TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/28 I401 2126806-2

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Veröffentlicht am 28.05.2018
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Entscheidungsdatum

28.05.2018

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I401 2126806-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. ALGERIEN, vertreten durch Mag. German BERTSCH, Rechtsanwalt, Saalbaugasse 2, 6800 Feldkirch, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, vom 08.09.2017, Zahl:

15-1050693609/170699715, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 25.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.04.2016 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist, sowie ihm eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Rückkehr nach Algerien eingeräumt.

Die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.04.2017, I413 2126806-1/16E, als unbegründet abgewiesen.

Hinsichtlich der strittigen Volljährigkeit des Beschwerdeführers wurde in der Beweiswürdigung dieser Entscheidung angemerkt, dass ein in Auftrag gegebenes medizinisches Sachverständigengutachten dessen Volljährigkeit festgestellt habe. Diesem Sachverständigengutachten sei der Beschwerdeführer nicht in gleicher fachlicher Weise entgegengetreten. Aufgrund der fachlichen Fundiertheit und Schlüssigkeit des medizinischen Sachverständigengutachtens stehe für das Bundesverwaltungsgericht zweifelsfrei fest, dass der Beschwerdeführer volljährig sei. Dass er in Österreich über keine familiären Beziehungen verfüge, ergibe sich aus den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner mündlichen Beschwerdeverhandlung, wie auch zweifelsfrei feststehe, dass er sich auf sehr einfachem Niveau in Deutsch verständlich machen könne. Zu größeren Konversationen würden seine Deutschkenntnisse aber nicht ausreichen.

Zur Rückkehrentscheidung führte das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass der Aufenthalt des gesunden Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit seiner Einreise in das Bundesgebiet (spätestens) am 25.01.2015 rund zwei Jahr und zwei Monate gedauert habe. Er sei illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er halte sich lediglich auf Grundlage eines letztlich unbegründeten Asylantrages in Österreich auf. Spätestens mit der negativen Entscheidung durch die belangte Behörde mit Bescheid vom 22.04.2016 hätte ihm sein unsicherer Aufenthalt im Bundesgebiet bewusst sein müssen. Außerdem führe er in Österreich, wie er zuletzt in der Beschwerdeverhandlung vom 16.03.2017 selbst angegeben habe, kein iSd Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben.

Der Beschwerdeführer zeige während seines mittlerweile zwei Jahre und zwei Monate andauernden Aufenthaltes durchaus Bemühungen einer Integration. Auch wenn er bislang noch keine Deutschprüfung absolviert und lediglich mehrere Deutschkurse besucht habe, er einen überschaubaren Freundeskreis benennen könne und diesbezügliche Unterstützungserklärungen vorweise und er um eine berufliche Einbindung in die österreichische Arbeitswelt bemüht sei, könnten diese für sich genommen nicht die Unzulässigkeit der Ausweisung bewirken (schon wegen der kurzen Aufenthaltsdauer). Sie würden aber positive Aspekte seines Privatlebens in Österreich bilden, welche zu seinen Gunsten mit zu berücksichtigen seien. In Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung seien die integrativen Bemühungen des Beschwerdeführers jedoch zu relativieren. Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spreche sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert sei, würden keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen.

Auch die vom Beschwerdeführer nachgewiesenen Möglichkeiten, bei Vorliegen einer arbeitsrechtlichen Bewilligung eine Lehre in Österreich absolvieren zu können, würden seinen persönlichen Interessen kein entscheidendes Gewicht verleihen und lasse sich zudem aus den allgemein gehaltenen Schreiben keine Garantie auf eine (Weiter-) Beschäftigung ableiten (zur Gewichtung von Einstellungszusagen vgl. das Erk. des VwGH vom 20.03.2012, Zl. 2010/21/0236).

Dagegen könne nach wie vor von einem Bestehen von Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat Algerien ausgegangen werden, zumal er dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe und dort hauptsozialisiert worden sei, er nach wie vor seine Muttersprache spreche und durchaus mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der algerischen Kultur vertraut sei; im gegenständlichen Fall könne nicht von einer vollkommenen Entwurzelung des Beschwerdeführers gesprochen werden, zumal seine Familie nach wie vor in Algerien lebe.

Dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, könne seinem persönlichen Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet ebenfalls keine positive Gewichtung verleihen

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stünden somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesem gewichtigen öffentlichen Interesse kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu. Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen könne ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden.

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlage somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus.

Seiner Ausreiseverpflichtung kam der Beschwerdeführer nicht nach.

2.1. Am 14.06.2017 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

Neben anderen Unterlagen (Versicherungsdatenauszug, Auszug aus dem Zentralen Melderegister) legte er seinem Antrag (Teilnahme- und Kurs-) Bestätigungen der Volkshochschule Götzis vom 16.10.2015 über die Teilnahme an einem "Deutschkurs A1 Kompakt" vom 28.09. bis 16.10.2015 und der Caritas Flüchtlings- und Migrationshilfe vom 12.02.2016 über die Teilnahme am Bildungsprojekt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit dem Schwerpunkt "Deutsch als Fremdsprache (A1)" vom 19.10.2015 bis 12.02.2016 und vom 20.04.2016 über den Besuch des Bildungsprojekts "Deutsch als Fremdsprache (A1.2)" vom 01.03. bis 20.04.2016, eine Bestätigung eines potentiellen Arbeitgebers vom 17.05.2017 über die Festanstellung des Beschwerdeführers als Küchenhilfe für den Fall, dass er eine Arbeitsbewilligung erhält, sowie das mit Schreiben des Arbeitsmarktservice Feldkirch (in der Folge: AMS) vom 04.05.2017 dem potentiellen Arbeitgeber eingeräumte Parteiengehör betreffend Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4 Abs. 3 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslbG) vor.

2.2. In dem mit "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" titulierten Schreiben vom 11.08.2017 hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer unter anderem vor, dass er zwar einen Versicherungsdatenauszug, eine Einstellungszusage eines bestimmten Arbeitgebers vom 17.05.2017 und drei Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen auf dem Level A1 in Österreich, jedoch kein Deutschdiplom und keine seine Identität bestätigenden Urkunden vorgelegt habe.

2.3. In seiner Stellungnahme vom 06.09.2017 legte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer dar, dass er bislang über keinen Aufenthaltstitel oder eine Beschäftigungsbewilligung verfüge. In Österreich würden keine Verwandten von ihm leben. In Algerien habe er eine Friseurlehre angefangen, jedoch abgebrochen. In Rankweil habe er diese Lehre bei einem Friseur fortsetzen wollen. Dies sei ihm jedoch nicht möglich gewesen, weil er über keinen Aufenthaltstitel verfügt habe. Derzeit sei er nicht beschäftigt. Somit beziehe er auch kein Einkommen. Er sei jedoch in Österreich bestens integriert. Er lerne Deutsch und sei bemüht, sich der österreichischen Lebensweise anzupassen. Er wolle definitiv in Österreich bleiben und hier ein Familienleben aufbauen. Festzuhalten sei, dass er beim AMS eine Beschäftigungsbewilligung beantragt habe. Diesbezüglich werde auf das gewährte Parteiengehör des AMS Feldkirch vom 04.05.2017 verwiesen. Zudem sei ihm bestätigt worden, dass er im Fall der Erteilung einer Arbeitsbewilligung oder eines Aufenthaltstitels sofort als Küchenhilfe angestellt werde.

2.4. Mit Bescheid vom 08.09.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG zurück.

2.5. Gegen diesen Bescheid erhob der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerde, in der er im Wesentlichen sein zum eingeräumten Parteiengehör erstattetes Vorbringen vom 06.09.2017 wiederholte.

