TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/24 W242 2191112-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.2018
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Entscheidungsdatum

24.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W242 2191112-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Heumayr als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Iran, vertreten durch die XXXX, XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, XXXX, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger des Iran, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er vor zwölf Jahren das Christentum kennengelernt habe. Er sei sogar ein paar Mal vom Regime seines Heimatlandes verhaftet worden und habe zwei Monate im Gefängnis verbracht. Zudem sei er telefonisch bedroht worden. Da er sich nicht mehr sicher gefühlt habe, habe er das Land verlassen.

Am 22.01.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich zum Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer brachte befragt zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen vor, dass er aufgrund seiner Konvertierung zum Christentum aus seinem Heimatland geflohen sei. Er sei zweimal telefonisch bedroht worden und habe versucht Freunde und Verwandte zu missionieren. Sein Interesse für den christlichen Glauben habe vor fünfeinhalb bis sechs Jahren begonnen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnte. Der Beschwerdeführer sei bei einer Rückkehr in den Iran keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer sei zudem ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der noch über Angehörige im Heimatland und über langjährige Berufserfahrung verfüge.

Der Beschwerdeführer erhob, vertreten durch seinen ausgewiesenen Vertreter, gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass er als konvertierter Christ im Iran gefährdet sei verfolgt zu werden. Zudem werde ihm aufgrund seiner Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt und sei er daher einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer sei außerdem vom Bundesamt mangelhaft zu seiner Religion befragt worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in XXXX geboren und ist dort aufgewachsen. Er ist iranischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Perser an und wurde als schiitischer Moslem geboren. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er hat zwölf Jahre lang eine Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Die letzten dreieinhalb bis vier Jahre vor seiner Ausreise hat er mit seiner Mutter in XXXX gelebt. Der Beschwerdeführer hat eine Berufsausbildung als Buchhalter im Industriemanagement absolviert und war bis sieben Monate vor seiner Ausreise in einem Immobilienbüro beschäftigt. Der Beschwerdeführer verfügt im Heimatland über seine Mutter, seinen Bruder und weitere andere Verwandte. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Mutter, seinem Bruder und einem Cousin in regelmäßigem Kontakt.

Der Beschwerdeführer leidet seit sieben bis acht Jahren an Bluthochdruck und nimmt deswegen Medikamente. An schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leidet er nicht.

Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest Februar 2017 durchgehend in Österreich auf.

Er hat an einem Deutsch- und Wertekurs teilgenommen und ein A1-Deutschzertifikat erworben. Er hat an dem Theaterworkshop "theater:zusammen" und an der Dialogreihe "MEN TALK" sowie an dem Kurs "Stabilisierungsgruppe des Traumahilfezentrums des ÖRK" teilgenommen.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach. Er verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich. Er hat Freunde in der Kirche und hat einmal in einem Altersheim gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet. Für außergewöhnliche Integrationsbestrebungen gibt es keinen Hinweis.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Österreich regelmäßig an Bibelstunden teilgenommen hat oder, dass er zur Taufe angemeldet ist.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, er sei aufgrund seiner Konversion zum Christentum im Iran verfolgt, kann nicht festgestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Mitgliedern der Regierung oder anderen Personen mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden ist.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus politischen Gründen in seinem Heimatstaat inhaftiert war.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Iran Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Regierung oder durch andere Personen aufgrund seiner behaupteten Konversion zum christlichen Glauben drohen würde.

Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Bei einer Rückkehr in der Iran kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten könnte. Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem daher kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

Zur maßgeblichen Situation im Iran:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom BFA herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 12.05.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 05.01.2018, (unverändert und gekürzt) wiedergegeben:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Die Polizei im streng islamischen Iran will Frauen, die sich auf den Straßen "unislamisch" kleiden oder benehmen, belehren statt bestrafen. Frauen, die (in der Öffentlichkeit) die islamischen Vorschriften nicht beachten, würden laut Teherans Polizeichef seit einiger Zeit nicht mehr auf die Wache gebracht. Vielmehr würden sie gebeten, an Lehrklassen teilzunehmen, um ihre Sichtweise und ihr Benehmen zu korrigieren. Im Iran müssen alle Frauen und Mädchen ab neun Jahren gemäß den islamischen Vorschriften in der Öffentlichkeit ein Kopftuch und einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verbergen. "Sünderinnen" droht die Festnahme durch die Sittenpolizei, in manchen Fällen auch ein Strafverfahren und eine saftige Geldstrafe. Die Gesetze - und Strafmaßnahmen - gibt es schon seit fast 40 Jahren, genauso lange haben sie nicht viel gebracht. Die Kopftücher wurden und werden immer kleiner und die Mäntel immer kürzer und enger. Auch strengere Kontrollen der Sittenpolizei auf den Straßen führten nicht zu dem erhofften Sinneswandel der Frauen. Laut Polizeichef Rahimi gab es in diesem Jahr bereits mehr als 120 solcher Aufklärungsklassen, an denen fast 8.000 Frauen teilgenommen haben. Bewirkt haben sie anscheinend aber wenig. Nach der Wiederwahl des moderaten Präsidenten Hassan Rohani und der Ausweitung der gesellschaftlichen Freiheiten werden besonders abends immer mehr Frauen ohne Kopftuch in Autos, Cafés und Restaurants der Hauptstadt gesehen (Standard.at 27.12.2017, vgl. Kurier.at 27.12.2017).

