TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/23 W111 2191862-1

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Veröffentlicht am 23.05.2018
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Entscheidungsdatum

23.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

Spruch

W111 2191862-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2018, Zl. 1136903508-170996669, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 FPG 2005 idgF und § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsbürger der Ukraine, gelangte im August 2017 in das Bundesgebiet und stellte am 28.08.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, zu welchem er am gleichen Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er stamme aus XXXX , gehöre der ukrainischen Volksgruppe sowie dem katholischen Glauben an und sei ausgebildeter Sportlehrer, zuletzt habe er als Fußballtrainer gearbeitet. In der Ukraine würden nach wie vor seine Mutter sowie ein Bruder leben. Er sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Österreich gewesen und habe schon im Februar 2017, als er aufgrund einer Erkrankung seiner Mutter in die Heimat zurückgereist wäre, gewusst, dass er nach Österreich zurückkehren würde.

Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, er habe die Ukraine aufgrund der Vorfälle in seiner Heimat verlassen müssen; der bewaffnete Konflikt im Osten bestünde nach wie vor, außerdem habe er im Allgemeinen schlechte Erinnerungen an die Ukraine. Weitere Gründe für seine Reise nach Österreich gebe es nicht. Er hätte auch religiöse Gründe, da das Leben für Katholiken in der Ukraine schwierig wäre. Weitere Gründe habe er nicht. Auf Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen erklärte der Beschwerdeführer zunächst, grundsätzlich nicht vorzuhaben, in die Ukraine zurückzufahren; auf Wiederholung der Frage gab er an, man könne in der Ukraine einfach nicht leben. Sichergestellt wurde der ukrainische Reisepass des Beschwerdeführers im Original (Kopie vgl. AS 21 ff).

Mit Eingabe vom 16.01.2018 wurde bekanntgegeben, dass der Beschwerdeführer einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgegeben hätte und eine freiwillige Ausreise nach Italien beabsichtigen würde. Der Antrag auf unterstützte freiwillige Ausreise wurde mit Eingabe vom 23.01.2018 widerrufen.

Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 01.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich zu den Gründen seiner Antragstellung einvernommen. Dabei brachte er auf entsprechende Befragung hin zusammenfassend vor (im Detail vgl. die Seiten 99 bis 108 des Verwaltungsaktes), sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen, er sei gesund, benötige keine Medikamente und könnte am Arbeitsleben teilnehmen. Er habe im Verfahren bislang wahrheitsgemäße Angaben erstattet, welche korrekt protokolliert und rückübersetzt worden wären. Der Beschwerdeführer habe einen ukrainischen Auslandsreisepass, einen Inlandspass sowie eine italienische ID-Karte bei sich geführt, welche ihm von der Polizei abgenommen worden wären.

Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Ukrainer an und sei altrömisch-katholischer Christ. Nach etwaigen Problemen in Zusammenhang mit seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in der Ukraine gefragt, erklärte der Beschwerdeführer, man "habe es dort schon sehr schwer." Derzeit herrsche Krieg und religiöse Probleme würden auch eine Rolle spielen. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an: "(...) wie soll ich das erklären, es fällt mir schwer diese religiöse Frage zu beantworten. Es ist einfach schwer, dort zu leben, weil die Kirche in Verbindung mit dem Krieg Maßnahmen trifft und es für mich unmöglich ist, dort zu leben. Es ist schwer dort zu leben. Wenn man etwas macht, kommen gleich mehrere Leute, die sagen, dass man nichts tun solle. Wir machen alles selbst. Mehr kann ich nicht dazu sagen." Nochmals um konkrete Beantwortung der Frage ersucht, meinte der Beschwerdeführer: "Naja, es hat mich niemand auf der Straße angegriffen, aber in Folge der militärischen Aktionen ist es etwas schwierig dort zu leben."

