TE Bvwg Beschluss 2018/5/28 I403 2195738-1

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Veröffentlicht am 28.05.2018
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Entscheidungsdatum

28.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

I403 2195738-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX), geb. XXXX (alias XXXX), StA. Nigeria, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2018, Zl. 1128548008/161209854 beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

IXXXX JXXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer), ein nigerianischer Staatsbürger, stellte am 04.09.2016 unter Angabe des Namens EXXXX JXXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er an, Nigeria Anfang 2015 verlassen und etwa eineinhalb Jahre in Italien gelebt zu haben. Zum Fluchtgrund befragt gab er zu Protokoll: "Ich bin Landarbeiter. Eines Tages wollten andere Mitarbeiter der Farm mit mir Drogen konsumieren, was ich aber nicht wollte. Daraufhin kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Daraus resultiert die Narbe auf meiner Stirn. Im Zuge der Verteidigung habe ich meinem Kontrahenten ein Auge ausgeschlagen. Zwei Brüder meines Gegners sind bei der Polizei tätig und haben daraufhin meine Mutter verhaftet. Sie haben meiner Mutter gedroht, dass sie mir beide Augen ausstechen, wenn sie mich finden."

Das Verfahren wurde zugelassen und der Beschwerdeführer am 26.09.2017 niederschriftlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Beisein eines Vertreters der Caritas, bevollmächtigt durch das Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz als gesetzlicher Vertreter, einvernommen. Der Beschwerdeführer wiederholte, dass er während der Arbeit auf den Feldern im Dezember 2014 in einen Streit verwickelt worden sei; er habe mit einer Machete gegen einen anderen Arbeiter geschlagen und sei weggelaufen. Seine Mutter habe ihm dann geraten sich zu verstecken, da der vom Beschwerdeführer Geschlagene einen Bruder bei der Polizei habe. Man habe seiner Mutter gesagt, man werde ihm beide Augen ausstechen, daher habe diese ihn bei einer Freundin in Benin City versteckt. Danach sei seine Mutter für zwei Wochen verhaftet worden und die Mutter seiner Freundin habe ihn nach Libyen gebracht. Sein Vater sei bereits verstorben, als er ein Kind gewesen sei. Er stehe in Kontakt mit seiner Mutter, bei welcher man noch immer nach ihm suchen würde.

Nach Konsultationen erklärten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 23.03.2018, dass der Beschwerdeführer unter dem im Spruch genannten Namen in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der abgelehnt worden sei; ein aus humanitären Gründen gewährter Aufenthaltstitel sei am 01.03.2018 abgelaufen. Der Beschwerdeführer wurde mit dieser Identitätsfeststellung (welche auch seine Volljährigkeit beinhaltete) mit Schreiben des BFA vom 27.03.2018 konfrontiert und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt.

In einer Stellungnahme vom 12.04.2018 beharrte der Beschwerdeführer darauf, 2001 geboren und damit minderjährig zu sein. Man habe ihm geraten, in Italien anzugeben, dass er volljährig sei. In Österreich habe er wiederum einen falschen Namen verwendet. Identitätsdokumente besitze er nicht, seinen italienischen Aufenthaltstitel habe er in Italien einem Rechtsberater gegeben.

Mit Bescheid des BFA, RD Steiermark, vom 17.04.2018, zugestellt am 27.04.2018, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 04.09.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde unter Spruchpunkt V. gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dem Bescheid wurde zugrunde gelegt, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Person nicht der Wahrheit entsprechen würden und es daher keiner näheren Beurteilung des behaupteten Sachverhalts bedürfe. In der rechtlichen Ausführung zu Spruchpunkt V. wurde darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer die Behörde über seine wahre Identität getäuscht habe und daher den Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erfüllt habe.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 15.05.2018 Beschwerde erhoben und eine Vollmacht für den Verein Menschenrechte Österreich vorgelegt. Der Bescheid wurde dem gesamten Inhalt und Umfang nach und hinsichtlich sämtlicher Spruchteile wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten. Inhaltlich wurde ausgeführt, dass auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht eingegangen worden sei. Die Asylrelevanz des Vorbringens ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer von privater Seite verfolgt werde, der nigerianische Staat seinen Schutzpflichten allerdings nicht nachkomme. Zudem würde er im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten. Der Beschwerdeführer bleibe zudem dabei, im Jahr 2001 geboren zu sein und lege auch die Kopie der Geburtsurkunde eines Entbindungsheimes vor.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.05.2018 vorgelegt und von Seiten der belangten Behörde erklärt, dass auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichtet werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird der eben dargelegte Verfahrensgang.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3. Rechtliche Würdigung:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm 11, S 153). § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesondere weil

