TE Bvwg Beschluss 2018/6/4 W119 2196701-1

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Veröffentlicht am 04.06.2018
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Entscheidungsdatum

04.06.2018

Norm

AsylG 2005 §3
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W119 2196701-1/2Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX auch XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. 4. 2018, Zl 1101384408/160037338, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 8.1.2016 in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

Bei seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 9.1.2016 gab er an, dass er lediger, afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens sei und der Volksgruppe der Hazara angehöre. Er habe keine Schulbildung und sei Analphabet. Seine Eltern und fünf (jüngere) Geschwister würden in Betwan in der Provinz Helmand in Afghanistan leben. Er sei zuletzt Gemüseverkäufer gewesen. Sein Vater und er hätten den Lebensunterhalt der Familie erwirtschaftet. Die Familie besitze ein Grundstück. Er habe sich auf der Durchreise im Iran aufgehalten. Einen Reisepass habe er noch nie besessen. Zum Fluchtgrund gab er an, dass ihn die Taliban zum Kampf rekrutieren wollten. Vor eineinhalb Monaten (November/Dezember 2015) hätten sie mit einer Kalaschnikow auf ihn geschossen und ihn am Rücken getroffen, wodurch er am Kopf einen Splitter abbekommen habe, welcher sich noch im Kopf befinde und ihm ständig leichte Kopfschmerzen verursache. Vor einem Jahr (Jänner 2015) hätten ihm die Taliban die Fingerkuppe des linken Zeigefingers abgeschnitten, weil sie ihm unterstellt hätten, dass er bei Wahlen seine Stimme abgegeben habe.

Am 5. 10. 2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Er sei in Jaghuri in der Provinz Ghazni im Dorf Zange Mahsa geboren, wo die Familie ein Haus sowie ein Grundstück besitze und bewirtschaftet habe. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, von den Taliban mehrmals zum Krieg mitgenommen worden und zwei Mal verletzt worden zu sein. Er sei nicht der einzige gewesen, auch den Nachbarjungen und andere hätten sie mitgenommen, aus jedem Haus einen. Danach - zur Zeit der Wahlen - sei er auf dem Feld von den Taliban aufgehalten und beschimpft worden. Sie hätten ihm eine Fingerkuppe abgehackt. Zuletzt sei der Beschwerdeführer vor einem Jahr und sechs Monaten (Frühling 2015) im Krieg gewesen, das erste Mal vor einem Jahr und acht Monaten (Anfang 2015). Er sei viermal im Namen des Jihad gegen die Regierung eingesetzt worden. Die Taliban hätten ihn zu Hause angetroffen und zur Behandlung nach Pakistan und wieder zurück gebracht. Daraufhin seien der Beschwerdeführer und seine Familie nach Betwan gezogen, wo es sicherer gewesen sei und die Taliban nicht offen herumfahren hätten können. Zwar sei es dort sicher gewesen, aber der Beschwerdeführer habe Angst davor gehabt, dass die Taliban dort auftauchen und ihn mitnehmen könnten, weil er nach Ablauf des Passierscheins der Taliban nicht zurückgekehrt sei. Die Taliban hätten nach seiner Ausreise ein oder zwei Mal bei seinem Vater nach ihm gefragt. Dieser habe ihnen gesagt, dass der Beschwerdeführer verrückt geworden und verschwunden sei. Seither hätten seine Eltern nichts mehr von den Taliban gehört.

Mit Urteil vom 22.5.2017 des LG für Strafsachen Wien wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 2a SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Mit Urteil vom 11.7.2017 des LG für Strafsachen Wien wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 ABs.1 Z 1 achter Fall, Abs. 2a, Abs3, Abs. 5 SMG (gewerbsmäßiger unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) und § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten unbedingt verurteilt, zwar vom Widerruf der Strafnachsicht im Urteil vom 22.5.2017 abgesehen, jedoch die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.

