TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/22 W202 2168843-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.05.2018
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Entscheidungsdatum

22.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W202 2168843-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.: Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017, Zl. 1078559702 - 160746533/BMI-BFA_KNT_RD, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG idgF § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste Ende April 2016 rechtmäßig mit einem von 01.04.2016 bis 29.05.2016 gültigen Schengenvisum (Typ C) in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 29.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, in dem der Beschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen und vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) niederschriftlich einvernommen worden war, erließ das Bundesamt den bekämpften Bescheid, mit dem es den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abwies, einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilte, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erließ und feststellte, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter innerhalb offener Frist gegenständliche Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien, wo er sieben Jahre lang die Grundschule besucht und danach in der Landwirtschaft gearbeitet hat. Zuletzt war der Beschwerdeführer in einem Gurudwara (Sikh Tempel) tätig. Seine Tochter, seine Ehefrau und deren Eltern sowie ein Bruder und vier Schwestern leben in Indien. Seiner Tochter und seiner Gattin geht es gut. Sie übersiedelten mit dem Beschwerdeführer vor seiner Ausreise ca. 100 km zu den Eltern seiner Ehefrau, wo sie keinerlei Behelligungen ausgesetzt waren oder sind. Der Beschwerdeführer ist Sikh und stammt aus dem Punjab.

In Indien wurden öfters Seiten aus dem heiligen Buch der Sikhs gerissen, um die Sikhs zu verärgern. Im Gurudwara des Beschwerdeführers wurde das heilige Buch nicht zerrissen, da sie dagegen auftraten. Es kam zu keinerlei Übergriffen oder Kämpfen, es wurde nur an das Tor geschlagen und es wurden Bedrohungen ausgestoßen. Der Beschwerdeführer machte aber nicht auf, er rief Angehörige seiner Religionsgemeinschaft an und diese unterstützen ihn und bewachten das Tor. Da in der Folge niemand mehr vor dem Tor stehen wollte, der Beschwerdeführer lebte damals im Gurudwara, wandte er sich an die Polizei. Die Polizei tat in den umliegenden Dörfern kund, dass das Tor abwechselnd bewacht werden solle. In der Folge wurde der Beschwerdeführer von einer Person, die zu dieser Zeit auch in Indien war und ab und zu Wache hielt, über Bitte des Beschwerdeführers eingeladen, für einen Monat mit ihm nach Österreich zu gehen. Der Beschwerdeführer verließ Mitte April den Gurudwara, der bis dorthin immer bewacht worden war. Er ging mit seiner Familie zu den Schwiegereltern, die hundert Kilometer entfernt wohnen, wo er keinerlei Bedrohungen ausgesetzt war. Ende April verließ er Indien und reiste legal in das Bundesgebiet ein. Nachdem er einen Anruf erhalten hatte, wonach sich die Lage in Indien noch immer nicht beruhigt habe, blieb der Beschwerdeführer im Bundesgebiet und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hat von den ihn betreffenden Bedrohungen seitens des indischen Staates bereits Schutz gefunden und es ist zu erwarten, dass er im Falle einer Rückkehr wiederum Schutz seitens der Behörden vor den Bedrohungen von Unbekannten finden würde. Zudem fand der Beschwerdeführer schon während seines Aufenthaltes Schutz vor den behaupteten Bedrohungen bei seinen Schwiegereltern, es wäre ihm bei einer Rückkehr zumutbar, wieder zu seinen Schwiegereltern zurückzukehren, wo er keinerlei Bedrohungen ausgesetzt war und besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass er dies in Hinkunft wäre.

Eine entscheidungserhebliche Integration des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet ist nicht ersichtlich, relevante Deutschkenntnisse bestehen nicht. Der Beschwerdeführer ist zwar nicht in die Grundversorgung einbezogen, er ist jedoch nicht legal erwerbstätig und auf die finanzielle Unterstützung Dritter angewiesen. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten. Er ist gesund und im erwerbsfähigen Alter.

Zur Lage in Indien:

Sicherheitslage:

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011

Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

Punjab:

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Millionen. im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.8.2016).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.4.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 2.7.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in 1980er und 1990er Jahren (USDOS 2.7.2016).

