Entscheidungsdatum
29.05.2018Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W211 2176654-1/14E
W211 2176645-1/8E
W211 2176646-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX , 3) XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Syrien, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , 1) Zl. XXXX , 2) Zl. XXXX , 3) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und der beschwerdeführenden Partei
1) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie den beschwerdeführenden Parteien 2) und 3) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei 1), eine weibliche Staatsangehörige Syriens, stellte am XXXX 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie ist die Lebensgefährtin von XXXX und die Mutter der beschwerdeführenden Parteien 2) und 3).
2. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die beschwerdeführende Partei
1) soweit wesentlich an, aus einem Vorort von Aleppo zu stammen und mit ihrer Familie wegen des Krieges die Heimat verlassen zu haben. Sie habe ihren Lebensgefährten in der Türkei kennen gelernt und dort traditionell geheiratet.
3. Bei ihrer Einvernahme am XXXX 2017 führte die beschwerdeführende Partei 1) soweit wesentlich aus, dass ihre ganze Verwandtschaft in Syrien, in Idlib, leben würde. Sie habe einen Asylantrag gestellt, weil ihre Familie in Syrien alles verloren habe. Die Familie habe sich entschlossen, Syrien zu verlassen, da sei sie mitgegangen. Ihre Familie sei dann aus der Türkei zurück nach Syrien gegangen, um die Verlobte ihres Bruders abzuholen; sie selbst sei bei ihrem Mann geblieben. Ihre Familie habe dann nicht mehr aus Syrien raus können, weshalb sie immer noch dort sei. Ihr Vater sei Ingenieur gewesen; die Familie sei im April 2014 in die Türkei ausgereist, nachdem der Vater den Job verloren habe. Im Jahr 2009 sei sie außerdem persönlich bedroht worden, weil in Homs Kinder umgebracht worden seien; sie habe sich damals gegen die Regierung geäußert. Sie sei selbst nicht bedroht worden. Ihre Kinder hätten die gleichen Fluchtgründe wie sie und ihr Lebensgefährte.
4. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG bzw. § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).
5. Gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide wurde rechtzeitig eine gemeinsame Beschwerde eingebracht.
6. Am XXXX 2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei 1) und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen sie nach ihren Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde hatte sich bereits vor der Verhandlung für die Teilnahme entschuldigt. Die beschwerdeführende Partei 1) gab dabei soweit wesentlich an, dass sich ihre Eltern, ihre drei Brüder und zwei Schwestern in Idlib Umgebung befinden und versuchen würden, in die Türkei zu kommen. Ihr Vater habe für ein Ministerium gearbeitet und sich der Opposition angeschlossen. In ihrer Heimatstadt habe schnell die Opposition geherrscht und seien alle dort der Opposition zugeordnet worden. Alleine, dass ihr Vater die Arbeit im Ministerium niedergelegt habe, habe schon als Beweis gegolten, dass er mit der Opposition sympathisiere. Ihr Vater sei quasi in Streik getreten und habe seine Arbeit niedergelegt. Sie selbst würde als Bewohnerin eines Ortes, der eine Hochburg der Rebellen sei, auch in das Eck der Oppositionellen gedrängt werden. Außerdem habe sich 2012 eine persönliche Bedrohung ereignet, und nicht im Jahr 2009, wie vor der belangten Behörde protokolliert. Sie habe damals mit ihrer Klasse das Bild des Präsidenten abgehängt, danach sei ihr Name aufgezeichnet worden. Sie sei deswegen auch 12 Tage in Haft gewesen.
7. Zu in der Verhandlung aktualisierten Länderberichten langte keine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den beschwerdeführenden Parteien:
1.1.1. Die beschwerdeführende Partei 1) ist eine weibliche Staatsangehörige Syriens. Sie stellte am XXXX 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die beschwerdeführenden Parteien 2) und 3) sind die minderjährigen Kinder der beschwerdeführenden Partei 1), für die am XXXX 2017 bzw. am XXXX 2017 Anträge auf internationalen Schutz gestellt wurden.
Die beschwerdeführende Partei 1) ist die Lebensgefährtin von XXXX , dessen Beschwerde unter der Zl. W211 2176649 ebenfalls beim BVwG anhängig ist, zu der mit heutigem Datum ebenfalls eine Entscheidung ergeht.
1.1.2. Die beschwerdeführende Partei 1) stammt aus der Stadt XXXX außerhalb von Aleppo, wo sie die Schule besuchte und ein Jahr studierte, bevor sie mit ihrer Familie im Jahr April 2014 in die Türkei ausreiste. In der Türkei lernte sie ihren Lebensgefährten kennen und heiratete diesen in einer religiös-traditionellen Zeremonie. Aus dieser Verbindung entstanden zwei Kinder.
