TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/29 W135 2171706-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2018
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Entscheidungsdatum

29.05.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W135 2171706-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz TROMPISCH als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 02.11.2017, OB: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer brachte am 04.04.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass ein.

Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt. Die Sachverständige gelangte in ihrem Gutachten vom 07.09.2017 zu dem Ergebnis, dass ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. (festgestellte Funktionsbeeinträchtigungen: 1. Lumboischialgie, 2. COPD III, 3. Zustand nach Refundoplicatio bei traumatischer Ösophagusverletzung, 4. Schulterprothese links, 5. Leichte kognitive Störung) vorliege, jedoch die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers (Atemnot bei COPD und Beeinträchtigungen von Seiten des Stütz- und Bewegungsapparates) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel medizinisch gesehen zuließen.

Am 13.09.2017 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass ihm ein Behindertenpass in Scheckkartenformat ausgestellt werde und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragungen "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn einer Prothese" und "Gesundheitsschädigungen gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" vorliegen würden.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18.09.2017 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Fahrpreisermäßigung" abgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 02.11.2017 wurde weiter der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens vom 07.09.2017 abgewiesen. Als Beilage des Bescheides wurde dem Beschwerdeführer das ärztliche Sachverständigengutachten vom 07.09.2017 übermittelt.

Der Beschwerdeführer erhob das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.11.2017. In dieser wird im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass es bedingt durch sein Magenleiden zu Durchfällen komme und er deshalb nicht den Bus oder die Straßenbahn benutzen könne. Am Land sei der Abstand zwischen den Stationen auch oft eine Viertelstunde groß. Wenn er nach Wien zum Arzt fahre, sei er fast zwei Stunden mit einem öffentlichen Verkehrsmittel unterwegs. Aufgrund der COPD sei es für ihn auch schwierig sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten, insbesondere wegen der Duftnote der anderen Fahrgäste. Im Sommer sei er deshalb bereits mehrmals weggekippt, da ihm die Luft weggeblieben sei.

Der Beschwerdeführer legte seiner Beschwerde einen neuen Befund bei. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht gestellt.

Die Beschwerde und der Bezug habenden Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 27.09.2017 zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht holte angesichts des Beschwerdevorbringens im Zusammenhang mit der COPD ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Lungenheilkunde vom 17.04.2018 ein. Der Sachverständige hielt nach persönlicher Begutachtung des Beschwerdeführers am 09.03.2018 hinsichtlich der COPD fest, dass eine COPD des Stadiums II ohne Notwendigkeit einer Langzeitsauerstofftherapie eindeutig objektiviert werden konnte. Aus lungenfachärztlicher Sicht seien sowohl Anmarschwege im Ausmaß von 300 bis 400 Meter wie auch problemloses Besteigen und sicherer Transport im Verkehrsmittel möglich und zumutbar.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2018 wurden der Beschwerdeführer und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben.

Beide Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei dem Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monaten andauern werden:

1) Lumboischialgie,

2) Chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung (COPD II) mit sekundärem Emphysem,

3) Zustand nach Refundoplicatio bei traumatischer Ösophagusverletzung,

4) Schulterprothese links,

5) Leichte kognitive Störung.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer eine kurze Wegstrecke zurücklegen kann. Das Ein- und Aussteigen in und aus einem öffentlichen Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer möglich. Es besteht keine Sturzgefahr. Das Überwinden von Niveauunterschieden und Anhalten im öffentlichen Verkehrsmittel ist möglich. Die Orientierungsfähigkeit des Beschwerdeführers im öffentlichen Raum ist ausreichend vorhanden.

Die mittelschwere COPD bewirkt keine Einschränkung bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Der Aufenthalt innerhalb geschlossener Räume wie Innenräume von öffentlichen Verkehrsmitteln wird durch die COPD nicht erschwert. Dies gilt auch für den Aufenthalt innerhalb größerer Menschenansammlungen. Eine Sauerstofftherapie ist nicht indiziert.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Vorliegen eines Behindertenpasses ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland ergibt sich aus dem im Akt aufliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister; Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen 1), 3) 4) und 5) gründen sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 07.09.2017, das nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers am 06.09.2017 erging. Das Gutachten beinhaltet einen ausführlichen Untersuchungsbefund, der mit der gutachterlichen Beurteilung übereinstimmt; die vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde wurden von der Sachverständigen berücksichtigt und sind in die Beurteilung der Sachverständigen miteingeflossen. Von der Sachverständigen wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß sowie deren Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen.

