TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/27 V86/96

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Stadt Hohenems vom 10.08.78

Leitsatz

Aufhebung von Verbalbestimmungen eines Flächenwidmungsplanes wegen Widerspruchs zum Gebot der Klarheit von Normen; keine Gesetzwidrigkeit der Widmung von Grundstücken als "Freifläche-Landwirtschaftsgebiet"

Spruch

I.1. Punkt 5 im Text des Flächenwidmungsplanes der Stadt Hohenems vom 10. August 1978, genehmigt mit Beschluß der Vorarlberger Landesregierung vom 16. Jänner 1979, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Die Widmung "Freifläche-Landwirtschaftsgebiet", soweit sie die Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, im Flächenwidmungsplan der Stadt Hohenems vom 10. August 1978 betrifft, wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B3307/95 protokollierte Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 14. September 1995, Z BHDO II 4151-0010/1995, mit dem der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Berufungskommission der Stadt Hohenems betreffend Abweisung des Antrags auf Bewilligung der Teilung der Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, gemäß §34 Vorarlberger Raumplanungsgesetz, LGBl. Nr. 15/1973 idF Nr. 27/1993 (RPG), keine Folge gegeben wurde, anhängig.

2.1. Aus Anlaß dieses Verfahrens beschloß der Verfassungsgerichtshof am 11. Juni 1996, die Widmung Freifläche-Landwirtschaftsgebiet, soweit sie die Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, betrifft, sowie den Punkt 5 im Text des Flächenwidmungsplanes der Stadt Hohenems vom 10. August 1978, genehmigt mit "Beschluß der Vorarlberger Landesregierung vom 16. Jänner 1979" von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

Punkt 5 der Verbalbestimmungen des Flächenwidmungsplanes der Stadt Hohenems vom 10. August 1978 lautet:

"Zu Einzelobjekten, die im Berggebiet in Streulage gelegen sind und der Altbau vor 1940 erbaut wurde und dieser weiters im Familienbesitz geblieben ist, wird für Eigenbedarf oder für Angehörige gerader Linie die Bewilligung zur Erstellung eines weiteren Ein- oder Zweifamilienwohnhauses erteilt."

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte einerseits das Bedenken, daß keine rechtlich notwendige, hinreichende Erforschung der maßgeblichen Voraussetzungen für die Widmung der Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, als "Freifläche-Landwirtschaftsgebiet" - auch nicht im Zusammenhang mit anderen, funktionell eine Einheit bildenden Liegenschaften - vorgenommen worden sei. Andererseits bezweifelte der Verfassungsgerichtshof, ob Punkt 5 im Text des Flächenwidmungsplanes der Stadt Hohenems den rechtsstaatlichen Anforderungen an einen Flächenwidmungsplan genüge, weil aus der zeichnerischen Darstellung im Verein mit Punkt 5 in keiner Weise zu entnehmen sei, welche Altbauten vor 1940 errichtet wurden und welche Teile des Flächenwidmungsplanes überhaupt die widmungsmäßige Voraussetzung für "die Bewilligung zur Erstellung eines weiteren Ein- oder Zweifamilienwohnhauses" bilden.

3. Die Vorarlberger Landesregierung verzichtete auf die Erstattung einer Äußerung.

4. Der Bürgermeister der Stadt Hohenems erstattete eine Stellungnahme, in welcher ausgeführt wird, daß die Widmung der verfahrensgegenständlichen Grundparzellen auf einer ausreichenden Grundlagenforschung beruhe. Dazu wird vorgebracht, daß bei der Wiederauflage des (am 1. Juli 1966 beschlossenen) Flächenwidmungsplanes im Jahre 1971 im gegenständlichen Bereich "Berg" Liegenschaften, soweit vertretbar, in Wohngebiet umgewidmet worden seien. Im Protokoll der Gemeindevertretungssitzung anläßlich der Überarbeitung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1978 (- damals habe der nunmehrige Beschwerdeführer des Anlaßbeschwerdeverfahrens bereits die Baulandumwidmung seiner Grundstücke beantragt -) sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß eine Umwidmung von Freiflächen-Landwirtschaftsgebiet in Baugebiet nur erfolgen könne, wenn sich die Liegenschaften zur Verbauung eigneten und in absehbarer Zeit erschlossen werden könnten. Insbesondere sei zum damaligen Zeitpunkt sowohl die Verkehrserschließung ausgesprochen mangelhaft gewesen; auch hätte die Wasserversorgung erst über eine private Wassergemeinschaft sichergestellt werden müssen; ein Anschluß ans Ortskanalnetz sei nicht in Aussicht gestanden. Eine kanalseitige Erschließung sei bis heute nicht erfolgt. Auf Grund dieser Gegebenheiten sei die Baulandwidmung auf das gerade noch vertretbare Ausmaß beschränkt worden. "Gerade die nunmehr zur Diskussion stehende Baulandgrenze gegen Osten wird in der Natur durch Landschaftsform (Übergang in den steileren Hangbereich), Landschaftselemente (Obstbaumwiese) und das alte landwirtschaftliche Anwesen des Herrn K klar definiert. Dies war den Gemeindevertretern bei ihrer Entscheidungsfindung ganz offensichtlich bekannt, was schlußendlich in der Festlegung der Widmungsgrenzen zum Ausdruck kommt." Die Stadt Hohenems sei daher der Ansicht, "daß die Grundlagenforschung für die derzeit gültige Flächenwidmung der Parzelle Berg, vorallem in Bezug auf die Grundstücke des Herrn A K ausreichend" sei.