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Duzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.8.2016).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.4.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.4.2016).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extra-legale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

Rechtsschutz/Justizwesen:

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.8.2016; vgl. auch:

USDOS 13.4.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2016). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht ist in jedem Unionsstaat. Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen. Er führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2016).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.4.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von sogenannten "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Insbesondere in unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2016). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 16.8.2016).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 16.8.2016).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt (AA 16.8.2016).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Hierbei kann die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit sowie die politische Überzeugung des Opfers eine Rolle spielen. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben beispielsweise 80% aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein (AA 16.8.2016).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 13.4.2016). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht, sich dem Ankläger zu stellen und ihre eigenen Zeugen und Beweismittel zu präsentieren, jedoch konnten Angeklagte dieses Recht manchmal aufgrund des Mangels an ordentlicher Rechtsvertretung nicht ausüben. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 13.4.2016).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.

Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2016).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2016).

Sicherheitsbehörden:

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.8.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 6.2016).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt. (USDOS 13.4.2016). Versprochene Polizeireformen verzögerten sich 2015 erneut (HRW 27.1.2016).

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 13.4.2016).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2016). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 16.8.2016; vgl. auch: BICC 6.2016), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2016).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram und Nagaland (AA 16.8.2016 vgl. USDOS 25.6.2015).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 16.8.2016). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rahtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze -, die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz), als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten-, die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force, zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2016). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.8.2016).

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sogenannte Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen (AA 24.4.2015; vgl. auch USDOS 25.6.2015).

Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.4.2015).

Religionsfreiheit:

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.8.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016), ordnet eine säkularen Staat an, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteilich zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht setzen die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.8.2016). Der Schutz umfasst sowohl die innere Glaubensfreiheit als auch die Ausübung und im Prinzip auch die Verbreitung der Religion (AA 16.8.2016). Religionsfreiheit wird im Allgemeinen auch in der Praxis respektiert (FH 27.1.2016) und kaum eingeschränkt (AA 16.8.2016). Premierminister Modi hat sich im Februar 2015 zur Religionsfreiheit und der Gleichwertigkeit aller Religionen bekannt (AA 25.4.2015). Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgruppen werden von der Regierung nicht geduldet (AA 25.4.2015). Das friedliche Nebeneinanderleben im multi-ethnischen, multi-religiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 12.2016). Die existierenden Spannungen, haben in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen geführt (zuletzt 2013 in Muzzafarnagar/Uttar Pradesh mit mehr als 40 Toten) (AA 16.8.2016). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonvertierungen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Änderung seiner religiösen Überzeugung zum Ziel haben sowie zu Diskriminierung und Vandalisumus. Es kommt auch zu Bedrohungen und Übergriffen von Hindu-Nationalisten auf Muslime und Christen sowie zur Zerstörung ihres Eigentums aufgrund ihres Glaubens und im Zuge von Streitereien über die örtliche Lage von Kirchen und Moscheen (USDOS 10.8.2016).

Die größten religiösen Gruppen, nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung bei der Volkszählung aus dem Jahr 2001, sind Hindus (79,8%), Muslime (14,2%), Christen (2,3%) und Sikhs (1,7%) (CIA Factbook 12.12.2016). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.8.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016), deren Vertreter in einer staatlichen Nationalen Minderheitenkommission sitzen. Hinzu kommen eine schier unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher indigener Volksgruppen mit eigenen animistischen Riten ("Adivasis" genannt), und die zahlenmäßig kleinen jüdischen und Bahai-Gemeinschaften (AA 16.8.2016). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.8.2016).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit Hindumehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder "Verlockung" erfolgt - was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen. Manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 27.1.2016). In sechs der 29 Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Gujarat, Himachal Pradesh, Chhattisgarh, Odisha, und Madhya Pradesh) bestehen Anti-Konvertierungsgesetze. Es gibt in diesem Zusammenhang Berichte über Verhaftungen, jedoch nicht über Verurteilungen nach diesem Gesetz In Arunachal Pradesh ist dieses Anti-Konvertierungsgesetz aufgrund fehlender Freigabe der Gesetzgebung nicht implementiert. Ausländische Missionare jeglicher Religionszugehörigkeit benötigen "Missionsvisa" ("missionary visa") (USDOS 10.8.2016).