Die Frage, ob er nun zum ersten Mal im Ausland aufhältig wäre, verneinte der Beschwerdeführer; er sei bereits für zweieinhalb Jahre in Italien gewesen, wo er ebenfalls einen Asylantrag gestellt hätte. Er habe dort gearbeitet und einen negativen Bescheid erhalten; Beschwerde habe er gegen diesen nicht eingelegt, da es ihm dort zu lange gedauert hätte. Erstmals sei er vor zehn Jahren in Italien gewesen, und habe sich dann jährlich dort aufgehalten und Saisonarbeiten verrichtet. Seinen Antrag auf internationalen Schutz in Italien habe er mit der politischen Situation in der Ukraine nach der Revolution begründet.

In der Ukraine hielten sich noch seine Mutter und ein Bruder in XXXX auf, mit seiner Mutter telefoniere er wöchentlich. Diese berichte, dass es in der Heimat schwer für sie sei und alles sehr schlecht wäre.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder. In Österreich habe er keine Familienangehörigen, es lebe jedoch ein Schulkollege von ihm hier. Seine Unterkunft in Österreich befinde sich weit weg von der Stadt und er habe mit niemandem Kontakt. Er lebe von der Grundversorgung und besuche einen Deutschkurs.

Er habe noch nie strafbare Handlungen begangen und sich nie in Gefangenschaft respektive in Haft befunden. Er habe eine Hochschulausbildung in Pädagogik und Sport absolviert, darüber hinaus habe er Betriebswirtschaft studiert. Zuletzt sei er als Fußballtrainer für Kinder tätig gewesen, sein dadurch erzieltes Einkommen hätte sich lediglich auf EUR 40,- monatlich belaufen. Er habe finanzielle Unterstützung durch seine Mutter und seinen Bruder erhalten, seine Familie habe sich deswegen verschulden müssen und seine Mutter sei dann an Krebs erkrankt. Sein letzter Arbeitstag sei im Mai 2017 gewesen. Sein Bruder arbeite als Chefkoch, seine Mutter sei in einem Ministerium tätig. Seine Familie beziehe auch Einkünfte aus der Vermietung eines Landhauses.

Auf die Frage, ob er jemals politisch tätig gewesen wäre, gab der Beschwerdeführer an, Sekretär einer der Sprengel des Gebiets XXXX gewesen zu sein, in diesem Zusammenhang sei er jedoch von keinen besonderen Problemen betroffen gewesen. Mit den Behörden seines Heimatlandes habe er nie Probleme gehabt.

Um detaillierte Schilderung seiner Ausreisegründe ersucht, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, er habe in seinem Heimatland kein ordentliches Gehalt erhalten können und gesehen, dass sich seine Familie immer mehr verschulde. Aus diesem Grund habe er den Entschluss zur Ausreise gefasst. Er sei immer gefragt worden, was er in Italien mache und habe gehört, dass er ein Schmarotzer wäre und sich vom Staat aushalten ließe, da er dort nur auf sein Verfahren gewartet hätte. Die Frage, ob er jemals persönlich belangt, bedroht oder verfolgt worden wäre, verneinte der Beschwerdeführer. Es habe nur ähnliche Situationen nach der Revolution gegeben, da sich keiner dort auskenne und man dem Beschwerdeführer eine Verletzung mit dem Messer zugefügt hätte, damit "er sie nicht vergesse und er hätte sie auch nicht vergessen." Nachgefragt, seien dies "irgendwelche radikalen Leute" nach der Revolution im Jahr 2013 oder 2014 gewesen.

Auf Vorhalt, dass die Ukraine nunmehr zu den sicheren Herkunftsstaaten zählen würde, gab der Beschwerdeführer an: "Sicher? Was heißt jetzt sicher? In XXXX ist es sicher und in anderen großen Städten. Die Ostukraine ist nicht sicher wenn man das glaubt was im Fernsehen gesagt wird."

Nachgefragt, habe er in Österreich nach seiner ersten Asylantragstellung Rückkehrhilfe in Anspruch genommen. Er habe sich dann bis August 2017 wieder in XXXX aufgehalten, damals sei die Wohnung verkauft worden. Er sei dann neuerlich eingereist, da es ihm damals in Österreich gut gefallen hätte.

Auf die Frage, ob er nun alle Gründe für die Asylantragstellung genannt hätte, gab der Beschwerdeführer an, keine weiteren Gründe zu haben. Er fühle sich hier einfach wohl und auch Italien wäre nicht so besonders. Dies seien alle Gründe, mehr könne er dazu nicht angeben.