Die Gesetzmäßigkeit des Punktes 5 im Text des Flächenwidmungsplanes könne von der Stadt Hohenems nicht beurteilt werden. Mit dieser Bestimmung sollte im Sinne der Erhaltung eines klein- und mittelständischen Bauernstandes die Möglichkeit geschaffen werden, daß Jungbauernfamilien auch weiterhin im Hofverband belassen werden können.

5. Der Beschwerdeführer erstattete eine Äußerung, in welcher nochmals betont wird, daß der Flächenwidmungsplan im Bereich der gegenständlichen Grundstücke aufgrund fehlender Grundlagenforschung und unterlassener periodischer Revision gesetzwidrig sei. Weiters würden sämtliche inhaltliche Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen Punkt 5 der Verbalbestimmungen des Flächenwidmungsplanes vollinhaltlich zutreffen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Flächenwidmungsplan ist insofern präjudiziell, als von der belangte Behörde bei der Beurteilung der Frage, ob das Teilungsansuchen dem Flächenwidmungsplan gemäß §34 Abs2 RPG (bzw. nunmehr §39 Abs2 Vorarlberger Raumplanungsgesetz, LGBl. Nr. 39/1996) entspricht, die geltende Widmung der Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, heranzuziehen war. Desgleichen war von der belangten Behörde Punkt 5 der Verbalbestimmungen des Flächenwidmungsplanes der Stadt Hohenems bei der Beurteilung des Teilungsansuchens anzuwenden, weil nach der darin enthaltenen Vorschrift eine teilweise Verbauung im Landwirtschaftsgebiet und demgemäß eine entsprechende Grundteilung zulässig ist. Der Verfassungsgerichtshof hat sohin bei seiner Kontrolle des angefochtenen Vorstellungsbescheides sowohl den Flächenwidmungsplan im oben angeführten Umfang als auch Punkt 5 der Verbalbestimmungen anzuwenden.

2. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

3. Das im Prüfungsbeschluß dargestellte Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit des Punktes 5 des Flächenwidmungsplanes erweist sich in der Sache selbst als berechtigt.

3.1. Bei Punkt 5 der Verbalbestimmung des Flächenwidmungsplanes der Stadt Hohenems handelt es sich um eine Verordnung, weil aufgrund dieser Verbalbestimmung Baubewilligungen generell bei Vorliegen bestimmter flächenbezogener Voraussetzungen erteilt werden können. Aus dem Zusammenhang aller 5 Punkte des Textes zum Flächenwidmungsplan der Stadt Hohenems ergibt sich, daß dadurch normative Anordnungen getroffen wurden, die - im Zusammenhalt mit konkreten Widmungen im zeichnerisch dargestellten Teil des Flächenwidmungsplanes - eine bestimmte Bebaubarkeit der betreffenden Grundflächen regeln. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung (VfSlg. 13887/1994, 13716/1994) dargetan, daß "die Rechtslage ... für jedermann unmittelbar aus dem Plan erkennbar" sein muß, sodaß "die konkrete Widmung einer Fläche" auch ohne "spezifische (private) Nachforschungen über das Vorliegen bestimmter Tatsachen zu einem bestimmten Zeitpunkt" festgestellt werden kann. Punkt 5 der Verbalbestimmungen des Flächenwidmungsplanes genügt diesen rechtsstaatlichen Anforderungen an einen Flächenwidmungsplan nicht, da aus der zeichnerischen Darstellung im Verein mit Punkt 5 in keiner Weise zu entnehmen ist, welche Altbauten vor 1940 errichtet wurden und welche Teile des Flächenwidmungsplanes die widmungsmäßige Voraussetzung für "die Bewilligung zur Erstellung eines weiteren Ein- oder Zweifamilienhauses" bilden.

