TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/25 I414 2192631-1

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Veröffentlicht am 25.05.2018
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Entscheidungsdatum

25.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55

Spruch

I414 2192631-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Tunesien, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Dr. Alfred POFERL, Museumstraße 11, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 19.02.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

I. Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Tunesien zulässig ist.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste am 13.10.1992 mit einem tunesischen Reisepass ohne Sichtvermerk in das Bundesgebiet ein.

2. Am 23.12.1993 wurde der Beschwerdeführer nach Tunesien abgeschoben.

3. In der Zeit vom 25.07.1996 bis 18.08.1996 hat sich der Beschwerdeführer auf Grund eines Visums der österreichischen Botschaft in Tunis im Bundesgebiet aufgehalten.

4. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.03.1997, rechtswirksam am 26.03.1997, Zl. XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Geldstrafe in der Höhe von 50 Tagessätzen zu je 30,00 ATS, im Nichteinbringungsfall 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

5. Am XXXX1996 ehelichte der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin Frau XXXX. Diese Ehe wurde am XXXX2001 geschieden. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Ex-Frau eine gemeinsame Tochter namens XXXX, geboren am XXXX1997.

6. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 21.12.2001, rechtskräftig am 27.12.2001, Zl. XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt, verurteilt.

7. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 15.03.2006, rechtskräftig am 14.06.2006, Zl. XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB und wegen der Vergehen der Körperverletzung und der Nötigung nach § 83 Abs. 1 und § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt, verurteilt.

8. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 23.02.2007, rechtskräftig am 27.02.2007, Zl. XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflichten und der Urkundenfälschung nach § 198 Abs. 1 und 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, verurteilt.

9. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland XXXX vom 14.03.2007, Zl. XXXX, wurde über den Beschwerdeführer ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 07.07.2009, Zl. 2007/18/0177, wurde die gegen diesen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland XXXX erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid vom 22.11.2012 wies die Landespolizeidirektion einen Antrag des Beschwerdeführers vom 15.10.2012 auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes ab.

Mit Erkenntnis vom 18.12.2012 zu Zl. VwSen-730697/2/BP/Jo hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen.

10. Am 05.12.2011 wurde der Beschwerdeführer beim unrechtrechtmäßigen Aufenthalt betreten und von der Bezirkshauptmannschaft XXXX zu Zl. XXXX wurde am selben Tag über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Aus dem Stande der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer noch am 05.12.2011 den Antrag auf internationalen Schutz.

11. Am 05.12.2011 wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes Erstbefragt.

12. Am 12.12.2011 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt niederschriftlich Einvernommen.

13. Vom 10.05.2012 bis 27.11.2012 war das Verfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt.

14. Am 08.01.2013 fand beim Bundesasylamt eine weitere Einvernahme statt.

15. Am 20.08.2013 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt erneuert niederschriftlich einvernommen.

16. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.08.2013, Zl. XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tunesien ausgewiesen (Spruchpunkt III.); weiters wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 38 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

17. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 24.09.2013, Zl. B11 437.792-1/2013/2Z wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

18. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.02.2014, Zl. I404 1437792-1/5E wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz als unbegründet abgewiesen und das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gem. § 75 Abs. 20 AsylG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

19. Am 12.02.2018 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

20. Mit gegenständlich bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 19.02.2018, Zl. XXXX, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, die belangte Behörde erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt I.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde aberkannt (Spruchpunkt III.).

21. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 20.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

22. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch RA Mag. Dr. Alfred POFERL, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dabei wurde zusammenfassend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren in Österreich aufhältig sei, hier unzweifelhaft den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe und auch unmittelbar alle Sozialkontakte in Österreich habe.

In der angefochtenen Entscheidung wurden angeblich bestehende strafrechtliche Urteile erwähnt, diese seien jedoch mit Ausnahme einer Verurteilung nach § 117 FPG nicht weiter zitiert worden, sodass es unmöglich sei, hier für den Beschwerdeführer nähere Informationen zu bekommen. Es seien auch diese angeblichen Verurteilungen niemals mit dem Beschwerdeführer konkret besprochen worden bzw. hätte er auch keine Möglichkeit gehabt, hierzu Stellung zu nehmen.