Bundesorgane, einschließlich des Ministeriums für Minderheitenangelegenheiten (Ministry for Minority Affairs), die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) und die Nationale Kommission für Minderheiten (National Commission for Minorities - NCM) können Behauptungen über religiöse Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.8.2016). Religiöse Minderheiten, vor allem Muslime und Christen, werfen den Behörden vor, nicht genug zum Schutz ihrer Rechte zu tun (HRW 27.1.2016).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Die Regierung gewährt bei der Ausarbeitung dieser Gesetze erhebliche Autonomie für die Personenstandsgremien. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamisches Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.8.2016). Im Familienrecht genießen Muslime wie auch Christen besondere Freiheiten, die ihnen die Beachtung ihrer Traditionen ermöglichen (AA 16.8.2016).

Der Wahlsieg der hindu-nationalen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; die Debatte zu religiös motivierter Gewalt wird lebhaft und kontrovers geführt (AA 16.8.2016). Im Vorfeld der Wahlen kam es 2013 zu Vorfällen von Gewalt gegen religiöse Minderheiten. Regierungsquellen zufolge wurden dabei in 823 Vorfällen 133 Personen getötet und 2.269 verletzt (HRW 29.1.2015). Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Religionsgruppen im Jahr 2015 haben nach offiziellen Angaben zugenommen: Im Vergleich zum Vorjahr gab es rund 17% mehr Zwischenfälle (von 644 auf 751), mit insgesamt 97 Toten (95 in 2014). 2.264 Personen wurden bei derartigen Zwischenfällen verletzt (1.921 im Vorjahreszeitraum). Die Mehrzahl der Übergriffe dürfte hindu-fundamentalistisch motiviert sein; eine offizielle Aufschlüsselung gibt es nicht. Gewalttätige Übergriffe durch selbsternannte Retter der "gau mata" (Heilige Mutter Kuh im Hinduismus) haben an Intensität und Zahl zugenommen (AA 16.8.2016).

Sikhs:

USDOS schreibt im Bericht zu Religionsfreiheit vom 14.10.2015, dass laut Volkszählung 2001 1,9% der 1,2 Milliarden Inder Angehörige der Sikhs sind und die Mehrheit im Punjab bilden. Sikhs, die eine Ehe mit einem Partner eingehen, der nicht ihrer Religion angehört, können möglicherweise erbrechtliche Eigentumsrechte verlieren. Registrierte Ehen von Sikhs werden gesetzlich anerkannt. Spezielle Scheidungsbestimmungen für Sikhs existieren nicht und andere Angelegenheiten, die Sikhs betreffen, fallen unter gesetzliche Bestimmungen für Hindus.

Im Mai kam es in Kishanbagh zu Zusammenstößen zwischen Moslems und Sikhs. Sicherheitskräfte eröffneten das Feuer auf die randalierenden Massen und es kamen drei Personen zu Tode. Die Zusammenstöße begannen, als angeblich eine religiöse Flagge der Sikhs auf einer Anhöhe verbrannt wurde. Im Zuge der daraus resultierenden Gewalt wurden etwa 10 Häuser und Geschäfte niedergebrannt und mehrere Fahrzeuge beschädigt.

Human Rights Watch berichtet am 24.1.2014, dass das Verfahren gegen Offiziere, die beschuldigt wurden im März 2000 fünf Zivilisten getötet zu haben und fälschlicherweise behauptet hatten, es hätte sich dabei um Terroristen gehandelt, die 36 Sikhs getötet haben, aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde.

Aus den Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2.2.2014 geht folgendes hervor:

"[...] Gericht stoppt Hinrichtung von abgeschobenem Inder

Indiens oberstes Gericht hat die Hinrichtung des Sikh-Extremisten Devinder Pal Singh Bhullar vorläufig gestoppt. Ein neues ärztliches Gutachten soll prüfen, ob der heute 48-Jährige an einer psychischen Erkrankung leidet. Die Richter verwiesen auf eine Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts aus der vergangenen Woche. Demnach können Todesstrafen bei "unzumutbaren, unangemessenen und langwierigen Ver-zögerungen" in lebenslange Haftstrafen umgewandelt werden. Derzeit sitzen fast 500 Menschen in Todeszellen. Nachdem jahrelang keine Todesurteile mehr vollstreckt worden waren, kommt es seit November 2012 in sehr seltenen Fällen wieder zu Exekutionen.