Hinsichtlich der nach Art und Schwere festgestellten Gesundheitsschädigungen ergaben sich dem Gutachten zufolge keine Anhaltspunkte für das Vorliegen erheblicher Einschränkungen von Funktionen der unteren Extremitäten. Die Sachverständige beschreibt nachvollziehbar, dass aufgrund der medikamentösen Einstellung eine kurze Wegstrecke zurückgelegt werden kann. Die Lumboischialgie sowie die mit den Einschränkungen am Stütz- und Bewegungsapparat zusammenhängenden Schmerzzustände wurden hierbei in der gutachterlichen Beurteilung berücksichtigt. Die Beweglichkeit in den Hüft-, Knie- und Sprunggelenken ist ebenso wie das Gangbild unauffällig, der Zehen-, Fersen- und Einbeinstand konnte im Rahmen der Untersuchung, wenn auch unsicher und schmerzhaft, vorgezeigt werden. Eine erhöhte Sturzgefahr besteht nicht. Es werden darüber hinaus keine Behelfe verwendet, welche das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen.

Bezüglich der oberen Extremitäten zeigt sich, dass bei einer Schulterprothese links die Abduktion und Elevation bei 90° limitiert ist und eine deutliche Atrophie der Oberarmmuskulatur gegeben ist. Die Beweglichkeit der rechten Schulter ist ungestört. Die Beweglichkeit beider Ellbogen und Handgelenke ist unauffällig und es ist beidseits ein kompletter Faustschluss möglich, sodass ein sicheres Anhalten an den vorgesehenen Haltegriffen während des Transports gewährleistet ist.

Es bestehen auch keine Einschränkungen der psychischen, neurologischen und intellektuellen Funktionen. Der Beschwerdeführer ist in allen Skalenbereichen affizierbar und orientiert. Die leichte kognitive Störung ist unter Medikation stabil.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkung 2) gründen sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte lungenfachärztliche Gutachten vom 17.04.2018, welches einen ausführlichen Untersuchungsbefund beinhaltet, der mit der gutachterlichen Beurteilung übereinstimmt. Der Sachverständige nahm eine Lungenfunktionsprüfung mit dem folgenden Ergebnis vor: mittelgradige obstruktive Ventilationsstörung im Sinne einer COPD II, Hinweise für Überblähung, normale Sauerstoffsättigung von 97% bei Raumluft, keine Indikation für Langzeitsauerstofftherapie.

Der fachärztliche Sachverständige beschreibt vor dem Hintergrund des Untersuchungsbefundes nachvollziehbar, dass die Sauerstoffsättigung bei Raumluftatmung im Normbereich lag und eine höhergradige Funktionsstörung ausgeschlossen werden konnte. Es bestehe keine Indikation für eine Sauerstofftherapie, keine Sauerstoff-Diffusionsstörung und keine kardialen Folgeerkrankungen wie Lungenhochdruck oder Corpulmonale.