23. Mit Beschwerdevorlage vom 16.04.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 18.04.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

24. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.04.2018, Zl. 2192631-1/4Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

25. Am 23.05.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters eine mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wir der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Tunesien und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Der Beschwerdeführer heißt XXXX und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Araber und muslimischen Glaubens (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 4 ff). Die Identität des Beschwerdeführers steht fest (AS 11 ff, 371 ff).

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 4).

Der Beschwerdeführer hat in Tunesien die Hauptschule und anschließend eine Allgemeinbildende höhere Schule absolviert und hat kurzfristig als Verkäufer gearbeitet (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 4 - 5).

In Tunesien leben die Mutter, ein Bruder und eine Schwester; zur Mutter und zu seiner Schwester hat er regelmäßig telefonischen Kontakt (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 4).

Der Beschwerdeführer war vom XXXX1996 bis XXXX2001 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und hat mit seiner Exgattin eine gemeinsame Tochter (AS 402), welche am XXXX1997 geboren wurde.

Der Beschwerdeführer hat zu seiner Exgattin keinen Kontakt mehr, zu seiner leiblichen Tochter hatte der Beschwerdeführer jahrelang keinen Kontakt mehr, jedoch versucht er einen Kontakt herzustellen und versucht eine Vater-Tochter Bindung aufzubauen (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 8).

Der Beschwerdeführer spricht qualifiziert "Deutsch", er hat keine Prüfungen absolviert.

Der Beschwerdeführer gehört in Österreich keinem Verein oder sonstigen Organisation an und hat an keiner Aus- oder Weiterbildung teilgenommen (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 8).

Der Beschwerdeführer hat dem Bundesverwaltungsgericht eine Einstellungszusage des Herrn Hussein T., welcher einen Einzelhandel mit Kraftwagen betreibt, vorgelegt.

Der Beschwerdeführer hat keine Leistungen aus der Grundversorgung bezogen (Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem).

Der Beschwerdeführer lebt bei der Familie seines Bruders, XXXX, einem österreichischen Staatsbürger (AS 629 ff, Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 8 und Bestätigungsschreiben vom 17.05.2017).

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion vom 14.03.2007, Zl. XXXX, wurde über den Beschwerdeführer ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Am 05.12.2011 wurde der Beschwerdeführer im Bezirk XXXX beim unrechtmäßigen Aufenthalt betreten und von der Bezirkshauptmannschaft Gmunden zu Zl. XXXX wurde am selben Tag über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet (AS 17 ff). Aus dem Stande der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 05.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 23 ff).

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.02.2014, Zl. I404 1437792-1/5E wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückgewiesen (AS 625).

Der Beschwerdeführer wurde insgesamt vier Mal rechtskräftig verurteilt, letztmalig wurde der Beschwerdeführer am 27.02.2007 verurteilt. Nach dem derzeitigen Stand wird die Tilgung voraussichtlich mit 30.12.2008 eintreten.

Der Beschwerdeführer wurde nicht wegen des Vergehens des Eingehens und Vermittelns einer Aufenthaltsehe nach § 117 Abs. 1 und 4 FPG verurteilt. Das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX, Zl. XXXX bezieht sich nicht auf den Beschwerdeführer.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Tunesien:

1. Politische Lage

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die Revolution vom 14.1.2011 mit der Flucht des bisherigen Präsidenten Ben Ali hatte zu einer Phase des politischen Übergangs geführt. Am 26.1.2014 wurde die neue demokratische Verfassung verabschiedet. Diese sieht für Tunesien ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem der Premierminister vom Staatspräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt und vom Parlament bestätigt werden muss. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik, mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in der Zuständigkeit des Staatspräsidenten liegen, der direkt vom Volk gewählt wird (AA 4.2017). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert als auch den Schutz des Heiligen festschreibt (GIZ 6.2017a).

