TE Bvwg Beschluss 2018/5/25 W221 2194627-1

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Veröffentlicht am 25.05.2018
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Entscheidungsdatum

25.05.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W221 2194627-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. 1089744703-151481611, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Somalias, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete die Beschwerdeführerin, sie fürchte zwangsverheiratet zu werden.

Am 19.03.2018 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter der Leitung eines männlichen Einvernahmeleiters die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin statt. Hierbei gab sie im Wesentlichen an, aus XXXX zu stammen, moslemischen Glaubens und somalische Staatsbürgerin zu sein. Sie gehöre dem Clan der Madhiban (Midgan) an. In Somalia würden noch ihre Eltern sowie sechs Geschwister leben. Nach ihren Fluchtgründen befragt führte sie aus, Soldaten seien zu ihr nachhause gekommen und hätten Getränke und Speisen verlangt. Eine Woche später hätten sie die Familie der Beschwerdeführerin wieder aufgesucht und von ihrem Vater verlangt die Beschwerdeführerin herauszugeben. Ihr Vater habe eingewilligt, da er der Ansicht gewesen sei, er könne sich den Soldaten nicht widersetzen, und habe der Beschwerdeführerin mitgeteilt, sie müsse die Männer heiraten. Einer der Männer habe sie daraufhin mitgenommen und sie in seine Wohnung gebracht, wo sie gemeinsam mit einer weiteren Frau, die auf sie aufgepasst habe, gelebt habe. Der Mann habe auch versucht mit der Beschwerdeführerin ins Bett zu gehen, was sie verweigert habe. Daraufhin habe er ihr mit einer Zigarette Brandnarben zugefügt. Die Beschwerdeführerin habe sich mit ihrem Freund am Markt von XXXX getroffen, was ihre Mitbewohnerin erfahren habe. Der Soldat habe der Beschwerdeführerin sodann gedroht sie steinigen zu lassen. Trotzdem habe sie sich wieder zu ihrem Freund begeben und ihm alles erzählt. Dessen Schwester habe sie nach Mogadischu gebracht und die Beschwerdeführerin sei in die Türkei gereist. Später habe der Soldat, den die Beschwerdeführerin heiraten hätte sollen, ihren Freund getötet. Auch sei sie in Somalia Anfeindungen wegen ihrer Clanzugehörigkeit ausgesetzt gewesen.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, zugestellt am 17.04.2018, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia, stellte die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft sei. Festgestellt wurde hingegen, dass die Beschwerdeführerin mehrere äußerlich sichtbare Narben aufweise.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 13.04.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 02.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin bei der Einvernahme nicht wohl gefühlt habe, da sie nicht von einem Organwalter desselben Geschlechts einvernommen worden sei. Zwar sei die Beschwerdeführerin gefragt worden, ob es ein Problem gebe, das sie nur einer Frau erzählen wolle, diese Frage sei ihr jedoch erst am Ende der Befragung gestellt worden. Auch sei die Beschwerdeführerin nicht über das Recht auf Einvernahme durch einen Organwalter desselben Geschlechts belehrt worden. Die Beschwerdeführerin habe im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Somalia Angst zwangsverheiratet, verschleppt oder vergewaltigt zu werden. Außerdem sei sie nicht verheiratet und werde von keinem Mann geschützt. Weiters sei sie als Angehörige der Madhiban Übergriffen ausgesetzt.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 07.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und der Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Asylwerber auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesem im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (in Folge: GFK) droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, 2000/01/0131; vom 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, 93/01/0284; vom 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird;

auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, 98/01/0318;

vom 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung setzt nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH vom 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum AsylG 1991, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention).

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Nach den von der UNHCR definierten Risikoprofilen benötigen Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer, Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt, von Kinder- und Zwangsheirat, häuslicher Gewalt, Verbrechen zur Verteidigung der Familienehre ("Ehrendelikt") und Menschenhandel wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind, wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK (vgl. die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2015, 4. Aktualisierte Fassung sowie UNHCR-International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, November 2017, Update V; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182 mwN).

