TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/28 W261 2175207-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2018
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Entscheidungsdatum

28.05.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2175207-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin Gastinger, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von mj. XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland vom 26.09.2017, Zahl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.03.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Gang des Verfahrens:

Der unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste nach eigenen Angaben am 30.11.2015 irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 30.11.2015 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Dari. Dabei gab der BF an, afghanischer Staatsangehöriger und schiitischer Moslem zu sein und der Volksgruppe der Sayed anzugehören. Er sei am XXXX in der Provinz Paktia, Afghanistan, geboren. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er aus, er sei vor den Taliban und Daesh (IS) geflüchtet und habe Angst um sein Leben. Es herrsche überall Krieg.

Das Magistrat der Freistadt Eisenstadt als Kinder- und Jugendhilfeträger des Landes Burgenland und Inhaber der Obsorge des unbegleiteten Minderjährigen Fremden bevollmächtige mit Schreiben vom 16.05.2017 die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH mit der Vertretung des minderjährigen BF im Asylverfahren.

Am 24.05.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland (in der Folge BFA oder belangte Behörde), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, der gesetzlichen Vertreterin des BF und einer Vertrauensperson. Dabei gab er betreffend seine Fluchtgründe an, das Problem sei gewesen, dass sie Schiiten gewesen seien. In seinem Heimatdorf und der Heimatprovinz würden nur ganze wenige Sayed-Schiiten leben, die Paschtunen seien die Mehrheit und würden sie als Ungläubige bezeichnen. Außerdem habe sein Vater für die Amerikaner in der Provinz Logar gearbeitet, er habe als Fahrer Trinkwasser geliefert. Wenn jemand für die Ausländer arbeite, werde geglaubt, dass er kein Muslim bzw. ungläubig sei. Die Familie sei nicht direkt von den Taliban und IS bedroht worden, aber die Kinder eines Freundes und Arbeitskollegen seines Vaters seien getötet worden, weshalb der Vater des BF beschlossen habe, der BF solle das Land verlassen. Aus finanziellen Gründen habe nicht die gesamte Familie flüchten können. Der Vater habe gesagt, er werde eine Lösung finden, dass die gesamte Familie nachkomme, wenn sie die Möglichkeit bekämen. Seit zehneinhalb Monaten habe der BF keinen Kontakt mehr mit seiner Familie und wisse nicht, wo sie sich befinden würden. Der BF legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen und eine Bestätigung über die Entladung von Wasser eines LKWs der XXXX, dessen Lenker der Vater des BF war, vor.

Mit E-Mail vom 13.06.2017 gab die bevollmächtigte Vertreterin des BF eine Stellungnahme ab, wonach der BF als Zugehöriger zur sozialen Gruppe der Familienangehörigen von Personen, die mit den internationalen Streitkräften zusammenarbeiten, von Verfolgung bedroht sei. Darüber hinaus gehöre er ohne Kontakt zu seiner Familie zur sozialen Gruppe der Waisen-/Straßenkinder und ihm würde in Zusammenschau mit der Tatsache, dass er dem schiitischen Islam und zur Gruppe der Sayed gehöre, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung seitens traditioneller islamistischer Gruppierungen wie der Taliban oder dem IS drohen. Aus diesem Grund sei ihm der Status des Asylberechtigten zu gewähren. Auf jeden Fall sei ihm aufgrund der sich massiv verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Mit Verfahrensanordnung vom 19.06.2017 ersuchte die belangte Behörde die Rechtsberatung des BF bekannt zu geben, ob und wenn ja, welche Verfahrensschritte bezüglich der Familiensuche zum Wohl des Kindes bereits gesetzt worden seien. Sollten noch keine Schritte eingeleitet worden seien, werde mit Verweis auf die Mitwirkungspflicht ersucht, bei der Suche durch Bekanntgabe von Adressen, Telefonnummern, E-Mail etc. zu unterstützen.

Mit Schreiben vom 10.07.2017 gab die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH bekannt, dass dem Roten Kreuz ein Suchantrag für die Familie des BF übermittelt worden sei. Da mit einer Bearbeitungszeit von bis zu zwei Jahren zu rechnen sei, werde beantragt, mit der Erledigung des Antrags nicht auf das Ergebnis des Suchantrages zu warten.