Die Parlamentswahlen am 26.10.2014 konnte die säkulare Partei Nida Tunis mit 86 Sitzen vor der islamisch-konservativen Ennahdha mit 69 Sitzen (von insgesamt 217) für sich entscheiden. Bei den Präsidentschaftswahlen setzte sich am 21.12.2014 (Stichwahl) der Gründer der Nida Tunis und Übergangspremierminister von 2011 Beji Caid Essebsi gegen Übergangspräsident Moncef Marzouki durch. Am 5.2.2015 wurde der parteilose Ökonom Habib Essid vom Parlament als neuer Regierungschef bestätigt. Er führte ein Kabinett aus Mitgliedern der Parteien Nida Tunis, Ennahdha, UPL (Freie Patriotische Union) und Afek Tunis sowie parteilosen Experten. Auf Initiative von Staatspräsident Essebsi verständigten sich die bisherigen Regierungsparteien mit Vertretern von Opposition, Gewerkschaften und Arbeitgebern im Juli 2016 auf die Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit", die unter Führung des neuen Regierungschefs Youssef Chahed (Nidaa Tounes) am 26.8.2016 vom Parlament bestätigt wurde. Infolge einer internen Spaltung verfügt die Regierungspartei Nidaa Tounes inzwischen nur noch über 67 Abgeordnete (AA 4.2017; vgl. GIZ 6.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017): Tunesien - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tunesien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 19.7.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2017a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 19.7.2017

2. Sicherheitslage

Die von der Regierung Essid als auch der Regierung Chahed angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleibt trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde, blieben bis dato im Jahr 2016 der Großraum Tunis sowie touristische Anlagen von gezielten Terroranschlägen verschont. Dies mag auch an dem intensiven und konsequenten Vorgehen der Sicherheitskräfte liegen. Dennoch wurde durch den schweren Angriff von IS Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 ein neues Kapitel der Gefährdung aufgeschlagen. Hier konnten die Sicherheitskräfte, insbesondere das Militär, den Angriff durch vermutlich ca. 100 vermeintliche IS Kämpfer binnen kurzer Zeit niederschlagen. Dies zeigt, dass die Sicherheitskräfte sehr entschlossen gegen die latente und weiterhin präsente Gefährdung vorgehen (AA 16.1.2017).

Reisewarnungen bestehen für die Gebirgsregionen nahe der algerischen Grenze, im Bereich von El Aioun bis Kasserine sowie im Westen des Landes jenseits der Hauptverkehrsrouten; südlich bzw. südöstlich einer Linie, die von der Grenze zu Algerien über Tozeur - Douz - Ksar Ghilane - Tataouine bis Zarzis führt (AA 20.7.2017; vgl. BMEIA 20.7.2017). Hohes Sicherheitsrisiko im Rest des Landes (BMEIA 20.7.2017).

Aufgrund sozialökonomisch bedingter Protestbewegungen kann es derzeit vor allem in den Regionen um Tataouine und Kebili im Süden des Landes zu spontanen Straßenblockaden und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften kommen (AA 20.7.2017).

Der tunesisch-libysche Grenzübergang Ras Jedir ist zeitweise geschlossen (AA 20.7.2017). Tunesien hat am 7.2.2016 eine rund 200 Kilometer lange Sperranlage an der Grenze zu Libyen fertiggestellt, die verhindern soll, dass von dort Islamisten ins Land eindringen. Die Sperranlage - bestehend aus Sandwällen und Wassergräben - erstreckt sich vom Grenzübergang Ras Jedir an der Mittelmeerküste bis nach Dhiba 200km weiter südwestlich. Damit ist nun etwa die Hälfte der Grenze zu Libyen vor allem für Fahrzeuge nicht mehr problemlos zu überqueren. Die Schutzwälle sind teilweise mehrere Meter hoch (DW 7.2.2016).

Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida, oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Besonders die Bekämpfung und Vertreibung des IS aus dessen etabliertem Kernbereich um die libysche Stadt Sirte [Anm.: im Dezember 2016] birgt die Gefahr, dass ein Teil dieser IS-Kämpfer sich auch in Richtung Tunesien absetzen könnte. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschl. Militär, wurden daher erheblich verstärkt (AA 16.1.2017). Insgesamt stellt Tunesien mit einer geschätzten Zahl von 6.000 Dschihadisten proportional zur Bevölkerung die größte Zahl an ausländischen Kämpfern an Kriegsschauplätzen wie Syrien, Libyen u.a. (ÖB 11.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

-

AA - Auswärtiges Amt (20.7.2017): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/TunesienSicherheit_node.html, Zugriff 20.7.2017

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (20.7.2017): Tunesien - Reiseinformationen, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 20.7.2017

-

DW - Deutsche Welle (7.2.2016): Kampf gegen Terror: Tunesien stellt Grenzwall fertig,

http://www.dw.com/de/kampf-gegen-terror-tunesien-stellt-grenzwall-fertig/a-19032047, Zugriff 20.7.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2016): Asylländerbericht Tunesien

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 3.3.2017). 2015 wurde ein verfassungsmäßig verankerter Justizrat gesetzlich eingerichtet, der mit der Beförderung und Versetzung von Richtern sowie disziplinären Maßnahmen im Justizbereich beauftragt ist (HRW 12.1.2017).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Gemäß Angeklagten sind die gesetzlich garantierten Rechte nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der nötigenfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in von der Regierung gehaltene Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/334720/476550_de.html, Zugriff 12.7.2017

-

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

4. Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten), die Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es gemäß NGOs vereinzelt zu Misshandlungen von Häftlingen kommt. Es mangelt an effektiven Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 3.3.2107).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes, aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011, vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Die Kluft zwischen Innenbehörden und Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei ("police politique"), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium. Diese Forderung wurde zunächst nicht im erhofften Maße umgesetzt. Erst mit einiger Verspätung zog das Innenministerium personelle Konsequenzen und Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen wurden umgesetzt, entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Die Einsetzung eines für Sicherheitsfragen zuständigen delegierten Ministers im Kabinettsrang wurde Ende 2015 nach knapp einem Jahr rückgängig gemacht und die Aufgaben wieder dem Generaldirektor der Sureté Nationale übertragen. Eine von allen internationalen Partnern für notwendig erachtete umfassende Reorganisation des tunesischen Innenministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde bislang noch nicht angegangen, es wurde aber im Sommer 2015 ein internationaler Kooperationsmechanismus mit den G7 Staaten unter deutscher Präsidentschaft etabliert, der zu mehr Transparenz und Koordination der Unterstützung führte (AA 16.1.2017).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. So besagen Umfragen aus September 2016, dass 98,5% der Bevölkerung Vertrauen in die Armee haben. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 16.1.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

-

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Artikel 23 der tunesischen Verfassung vom 26.1.2014 garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische oder körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29.6.2011 hat sich Tunesien zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus verpflichtet. Eine innerstaatliche gesetzliche Grundlage wurde 2013 geschaffen (AA 16.1.2017). 2016 schließlich wählte das Parlament die Mitglieder der neuen "Nationalen Instanz zur Verhütung von Folter" (AA 16.1.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Die Konstituierung der neuen Instanz war bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen; u.a. verfügte sie im laufenden Haushaltsjahr noch nicht über ein reguläres Budget (AA 16.1.2017). Zu ihren Hauptaufgaben gehören unangemeldete Besuche an allen Orten des Freiheitsentzugs (AA 16.1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Obwohl Folter und unmenschliche Behandlung gesetzlich verboten ist, gibt es glaubwürdige Berichte über Misshandlungen von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte (USDOS 3.3.2017). Auch im Jahr 2016 gibt es Berichte über Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen (AI 22.2.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Tunesische und internationale Medien sowie spezialisierte Nichtregierungsorganisationen, wie die Organisation Mondiale contre la Torture (OMCT) oder die Organisation contra la Torture en Tunisie (OCTT), berichten kontinuierlich über entsprechende Einzelfälle sowie Bestrebungen, rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Bislang sei es jedoch in keinem einzigen Fall gelungen, eine Verurteilung von Amtspersonen oder ehemaligen Amtspersonen wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu erreichen. Abstrakte Befürchtungen, dass diese Delikte wieder zunehmen könnten, werden vor allem im Zusammenhang mit Terrorabwehrmaßnahmen geäußert (AA 16.1.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/336537/479211_de.html, Zugriff 12.7.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/334720/476550_de.html, Zugriff 12.7.2017