Zu den in der Beschwerde beschriebenen Atembeschwerden hält der Sachverständige fest, dass diese nicht durch objektive Untersuchungswerte gestützt werden könnten. Der Aufenthalt in geschlossenen Räumen wie Innenräumen von öffentlichen Verkehrsmitteln werde durch die COPD nicht erschwert. Dies gelte auch für den Aufenthalt innerhalb größerer Menschenansammlungen. Der Aufenthalt in geschlossenen Räumen, die auch von anderen Menschen benützt würden, führe zu keiner Verschlechterung der COPD. Schließlich seien auch aus lungenfachärztlicher Sicht Anmarschwege im Ausmaß von 300 bis 400 Metern (der Beschwerdeführer gab im Rahmen der Begutachtung selbst an, dass er die Wegstrecke von Zuhause bis zur Bushaltestelle von etwa 300 Meter bzw. 15 Gehminuten bewältige), wie auch problemloses Besteigen und der sichere Transport im Verkehrsmittel möglich und zumutbar.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer in der Beschwerde vorgebrachten Durchfälle, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich weder im Rahmen der Antragstellung, noch der gutachterlichen Untersuchung im Verfahren der belangten Behörde Befunde vorgelegt hat, die das Vorliegen von Durchfällen belegen würden. Der Beschwerdeführer hätte auch im Rahmen der Beschwerde und der anschließenden fachärztlichen Begutachtung die Möglichkeit gehabt, entsprechende Befunde zur Untermauerung eines Durchfallsleidens - zumal der Beschwerdeführer im Rahmen der lungenfachärztlichen Untersuchung angab, dass es seit 1992 wechselweise zu Durchfall oder Verstopfung komme - vorzulegen, was der Beschwerdeführer unterlassen hat. Ein Durchfallsleiden, welche die Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel begründen könnte, konnte sohin nicht objektiviert werden.

Der Beschwerdeführer ist den eingeholten Sachverständigengutachten auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es ihm doch, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen insgesamt keine Zweifel an der Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Richtigkeit der vorliegenden allgemeinmedizinischen und lungenfachärztlichen Sachverständigengutachten. Es findet auch keinen Anlass zur Annahme, dass die Sachverständigengutachten mit den Erfahrungen des Lebens oder den Denkgesetzen in Widerspruch stehen und legt sie daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu A)

Gemäß § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG können im Behindertenpass auf Antrag des behinderten Menschen zusätzliche Eintragungen vorgenommen werden, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen.

Gemäß § 45 Abs. 1 leg.cit. sind Anträge auf Vornahme einer Zusatzeintragung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) einzubringen.

Nach § 47 leg.cit. ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.

In Ausübung dieser Ermächtigung wurde die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II 495/2013, erlassen.

Der für die hier begehrte Zusatzeintragung relevante § 1 Abs. 4 Z 3 der zitierten Verordnung hat folgenden Wortlaut:

"§ 1 ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls

einzutragen: 1. ... 2. ...

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und - erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder - erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder - erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder - eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder - eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen."

In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:

"§ 1 Abs. 2 Z 3:

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

...

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-

anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID - sever combined immundeficiency),

-

schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-

fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-

selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-

vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

-

laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

-

Kleinwuchs,

-

gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

-

bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar."

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, mwN.).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Von einer "kurzen Wegstrecke" geht der Verwaltungsgerichtshof unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse bei einer durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 bis 400 m aus (VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Schließlich kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, werden der gegenständlichen Entscheidung ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten vom 07.09.2017 und ein lungenfachärztliches Sachverständigengutachten vom 17.04.2018 zugrunde gelegt.

Es ist daher im Beschwerdefall davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer - trotz der bei ihm unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und unter Berücksichtigung dieser - zum Entscheidungszeitpunkt die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist:

Der Beschwerdeführer kann eine kurze Wegstrecke entsprechend einer Entfernung von rund 300 Metern zurücklegen, das Ein- und Aussteigen sowie die Beförderung in sich bewegenden öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht maßgeblich beeinträchtigt. Die Haltefunktion der oberen Extremitäten ist gut erhalten.

Beim Beschwerdeführer liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren oder oberen Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden. Somit sind das Überwinden von Niveauunterschieden, das Erreichen und ein gesicherter Transport im öffentlichen Verkehrsmittel möglich.

Unter Verweis auf die zuvor wiedergegebene Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen sowie Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes ein neuer Antrag des Beschwerdeführers beim Sozialministeriumservice und damit eine neuerliche Prüfung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

3.5. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein), hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel betreffend den Beschwerdeführer unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen geprüft. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden, nicht ausreichend substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachten geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Betreffend die Frage, ab wann die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass gerechtfertigt ist, konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ohnehin klare Rechtslage des BBG bzw. der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen. Dass bei der Beurteilung dieser Frage ein medizinischer Sachverständiger beizuziehen ist, gründet auf der - an entsprechender Stelle angeführten - ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W135.2171706.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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