Die beschwerdeführenden Parteien sind gesund, und die beschwerdeführende Partei 1) außerdem strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Die Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern der beschwerdeführenden Partei 1) gingen im September 2015 in die Umgebung von Idlib zurück, um die Verlobte eines Bruders abzuholen. Aufgrund der danach geschlossenen Grenzen zur Türkei verblieb die Familie in der Nähe von Idlib und konnte nicht mehr ausreisen.
XXXX , aber auch Idlib, stehen nach wie vor unter Kontrolle von Rebellengruppierungen: FSA, Ahrar al-Sham, andere Gruppen, Türken.
Im Falle einer Rückkehr würde der beschwerdeführenden Partei 1) aufgrund ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das tatsächlich unter oppositioneller Kontrolle stand und nach wie steht, aber auch aufgrund des Aufenthalts ihrer Familie in Rebellen-kontrolliertem Gebiet seitens des Regimes eine oppositionelle politische Haltung unterstellt werden, woraus sich eine Bedrohung ihrer Person ergeben kann.
1.3. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben:
a) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, Jänner 2018:
Folter und unmenschliche Behandlung
Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit (HRW 12.1.2017). Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren (UNHRC 11.8.2016). Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken (AI 17.8.2016). Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt (USDOS 3.3.2017). Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter (UNHRC 11.8.2016). Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen (HRW 27.1.2016; vgl. AI 22.2.2017). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert. Die Toten werden häufig in Massengräbern begraben oder verbrannt und nur selten ihren Verwandten überstellt (Economist 20.12.2017). Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (USDOS 3.3.2017).
Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen (FH 1.2017). Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel (USDOS 3.3.2017). Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen (USDOS 3.3.2017).
Anm.: Weitere Informationen: siehe Abschnitt "9.Allgemeine Menschenrechtslage".
Quellen:
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AI - Amnesty International (17.8.2016): "It breaks the human":
Torture, disease and death in Syria's prisons [MDE 24/4508/2016], http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1471499119_mde2445082016english.PDF, Zugriff 4.12.2017
-
AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - Syria,
https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/syria/report-syria/, Zugriff 5.12.2017
-
The Economist (20.12.2017): Assad's torture dungeons - Pit of hell,
https://www.economist.com/news/middle-east-and-africa/21712142-dissidents-are-being-exterminated-syrian-jails-assads-torture-dungeons, Zugriff 5.12.2017
-
FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/341821/485142_de.html, Zugriff 4.12.2017
-
HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/318418/443598_en.html, Zugriff 5.12.2017
-
HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/334763/477343_de.html, Zugriff 5.12.2017
-
UNHRC - United Nations Human Rights Council (11.8.2016): Report of the Independent International Commission of inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/33/35],
https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1474461066_g1617860.pdf, Zugriff 5.12.2017
-
USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria,
https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 11.8.2017
Allgemeine Menschenrechtslage
Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden (SOHR 16.7.2017).
Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).
Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte (UKFCO 21.4.2016, AI 22.2.2017 und USDOS 3.3.2017).
Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen (AI 22.2.2017; vgl. SD 18.10.2017). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung. (USDOS 3.3.2017).
Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).
Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen (AI 22.2.2017). Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb (FH 1.2017). Auch Rebellengruppen belagern Gebiete (USDOS 3.3.2017).
Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert (FH 1.2017).
Quellen:
-
AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/2017 - The State of the World's Human Rights - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/336435/479102_de.html, Zugriff 23.11.2017
-
FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/341821/485142_de.html, Zugriff 23.11.2017
-
SD - Syria Deeply (18.10.2017): Analysis: The Political Impasse Over Syria's Disappeared,
https://www.newsdeeply.com/syria/articles/2017/10/18/analysis-the-political-impasse-over-syrias-disappeared, Zugriff 4.12.2017
-
SOHR - Syrian Observatory For Human Rights (16.7.2017): About 475 thousand persons were killed in 76 months of the Syrian revolution and more than 14 million wounded and displaced, http://www.syriahr.com/en/?p=70012, Zugriff 4.12.2017
-
UKFCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.4.2016): Human Rights and Democracy Report 2015-Chapter IV: Human Rights Priority Countries-Syria,
https://www.ecoi.net/local_link/322999/448821_en.html, Zugriff 23.11.2017
-
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.2015): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic Update IV,
http://www.refworld.org/pdfid/5641ef894.pdf, Zugriff 3.1.2018
-
UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2017): Syria Crisis: North East Syria Situation Report No. 13 (1- 31 July 2017),
https://ecoi3.ecoi.net/en/file/local/1405545/1788_1503323913_3107.pdf, Zugriff 4.12.2017
-
USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria,
https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 23.11.2017
-
USDOS - US Department of State (27.6.2017): Trafficking in Persons Report 2017 - Country Narratives - Syria, https://ecoi3.ecoi.net/de/dokument/1408502.html, Zugriff 4.12.2017
b) Risikoprofile (Quelle: UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung aus November 2015):
Werden Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis gemäß bestehenden Asylverfahren oder Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft geprüft, so ist UNHCR der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der unten beschriebenen Risikoprofile wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen, sofern keine Ausschlussklauseln anwendbar sind. Bei Familienangehörigen und Personen, die auf sonstige Weise Menschen mit den nachfolgend aufgeführten Risikoprofilen nahestehen, ist es je nach den Umständen des Einzelfalls ebenfalls wahrscheinlich, dass sie internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Sofern relevant, sollte besonderes Augenmerk auf jegliche Verfolgung gelegt werden, der Asylsuchende in der Vergangenheit möglicherweise ausgesetzt waren.