Mit Verfahrensanordnung vom 8.8.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 der Verlust seines Aufenthaltsrechtes wegen Straffälligkeit (§ 2 Abs.3 AsylG 2005) mitgeteilt.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.4.2018, Zl. 1101384408/160037338, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 8.1.2016 gemäß § 3 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht (Spruchpunkt VI.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.) sowie gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 der Verlust des Aufenthaltsrechtes des Beschwerdeführers mit 8.8.2017 ausgesprochen (Spruchpunkt IX.). Begründend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass sein glaubwürdiges Vorbringen über seine Zwangsrekrutierung durch die Taliban im Übrigen nicht an bei seiner Person bestehenden Gründen gelegen sei, sondern diese nach seinen Angaben allen jungen Männern im Heimatdorf gegolten habe, womit es sich um keine individuelle Verfolgung im Sinne der GFK handle. Ferner lebe seine Familie nun an einem anderen sicheren Ort, wo die Taliban nicht offen operieren könnten. Es sei daher nicht glaubwürdig, dass die Taliban noch zwei Mal bei seinem Vater nach ihm gefragt hätten und seine Eltern danach in Ruhe gelassen hätten. Es sei nicht ersichtlich, wieso die Taliban dort oder in einem anderen Ort in Afghanistan nach ihm suchen sollten. Die Behörde gehe nicht davon aus, dass dem Beschwerdeführer in Kabul irgendeine Gefahr drohe, welche ihm seine Rückkehr unmöglich machen würde. Gegen die von seinem Vater befürchtete Drogensucht sprächen die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er nun nicht mehr süchtig sei. Da sein Fluchtvorbringen nicht asylrelevant sei und ihm jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offenstehe, sei ihm eine Rückkehr nach Kabul jedenfalls möglich. Diskriminierungen wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in asylrelevanter Intensität seien im Fall des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Zwar sei ihm auf Grund der Länderfeststellungen eine Rückkehr nach Ghazni nicht, jedoch eine solche nach Kabul zumutbar, wohin auch sein Vater ihn habe zunächst schicken wollen. Zwar habe er keine Schule besucht, habe jedoch Arbeitserfahrung (Landarbeiter) und sei nicht ersichtlich, dass er nicht auch in Zukunft sein Auskommen finden könne. Er stehe in Kontakt mit seiner Familie, welche ihn zumindest anfänglich finanziell oder mit Unterkunft unterstützen könne. Es sei ihm zumutbar, durch eigene Erwerbstätigkeit und Unterstützung durch in Kabul ansässige Hilfsorganisationen und seine Familie sich in Afghanistan seinen Lebensunterhalt zu sichern und nicht in eine ausweglose Notlage zu geraten. Es sei nicht ersichtlich, wie sich seine Situation von jener eines gleichaltrigen Afghanen in Afghanistan wesentlich unterscheiden sollte oder die Auswirkungen der für alle Einwohner Afghanistans besonders prekären Situation für den Beschwerdeführer stärker spürbar wäre. Sich an in Kabul oder anderen Großstädten ansässige, staatlliche, nichtstaatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, speziell solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, sei dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, auch wenn diese individuelle Unterstützungsleistungen nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewähren könnten. Kabul sei über den dortigen Flughafen gut erreichbar und die allgemeine Lage dort sei als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, selbst wenn es auch dort zu vereinzelten Anschlägen komme, welche sich hauptsächlich im Nahbereich staatlicher Einrichtungen oder NGO's ereigneten sowie gezielt auf (internationale) Sicherheitskräfte gerichtet seien. In reinen Wohngebieten seien diese Gefährdungsquellen nicht anzunehmen, sodass Kabul als ausreichend sicher zu bewerten sei. Die afghanische Regierung übe weiterhin die Kontrolle über Kabul aus. Auch hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass der Beschwerdeführer allein wegen seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Es sei davon auszugehen, dass der mobile, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer mit Berufserfahrung als Landarbeiter, welcher in Afghanistan aufgewachsen sei und eine Landessprache spreche und mit seinen in Afghanistan lebenden Eltern in Kontakt stehe, eine Neuansiedlung in Kabul zumutbar sei (zu Spruchpunkt II.) Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor (Spruchpunkt III.) Mangels Vorliegens einer Integration des Beschwerdeführers und unter Bedachtnahme auf seine mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen sei in Anbetracht seines erst kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht von einem Eingriff einer Rückkehrentscheidung in sein Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK auszugehen. Eine Rückkehrentscheidung sei daher auch nicht auf Dauer unzulässig (Spruchpunkt IV.) Mangels Vorliegen von Gründen im Sinne des § 50 FPG sei seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig (spruchpunkt V.) Auf Grund seiner mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen sowie einer Straftat nach § 5 Abs.1 StVO seien die Voraussetzungen gemäß § 18 ABs. 1 Z 2 BFA-VG gegeben (Spruchpunkte VI. und VII.). Infolge der beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers nach dem SMG sei § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt und wurde der Beschwerdeführer als Wiederholungstäter eingestuft und somit vom Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen. Mangels familiärere und privater Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich verletze die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme Art. 8 EMRK nicht und überwiege unter Bedachtnahme auf § 53 Abs. 3 das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit sein persönliches Interesse am Verbleib in Österreich. Dies rechtfertige ein Einreiseverbot in der Höhe von 8 Jahren, um die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das Einreiseverbot sei daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und beziehe sich auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Spruchpunkt VIII.). Infolge der mehrfachen Straffälligkeit des Beschwerdeführers habe er sein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 Abs. 2 Z2 AsylG ex lege am 08.08.2017 verloren (Spruchpunkt IX.)