3.2. Der in Prüfung gezogene Punkt 5 der Verbalbestimmungen des Flächenwidmungsplanes ist daher wegen Widerspruchs zu dem aus Art18 B-VG erfließenden Gebot der Klarheit von Normen als gesetzwidrig aufzuheben.

4. Hingegen erweist sich das Bedenken, daß keine hinreichende Erforschung der maßgeblichen Voraussetzungen für die Widmung der Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, als "Freifläche-Landwirtschaftsgebiet" betrieben wurde, als nicht zutreffend.

4.1. Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Raumplanungsrecht (vgl. VfSlg. 8280/1978, 10711/1985, 12926/1991 mwH) kommt wohl den Vorschriften des Raumplanungsrechtes über die Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen für rechtsverbindliche Planungen besondere Bedeutung zu. Der Verfassungsgerichtshof hat in solchen Fällen im Verordnungsprüfungsverfahren nach Art139 B-VG zu prüfen, ob der Verordnungsgeber die im Gesetz zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorgesehene Vorgangsweise eingehalten hat. Insbesondere zur Durchsetzung der im §2 RPG angeführten Raumplanungsziele ist die Durchführung einer Grundlagenforschung - unabhängig ob vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen oder nicht - unabdingbar.

Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verordnungsakten geht hervor, daß bei der Erstellung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1966 von einer Baulandwidmung im Bereich "Berg" abgesehen wurde, da - wie im Auszug des Sitzungsprotokolls der Gemeindevertretung ausgeführt - eine weitere Verbauung erst eine generelle Planung und Aufschließung vorausgesetzt hätte. Im Zuge der Überarbeitung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1972 wurde darauf hingewiesen, daß im Gebiet "Berg" eine Erweiterung des Wohngebietes insoweit vorgenommen wurde, als dieses Gebiet sowohl durch die bestehende Straße als auch durch die geschaffene Wasserversorgungsanlage erschlossen ist. Zu einer Umwidmung im Bereich des Beschwerdeführers kam es aufgrund von Schwierigkeiten in der Baulanderschließung nicht. Ausdrücklich wurde von der Gemeinde ausgeführt und in einem Schreiben an die Vorarlberger Landesregierung vom 28. Juli 1972 festgehalten:

"Die gegenständlichen Grundstücke liegen in der Bergparzelle 'Berg'. Soweit in diesem Gebiet derzeit eine Bauführung auf Grund der Erschliessung vertretbar ist, wurden Umwidmungen durchgeführt. Der nördliche Teil der Parzelle, natürlich abgegrenzt durch ein(en) Bacheinschnitt und Wald, bildet ein zusammenhängendes landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Abgesehen von Schwierigkeiten in der Bauerschliessung würde die Erklärung dieses Gebietes zum Baugebiet sich sehr nachteilig auf das Landschaftsbild auswirken."

Zum Zeitpunkt einer neuerlichen Überarbeitung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1978 lagen die Voraussetzungen für eine Umwidmung im Bereich der Parzelle Berg, so etwa - wie aus der damaligen Gemeinderatssitzung und der Stellungnahme des Verordnungsgebers hervorgeht - die kanalseitige und verkehrsmäßige Erschließung, nicht vor.

Aus den vorgelegten Verordnungsakten und der Stellungnahme ergibt sich, daß die auf die Erhaltung bestehender Landschaftsteile zielenden Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers in noch ausreichendem Maße erkennbar sind, und daß der Verordnungsgeber die im Gesetz zur Gewinnung einer gehörigen Entscheidungsgrundlage vorgesehene Vorgangsweise eingehalten hat. Das vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß dargestellte diesbezügliche Bedenken gegen die Widmung der Grundstücke Nr. 650, 651/1, 657 und 658, KG Hohenems, im Flächenwidmungsplan der Stadt Hohenems vom 10. August 1978 erweist sich daher nicht als zutreffend. Dies war vom Verfassungsgerichtshof auch auszusprechen.

5. Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur Kundmachung der Aufhebung des Punktes 5 im Text des genannten Flächenwidmungsplanes stützt sich auf Art139 Abs5 erster Satz

B-VG.

6. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Verordnungsbegriff, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:V86.1996

Dokumentnummer

JFT_10028873_96V00086_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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