Das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, hat die "Feinde" des Landes beschuldigt, hinter den tödlichen Protesten gegen das Regime zu stehen. "Die Feinde haben sich vereint und nutzen all ihre Mittel, ihr Geld, ihre Waffen, Politik und Sicherheitsdienste, um dem islamischen Regime Probleme zu bereiten", hieß es in einer im Staatsfernsehen veröffentlichten Erklärung Khameneis mit Blick auf "die Ereignisse der vergangenen Tage". Khamenei äußerte sich erstmals zu den Protesten, die am Donnerstag [28.12.2017] in der zweitgrößten iranischen Stadt Mashhad begonnen und sich dann auf das ganze Land ausgebreitet hatten. Zuvor hatte der iranische Sicherheitsrat (SNSC) die Proteste am Dienstag als einen vom Ausland gesteuerten "Stellvertreterkrieg" bezeichnet. SNSC-Sekretär Ali Shamkhani beschuldigte US-Präsident Donald Trump und Irans Erzfeind Saudi-Arabien, hinter den Unruhen zu stecken. Präsident Hassan Rohani aber hatte bei einer Krisensitzung am Montag gesagt, es wäre ein Fehler, die Proteste nur als ausländische Verschwörung einzustufen. "Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten." Er kritisierte damit indirekt die Hardliner im Klerus, die seine Reformen blockieren (Presse 2.1.2018).

Im Zusammenhang mit den Protesten im Iran sind bisher insgesamt 21 Menschen getötet worden, darunter 16 Demonstranten. In der Hauptstadt Teheran wurden in den vergangenen drei Tagen nach Angaben der Behörden rund 450 Menschen festgenommen. 200 Menschen seien am Samstag festgenommen worden, 150 am Sonntag und rund hundert am Montag, sagte Ali-Asghar Naserbakht, ein Vertreter des Gouverneurbüros von Teheran, am Dienstag der Nachrichtenagentur Ilna, die den reformorientierten Kräften nahe steht. Eine genaue Zahl für die Verhaftungen im ganzen Land liegt noch nicht vor, es sollen aber unbestätigten Berichten zufolge mehrere Hundert sein (Kurier 2.1.2018).

Die Proteste hatten sich an gestiegenen Preisen für Lebensmittel und der hohen Arbeitslosigkeit entzündet. Trotz der Aufhebung von Wirtschaftssanktionen im Zuge des Atomabkommens kommt der Aufschwung im Iran nur schleppend in Gang. Viele junge Iraner bekommen ihn gar nicht zu spüren, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt fast 29 Prozent.

Zugleich streben viele Iraner nach Wandel: Zunehmend wurde bei den Protesten scharfe Kritik an der Führung in Teheran laut. Dazu zählten auch Rücktrittsforderungen an Khamenei (Presse 2.1.2018).

Am 19.5.2017 wurde der als moderat geltende Präsident Hassan Rohani im Amt bestätigt. Er setzte sich gegen den Konservativen Ebrahim Raisi durch. Seine Wahl gilt als Signal, dass die iranische Bevölkerung seinen Kurs der internationalen Öffnung des Landes unterstützt (Zeit 21.5.2017).