Mit Schriftsatz vom 24.5.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter Beschwerde. Die Behörde habe das Verfahren durch Mangelhaftigkeit belastetet. Es würden ausführliche Berichte zur Heimatprovinz des Beschwerdeführers fehlen, welche die tatsächliche Lage von Rückkehrer wiederspiegeln würden. Insbesondere habe die Behörde keine Nachforschungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers angestellt und hätten einschlägige Berichte zur medizinischen Behandlung ermittelt werden müssen. Die angeführten Berichte ließen keinen Rückschluss darauf zu, ob die für den Beschwerdeführer konkret notwendige Behandlung auch in Afghanistan bzw. Kabul verfügbar und leistbar sei. Dazu wurde aus dem Bericht der SFH vom April 2017 und Amnesty International Report 2016/2017 zur medizinischen Versorgung in Afghanistan zitiert. Ferner stütze die Behörde die Entscheidung auf Länderberichte, welche später datiert seien als die Einvernahme des Beschwerdeführers. Insbesondere hätte dem Beschwerdeführer zum "Stahlmann-Gutachten" eine Stellungnahme gewährt werden müssen. Es würden Länderberichte vor allem zu Kabul und Ghazni fehlen und es fänden sich keinerlei Informationen über die Aktivitäten der Taliban in diesem Gebiet. Teilweise seien die herangezogenen Länderberichte nicht mehr aktuell. Ferner wurden ergänzende Berichte vorgelegt: Die UNCHR-Richtlinien zu Afghanistan vom 19.4.2016 sowie weitere Berichte zur Lage der Hazara. Es sei nach der Präsentation von Frau A.Patel, der stellvertretenden Leiterin von UNHCR in Wien am 12.3.2018 nicht zutreffend, dass sich die Anschläge in Kabul nur gegen militärische Ziele oder Regierungseinrichtungen richten würden; Hauptbetroffene seien vielmehr zunehmend Plätze auf denen vermehrt Schiiten zusammenkommen. Erst am 21.3.2018 seien bei einem Anschlag in Kabul anlässlich von Neujahrsfeierlichkeiten zahlreiche Schiiten verletzt und getötet worden. Thomas Ruttig habe zur Sicherheitslage für Hazara am 11.8.2016 mitgeteilt, dass es unterschiedlich gefährliche Gegenden überall in Afghanistan gebe. Auch Kabul sei für Hazara gefährlich, wie HRW berichte, da ISIS sich zu einem Anschlag mit 18 toten und 54 verletzten Schiiten bekannt habe, nachdem erst am 23.7.2016 85 Hazara bei einem friedlichen Protest in Kabul getötet worden seien. Sodann folgten Ausführungen zur Zwangsrekrutierung in Afghanistan. Zur Sicherheitslage in Afghanistan und der Situation von Rückkehrern wurde ausgeführt, dass im Jänner 2018 mehrere schwere Anschläge in Kabul durchgeführt worden seien, welche ein Symptom für eine allgemeine, institutionelle und sicherheitspolitische Verschlechterung seien. Die Versorgungslage in Kabul sei ebenfalls prekär und Rückkehrer seien besonders betroffen. Die Unterstützung für freiwillige Rückkehrer sei minimal und ineffizient. Die Behörde verabsäume es, trotz Erwähnung der aktuellen Anmerkungen des UNCHR vom Dezember 2016 eine ordentliche Einzelfallprüfung vorzunehmen. Obwohl die afghanische Regierung versuche, Rückkehrer zu unterstützen, seien die Möglichkeiten begrenzt, weil die Ressourcen völlig unzureichend seien. Dabei seien Rückkehrer besonders benachteiligt, weil sie in Kabul bzw. ganz Afghanistan keinerlei Kontakte mehr hätten, auf die sie zurückgreifen könnten und würden ihnen daher auch die nötigen Informationen fehlen, welche Voraussetzung dafür wären, ein menschenwürdiges Leben selbst zu gestalten. Viele Rückkehrer seien mit sozialer Exklusion konfrontiert. Bei Rückkehrern sei vor allem das Entführungsrisiko hoch, wenn angenommen werde, dass sie einen gewissen Wohlstand hätten; dies treffe insbesondere auf Rückkehrer aus Europa zu. Die Beschwerde richtete sich auch gegen die Beweiswürdigung ohne konkret auf diese einzugehen und strich die Asylrelevanz des Vorbringens heraus. Zu der in Kabul angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative wurde auf die im gesamten Staatsgebiet äußerst prekäre Sicherheitslage