Bhullar war im Dezember 1994 am Frankfurter Flughafen mit einem falschen Pass festgenommen und 1995 abgeschoben worden. Er wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr inhaftiert. Ein Gericht verurteilte ihn wegen seiner Beteiligung an einem Attentat in Neu-Delhi, bei dem 1993 neun Menschen getötet wurden, zum Tode. Das Frankfurter Verwaltungsgericht verurteilte die Abschiebung zwei Jahre später als Rechtsverstoß. Zwar sei die Nichtanerkennung des Asylgrundes korrekt, aber Deutschland hätte Bhullar nicht nach Indien abschieben dürfen. [...]

BBC berichtet am 6.2.2014 dass die größte Partei der Sikhs, die Akali Dal vor dem Parlament gegen die Regierung protestierte.

Am 2.6.2014 führt UN General Assembly in einer Stellungnahme zur Lage der Sikhs an, dass, Sikh-Führer sowie Organisationen und Publikationen, die öffentlich jegliche Formen der Autonomie fordern, überwacht werden und bedroht sind, als Terrorist eingestuft zu werden. Sikhs wären auch weiterhin Verhaftungen und Folter ausgesetzt, Meinungs- und Versammlungsfreiheit wäre ihnen verwehrt.

Am 6.6.2014 berichtet BBC News, dass mehrere Menschen verletzt wurden, nachdem sich hunderte von Sikhs beim Goldenen Tempel versammelt haben, um der Toten der Auseinandersetzungen im Jahr 1984 zu gedenken. Bei der Zeremonie brach jedoch bald Chaos aus und rivalisierende Gruppen mit blauen und orangen Turbanen begannen einander zu bekämpfen. Laut Angaben der Polizei wäre die Lage wieder unter Kontrolle gebracht worden.

BBC News berichtet am 28.7.2014, dass im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Sikhs drei Personen getötet und 20 weitere verletzt wurden. Laut Angaben der Polizei wären 38 Personen festgenommen worden. Grund der Auseinandersetzungen war ein Grundstücksstreit. Kommunale Kämpfe zwischen Sikhs und Moslems wären in Indien jedoch selten.

Aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom 15.1.2015 geht zur Situation der Sikhs sowie auch der Behandlung von Sikhs durch die Polizei folgendes hervor:

In einem Artikel vom August 2014 berichtet die indische Tageszeitung New Indian Express, dass Vertreter des Central Committee of Gurudwara Saheban (bei einem Gurudwara Saheb handelt es sich um eine Gebetsstätte der Sikhs, Anm. ACCORD) in Telangana die Regierung des Bundesstaates aufgefordert hätten, der Sikh-Gemeinde in der Stadt Hyderabad angemessenen Schutz zu bieten. Die Vertreter hätten der Polizei von Hyderabad und Cyberabad (Stadtteil Hyderabads, in dem die Hightech-Industrie angesiedelt ist, Anm. ACCORD) zudem vorgeworfen, unter dem Einfluss der muslimischen politischen Partei Majlis-e-Ittehadul-Muslimeen (MIM) Sikhs absichtlich zu schikanieren. Laut dem Generalsekretär des Central Committee bestehe die Schikanierung darin, unnötige Klagen gegen jugendliche Sikhs zu erheben und dadurch deren Leben zu zerstören.

Dem Generalsekretär zufolge seien in den vergangenen Tagen von Personen, die provokante Äußerungen getätigt, die religiösen Gefühle der Sikhs verletzt und Sikhs beschimpft hätten, Spannungen zwischen den Gemeinschaften heraufbeschworen worden. Die Polizei sei jedoch nicht gegen die Verursacher eingeschritten, sondern habe stattdessen, unter dem Einfluss einiger politischer Führer, Klagen gegen jugendliche Sikhs erhoben. Wie der Generalsekretär weiters anführt, seien vor zwei Tagen jugendliche Sikhs auf dem Heimweg von einer Menschenmenge angegriffen worden. Dieser Vorfall habe vor den Augen ("under the nose") des Parlamentsabgeordneten Syed Pasha Quadri (der dem MIM angehört, Anm. ACCORD) stattgefunden, dessen Mitarbeiter den Vorfall mit Gleichgültigkeit beobachtet hätten:

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in einer Pressemitteilung vom September 2012, dass es Vorwürfe gebe, wonach die Polizei in Punjab Kulvir Singh Barapind, einen Sikh, der verdächtigt werde, ein Separatist zu sein, gefoltert habe. Barapind sei am 20. September 2012 wegen Kriegführens gegen den Staat, Besitzes von Sprengstoff und Aufwiegelung festgenommen worden. Laut seinem Anwalt habe sich Barapind darüber beschwert, dass ihm die Polizei Stromstöße versetzt, ihn geschlagen und gedemütigt habe:

Die argentinische Menschenrechts-NGO Permanent Assembly for Human Rights führt in einem im Juni 2014 vom UNO-Menschenrechtsrat (UN Human Rights Council, HRC) veröffentlichten Bericht an, dass Sikhs aufgrund anhaltender Unterdrückung weiterhin in anderen Ländern um politisches Asyl ansuchen würden. Sie seien Festnahmen und Folter ausgesetzt. Außerdem werde ihnen das Recht der Versammlungs- und Meinungsfreiheit verwehrt. Mehrere Sikh-Anführer seien verschwunden, nachdem sie in Gewahrsam genommen worden seien. Personen, die an den Ereignissen von 1984 (im Jahr 1984 wurden bei gegen Sikhs gerichteten Unruhen mehrere tausend Sikhs getötet, Anm. ACCORD) beteiligt gewesen seien, seien in Schlüsselpositionen in von Sikhs bewohnten Gebieten aufgestiegen. So sei Sumedh Saini im Jahr 2012 zum Generaldirektor der Polizei in Punjab befördert worden. Wie der Bericht weiters anführt, würden Sikh-Anführer, -Organisationen und -Publikationen überwacht, außerdem werde Sikhs damit gedroht, als "Terroristen" eingestuft zu werden, sollten sie öffentlich für irgendeine Form der Autonomie eintreten:

In einem im Jahr 2015 veröffentlichten Buch geht Tanweer Fazal, Associate Professor am Centre for the Study of Social Systems der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi, auf Identitätsfragen bei Muslimen und Sikhs in Indien ein und stützt sich dabei unter anderem auf die Ergebnisse ethnographischer Feldforschung und dabei geführter Interviews. Wie Fazal anführt, seien Stigmatisierungen und Verdächtigungen hinsichtlich fehlender Loyalität für die meisten Sikhs Teil einer Übergangsperiode, der Periode der Khalistan-Bewegung, gewesen (die Khalistan-Bewegung ist eine politische Bewegung unter den Sikhs, die sich um die Schaffung eines unabhängigen Staates, genannt Khalistan, bemüht und ihre Hochphase in Indien in den 1980er erreicht hat, Anm. ACCORD).

Fazal führt das Beispiel von Virender Singh an, der die Unruhen im Jahr 1984 überlebt habe und sich daran erinnert habe, dass Sikhs zu dieser Zeit als "Khalistanis" oder "Ugrawadis" (Extremisten) bezeichnet worden seien. Zwei Jahrzehnte später spüre er nichts mehr von den Demütigungen. Mittlerweile, so Virender Singh, gebe es so viele Sikhs, die der Polizei und der Armee beitreten würden.

Wie das Buch weiters anführt, sei die Mehrheit der interviewten Sikhs weder persönlich mit Diskriminierungen konfrontiert worden, noch sei sie der Meinung, dass die Sikh-Gemeinde als solche mit Diskriminierungen konfrontiert sei. Viele würden glauben, dass Diskriminierungen ein vorübergehendes Phänomen gewesen seien, das wenig Einfluss bei der Herausbildung einer eigenständigen Sikh-Identität gespielt habe. Der sozioökonomische Hintergrund des Interviewten habe dabei nur selten Auswirkungen auf die herausgebildeten Meinungen gehabt. So seien sich J.P. Singh, ein Software-Entwickler ("software professional") aus der Mittelschicht, die Facharbeiter Mukhtiar Singh und Surender Singh, Chatwal, ein Luftwaffenoffizier im Ruhestand und Bewohner eines gehobenen Viertels in Süd-Delhi, sowie Chauffeur ("auto driver") Dimpy alle einig gewesen, dass Diskriminierungen ein vorübergehendes Phänomen und Produkt von Krisenzeiten gewesen seien. Auch Ravinder Singh, Inhaber von "Singh Properties" in Mukherjee Nagar in Delhi habe dieser Einschätzung zugestimmt. Er glaube nicht, dass Sikhs irgendwo diskriminiert würden. Dies gelte selbst bei Stellen im Staatsdienst.