Als Verlierer der Wahl sieht die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Obersten Führer Ali Khameini, da der Verlierer Raisi sein Kandidat war. Raisi war vor der Abstimmung als möglicher Nachfolger des kränkelnden Khamenei genannt worden. Das Amt des Präsidenten, hieß es, werde für Raisi im Falle eines Wahlsieges nur ein Zwischenschritt sein. Diesen Plan hat die Jugend in Irans Städten mit ihrem Ruf nach mehr Freiheit durchkreuzt. Das Votum zeigt: Der Oberste Führer ist nicht allmächtig. Amtsinhaber Rohani hat ein starkes Mandat erhalten, seine Politik der Öffnung des Landes fortzusetzen. Ein Grund zum Jubeln ist das aber noch lange nicht. Schon die erste Amtszeit Rohanis hat gezeigt, dass ihm die Kraft fehlt, um die von ihm versprochenen Freiheiten und Reformen durchzusetzen. Mit großer Härte ist die Justiz auch in den vergangenen vier Jahren gegen Regimekritiker vorgegangen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit bleiben eingeschränkt. Die Sittenpolizei patrouilliert weiter, wenn auch weniger aggressiv als unter Rohanis Amtsvorgänger. Wenn Irans Reformer sich dennoch entschlossen haben, Rohani abermals mit ihrer beachtlichen Wählerbasis zu unterstützen, liegt das nicht daran, dass Rohani selbst ein Reformer wäre. Vielmehr haben sie ihre Hoffnungen, dass ein schneller Wandel möglich wäre, spätestens seit der Niederschlagung der Protestbewegung von 2009 aufgegeben. Auch die von Rohani verkündete Annäherung an den Westen kommt nur in kleinen Schritten voran. Einer Normalisierung der Beziehungen zum Westen steht zudem Irans militärisches Vorgehen in der Region entgegen. Teheran hat Tausende Milizionäre nach Syrien entsandt, um Diktator Baschar al-Assad an der Macht zu halten. Es finanziert und bewaffnet die libanesische Hizbollah und die palästinensische Hamas, die beide Israel bedrohen. Präsident Rohani wird daran auch in seiner zweiten Amtszeit nichts ändern. Nicht er bestimmt die Sicherheitspolitik, sondern der Oberste Führer. Wirkliche Veränderungen werden im Iran erst möglich sein, wenn Ali Khamenei nicht mehr Oberster Führer ist (FAZ 22.5.2017).

Am selben Tag der Präsidentschaftswahl fanden auch Kommunalwahlen in Teheran statt. Die Vertreter einer gemäßigten Politik haben auch den Stadtrat von Teheran erobert - alle 21 Sitze gingen an Kandidaten des moderaten Lagers. Damit verloren die Konservativen zum ersten Mal seit 14 Jahren die Macht im Stadtrat der iranischen Hauptstadt. Das Ergebnis der Kommunalwahl in Teheran ist eine schwere Niederlage für den amtierenden konservativen Bürgermeister Mohammed Bagher Ghalibaf. Er hatte seine Kandidatur für das Präsidentenamt kurz vor der Wahl zurückgezogen, um Raisi zu unterstützen. Ghalibaf war zwölf Jahre lang Bürgermeister von Teheran, er folgte 2005 dem ultrakonservativen Hardliner Mahmud Ahmadinedschad (Zeit 21.5.2017).

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt. Leiter der Exekutive ist der iranische Staatspräsident, seit August 2013 Dr. Hassan Rohani, der vom Volk in direkten Wahlen auf vier Jahre gewählt und vom Revolutionsführer bestätigt wird. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Juni 2013 statt. Der Staatspräsident bildet ein Kabinett; das Parlament muss den einzelnen Ministern zustimmen und kann ihnen das Vertrauen auch wieder entziehen. Auch das Parlament wird auf vier Jahre direkt vom Volk gewählt. Sowohl Parlament als auch Regierung haben legislatives Initiativrecht. Als Kontrollinstanz fungiert im Gesetzgebungsverfahren der "Wächterrat" (bestehend aus sechs vom Revolutionsführer ausgewählten islamischen Rechtsgelehrten und sechs vom Parlament bestellten juristischen Experten), der auch über weitreichende Befugnisse der Verfassungsauslegung und bei der Vorauswahl der Kandidaten bei Parlaments-, Präsidentschafts- und Expertenratswahlen verfügt. Der "Schlichtungsrat" fungiert im Gesetzgebungsverfahren als vermittelndes Gremium und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 6.2016a, vgl. ÖB Teheran 10.2016).