verwiesen. In Kabul verfüge der Beschwerdeführer über kein soziales familiäres Netz. Der Beschwerdeführer wäre auf sich alleine gestellt und würde sehr wahrscheinlich in eine aussichtlose Lage geraten, wobei die Anforderungen an eine innerstaatliche Fluchtalternative höher seien als das bloße Nichtvorliegen einer Situation, welche zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz führe. Das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.3.2018 belege zweifellos die katastrophale Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, welche sich in den letzten Monaten abermals erheblich verschlechtert habe. Afghanistan sei von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15 c der EU-Qualifikationsrichtlinie betroffen. Dies impliziere in richtlinienkonformer Auslegung nämlich ein bereist aus diesem Grund bestehendes reales Risiko im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK. Insbesondere durch die Angeführte Klassifizierung durch die UN könne davon ausgegangen werden, dass sich der bewaffnete Konflikt auf das gesamte Staatsgebiet erstrecke und ein Abstellen auf einzelne Provinzen der Situation nicht gerecht werde. In Afghanistan bestehe demnach nirgendwo eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer. Die Behörde hätte bei Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens und einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung zum Schluss gelangen müssen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers als glaubhaft anzusehen sei und der Beschwerdeführer auf Grund der prekären Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet jedenfalls in eine bedrohliche Lage geraten würde. Die Behörde habe den Sachverhalt unrichtiger Weise unter § 11 AsylG subsummiert. Die Rückkehrentscheidung hätte auf Dauer für unzulässig erklärt werden müssen. Ferner lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vor. In Bezug auf das Einreiseverbot sei nicht verständlich, weshalb im Falle des Beschwerdeführers die nahezu Höchstfrist ausgeschöpft worden sei. Das 8-jährige Einreiseverbot erweise sich als unverhältnismäßig, zumal auch bei wesentlich schwereren Straftaten und Verurteilungen zu wesentlich höheren unbedingten Freiheitsstrafen (bis zu 5 Jahren) lediglich ein 10-jähriges Einreiseverbot verhängt werden könne. Beantragt werde ua. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Unter anderem wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben des Beschwerdeführers als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen des Art 3 EMRK reichen.

Im vorliegenden Fall kann eine Entscheidung über die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Beschwerde innerhalb der relativ kurzen Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht getroffen werden. In seiner Entscheidung führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung geltend gemacht habe. Demgegenüber machte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde geltend, dass die von ihm vorgebrachte Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht ausreichend gewürdigt wurde. Die verhältnismäßig substantiierten Beschwerdeausführungen zeigen eine reale Gefährdung im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan auf. Ob tatsächlich eine solche Gefahr vorliegt, kann erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beurteilt werden. Der Beschwerdeführer machte damit ein reales Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen (Art. 3 EMRK) geltend.

Bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens muss - entgegen der Ansicht des Bundesamtes - prima facie davon ausgegangen werden, dass für den Beschwerdeführer das Risiko der Verletzung von Art 3 EMRK besteht und es sich somit um "vertretbare Behauptungen" handelt.

Daher war der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W119.2196701.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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