Mittellosen Sikhs wie Raj Kumar sei Diskriminierung als eine fremde Kategorie erschienen. Kumar glaube nicht, dass er jemals wegen seiner Religion diskriminiert worden sei. Er habe sich nie um eine Stelle im Staatsdienst bemüht und auch nie um einen Kredit angesucht, da er wisse, dass er nicht in der Lage sei, diesen zurückzuzahlen.

In einer etwas älteren Anfragebeantwortung vom Mai 2013 geht das kanadische Immigration and Refugee Board (IRB) unter Berufung auf verschiedene Quellen auf die Lage von Sikhs außerhalb des Bundesstaates Punjab ein. So habe der interimistische geschäftsführende Direktor der in Hongkong ansässigen NGO Asian Human Rights Commission (AHRC) angegeben, dass es in Indien "keine Diskriminierung" von Sikhs gebe. Andere Quellen (ein Vertreter der in Neu-Delhi ansässigen NGO Human Rights Law Network (HRLN) sowie ein Geschichtsprofessor an der Universität Toronto) hätten von wenig Diskriminierung gesprochen.

Das IRB zitiert weiters einen bei der World Sikh Organization (WSO) in Kanada tätigen Rechtsberater, der angegeben habe, dass Sikhs im Allgemeinen nicht häufig zum Ziel spezifischen Missbrauchs ("specialized abuse") würden. Jedoch könnten Sikhs mit bestimmten politischen Ansichten oder Sikhs, die für diese Ansichten eintreten würden, zum Ziel von Schikanierungen, Inhaftierungen und Folter werden. Dies sei allerdings in Punjab weiter verbreitet als anderswo.

In einer älteren Anfragebeantwortung vom Mai 2012 geht das IRB auf die Frage ein, wie Sikhs im Punjab behandelt werden. Laut einem emeritierten Professor der Politikwissenschaft an der Universität Missouri, der umfassend zu den Themen Indien und Sikhs geschrieben habe, seien Sikhs im Punjab im Allgemeinen keiner größeren Diskriminierung als andere Gruppen ausgesetzt. Ein Vertreter der World Sikh Organization (WSO) in Kanada habe jedoch angegeben, dass es nicht möglich sei, von Sikhs im Punjab als einheitlicher und homogener Gruppe zu sprechen. Wie in jeder anderen Gemeinschaft auch gebe es innerhalb der Sikh-Gemeinde verschiedene politische und religiöse Spaltungen und Unterschiede. Sikhs, die sich für einen eigenen Sikh-Staat oder Khalistan einsetzen oder einen solchen unterstützen würden, seien in Indien weiterhin mit schweren Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Andere Sikhs, die mit Problemen konfrontiert seien, seien unter anderem solche, die die Zuständigkeit der Regierung des Bundesstaates in religiösen Angelegenheiten in Frage stellen würden, sowie AktivitsInnen gegen Deras (Kulte). Sikhs, die verdächtigt würden, militante Unterstützer oder Sympathisanten von Khalistan zu sein, würden ebenfalls überwacht und in manchen Fällen inhaftiert und gefoltert.

Dem WSO-Vertreter zufolge würden die Deras im Punjab über erheblichen politischen Einfluss verfügen und die Regierung des Bundesstaates habe in der Vergangenheit Schritte unternommen, um sie zu besänftigen. Sikh-AktivistInnen hätten der Polizei im Punjab vorgeworfen, sich bei Protesten auf die Seite der Dera-AnhängerInnen zu stellen und Sikh-AktivistInnen angegriffen zu haben und ihnen mit Gewalt begegnet zu sein. Viele Sikhs, die öffentlich gegen die Deras aufgetreten seien oder Proteste gegen diese organisiert hätten, seien in Gewahrsam genommen worden und würden berichten, von der Polizei im Punjab regelmäßig schikaniert zu werden.