Das iranische Volk hat am 26. Februar 2016 das Parlament und den Expertenrat gewählt. Während Letzterer weiterhin stark konservativ dominiert ist, ist das neue Parlament deutlich zentristischer als zuvor. Der wiedergewählte traditionell-konservative Parlamentspräsident Larijani und Teile seiner Unterstützer haben sich im Zuge des Konflikts um die Verabschiedung des Nuklearabkommens im letzten Sommer der Regierung sichtbar angenähert. Die pragmatische Unterstützung Rohanis durch Larijani dürfte sich auch in Zukunft fallabhängig wiederholen und wirkt insgesamt systemstabilisierend. Weiterhin zeigen institutionelle Vetorechte des konservativen Establishments der Regierung Rohani und ihrer innenpolitischen Agenda von mehr Bürgerrechten und mehr Freiheiten Grenzen auf. Die Regierung Rohani ist überdies weiterhin bestrebt, den Iran aus seiner außenpolitischen Isolierung herauszuführen. Wichtige Grundlage hierfür war der Abschluss des Nuklearabkommens. Die Revolutionsgarden (IRGC) bleiben militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor im Gefüge der Islamischen Republik. Sie begrenzen die Macht des Staatspräsidenten in grundsätzlichen Fragen. Es gelang der Regierung, den dramatischen Rückgang der Wirtschaftsaktivität seit 2011 aufzuhalten, die Inflation auf unter 10 % zurückzufahren und die Währung zu stabilisieren (AA 8.12.2016).

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden. Das iranische Regierungssystem ist ein präsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Majlis - Majles-e Shorâ-ye Eslami / Islamische Beratende Versammlung -, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das (mit europäischen Parlamenten vergleichbare) legislative Kompetenzen hat sowie Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Über dem Präsidenten, der laut Verfassung auch Regierungschef ist, steht der Oberste Führer, seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Der Oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran; Abk.: IRGC) und damit auch die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. Für die entscheidenden Fragen der Islamischen Republik ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2016).

Ausschließlich politische Parteien und Fraktionen, die sich dem Establishment und der Staatsideologie als loyal erweisen, ist es erlaubt, im Iran zu arbeiten. Reformistische Parteien und Politiker sind seit 2009 immer wieder unter Druck geraten (FH 2017).

Das Parlament, der Expertenrat sowie der Präsident werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Dabei sind Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 8.12.2016, vgl. IPG 27.1.2014). Der Revolutionsführer ist oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter, kann zentrale Entscheidungen aber nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Parteien [im westeuropäischen Verständnis] gibt es in Iran nicht. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Die Mitgliedschaft und Allianzen untereinander unterliegen dabei ständigem Wandel. Aufgrund der schwierigen Lage der reformorientierten Opposition unterstützt diese im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems Islamische Republik angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 8.12.2016).

Die Mitte Juli 2015 in Wien erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) genannten Abkommen und dessen Umsetzung am 16. Jänner 2016 führten zu einer Veränderung der Beziehungen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft:

Die mit dem iranischen Atomprogramm begründeten Sanktionen wurden aufgehoben bzw. ausgesetzt. Seither gibt es einen intensiven Besuchs- und Delegationsaustausch mit dem Iran, zahlreiche neue Wirtschaftsverträge wurden unterzeichnet. Die Erwartung, dass durch den erfolgreichen Abschluss des JCPOA die reformistischen Kräfte im Iran gestärkt werden, wurde in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt: Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. 217 der bisherigen 290 Abgeordneten wurden nicht wiedergewählt. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden; insbesondere für einige religiöse Minderheiten, wie die Bahai, und Journalisten wird eher von einer Verschlechterung der Situation im Jahr 2015 ausgegangen. Dies zeigt sich gegenwärtig etwa in der Vorlage einer Gesetzesnovelle für das Medienrecht, welche die Meinungsfreiheit von Journalisten weiter einschränkt. (ÖB Teheran 10.2016).