-

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

6. Korruption

Gesetzlich sind für behördliche Korruption Strafmaßnahmen vorgesehen. Die Regierung unternimmt in eingeschränktem Ausmaß Bemühungen, diese Gesetze umzusetzen. Eine effektive Umsetzung gelingt dennoch nicht. Das Budget der Regierungsinstitutionen zur Bekämpfung der Korruption, der Nationalen Kommission zur Korruptionsbekämpfung (NCCC), wurde im Jahr 2016 erhöht (USDOS 3.3.2017). Auf dem Corruption Perceptions Index 2016 von Transparency International liegt Tunesien auf Platz 75 von 176 untersuchten Ländern (TI 25.1.2017).

Quellen:

-

TI - Transparency International (25.1.2017): Corruption Perceptions Index 2016,

https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 12.7.2017

-

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten, Ombudsmann

Eine Vielzahl nationaler und internationaler NGOs untersucht Menschenrechtsfälle und publiziert ihre Ergebnisse ohne Restriktionen durch die Regierung. Regierungsbeamte sind üblicherweise kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 16.1.2017).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Die hohe Kommission für Menschenrechte und fundamentale Freiheiten ist eine von der Regierung finanzierte Behörde zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte. Am 9.6.2014 wurde die Wahrheit und Würde Kommission zu Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen von 1955 bis zur Einführung der Übergangsjustiz im Jahr 2013 eingerichtet. Die Frist zur Einreichung der Fälle lief bis 15.6.2016; es wurden bis dahin mehr als 65.000 Fälle eingebracht (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

8. Wehrdienst und Rekrutierungen

Die tunesische Armee (Forces Armees Tunisiens, FAT) besteht aus den Landstreitkräften, der Marine und der Luftwaffe der Republik Tunesien. Der verpflichtende Wehrdienst dauert ein Jahr und muss im Alter von 20-23 Jahren abgeleistet werden. Freiwillig kann man sich im Alter von 18-23 Jahren zum Militärdienst verpflichten. Die tunesische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung (CIA 12.7.2017).

Jeder männliche Tunesier, der das 20. Lebensjahr erreicht hat, ist zur Ableistung des Wehrdiensts verpflichtet. Auf Wunsch kann er diesen aber schon ab dem 18. Lebensjahr ableisten. Die einjährige Wehrpflicht kann auch in den Arbeitsverbänden des "Service National" abgeleistet werden. Einberufene können aufgrund von Freistellungsregelungen Teile der Wehrpflichtzeit durch Zahlung von entsprechenden Beiträgen verkürzen. Zum 1. Juli 2011 ist ein Wehrsold eingeführt worden. Seit März 2003 gibt es auch für junge Frauen die Möglichkeit zur Ableistung des Wehrdienstes. Kriegsdienstverweigerung und Fahnen-flucht sind strafbar, entsprechende Verurteilungen aber nicht bekannt. Soldaten haben weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht (AA 16.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

-

CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2017): The World Factbook

-

Tunisia,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ts.html, Zugriff 19.7.2017

9. Allgemeine Menschenrechtslage

Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden ab 2011 größtenteils zurückgezogen (AA 16.1.2017).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren grundlegend verbessert (AA 16.1.2017). Sowohl wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen, als auch die offiziellen und informellen Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft (AA 16.1.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten frei und offen in unterschiedlicher Qualität. Auch die Regierung kommuniziert besser. Lediglich im Bereich Zugang zu Information und Kenntnis darüber gibt es Verbesserungsbedarf (AA 16.1.2017).

Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 16.1.2017). Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet, und die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, wiewohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 3.3.2017). Diese Restriktionen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Anschlägen im März und Juni 2015 und den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen. Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Blogger und Journalisten erhalten weiterhin Morddrohungen aus dem radikal-islamistischen Lager, wenn sie sich kritisch zur Religion positionieren (AA 16.1.2017). Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, die "die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen" oder "absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen" stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 3.3.2017).