Dem WSO-Vertreter zufolge seien Sikhs, die sich für einen eigenen Sikh-Staat einsetzen oder die Regierung hinsichtlich ihres Umgangs mit Sikhs oder Sikh-Angelegenheiten kritisieren würden, oftmals mit zunehmender Kontrolle und Schikanierung konfrontiert. Die Polizei im Punjab verkünde häufig Festnahmen von mutmaßlichen Mitgliedern separatistischer Sikh-Gruppen, denen die Planung terroristischer Angriffe vorgeworfen werde. Viele dieser Fälle würden sich jahrelang vor Gericht hinziehen, bevor eine Entscheidung getroffen werde. Seit 2005 seien hunderte Personen als Sympathisanten oder mutmaßliche Mitglieder von Babbar Khalsa (militante Sikh-Organisation, Anm. ACCORD) oder anderen separatistischen Gruppen festgenommen und inhaftiert worden. Festnahmen mutmaßlicher "Sikh-Terroristen" würden regelmäßig stattfinden, nicht nur im Punjab, sondern in ganz Indien.

Wie das IRB weiters anführt, habe der WSO-Vertreter erklärt, Folter sei weiterhin ein Mittel, das von der Polizei im Punjab und anderen indischen Sicherheitskräften häufig angewendet werde. Sikhs, denen vorgeworfen werde, Sympathisanten von oder Kämpfer für Khalistan zu sein, könnten Opfer von illegaler Inhaftierung und Folter werden. Festgenommene Sikhs würden routinemäßig gefoltert, außerdem komme es weiterhin zu ungeklärten Todesfällen von Sikh-Gefangenen in Polizeigewahrsam. Laut indischen Medien, so das IRB, sei ein Mitglied der Khalistan Commando Force im März 2011 in Gewahrsam gestorben. Während es sich Polizeiangaben zufolge um einen Selbstmord gehandelt habe, habe die Familie des Verstorbenen angegeben, er sei gefoltert worden. In einem anderen Fall habe ein junger Sikh erklärt, von Polizisten in der Stadt Sangrur "erbarmungslos" geschlagen worden zu sein, nachdem er im April 2012 wegen Raubes "illegal" inhaftiert worden zu sein. Die Polizei habe ihn erst formal festgenommen, nachdem sich seine Familie an das Oberste Gericht gewendet habe, um seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen.

Aus dem Jahresbericht von Amnesty International vom 25.2.2015 geht folgendes hervor:

"[...] Zahlreiche Menschen, die Ende 2013 vor gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen in Muzzafarnagar im Bundesstaat Uttar Pradesh in Notlager geflohen waren, wurden Anfang 2014 rechtswidrig aus diesen Lagern vertrieben. Die Gewaltausbrüche wurden nicht in vollem Umfang untersucht. Ende 2014 hatten Tausende Menschen, die meisten von ihnen Muslime, immer noch nicht in ihre Heimatorte zurückkehren können.

Im November 2014 jährte sich zum 30. Mal der Gewaltausbruch in Delhi im Jahr 1984, der zu einem Massaker an Tausenden von Sikhs geführt hatte. Trotz großer öffentlicher Demonstrationen, die ein Ende der Straflosigkeit forderten, wurden Hunderte Strafverfahren, die die Polizei unter Verweis auf mangelnde Beweise eingestellt hatte, nicht wiederaufgenommen.

Die Ermittlungen und Gerichtsverfahren zu den Gewalttaten im Jahr 2002 im Bundesstaat Gujarat, bei denen mindestens 2000 Menschen, in der Mehrheit Muslime, getötet worden waren, kamen nur schleppend voran. Im November 2014 legte die Nanavati-Mehta-Kommission, die 2002 eingesetzt worden war, um die gewaltsamen Angriffe zu untersuchen, der Regierung des Bundesstaats Gujarat ihren Abschlussbericht vor, der jedoch nicht veröffentlicht wurde. Im August 2014 wurden bei ethnisch motivierten Zusammenstößen an der umstrittenen Grenze zwischen den Bundesstaaten Nagaland und Assam zehn Personen getötet und mehr als 10000 vertrieben. Aus verschiedenen Bundesstaaten, darunter Uttar Pradesh, Bihar, Karnataka und Tamil Nadu, gingen Berichte über gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Kasten ein.[...]"