Er verfüge über schützenswerte private Kontakte. Er sei schon seit langem mit einer Vielzahl österreichischer Staatsbürger befreundet und bei der österreichischen Bevölkerung sehr beliebt. Von der Familie G., von der er im Fall der Erteilung einer Arbeitsbewilligung oder eines Aufenthaltstitels eine Festanstellung erhalten werde, werde er in jeder Hinsicht unterstützt. Mehrfach habe er gemeinsam mit der Familie G. beim AMS um Saisonarbeitsbewilligungen bzw. Bewilligungen nach dem AuslbG angesucht, welche jedoch an den Quotenregelungen gescheitert seien. Das sei der einzige Grund, weshalb er bislang in Österreich nicht gearbeitet habe. Der österreichischen Lebensweise habe er sich nicht nur angepasst, sondern diese quasi übernommen. Es sei unverhältnismäßig, ihm als arbeitswillige Person einerseits die Möglichkeit der Arbeit aufgrund des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes zu versagen und ihm andererseits bei der Beurteilung der Integration anzulasten, dass er bislang nicht gearbeitet habe, obwohl er mehr als bemüht sei, eine Arbeit aufzunehmen. Er sei zwar auf Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen angewiesen, jedoch nur deshalb, weil er bislang nicht arbeiten habe dürfen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Die in Punkt I. dargelegten Ausführungen zum Verfahrensgang werden zum festgestellten Sachverhalt erhoben. Sie ergeben sich aus dem diesbezüglich zweifelsfreien unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde.

Zu Spruchpunkt A):

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

2.1.1. Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG (in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012) werden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

(2) Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

(3) ... .

2.1.2. Der mit "Modul 1 der Integrationsvereinbarung" überschriebene § 9 des Integrationsgesetzes (in der ab 01.10.2017 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 86/2017) lautet (auszugsweise):

"(1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) ... .

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2. einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. ... .

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1."

Der mit "Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1" überschriebene § 11 des Integrationsgesetzes (in der ab 01.10.2017 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 68/2017) lautet (auszugsweise):

"(1) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 wird bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab durchgeführt.

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 ist vom Österreichischen Integrationsfonds oder von einer vom Österreichischen Integrationsfonds zur Abwicklung der Prüfungen im Rahmen der Integrationsvereinbarung zertifizierten und somit zur Ausfolgung eines gleichwertigen Nachweises gemäß Abs. 4 berechtigten Einrichtung durchzuführen.

(4) Über die Gleichwertigkeit eines Nachweises gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 entscheidet der Österreichische Integrationsfonds mit Bescheid auf schriftlichen Antrag einer Einrichtung, die beabsichtigt die Integrationsprüfung durchzuführen, nach Maßgabe der Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres gemäß Abs. 5.

(5) ... ."

2.1.3. Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

2.1.4. Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" überschriebene § 9 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

2.1.5. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2.2.1. Die belangte Behörde wies mit dem bekämpften Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurück und begründete dies - zusammengefasst - damit, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht eingetreten sei.

Die angefochtene Entscheidung ist daher dahingehend zu beurteilen, ob sich aus dem begründeten Antragsvorbringen ein geänderter Sachverhalt im Vergleich zu der rechtskräftigen (Rückkehr-) Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.04.2017 ableiten lässt.

2.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, unter anderem die Rechtsansicht, dass als Nachfolgeregelung des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005 nunmehr § 58 Abs. 10 AsylG 2005 bestimmt, dass Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht (siehe zu diesen Voraussetzungen das zu § 44b Abs. 1 NAG ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0127, und daran anschließend u.a. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 5. Mai 2015, Ra 2014/22/0115). Nach dieser Judikatur liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig.

Es hat somit im Rahmen des Verfahrens nach § 55 AsylG eine Neubewertung einer Rückkehrentscheidung nur bei einem geänderten Sachverhalt zu erfolgen, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, wobei sich die inhaltliche Neubewertung des Sachverhalts lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu beziehen hat (vgl. das Erk. des VwGH vom 03.10.2013, Zl. 2012/22/0068).

2.2.3. Mit dem durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.04.2017 bestätigten Bescheid der belangten Behörde vom 22.01.2016 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen und zudem die Feststellung getroffen, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Seiner Ausreiseverpflichtung kam er nicht nach.

Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes sind keine maßgeblichen Änderungen im Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, der bis zum gegebenen Zeitpunkt keine seine wahre Identität bezeugenden Dokumente vorgelegt hat, und in Bezug auf die Lage in Algerien als sicherer Herkunftsstaat eingetreten. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass solche Änderungen eingetreten wären. Auch das Vorbringen in der erhobenen Beschwerde ist nicht geeignet, eine zu beachtende maßgebliche Änderung des Sachverhalts sowohl seinen psychischen und physischen Gesundheitszustand als auch seine privaten Lebensverhältnisse und familiären Beziehungen in Österreich betreffend, aufzuzeigen. Zudem kann der Umstand, dass der Beschwerdeführer über eine Einstellungszusage bei einem potentiellen Arbeitgeber als Küchenhilfe, welche er auch im vorangegangenen Asylverfahren als eine seine soziale Verfestigung im Inland dokumentierende Integration ins Treffen führte, verfügt, eine neue inhaltliche Prüfung nicht begründen. Daran kann auch der Umstand, dass er an (bereits im Vorverfahren nachgewiesenen) mehreren Deutschkursen teilnahm, nichts ändern, wobei darauf hinzuweisen ist, dass er über durch einschlägige Zertifikate anerkannter Einrichtungen dokumentierte Deutschkenntnisse nicht verfügt. Selbst perfekte Deutschkenntnisse und eine vielfältige soziale Vernetzung könnten aber ein über das übliche Maß hinausgehende Integration nicht aufzeigen (vgl. die Erk. des VwGH vom 26.01.2009, Zl. 2008/18/0720; vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029, jeweils mwN).

Sämtliche Argumente und Nachweise, auf die der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK Bezug nimmt, brachte und legte er bereits im Verfahren über die Gewährung internationalen Schutzes vor und fanden bereits in der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Eingang. Im unsubstantiiert gebiebenen Vorbringen in der Beschwerde, dass es sehr wohl schützenswerte private Kontakte gibt und der Beschwerdeführer schon seit langem mit einer Vielzahl österreichscher Staatsbürger befreundet und bei der österreichischen Bevölkerung sehr beliebt ist, kann eine maßgebliche Änderung der Sachlage ebenfalls nicht erkannt werden.

Auch mit dem Vorbringen in der Beschwerde, es sei unverhältnismäßig, dem Beschwerdeführer als arbeitswilligen Person einerseits die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme aufgrund des nicht rechtmäßigen Aufenthalts zu nehmen und ihm andererseits bei der Beurteilung der Integration anzulasten, dass er bislang nicht gearbeitet habe, obwohl er mehr als bemüht sei, eine Arbeit aufzunehmen, zeigt er im Vergleich zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.04.2017 eine zu beachtende Änderung des Sachverhalts nicht auf. Dass es dem Beschwerdeführer (nur) bei Vorliegen einer arbeitsrechtlichen Bewilligung möglich ist, eine Lehre oder Arbeit aufzunehmen, bildet keinen Grund, ihm einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen, wobei auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtskräftigen Entscheidung bei der vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinne des § 9 Abs. 2 BFA-VG einer vorliegenden Einstellungszusage kein entscheidendes zugunsten des Beschwerdeführers sprechendes Gewicht beigemessen hat.

Die Beschwerde tritt den diesbezüglichen Ausführungen im bekämpften Bescheid im Ergebnis nicht substantiiert entgegen, zumal - wie bereits ausgeführt wurde - keine neuen integrationsbegründenden Umstände, die sich zwischen der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes und der nunmehrigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ergeben haben, vorgebracht wurden.

Im gegenständlichen Fall liegt ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich machen würde, nicht vor.

Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag daher zu Recht zurückgewiesen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3. Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. das Erk. des VwGH vom 28.05.2014, Zl. 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (vgl. das Erk. des VwGH vom 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht (vgl. das Erk. des VwGH vom 16.02.2017, Ra 2016/05/0038) durchzuführen. § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 erlaubt unter anderem das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. die Erk. des VwGH vom 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; vom 22.01.2015, Ra 2014/21/0052). Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC (den Beschluss des VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und waren auch keine Beweise aufzunehmen.

Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Antragsbegehren, Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK,
aufrechte Rückkehrentscheidung, Gesamtbetrachtung, mangelnder
Anknüpfungspunkt, persönlicher Eindruck

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I401.2126806.2.00

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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