Die belangte Behörde wies in weiterer Folge den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 26.09.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. In Spruchpunkt II. wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und im Spruchpunkt III die befristete Aufenthaltsbewilligung bis zum 26.09.2018 erteilt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der BF selbst habe eine Bedrohung seines Vaters wegen seiner Tätigkeit für die internationalen Streitkräfte durch die Taliban verneint. Befragt zu der vom BF geschilderten Tötung und Entführung der Kinder des Freundes seines Vaters habe der BF weder den Namen des Freundes noch nähere Angaben machen können, sondern sich rein auf die Vermutung gestützt, dass der behauptete Vorfall mit der Tätigkeit für die Amerikaner zu tun gehabt haben solle. Das Vorbringen des BF sei sehr allgemein gehalten und nicht substantiiert, und habe er damit keine Bedrohung glaubhaft machen können. Bei den Sayed handle es sich um keine ethnische, sondern eine soziale Gruppe, die nicht unter die Volksgruppe der Hazara subsumiert werden könne. Der BF habe auch bezüglich seiner Probleme als Schiit keine konkreten persönlichen Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen nennen können. Dass der BF keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern und Geschwistern habe und nicht wisse, ob andere Verwandte noch in der Heimat leben würden, reiche nicht aus, ihn unter die Gruppe der Waisen-/ Straßenkinder zu subsumieren. Vielmehr gehe die Behörde von einer Schutzbehauptung aus und sei sehr wohl davon auszugehen, dass auch weitschichtige Verwandte noch in Afghanistan leben würden. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung sei es aber nicht möglich, die Übernahme des BF durch einen Obsorgeberechtigten in seinem Herkunftsstaat sicherzustellen, bei welchem der BF Unterkunft beziehen könne, weshalb die belangte Behörde nicht ausschließen könne, dass eine Rückführung nach Afghanistan zum aktuellen Zeitpunkt zu einer konkreten Gefahr einer Verletzung der insbesondere durch Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte führen könnte. Daher werde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Mit Eingabe vom 27.10.2017 erhob der BF, bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. an das Bundesverwaltungsgericht.

Darin brachte er im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe die besonderen Manuduktions- und Sorgfaltspflichten bei minderjährigen AntragsstellerInnen im konkreten Fall nur teilweise beachtet. Die Nichtberücksichtigung des Umstandes, dass der BF, der zum Zeitpunkt seiner Flucht dreizehn Jahre alt und im Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse noch jünger gewesen sei, womit nicht davon ausgegangen werden könne, sein Vorbringen derart detailreich und umfassend zu erstatten wie erwachsene AsylwerberInnen, stelle einen gravierenden Mangel der Beweiswürdigung dar. Weiters seien die von der belangten Behörde beigelegten Länderfeststellungen im gegenständlichen Verfahren unvollständig und mangelhaft. Dem BF drohe aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "Straßen- und Waisenkinder in Afghanistan" sowie aufgrund einer zumindest unterstellten talibanfeindlichen politischen Gesinnung durch die berufliche Tätigkeit seines Vaters für die US-amerikanischen Streitkräfte bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang mit Schreiben vom 30.10.2017 dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo dieser am 02.11.2017 einlangte.

Am 15.03.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt, zu der der BF persönlich gemeinsam mit seiner Rechtsvertreterin und einem Betreuer erschien. Die belangte Behörde verzichtete mit Schreiben vom 14.12.2017 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF führte in dieser mündlichen Beschwerdeverhandlung zu seinen persönlichen Verhältnissen aus. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, was er bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ausgesagt hatte. Im Rahmen der Verhandlung legte der BF Integrationsunterlagen vor.