Aus einem Bericht von Reliefweb vom 4.6.2015 geht hervor, dass in der Stadt Jammu, ein Demonstrant getötet wurde, als die Polizei in eine wütende Menge schoss, die gegen die Entfernung eines Plakates eines separatistischen Sikh Führers protestierte.

Die Commission on International Religious Freedom - USCIRF - schreibt im Annual Report 2015, dass es Berichten von NGOs und religiösen Führern, darunter auch der Sikh Gemeinschaft zufolge, seit der Wahl 2014 religiösen Minderheiten gegenüber zu abfälligen Bemerkungen von Politikern sowie zu zahlreichen gewalttätigen Übergriffen und erzwungenen Konvertierungen durch hinduistische nationale Gruppen gekommen wäre. Sikhs wären oft Schikanen und Druck ausgesetzt, ihre religiösen Praktiken und Überzeugungen zu unterbinden - was die Kleidung, nicht geschnittenes Haar und das Tragen religiöser Elemente einschließlich des Kipan betrifft. Kommunale Gewalt in Bundesstaaten mit großen Minderheiten, sind in Indien ein langjähriges Problem. Dem Innenministerium zufolge gab es im Jahr 2013 bundesweit 823 Vorfälle kommunaler Gewalt, wobei 133 Personen starben und tausende verletzt wurden.

Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.4.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 16.8.2016).

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 13.4.2016).

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes, an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Verzögerungen bei der Ausstellung eines Passes konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -, darunter auch Kinder von Militäroffizieren Berichten zufolge zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 16.8.2016).

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan (AA 3.3.2014).

Indien ist das siebtgrößte Land der Erde mit über einer Milliarde Einwohnern (ÖB 12.2016). Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern (AA 3.3.2014).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 16.8.2016). Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab (AA 3.3.2014).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2016).

Meldewesen:

Es gibt kein Meldewesen in Indien (AA 16.8.2016).

Grundversorgung/Wirtschaft:

Indiens Wirtschaft hat sich zuletzt erholt und an Dynamik gewonnen. Indien zählt nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt. Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2015/2016 bei 7,6% (AA 9.2016).

Das Land hat eine aufstrebende urbane Mittelschicht. Die große Zahl an Facharbeitskräften macht es zu einem beliebten Ziel für internationale Firmen, die versuchen ihre Arbeit auszulagern. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung ist weiterhin arm, da deren Leben auch weiterhin durch das altertümliche Hindukastensystem beeinflusst wird, welches jeder Person einen Platz in der sozialen Hierarchie zuweist (BBC 27.9.2016)

Das hohe Wachstum der Jahre bis 2011 hat die regionalen Entwicklungsunterschiede auf dem Subkontinent und das zunehmende Einkommensgefälle zwischen der expandierenden städtischen Mittelschicht und der überwiegend armen Bevölkerung auf dem Lande, wo noch knapp 70% aller Inder leben, schärfer hervortreten lassen. Ende September 2014 verkündete Premierminister Modi die "Make in India" Kampagne und rief ausländische Investoren dazu auf, in Indien bei verbesserten Investitionsbedingungen zu produzieren. Zur Ankurbelung der weiteren Industrialisierung werden groß angelegte Infrastrukturprojekte verfolgt. Auch im Bereich Schiene, den Häfen und im Luftverkehr sind erhebliche Investitionen nötig und geplant. Wachstum und Wohlstand verdankt Indien vor allem dem Dienstleistungssektor mit einem Anteil von über 53% am BIP. Hiervon profitiert aber bei einem Beschäftigungsanteil von etwa 30% nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Zur Überwindung der Massenarmut sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, vor allem auch für nicht oder gering qualifizierte Kräfte (AA 9.2016).

Indien hat eine Erwerbsbevölkerung von 404,5 Millionen, von welchen 43 Millionen im formellen Sektor und 361 Millionen im informellen Sektor arbeiten, wo sie weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert sind, noch Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung haben (AA 9.2016). Der Hauptteil der Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, sind im privaten Sektor tätig (BAMF 12.2015). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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