1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat

3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder

4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich als grob mangelhaft. Der Beschwerdeführer brachte in der Erstbefragung und in der Einvernahme durch das BFA auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass er einen Arbeitskollegen im Zuge einer Auseinandersetzung verletzt habe. Dessen Bruder sei bei der Polizei tätig gewesen, die in weiterer Folge nach ihm gesucht habe. Auch die Mutter des Beschwerdeführers sei deswegen verhaftet worden. Im angefochtenen Bescheid werden zwar die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers als Beweismittel geführt, tatsächlich wurden diese aber nicht für die Begründung des Bescheides herangezogen. Vielmehr wurde vom BFA nur erklärt, dass davon ausgegangen werde, dass die in Italien angegebenen Personaldaten der Wahrheit entsprechen würden, und dass der Beschwerdeführer daher seine "Glaubwürdigkeit durch bewusst falsche Angaben nachhaltig konterkariert" habe. Zu den "Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates" wurde beweiswürdigend einzig ausgeführt: "Da bereits Ihre Angaben zur Person nicht der Wahrheit entsprechen, bedarf es keiner näheren Beurteilung des behaupteten Sachverhaltes." In der rechtlichen Würdigung zu Spruchpunkt I. (Status des Asylberechtigten) findet sich abgesehen von textbausteinartigen Zitaten höchstgerichtlicher Judikatur einzig die folgende Aussage: "Die hohe Relevanz des behaupteten Herkunftsstaates aber auch der Identität, unter der ein Asylwerber im Asylverfahren auftritt, erschließt sich etwa daraus, dass das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative immerhin einen Abweisungsgrund für einen Antrag auf internationalen Schutz darstellt. So ordnet die Gesetzesbestimmung des § 11 Abs 2 AsylG 2005 unmissverständlich an, dass bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, "auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber" abzustellen ist. Tritt ein Asylwerber unter einer Aliasidentität auf oder macht er falsche Angaben zu seinem Herkunftsstaat, läuft diese Prüfung zwangsläufig ins Leere."

Der VwGH hat bereits klargestellt, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt (VwGH, 17.12.2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. VwGH, 23.05.2017, Ra 2017/18/0028).

§ 18 AsylG lautet:

Ermittlungsverfahren

§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

(2) Das Bundesamt hat, sofern es sich bei einem Asylwerber um einen unbegleiteten mündigen Minderjährigen handelt, eine Suche nach dessen Familienangehörigen im Herkunftsstaat, in einem Drittstaat oder Mitgliedstaat nach Maßgabe der faktischen Möglichkeiten durchzuführen. Das Bundesamt hat im Falle von unbegleiteten unmündigen Minderjährigen diese auf deren Ersuchen bei der Suche nach Familienangehörigen zu unterstützen.

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

§ 18 AsylG verpflichtet nicht nur zur Ermittlung, sondern wie der VwGH in der oben genannten Entscheidung erklärte, auch zur Feststellung des für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalts von Amts wegen (vgl. VwGH, 23.05.2017, Ra 2017/18/0028). Dies ist im gegenständlichen Fall nicht erfolgt; wie bereits dargelegt hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf beschränkt, dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, dass er in Österreich eine andere Identität angegeben hatte als in Italien, und meint in der Folge, dass es daher keiner näheren Beurteilung des behaupteten Sachverhaltes und damit der behaupteten Fluchtgründe bedürfe. Es wurde zu den Fluchtgründen schlichtweg keinerlei Sachverhalt festgestellt und erfolgte keine Beweiswürdigung. Bei den Fluchtgründen handelt es sich aber um den zentralen Inhalt eines Verfahrens auf internationalen Schutz, so dass gegenständlich attestiert werden muss, dass die belangte Behörde durch die Weigerung, sich mit den vorgebrachten Fluchtgründen auseinanderzusetzen und das Vorbringen in irgendeiner Form zu würdigen, den zentralen Sachverhalt außer Acht gelassen hat.

Daran vermag auch die formelhafte Feststellung: "Es kann nicht festgestellt werden, dass Sie in Ihrem Heimatland verfolgt werden oder wurden." nichts zu ändern. Es steht für das Bundesverwaltungsgericht in keiner Weise fest, ob das BFA davon ausging, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, wegen einer Auseinandersetzung von der Polizei verfolgt zu werden, nicht glaubhaft ist oder ob das BFA davon ausging, dass das Vorbringen nicht asylrelevant ist oder ob etwa von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen wurde.

Auch wenn das BFA daher ordnungsgemäß eine Einvernahme durchgeführt hatte, deren Gegenstand die Erörterung des Fluchtgrundes des Beschwerdeführers war, so unterließ die Behörde es jedoch gänzlich, im angefochtenen Bescheid einen diesbezüglichen Sachverhalt festzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zum Schluss, dass schwerwiegende Ermittlungsmängel im Sinne des § 18 AsylG vorliegen. Im gegenständlichen Fall liegt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes daher jedenfalls die erste Voraussetzung für eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG vor, wie sie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 entwickelt hat (da die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat, konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind). Der Sachverhalt in Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz steht im gegenständlichen Fall nicht fest, fand doch das Fluchtvorbringen keinen Niederschlag im angefochtenen Bescheid.

Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. VwGH, 20.10.2015, Ra 2015/09/0088; VwGH, 23.02.2017, Ra 2016/09/0103 und VwGH, 28.03.2017, Ro 2016/09/0009), ist eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 zulässig.

Die Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache selbst besteht aber nicht nur dann, wenn der maßgebliche Sachverhalt (schon) feststeht (§ 28 Abs 2 Z 1 VwGVG), sondern auch dann, wenn dessen Feststellung durch das VwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs 2 Z 2 VwGVG) (VwGH, 30.03.2017, Ro 2015/03/0036).

Vom Bundesverwaltungsgericht wird entsprechend auch nicht verkannt, dass die österreichische Rechtsordnung der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte eindeutig den Vorrang gibt und eine kassatorische Entscheidung nur unter den engen Rahmenbedingungen der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Rahmenbedingungen zu § 28 Abs. 3 VwGVG möglich ist. Der VwGH hat betont, dass mit dem (engen) Verständnis der Ausnahmen von der den VwG grundsätzlich zukommenden Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache selbst der der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 insofern zu Grunde gelegten normsetzerischen Zielsetzung entsprochen wurde, einen Ausbau des Rechtsschutzsystems im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung vorzunehmen (vgl insbesondere VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Hintergrund dieses Systems ist der (aus Gründen der Rechtssicherheit nachvollziehbare) Wunsch nach einer Verfahrensbeschleunigung, welcher gerade in sensiblen Verfahren wie im Bereich des Asylrechts hohe Bedeutung zukommt. So wird vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens generell nicht eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG rechtfertigt; im "Interesse der Raschheit" sei dieses vom Verwaltungsgericht einzuholen (vgl. zuletzt VwGH, 22.03.2018, Ra 2017/01/0287) .

Sind lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das VwG im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs 2 Z 2 erster Fall VwGVG 2014, zumal diesbezüglich nicht lediglich auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (VwGH, 22.06.2017, Ra 2017/20/0011). Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein VwG insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl VwGH, 26.04.2016, Ro 2015/03/0038).

Auch die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung stellt für sich genommen keinen Grund für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 dar (VwGH, 26.04.2016, Ro 2015/03/0038). Dasselbe gilt für das Erfordernis ergänzender Einvernahmen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung (VwGH, 22.06.2016, Ra 2016/03/0027, mwN).

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes liegt im vorliegenden Fall eine meritorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes aber nicht im "Interesse der Raschheit" bzw. der Verfahrensbeschleunigung. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, legte der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Verhandlung unterbleiben kann, wenn die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt hat und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilt. Dies ist gegenständlich unmöglich, da die Verwaltungsbehörde schlichtweg keine Beweiswürdigung zu den Fluchtgründen vorgenommen hat. Durch diese Vorgehensweise zwingt das BFA das Bundesverwaltungsgericht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und delegiert somit die Ermittlungstätigkeit. Die Notwendigkeit der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht würde - wie oben ausgeführt - generell noch nicht dazu führen, dass von einer Sachentscheidung abgesehen werden kann. Allerdings kann die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Fall aber nicht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung liegen, hatte das BFA doch bereits eine Einvernahme durchgeführt, es nur unterlassen, diese entsprechend zu berücksichtigen und zu würdigen. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens wäre daher im gegenständlichen Fall nicht als Ergänzung, sondern als eine Duplizierung des bereits erfolgten Ermittlungsverfahrens anzusehen, was nicht im Sinne des Gesetzes und v.a. auch nicht im Sinne der intendierten Verfahrensbeschleunigung liegen kann. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Das BFA wird sich im fortgesetzten Verfahren beweiswürdigend mit den Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und der Einvernahme durch das BFA auseinanderzusetzen haben und auf Basis dieser entsprechende Feststellungen zu den Fluchtgründen im Bescheid zu treffen haben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht anerkennt, dass die Verwendung einer Alias-Identität im Rahmen der Prüfung der Glaubhaftmachung zu berücksichtigen ist, dass aber nicht davon auszugehen ist, dass sich dadurch eine Würdigung des Vorbringens automatisch erübrigt wie auch die im Verfahren eingebrachte Stellungnahme zur Identitätsfeststellung durch das BFA nicht einfach negiert werden kann.

Der Vollständigkeit halber wird auch noch darauf hingewiesen, dass einer Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Diesbezüglich scheint der belangten Behörde ein Fehler unterlaufen zu sein, wurde doch im Spruch auf Z 4 (keine Verfolgungsgründe vorgebracht) verwiesen, in der rechtlichen Würdigung aber darauf eingegangen, dass im Fall des Beschwerdeführers Z 3 erfüllt sei, da er über seine Identität getäuscht habe.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Begründungspflicht, Beweiswürdigung, Einvernahme,
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Verfahrensführung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I403.2195738.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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