Die Machtkämpfe zwischen Hardlinern und Reformern dauern im Iran schon fast vierzig Jahre an. Nie zuvor jedoch disqualifizierten die greisen Kleriker des allmächtigen Wächterrates so viele Bewerber bei einer Parlamentswahl [26.2.2016] wie diesmal. Sieben lange Wochen dauerte das Ringen hinter den Kulissen, sieben kurze Tage der eigentliche Wahlkampf. Am Ende kam auf den Stimmzetteln ein Reformkandidat auf 30 Hardliner. Landesweit lag die Zahl der zugelassenen Politiker, die für eine Öffnung der Islamischen Republik eintreten, bei kümmerlichen 200 und damit sogar unterhalb der Gesamtmenge von 290 Wahlkreisen. Und trotzdem erteilte das Volk den durch beispiellose klerikale Machtwillkür dezimierten Mitstreitern des moderaten Präsidenten Hassan Rohani ein eindeutiges Mandat. In der 16-Millionen-Metropolregion Teheran eroberten die Reformer sämtliche Sitze. In der Provinz verschoben sich ebenfalls die Gewichte, wenn auch nicht so fundamental wie in der Hauptstadt. Doch die lähmende Dominanz der Erzkonservativen ist vorbei. Die Mehrheit der Iraner zeigte auf dem Stimmzettel, dass sie dem Ende des Atomkonflikts zustimmt und für mehr Offenheit und Pluralität im Inneren votiert. Hassan Rohani, der den Wahltag zu einem Referendum über seine Politik erklärt hatte, ist gestärkt. Er kann künftig bei der Regierungsbildung freier agieren. Zudem sind die Hardliner durch diese Niederlage mit ihrem Ziel gescheitert, den Handlungsspielraum des Präsidenten in einer möglichen zweiten Amtszeit ab 2017 einzuschränken. Nun aber hat Rohani gute Chancen, während der ersten Neuwahl eines Revolutionsführers in der Geschichte der Islamischen Republik Präsident zu sein. Machthaber Ali Chamenei ist betagt [76 Jahre] und hat [Prostata]Krebs. 2009 verhinderten er und seine erzkonservative Gefolgschaft den Ansturm der Reformer mit einer Unterdrückungskampagne. Doch seit dem Atomkompromiss verschieben sich die innenpolitischen Gewichte massiv. Das Volk will nach dem außenpolitischen Aufbruch nun auch die Umsetzung der Reformen im Inneren. 2013 bei seiner Wahl hatte Rohani den Bürgern sogar eine Grundrechtecharta in Aussicht gestellt, die die Willkürmacht der islamischen Herrschaft begrenzen soll. Gut zwei Jahre hielten die 81 Millionen Iraner still und ertrugen die Betonfraktion, wohl wissend, dass ihr Präsident zunächst den Atomstreit lösen würde. Die Zahl der Hinrichtungen stieg auf ein Rekordniveau, politische Aktivisten und sogar Musiker wurden zu drakonischen Haftstrafen verurteilt, Zeitungen geschlossen. Entsprechend lang ist die politische, soziale und kulturelle Forderungsliste der Menschen für die nächsten beiden Jahre - angefangen von Pressefreiheit und Parteienvielfalt bis hin zur Freilassung aller politischen Häftlinge, allen voran der Ikonen der Grünen Bewegung von 2009, die damaligen Präsidentschaftsbewerber Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi. Ob Rohani diese Erwartungen erfüllen kann, ist ungewiss (Zeit Online 29.2.2016).

Sicherheitslage

Auch wenn die allgemeine Lage als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land, speziell in den größeren Städten. Sie haben in der Vergangenheit gelegentlich zu Kundgebungen geführt, besonders während (religiösen) Feiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Das Risiko von Anschlägen kann nicht ausgeschlossen werden (EDA 21.3.2016). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 10.5.2017b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 10.5.2017b, vgl. BMEIA 10.5.2017).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gab es vor einigen Jahren wiederholte Anschlagsserien gegen lokale Repräsentanten aus Justiz, Sicherheitskräften und sunnitischem Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr bereits seit Frühjahr 2009 intensiviertes Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt Kampfhandlungen zwischen Militär und kurdischen Separatistenorganisation wie PJAK und DPIK, mit mehreren Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK am 6. und 7. September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. In Kurdistan besteht ein erhöhtes Aufkommen an Sicherheitskräften, mit häufigen Kontrollen bzw. Checkpoints ist zu rechnen (AA 21.3.2016b, vgl. BMeiA 10.5.2017).

Rechtsschutz/Justizwesen

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2016). In der Verfassung ist eine unabhängige Justiz verankert, in der Praxis steht sie unter politischem Einfluss. Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Der Oberste Führer ernennt den Chef der Judikative. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 3.3.2017, vgl. AI 22.2.2017).

Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Er ist laut Art. 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz formalen Verbots in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 8.12.2016).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung des Iran steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß Art. 167, 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

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Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

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Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

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Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

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Spionage für fremde Mächte;

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Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

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Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Das Sondergericht für Geistliche und die Revolutionsgerichte waren besonders empfänglich für Druck seitens der Geheimdienste und anderer Sicherheitsbehörden, die darauf drängten, Angeklagte schuldig zu sprechen und harte Strafen zu verhängen (AI 22.2.2017).

