 Ob 186/03x = ZVR 2004/6 bzw 2 Ob 135/07b = ZVR 2008/59 [Huber]) ausgelöst wird oder aber durch eine Operation mit relativ geringen körperlichen Schmerzen, durch die sich ein nicht aufgeklärtes Operationsrisiko verwirklicht, spielt nach den unter Punkt I dargestellten allgemeinen Grundsätzen keine rechtlich relevante Rolle. Grundlegende methodische Bedenken gegen die Vorgangsweise des Berufungsgerichts bestehen daher nicht.
2. Die Klägerin versucht unter Zitat einer Reihe von Entscheidungen unter Hinweis auf die festgestellten Schmerzperioden darzutun, die Bemessung des Berufungsgerichts sei unvertretbar niedrig.
2.1. Dabei übergeht sie die ständige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0125618), dass die Schmerzengeldbemessung nicht nach starren Regeln zu erfolgen hat, sodass es auch nicht nach Art eines Tarifs für einzelne Tage oder sonstige Zeiteinheiten aufgrund festgestellter Schmerzperioden berechnet werden kann. Schmerzperioden können lediglich als Berechnungshilfe herangezogen werden (RIS-Justiz RS0122794 [T4]). Das Berufungsgericht berücksichtigte im Rahmen der Schmerzengeldbemessung im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens (vgl § 273 ZPO) den Umstand, dass die Klägerin ohne Operation jedenfalls auch Schmerzen aufgrund des Hämangioms erleiden hätte müssen, was zu einem mittelstarken und jedenfalls nicht chronischen Erschöpfungssyndrom geführt hätte, und stellte auf den objektiven Maßstab eines Durchschnittsmenschen (vgl Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht10 149) ab, der wegen einer Krallenzehenstellung nicht das Gefühl habe, ein Krüppel zu sein. Beide Aspekte blieben in der Revision unbeanstandet, sodass darauf nicht näher einzugehen ist.
2.2. Die von der Klägerin präsentierten Schmerzengeldzusprüche sind unter Berücksichtigung der vom Berufungsgericht genannten Bemessungskriterien nicht vergleichbar:
Die Entscheidung 10 Ob 89/15h (ZVR 2017/44), wo dem Kläger im Rahmen einer Globalbemessung 90.000 EUR Schmerzengeld zugesprochen wurde, betraf ein anlässlich einer ärztlichen Behandlung nicht erkanntes akutes Koronarsyndrom, das drei Tage später zu einem Herzinfarkt und einer irreversiblen Schädigung des Herzens des Klägers führte und abgesehen von 5 Tagen starken und 16 Tagen mittelstarken Schmerzen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Herzinfarkt an einem typischen Tag regelmäßig zu 8 Stunden leichten Schmerzen und Herzstolpern sowie 8 Stunden mittelgradigen Schmerzen mit Atemnot und Beklemmung führt, was eine erhebliche psychische Belastung des Klägers mit Existenzängsten und depressiven Verstimmungszuständen und einer erheblich reduzierten statistischen Lebenserwartung führte.
In der Entscheidung 2 Ob 39/09p (ZVR 2010/119 [Huber]) wurde dem Kläger 37.000 EUR an Schmerzengeld zugesprochen, unter Berücksichtigung der Geldentwertung wären dies nun rund 43.000 EUR. Der dortige Kläger hatte neben einer Gehirnerschütterung und Brüchen auch psychische Schmerzen schweren Grades insbesondere im engen Zusammenhang mit dem Verlust seines Bruders bei einem Verkehrsunfall erlitten. Schicksalhafte Vorbelastungen, die auch ohne das Schadensereignis in gewissem Ausmaß zu psychischen Schmerzen geführt hätten, wies der Kläger dort allerdings nicht auf. Vergleichbares gilt für die Entscheidung 2 Ob 135/07b (ZVR 2008/59 [Huber]) mit ihrem Zuspruch von 35.000 EUR, aufgewertet 42.800 EUR, wo es um die Schmerzengeldbemessung im Fall einer knapp zweieinhalb Jahre andauernden schweren Depression ging, die letztlich auch zum Suizid geführt hatte. Selbst wenn die psychischen Schmerzen der Klägerin vergleichbar sein mögen, waren diese nach den Feststellungen des Erstgerichts doch nur zur Hälfte auf das Schadensereignis zurückzuführen.
Dass die Entscheidung 2 Ob 186/03x (= ZVR 2004/6) nicht einschlägig ist, wo der Kläger auf einen Schlag seine gesamte nahe Familie (Frau und drei Kinder) durch einen Unfall verlor, was zu einem massiven psychischen Trauma, und einer schweren Depression führte, erkennt die Klägerin selbst.
Der Hinweis auf die Entscheidung 2 Ob 292/04m ist ein offensichtliches Fehlzitat.
3. Zusammenfassend hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der von der Klägerin in gewissem Umfang jedenfalls zu erleidenden Schmerzen aufgrund des Hämangioms, ihrer nicht dem objektiven Maßstab des Durchschnittsmenschen entsprechenden Empfindsamkeit und der bloßen Teilbemessung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz unter Außerachtlassung zu erwartender zukünftiger Schmerzen seinen Ermessensrahmen durch die Ausmessung des Schmerzengeldes mit 30.000 EUR auch zu Lasten der Klägerin nicht in unvertretbarer Weise verlassen.
IV. Ergebnis und Kostenentscheidung:
Damit waren beide Revisionen mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen.
Der hier in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revisionen nicht entgegen (1 Ob 163/16a mwN; RIS-Justiz RS0129365 [T1]). Da die Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin hingewiesen hat, dient der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung und ist somit zu honorieren. Die Klägerin hat hingegen auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten nicht hingewiesen, sodass ihr Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente (RIS-Justiz RS0035979, RS0035962).
Textnummer
E121617European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00034.18P.0410.000Im RIS seit
12.06.2018Zuletzt aktualisiert am
14.05.2019