Die staatliche "Agence Tunisienne d'Internet" (ATI) kontrolliert zwar weiterhin den einzigen internationalen Zugang, weswegen die gesamte Kommunikation über ihre Rechner läuft und private Internet-Anbieter von ihr abhängig sind. Sie hat sich jedoch zur Gewährleistung eines freien Internetzugangs verpflichtet. Internetseiten mit kritischer Berichterstattung zu Tunesien sind ohne Einschränkungen zugänglich (AA 16.1.2017).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (AA 16.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Zu Einschränkungen kam es mehrfach während des Ausnahmezustands, der seit dem Anschlag auf ein Fahrzeug der Präsidialgarde in Tunis am 24.11.2015 in Kraft ist. Zeitweise war dies mit einer nächtlichen Ausgangssperre im Großraum Tunis verbunden. Die Sicherheitsbehörden verhielten sich in der Vergangenheit während des Ausnahmezustands zum Teil widersprüchlich. De jure wurden öffentliche Versammlungen und Demonstrationen wiederholt verboten. De facto verzichtete man jedoch darauf, trotz Verbots anberaumte Veranstaltungen gewaltsam aufzulösen (AA 16.1.2017).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (AA 16.1.2017, vgl. USDOS 3.3.2017) und in der Praxis üblicherweise nicht eingeschränkt. Nach dem neuen Vereinsrecht können alle Arten von Vereinigungen gegründet und zugelassen werden (AA 16.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/334720/476550_de.html, Zugriff 12.7.2017

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

10. Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in den Haftanstalten entsprechen zumeist nicht internationalen Standards, primär aufgrund von Überbelegung und mangelhafter Infrastruktur (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 16.1.2017). Die Unterbringung erfolgt in der Regel in überfüllten Sammelzellen; die Belegzahlen schwanken zwischen 20 und 180 Häftlingen, vereinzelt gibt es auch Isolierzellen. Oft teilen sich mehrere Gefangene eine Matratze oder Bett. Zeiten für den Hofgang sind knapp bemessen (in der Regel nicht mehr als 1 Std./Tag). Die hygienischen Verhältnisse entsprechen nicht internationalen Standards; tägliche (rituelle) Waschungen und wöchentliches Duschen sind möglich. Die Toiletten befinden sich in der Zelle, wo es weder eine Heizung noch warmes Wasser gibt. Von Menschenrechtsorganisationen und Anwälten werden erhebliche Missstände insbesondere hinsichtlich Unterbringung und Hygiene bemängelt, die Folge sind oftmals Infektionen und Hautkrankheiten (AA 16.1.2017).

Die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung in den tunesischen Justizvollzugsanstalten sind mangelhaft (USDOS 3.3.2017) bzw. landesweit nicht einheitlich und können von Haftanstalt zu Haftanstalt sehr unterschiedlich sein. Ärzte sind nur zeitweise vor Ort; Krankenpfleger oft nur eingeschulte Justizwachebeamte. Eine kleine Hausapotheke ist in jedem Gefängnis vorhanden. Auch wenn sich die Gefängniskost ebenfalls qualitativ verbessert hat, bleibt sie oftmals unzureichend, die Häftlinge müssen dann zusätzlich von ihren Familien versorgt werden, um eine ordentliche Ernährung zu erhalten. Einkaufsmöglichkeiten in den Gefängnissen bestehen (AA 16.1.2017).