Im Juni 2015 trat die neue Strafprozessordnung in Kraft, die nahezu ein Jahrzehnt in Arbeit war. Es sind nun einige überfällige Reformen im Justizsystem enthalten, wie Einschränkungen der provisorischen Untersuchungshaft bei Fällen von Fluchtgefahr oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit, striktere Regulierungen betreffend Befragungen von beschuldigten Personen und die Ausweitung des Rechts auf einen Anwalt. Nichtsdestotrotz scheitert die Strafprozessordnung an vielen großen Mängeln im iranischen Strafjustizsystem (AI 11.2.2016). Justizbedienstete des Ministeriums für Geheimdienste, der Revolutionsgarden und anderer Behörden setzten sich ständig über Bestimmungen hinweg, die die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsah, wie das Recht auf einen Anwalt unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft und das Recht auf Aussageverweigerung. Strafverteidiger erhielten oft keine vollständige Akteneinsicht und konnten ihre Mandanten erst unmittelbar vor Prozessbeginn treffen. Untersuchungshäftlinge befanden sich über lange Zeiträume hinweg in Einzelhaft und hatten entweder überhaupt keinen Kontakt zu einem Rechtsbeistand und ihrer Familie oder nur sehr selten. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel zugelassen. Richter begründeten ihre Urteile häufig nicht ausreichend, und die Justizverwaltung machte die Urteile nicht öffentlich zugänglich. Die Staatsanwaltschaft nutzte Paragraph 48 der Strafprozessordnung, um Gefangenen einen Rechtsbeistand ihrer Wahl zu verweigern (AI 22.2.2017, vgl. ÖB Teheran 10.2016).

Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Es ist kodifiziert im "Gesetz über die islamischen Strafen" vom 30. Juli 1991. Die letzte Änderung des Gesetzes trat am 18.06.2013 in Kraft. Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen. Den Kern des "Scharia-Strafrechts", also des islamischen Strafrechts mit seinen z.T. erniedrigenden Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung, sowie der Todesstrafe bilden die Abschnitte zu den Qesas-und Hudud-Delikten:

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"Hudud" (Verstoß gegen das Recht Gottes) enthält Straftatbestände, die im Koran und in der Sunna genauer beschrieben sind, wie z.B. Diebstahl, Raub, Alkoholgenuss, Sexualstraftaten inkl. Homosexualität und Unzucht, sowie Verbrechen gegen Gott. Zu all diesen Tatbeständen enthält das Gesetz detaillierte Beweisregelungen, nach denen der Täter jeweils nur bei Geständnis oder ihn belastenden Aussagen mehrerer Zeugen verurteilt werden soll.

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"Qesas"(Vergeltung) ist gekennzeichnet durch das Prinzip der körperlichen Vergeltung für die Tatbestände Mord und Körperverletzung mit Folge des Verlustes von Gliedmaßen. Hierbei können Geschädigte oder deren Familie selbst bestimmen, ob sie auf Vergeltung bestehen oder sich mit einer Schadensersatzzahlung zufrieden geben ("Diyeh" oder "Dyat", sog. Blutgeld; Minimalsatz rund 31.500 €). Für die in Art. 13 der Verfassung genannten religiösen Minderheiten ist Blutgeld in gleicher Höhe zu zahlen wie für die Tötung von Muslimen (AA 9.12.2015).

Die "Taazirat"-Vorschriften (vom Richter verhängte Strafen), Strafnormen, die nicht auf religiösen Quellen beruhen, bezwecken in erster Linie den Schutz des Staates und seiner Institutionen. Während für Hudud- und Qesas-Straftaten das Strafmaß vorgeschrieben ist, hat der Richter bei Taazirat-Vorschriften einen gewissen Ermessensspielraum (AA 9.12.2015).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, u.U. ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. So wurden etwa im Mai 2016 mehr als 30 Studenten wegen Teilnahme an einer Party mit Alkohol und Tanz zu je 99 Peitschenhieben verurteilt. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch Auspeitschungen werden zum Teil öffentlich vollstreckt. Berichten zufolge werden auch die Strafen der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung noch angewandt - auf die Anwendung letzterer kann die/der ursprünglich Verletzte jedoch gegen Erhalt eines Abstandsgeldes verzichten (ÖB Teheran 10.2016).

Entgegen anfänglicher Erwartungen ist in der Strafrechtsnovelle die Steinigung als Bestrafung für Ehebruch noch immer vorgesehen, auch wenn der Richter auf eine andere Form der Hinrichtung ausweichen kann. Darüber hinaus wurden alternative Maßnahmen für Kinder im Alter von 9 bis 15 implementiert, wie zum Beispiel Besuche beim Psychologen oder die Unterbringung in einer Besserungsanstalt, Auch nach neuem Strafrecht ist die Verhängung der Todesstrafe für Minderjährige möglich, wobei im Einzelfall auch die mangelnde Reife des Täters festgestellt und stattdessen eine Haft- oder Geldstrafen verhängt werden kann (AA 9.12.2015).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach iStGB wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind allerdings keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 8.12.2016).

Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor an der Tagesordnung. Die Todesstrafe steht auf Mord, Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Mohareb", Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen, sowie auf Vergehen wie Drogenkonsum oder außerehelichen Geschlechtsverkehr (ÖB Teheran 10.2016).

Es gibt verfahrensrechtliche Bestimmungen, die den Richtern die Anweisung geben, Quellen zu kontaktieren, wenn es keinen Gesetzestext zum Vorfall gibt. Weiters gibt es eine Bestimmung im Strafgesetzbuch, die Richtern ermöglicht, sich auf ihr persönliches Wissen zu berufen, wenn sie Urteile fällen (ICHR 7.12.2010).

Feststellung der Staatsangehörigkeit

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen (AA 8.12.2016).

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung zur Vollstreckung der Gesetze und Aufrechterhaltung der Ordnung. So das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums und die Revolutionsgarden, die direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Sicherheitskräfte werden nicht als völlig effektiv bei der Verbrechensbekämpfung angesehen und Korruption und Straffreiheit sind weiter problematisch. Menschenrechtsgruppen beschuldigten reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert (US DOS 3.3.2017).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami) ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer. Organisatorisch den Pasadaran unterstellt ist die sog. Bassij-Bewegung, ein paramilitärischer Freiwilligenverband, dem auch Frauen angehören. Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst ("Vezarat-e Etela'at") mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle und Verletzungen von Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 8.12.2016).

Die "Sepah Pasdaran" (Revolutionsgarden) sind heute die mächtigste Instanz im Iran, sowohl politisch, als auch wirtschaftlich und militärisch. Die reguläre Armee spielt neben den Pasdaran eine sehr sekundäre Rolle. Die Pasdaran sind mit modernsten Waffen ausgerüstet. Sie sind schlagkräftig und entscheiden alle militärischen Fragen, und die reguläre Armee ist dagegen völlig in den Hintergrund geraten. Inzwischen gelten sie auch als die größte wirtschaftliche Macht des Landes. Die Pasdaran bekommen zum einen Konzessionen für alle größeren infrastrukturellen Projekte im Iran. Ob es um Staudämme geht oder um den Straßenbau, den Bau von Häfen oder Flughäfen: An allen Großprojekten sind die Pasdaran beteiligt. Darüber hinaus kontrollieren sie die Häfen und Flughäfen und damit auch den gesamten Markt, Aus- und Einfuhren und vor allem auch den Schwarzmarkt. Sie können Waren ins Land bringen und ausführen, ohne Zoll oder Steuern zu bezahlen. Die Pasdaran sind auch beteiligt an Ölprojekten. Die Pasdaran sind an den Entscheidungen sowohl im Atomstreit als auch in sonstigen politisch wichtigen Angelegenheiten direkt mitbeteiligt. Sie sind sehr stark involviert in das Atomprogramm. Ihre ehemaligen Kommandeure sitzen an den Schalthebeln der Macht. 2005 hat Mahmud Ahmadinedschad, als er zum ersten Mal zum Staatspräsidenten gewählt wurde, die meisten und wichtigsten Schlüsselpositionen mit Kommandanten der Pasdaran besetzt (DW 13.6.2013). Sie sind eng mit der Politik verzahnt und konnten in den vergangenen Jahren ihren wirtschaftlichen Einfluss ausbauen. Sie sind in allen Sektoren aktiv, mit teilweise monopolartigen Stellungen in der Rüstungs- und Bauindustrie, bei Energieprojekten, im Schmuggel von Konsumgütern und im Telekommunikationssektor (DW 13.6.2013, vgl. FH 2016).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da vor allem die Basijis nicht nach iranisch-rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander. Viele Schätzungen nehmen an, dass heute mehrere Millionen Basijis im Iran tätig sind. Bereits auffälliges Hören (insb. westlicher) Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer/ enger Mantel oder das Hervorlugen von Haarsträhnen unter dem Kopftuch für eine Verhaftung, bei Männern zu eng anliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt reichen (ÖB Teheran 10.2016).