Die Beschwerdeführerin tätigte in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter anderem folgende Aussage:

"Der Mann versuchte mit mir ins Bett zu gehen."

Befragt woher ihre Narben stammen würden, brachte sie in der Einvernahme Folgendes vor:

"Vom Mann, der mit mir schlafen wollte. Ich wollte das nicht. Er fügte mir Brandnarben mit der Zigarette zu."

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es unterlassen, nähere Ermittlungen hinsichtlich des besonderen Risikoprofils von Frauen zu tätigen und Feststellungen zu dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin zu treffen. Es ist somit den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründen nicht durch geeignete Fragestellungen auf den Grund gegangen, weshalb konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 ist nämlich ein Asylwerber von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, wenn er seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen. Nach dem Zweck des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 sollte so der Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung bewirkt werden (vgl. VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119). Das Recht, von einer Person desselben Geschlechts einvernommen zu werden, besteht bereits dann, wenn der Asylwerber behauptet, Opfer von sexueller Misshandlung zu sein oder solchen Gefahren ausgesetzt zu sein (vgl. VfGH 11.12.2013, U1914/2012 ua, mit Hinweis auf die Materialien zu § 20 AsylG [RV 952 BlgNR 22. GP, 45]).

Fallbezogen erfolgte die Einvernahme trotz der oben zitierten Aussagen, die eindeutig Furcht vor Verfolgung durch Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung ausdrücken, unter Leitung eines männlichen Einvernahmeleiters. Aus der aktenkundigen Niederschrift geht hervor, dass die Beschwerdeführerin erst am Ende der Einvernahme gefragt wurde, ob ein Problem vorliege, das sie nur einer Frau erzählen wolle. Jedoch erfolgte keine Belehrung über die Möglichkeit einer Einvernahme durch einen Organwalter desselben Geschlechts gemäß § 20 AsylG 2005. Dass ein behaupteter Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung vorliegt, hätte dem Referenten auch schon vor der Einvernahme bewusst sein müssen, weil die Beschwerdeführerin schon in der Erstbefragung auf eine Zwangsverheiratung hinwies. Die Beschwerdeführerin hätte somit von Vornherein nicht von einem männlichen Referenten im Beisein eines männlichen Dolmetschers befragt werden dürfen bzw. gleich zu Beginn auf die Möglichkeit der Einvernahme durch eine weibliche Einvernahmeleiterin hingewiesen werden müssen.

Der Sachverhalt wurde auch aus diesem Grund nur unzulänglich ermittelt und ist darüber hinaus in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es wurde nicht versucht, Hemmschwellen soweit als möglich zu beseitigen und der Beschwerdeführerin nicht ausreichend Möglichkeit eingeräumt, ihre Asylgründe umfassend und detailliert vor einer Frau und einer weiblichen Dolmetscherin darzulegen.

Aus den dargelegten Gründen erweisen sich die durchgeführten Sachverhaltsermittlungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als ungenügend und ist ersichtlich, dass wesentliche Feststellungen nicht oder nur mangelhaft getroffen wurden. Eine Zurückverweisung der Sache an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt im vorliegenden Fall deshalb in Betracht, weil das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat bzw. weil es den maßgebenden Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Im weiteren Verfahren wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein umfassendes Ermittlungsverfahren zu führen haben, bei dem insbesondere die neuerliche Einvernahme der Beschwerdeführerin von einer weiblichen Einvernahmeleiterin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen sein wird.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil es damit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in einer solchen Konstellation frei stünde, entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 eine Einvernahme durch einen männlichen Organwalter durchzuführen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.03.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 20 Abs. 1 AsylG bzw. deren Vorgängerbestimmung (VwGH 03.12.2003, 2001/01/0402; 08.09.2010, 2008/01/0345 bis 0347) sowie zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Organwalter, Zwangsehe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W221.2194627.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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