Das erkennende Gericht legte im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 30.01.2018 vor. Dem BF wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Dem BF wurde eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

Der BF gab mit Eingabe vom 04.04.2018, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, eine Stellungnahme zu dem in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Länderinformationsblatt ab. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation das Bild der Lage der Kinder in Afghanistan lediglich unzureichend abbilde. Kinder seien vielfach mit Gewaltsituationen konfrontiert. Für männliche Jugendliche insbesondere mit dem speziellen Profil des minderjährigen BF, bestehe die Gefahr des sexuellen Missbrauchs als "Bacha Bazi". Abgesehen vom sexuellen Missbrauch drohe betroffenen Burschen ebenso Menschenhandel oder sogar der Tod, Zugang zu staatlicher Hilfe bestehe in diesen Fällen nicht. Es werde auf weitere Länderinformationen verwiesen, die bereits im Rahmen der Stellungnahme am 13.06.2017 nach Durchführung der Einvernahme eingebracht worden seien. Dem minderjährigen BF drohe darüber hinaus die Gefahr von Kinderarbeit, insbesondere die Durchführung ausbeuterischer, gefährlicher Arbeiten. Ergänzend werde in diesem Zusammenhang auf die UNHCR-Präsentation von XXXX verwiesen. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung für Kinder durch nehme stetig zu. Der BF sei eine besonders vulnerable Person, er vereinigt zumindest zwei Risikoprofile in seiner Person (Profil der Kinder, Profil der Jugendlichen im wehrfähigen Alter). Eine Kontaktaufnahme mit seiner Familie ist dem minderjährigen BF seit ca. zwei Jahren nicht mehr möglich. Zu seinen sonstigen Familienangehörigen habe der BG ebenfalls keinen Kontakt und wisse nicht, wo sich diese aufhalten. Er sei daher als "verlassenes Kind" zu qualifizieren und wäre mangels Berufsausbildung und -erfahrung zur Selbsterhaltung auf ausbeuterische Tätigkeiten angewiesen. Als Angehöriger der Minderheit der Sayed und Schiiten sei er ebenfalls als besonders vulnerabel zu betrachten. Ihm drohe asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und der sozialen Gruppe der "Straßen- und Waisenkinder" in Afghanistan. Aus diesen Gründen werde beantragt, dem BF den Status des Asylberechtigten gem. § 3 AsylG zuzuerkennen.

Das BVwG führte am 14.03.2018 eine Auskunft im Strafregister durch, wonach für den BF im Strafregister der Republik Österreich keine Verurteilung aufscheint.

Das BVwG führte am 24.05.2018 eine Abfrage im Betreuungsinformationssystem durch, wonach der BF seit seiner Ankunft in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung bezieht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX und ist in der Provinz Paktia, im Distrikt XXXX, im Dorf XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Sayed an und ist schiitischer Moslem. Zur Identifikation im Verfahren wird das Geburtsdatum mit XXXX festgelegt.

Der BF lebte gemeinsam mit seinen Eltern, zwei Schwestern und drei Brüdern im Dorf XXXX in der Provinz Paktia. Es kann nicht festgestellt werden, wo sich die Familie des BF derzeit befindet.

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen, dass er persönlich bzw. als Mitglied der sozialen Gruppe der Familienangehörigen von Personen, die mit den internationalen Streitkräften zusammenarbeiten, aufgrund des Umstandes, dass sein Vater als Fahrer von Wassertanks für die amerikanischen Streitkräfte arbeitete, von den Taliban und/oder den Daesh (IS) bedroht wird, kann nicht festgestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sayed oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Sayed oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF als Teil der sozialen Gruppe der Minderjährigen in Afghanistan konkret und individuell asylrelevante Verfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsstaat Afghanistan aufgrund politischer, ethnischer, religiöser oder sonstiger Gründe konkret gegen ihn als Person gerichteter psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt war.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsstaat Afghanistan im Falle einer Rückkehr eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung von staatlicher oder privater Seite zu befürchten hätte.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der BF lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter.

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

(Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017 in der Fassung der Aktualisierung vom 30.01.2018):

"...

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

...

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

...

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

...

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

...

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

...

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge, sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Int. Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden 5 Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015).

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

...

3.27 Paktya/Paktia

Paktia ist eine gebirgige Provinz im südlichen Afghanistan (Pajhwok o. D.b; vgl. auch: The Atlantic 7.11.2016). Die Provinz hat folgende Distrikte und administrative Einheiten, zu denen auch die Provinzhauptstadt Gardez zählt: Ahmadabad, SayedKaram, Ahmadkhel, Mirzaka, Zazi, Lazha, Mangal, Janikhel, Tsamkani, Dandaw Patan, Shwak, Gerda Serai, Wuza Zadran und Zurmat. Die hauptsächlich in Paktia lebenden Stämme sind Pashtunen, die meist Paschtu sprechen. Die Ausnahme bilden wenige Familien, die auch Dari sprechen (Pajhwok o. D.b). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 561.200 geschätzt (CSO 2016).