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet alle Formen der Folter, um Geständnisse oder andere Informationen zu erlangen, es gibt aber glaubwürdige Berichte, dass Sicherheitskräfte und Gefängnispersonal Häftlinge folterten oder missbrauchten. Einige Gefängnisse, einschließlich das Evin Gefängnis (Trakt 209 ist unter Kontrolle des Geheimdienstes) in Teheran sind berüchtigt für grausame und anhaltende Folter von politischen Gefangenen (US DOS 3.3.2017, vgl. AA 8.12.2016). Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass Verweigerung von medizinischer Versorgung in Gefängnissen als Bestrafung genutzt wurde (US DOS 3.3.2017, vgl. AI 22.2.2017).

Es war nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern und anderweitig zu misshandeln, insbesondere während Verhören, um auf diese Weise "Geständnisse" zu erpressen. Gefangene, die sich in Gewahrsam des Ministeriums für Geheimdienste oder der Revolutionsgarden befanden, mussten routinemäßig lange Zeiträume in Einzelhaft verbringen, was den Tatbestand der Folter erfüllte. Vorwürfen von Inhaftierten, dass sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien, gingen die Behörden grundsätzlich nicht nach. In einigen Fällen drohten sie den Betreffenden weitere Folter und harte Strafen an. Richter ließen weiterhin unter Folter erpresste "Geständnisse" als Beweismittel gegen Angeklagte zu, obwohl dies nach der Strafprozessordnung von 2015 nicht zulässig ist. In der Strafprozessordnung war nicht geregelt, wie Richter und Staatsanwälte vorzugehen haben, um Foltervorwürfe zu untersuchen und sicherzustellen, dass Geständnisse freiwillig erfolgen. Andere Bestimmungen der Strafprozessordnung, wie z. B. die Garantie, dass ein Gefangener unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft das Recht auf einen Rechtsbeistand hat, wurden in der Praxis häufig ignoriert, wodurch Folter begünstigt wurde (AI 22.2.2017).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich massiv von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor an der Tagesordnung. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der "Steinigungsliste". Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar. Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch) (ÖB Teheran 10.2016, vgl. UN Human Rights Council 13.3.2017). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 10.2016).

Korruption

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementierte dieses Gesetz nicht effektiv, und so blieb Korruption ein ernstes und allgegenwärtiges Problem in allen drei Staatsgewalten. Es bestehen zahlreiche staatliche Behörden um die Korruption zu bekämpfen, darunter das Antikorruptionshauptquartier und die Antikorruptionsarbeitsgruppe, das Komitee zur Bekämpfung der Korruption in der Wirtschaft und die Organisation der Generalinspektion. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Ministerrat und Mitglieder des Wächterrats, Schlichtungsrat und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 3.3.2017, vgl. FH 2017). Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption; nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 8.12.2016).

Transparency International führt Iran in seinem Korruptionsindex von 2016 auf Platz 131 von 176 untersuchten Ländern (2015: Platz 130 von 168 untersuchten Ländern) (TI 25.1.2017, vgl. GIZ 3.2017c). Es konnte sich im Iran kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln, dieses Problem wird durch die weit verbreitete Korruption noch verschärft (GIZ 3.2017c).

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran nicht möglich. Alle Menschenrechtsorganisationen bedürfen einer staatlichen Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle. In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Das Innenministerium warnt vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt wird, etwa in Form von Straftatbeständen wie "Propaganda gegen das Regime" oder "Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit". Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sitzen in ihrer überwiegenden Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Entsprechende Zahlen sind mangels offizieller Angaben nicht vorhanden. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnlicher Vorwürfe drohen (AA 8.12.2016, vgl. US DOS 3.3.2017). NGOs die an nichtpolitischen Themen, wie z.B. Armut und Umwelt können relativ frei von Restriktionen arbeiten. Andere Gruppierungen, vor allem solche die im Bereich Menschenrechtsverletzungen arbeiten, werden unterdrückt (FH 2017).

Menschenrechtsorganisationen sind im Iran nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Es gibt auch immer wieder Bestrebungen, die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiter zu verschärfen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Vergleichsweise wurde die seit vielen Jahren existierende und anerkannte unabhängige Rechtsanwaltskammer eines Tages "missliebig", worauf von staatlicher Seite eine regierungsabhängige Anwaltsvereinigung gegründet wurde, um die traditionell bestehende Kammer zur Seite zu drängen Andererseits können manche NGOs, etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung laut eigenen Angaben ungehindert arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, müssen NGOs unregistriert und unter der Gefahr der Verfolgung arbeiten. Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des "Defenders of Human Rights Centers", deren Gründungsmitglieder nahe allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftansta

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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