Die Regierung verbesserte den Zugang zu Gefängnissen für unabhängige Beobachter, darunter Menschenrechtsgruppen, Medien und Organisationen wie dem IKRK. Der unabhängigen nationalen Behörde zur Vorbeugung von Folter (INPT) wurde nach der Wahl ihrer Mitglieder im Mai 2016 das Recht auf unangekündigte Gefängnisbesuche zugestanden (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/337230/479995_de.html, Zugriff 12.7.2017

11. Todesstrafe

Das tunesische Strafgesetzbuch von 1913 sieht in seiner geltenden Fassung die Todesstrafe für Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge sowie Landesverrat vor. Neue Straftatbestände, für die eine Sanktionierung mit der Todesstrafe vorgesehen ist, wurden durch das am 7.8.2015 in Kraft getretene Gesetz gegen Terrorismus und Geldwäsche geschaffen. Eine verfassungsrechtliche oder gesetzliche Aufhebung der Todesstrafe wurde in der Phase des demokratischen Übergangs seit 2011 diskutiert, fand jedoch in der Verfassungsgebenden Versammlung keine Mehrheit (AA 16.1.2017). Die Todesstrafe wird de jure weiterhin verhängt, de facto jedoch nicht vollstreckt (AA 16.1.2017; vgl. AI 22.2.2017). Die letzte Vollstreckung fand 1991 statt. Viele Todesurteile werden anlässlich von Amnestien in lebenslange Haftstrafen umgewandelt (AA 16.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Tunesischen Republik

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Tunisia, http://www.ecoi.net/local_link/336537/479211_de.html, Zugriff 12.7.2017

12. Religionsfreiheit

Tunesien ist zu weiten Teilen muslimisch. 98-99% der Bevölkerung sind Muslime - mehr oder weniger praktizierend. Die meisten sind Sunniten. Neben Muslimen leben in Tunesien rund 25.000 Christen (zum Großteil Katholiken), wobei die Gemeinden zum Großteil aus ausländischen Bürgern bestehen. 1.500 Juden leben in Tunesien, die meisten im Großraum Tunis und auf der Insel Djerba, wo sich auch mit der La Ghriba-Synagoge eine wichtige Pilgerstätte für Juden aus aller Welt befindet. Sie gilt als die älteste erhaltene Synagoge in Nordafrika (GIZ 6.2017b; vgl. AA 16.1.2017). Des Weiteren gibt es noch Schiiten und Baha'is (USDOS 10.8.2016).

Der Islam ist offizielle Religion Tunesiens und der Staatspräsident muss laut Verfassung Muslim sein (GIZ 6.2017b; vgl. USDOS 10.8.2016). Allerdings ist die freie Religionsausübung in der Verfassung garantiert (GIZ 6.2017b; vgl. AA 16.1.2017); Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird in Tunesien mit gewissen Einschränkungen gewährt (AA 16.1.2017). Die Verfassung reflektiert das herrschende Gleichgewicht zwischen religiösem und säkularem Lager in der Gesellschaft und Politik: Der Islam ist als Religion des Landes anerkannt, aber die islamische Scharia wurde nicht in der Verfassung verankert. Ein ziviler Staat ist die Grundlage der Verfassung, in der ausdrücklich auf die universellen Menschenrechte Bezug genommen wird (AA 16.1.2017; vgl. USDOS 10.8.2017).

Die verschiedenen religiösen Gemeinschaften leben in der Regel friedlich zusammen (GIZ 6.2017b). Tunesien ist gegenüber religiösen Minderheiten grundsätzlich tolerant, auch wenn Nichtmuslime in der Praxis durch das islamisch beeinflusste Personenstandsrecht Diskriminierungen erfahren können (z.B. de facto Verbot der Eheschließung zwischen einer Muslimin und einem Nichtmoslem oder Benachteiligung bei Sorgerechtsentscheidungen) (AA 16.1.2017).

Bis zur Revolution vom Januar 2011 konnte der Islam über die Befolgung der grundlegenden muslimischen Riten hinaus kaum gesellschaftliche und politische Aktivitäten entfalten. Außerhalb der Gebetszeiten blieben die Moscheen geschlossen. Zudem wurden die Freitagspredigten sowie alle religiösen Gemeinschaften vom Staat überwacht. Mit der Revolution ist der Islam im gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes allmählich immer sichtbarer geworden. Nach dem 14.1.2011 war die Kontrolle über viele Moscheen zunächst verloren gegangen, viele staatlich eingesetzte Imame wurden spontan durch neue, in einigen Fällen dem Salafismus nahestehende Imame von ihren Posten verdrängt. Zahlreiche Moscheen wurden zu Zentren, in denen dschihadistische

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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