In der östlichen Provinz Paktia leben Paschtunen-Familien traditionellerweise in einem großen Familienverband, um ihre Sicherheit, Ehre und Eigentum zu beschützen. Diese Familien können bis zu 4 Generationen mit etwa 150 Mitgliedern umfassen, die alle im gleichen Anwesen miteinander leben. Diese Art von Familien sind besonders respektiert, da feindliche Übergriffe unwahrscheinlich sind - dies inkludiert auch potentielle Angriffe durch Aufständische (IWPR 15.4.2016).

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Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Paktia 394 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Bei einem Besuch in Paktia unterstrich der Gouverneur von Khost die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, um die Sicherheitslage zu verbessern und Stammesdispute zu lösen. Die Beseitigung von Stammesdisputen beider Provinzen würde die Sicherheitslage in der Region verbessern und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung wiederherstellen. Sicherheits- und Verteidigungsbeamte, Mitglieder des Provinzrates, Stammesälteste und andere Beamte der Provinzen Khost und Paktia diskutierten über eine verbesserte Kooperation und Koordination bei der Bekämpfung von Verbrechen (Pajhwok 2.2.2017).

Das Haqqani Netzwerk operiert in Paktia (CRS 12.1.2017; vgl. auch:

LWJ 15.8.2016) - bei Luftangriffen wurden Anführer des Netzwerks getötet (The Nation 31.8.2016) oder Mitglieder im Rahmen von Razzien verhaftet (Khaama Press 1.6.2016). Der Distrikt Jani Khel hat für das Haqqani Netzwerk eine besondere Bedeutung - aufgrund dessen geographischer Lage, bietet er jenen, die den Distrikt kontrollieren, strategische Vorteile. Der Distrikt selbst grenzt an die Provinz Khost und verbindet so diese beiden Provinzen mit einem Abschnitt der Khost-Gardez-Autobahn, die ebenso durch die Provinzhauptstadt Gardez verläuft (The Diplomat 29.8.2016). Talibanaufständische und das Haqqani Netzwerk sind in einer Reihe von Distrikten in Paktia aktiv (Khaama Press 31.5.2016).

In der Provinz werden Militäroperationen durchgeführt, um gewisse Gegenden von Aufständischen zu befreien (Xinhua 17.12.2016; Khaama Press 28.10.2016; Press TV 5.9.2016; Khaama Press 17.8.2016; Khaama Press 21.7.2016; Khaama Press 1.6.2016); unter anderem in Form von Luftangriffen (Khaama Press 28.10.2016; The Nation 31.8.2016; Khaama Press 31.5.2016). Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Radio Pakistan 28.8.2016; Pajhwok 26.6.2016).

In der Provinz befindet sich eine internationale Militärbasis, die Forward Operating Base (FOB) Gardez (The Atlantic 7.11.2016).

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10. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vgl. auch:

Max-Planck-Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet - (AI 24.2.2016).

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15. Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

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15.1 Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9.2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9.2016).

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

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16. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vgl. auch: Max-Planck-Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

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17.1 Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9.2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9.2016).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016).

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost (AA 9.2016). Üblicherweise sind die Jungen zwischen 10 und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. auch: AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt und manchmal werden sie von ihren Familien, aufgrund von Armut, an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. auch: AA 9.2016).

Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. (AA 9.2016)

Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetzesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Schaffung einer Organisation - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015).

Die UNAMA unterstütze weiterhin Bemühungen der AIHRC Bacha Bazi, und andere Formen sexuellen Missbrauchs, vorzubeugen und zu kriminalisieren: sie drängte die afghanische Regierung Bacha Bazi zu kriminalisieren, indem die von einer Kommission entworfenen und vorgeschlagenen Gesetze, durch ein Präsidialdekret bestätigt werden sollen. Derzeit gibt es sehr wenige Leistungen und Unterstützungsmechanismen für Opfer von Bacha Bazi - oftmals werden sie selbst bestraft (UNAMA 6.2.2017).

Kinderarbeit

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9.2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fällen nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).

Bildungssystem in Afghanistan

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten s

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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