Die nachstehend aufgeführten Risikoprofile sind nicht unbedingt abschließend und können sich überschneiden. Die Reihenfolge der aufgeführten Profile impliziert keine Hierarchie. Die Profile basieren auf Informationen, die UNHCR zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Dokuments vorlagen. Ein Antrag sollte daher nicht automatisch als unbegründet erachtet werden, weil er keinem hier aufgeführten Profil entspricht.
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Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien gründen sich auf die widerspruchsfreien Angaben im Laufe des Verfahrens sowie auf die Geburtsurkunde der beschwerdeführenden Partei 3).
Die Daten der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Feststellungen zur Herkunft in Syrien, zum Leben in der Heimatregion sowie zur Fluchtbewegung in die Türkei basieren auf den diesbezüglich widerspruchsfreien und glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei 1) im Laufe des Verfahrens. Die Feststellung zur traditionellen Eheschließung in der Türkei gründet sich ebenfalls auf die glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei 1) sowie ihres Lebensgefährten.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen sich auf die diesbezüglichen Angaben der beschwerdeführenden Partei 1) im Laufe des Verfahrens. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit basiert auf einem Auszug aus dem Strafregister vom XXXX 2018.
2.3. Die Feststellungen zum Verbleib ihrer Eltern und Geschwister in der Umgebung von Idlib fußen auf den gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei 1) im Laufe des Verfahrens. Die belangte Behörde setzt dieser Feststellung beweiswürdigend nichts entgegen, sondern geht ebenso von einer Rückkehr der Familie nach Idlib aus - siehe Seite 40 des angefochtenen Bescheids.
Die Feststellungen zur den Kontrollverhältnissen in der Herkunftsregion gründet sich auf eine Nachschau auf der Website https://syria.liveuamap.com/ am XXXX 2018.
Damit stammt die beschwerdeführende Partei 1) tatsächlich aus einer Gegend, die eine oppositionelle Hochburg war und nach wie vor von FSA, mittlerweile aber auch durch die Türken kontrolliert bzw. zumindest besetzt wird. Aus den entsprechenden Länderberichten, aber auch den UNHCR Schutzprofilen zu Syrien geht hervor, dass bereits eine Herkunftsregion ausreichen kann, um seitens des Regimes als oppositionell eingestuft und damit menschenrechtswidrigen Handlungen und Bestrafungen ausgesetzt zu werden. Bei der beschwerdeführenden Partei 1) kommt noch erschwerend dazu, dass sich enge Familienangehörige von ihr seit September 2015 in der Umgebung von Idlib, erneut einer oppositionellen Hochburg, aufhalten, sodass sie auch aus dieser nach wie vor bestehenden Verbindung zu Rebellen-Hochburgen mit entsprechender Wahrscheinlichkeit eine Bedrohung durch das Regime wegen einer ihr ebenfalls unterstellten Regierungsfeindlichkeit gewärtigen müsste. Aus der konkreten familiären Situation und insbesondere ihrer Herkunftsregion und dem Faktum, dass sich Kernfamilie von ihr immer noch in Rebellengebieten aufhalten, ergibt sich daher ein Bedrohungsszenario, nach dem die Rückkehrbefürchtungen der beschwerdeführenden Partei 1) durchaus plausibel sind.
2.4. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die soweit wesentlich oben unter 1.3. wiedergegeben werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
A) Spruchpunkt I.:
3.1. Rechtsgrundlagen
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
3.2.1. Die beschwerdeführende Partei 1) muss also wegen ihrer Herkunft aus einer von Rebellen nach wie vor kontrollierten Region sowie wegen der gegenwärtigen Anwesenheit ihrer Kernfamilie in einer Region, die als Hochburg der Opposition gilt, als eine Person angesehen werden, der von Regime mit entsprechender Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden würde, wobei an diese Unterstellung menschenrechtswidrige Konsequenzen geknüpft sein können.
3.2.2. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer solchen im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
3.2.3. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist den beschwerdeführenden Parteien nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG bzw. § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.3. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag der beschwerdeführenden Partei 1) auf internationalen Schutz am XXXX 2017 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
Schlagworte
Asylgewährung, erhebliche Intensität, Familienverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2176654.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.06.2018