Befragt, ob er jemals erwogen hätte, sich an einem anderen Ort seines Herkunftslandes niederzulassen, merkte der Beschwerdeführer an, dies gemacht zu haben. Er sei in XXXX gewesen und habe dort für ein halbes Jahr im Rahmen eines Projekts für Studenten gearbeitet. Auf Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen gab der Beschwerdeführer an, er befürchte, dort keine Arbeit zu haben, es gebe dort die Schulden seiner Familie und er habe überhaupt Befürchtungen aufgrund der Situation in seinem Land. Er habe nicht vor, dorthin zurückzukehren, außer wenn er abgeschoben werde. Seitens der staatlichen Behörden würde ihm im Falle einer Rückkehr nichts drohen.

Mit dem Beschwerdeführer wurden in der Folge die seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl herangezogenen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat erörtert. Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, dass aus der dortigen allgemeinen Lage ebenso wie aus dessen persönlichen Merkmalen nichts abzuleiten wäre, was auf eine Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention hindeuten würde, auch darüber hinaus sei keine Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit festzustellen. Dem Beschwerdeführer sei es zuzumuten, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe würden keinerlei Asylrelevanz aufweisen.

Der Beschwerdeführer gab dazu an, die Situation zu kennen und auf eine Stellungnahme zu verzichten. Auf die Frage, was er machen würde, sollte er von österreichischen Behörden zu einer Rückkehr in sein Heimatland aufgefordert werden, erklärte der Beschwerdeführer, er würde nach Italien oder in ein anderes Land der EU fahren.

Nachgefragt, wolle er keine weiteren Angaben machen, er habe alles umfassend vorbringen können, würde jedoch gerne wissen, ob man ihn dabei unterstützen könnte, seine Mutter hierher zu bringen.

Nach anschließender Rückübersetzung seiner Angaben bestätigte der Beschwerdeführer die Richtigkeit und Vollständigkeit der aufgenommenen Niederschrift durch seine Unterschrift

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 07.03.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion des Beschwerdeführers fest und legte seiner Entscheidung ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in dessen Herkunftsstaat zu Grunde.

Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer die Ukraine aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage verlassen hätte und keine wie immer geartete sonstige Gefährdung oder Bedrohung seiner Person im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat erkannt werden könne. Der Beschwerdeführer habe unmissverständlich angegeben, niemals persönlich bedroht oder verfolgt worden zu sein und niemals Probleme mit den Behörden seines Heimatstaates gehabt zu haben. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe, seine Heimat aufgrund wirtschaftlicher Probleme verlassen zu haben, erwiesen sich zwar als glaubhaft, jedoch nicht als asylrelevant.

Der Beschwerdeführer verfüge im Heimatstaat über familiäre und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte und somit über Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten. Der Beschwerdeführer verfüge zudem über Hochschulbildung und Berufserfahrung, sei gesund und arbeitsfähig und könne sohin eigenständig für seinen Lebensunterhalt aufkommen, weshalb insgesamt nicht davon ausgegangen werden könne, dass dieser im Falle einer Rückkehr in eine Existenz bedrohende Notlage geraten würde.

Der Beschwerdeführer, welcher den Großteil seines Lebens in der Ukraine verbracht hätte, weise im Bundesgebiet keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bindungen auf, sei nicht berufstätig und lebe von der Grundversorgung. Eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person habe nicht festgestellt werden können.

Da der Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme, für die Behörde feststünde, dass für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben wäre und eine sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten erscheine, seien die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG gegeben.

3. Mit Eingabe vom 05.04.2018 wurde durch die nunmehrige gewillkürte Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten wurde. Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, der Beschwerdeführer habe im Heimatland mit verschiedenen Tätigkeiten versucht, sich selbst und seine krebskranke Mutter über Wasser zu halten. Aufgrund der hohen Kosten der Behandlung der Mutter des Beschwerdeführers habe sich dieser immer mehr verschuldet und sei die Familie weiters gezwungen gewesen, ihr Haus zu verkaufen. Aufgrund seines altrömisch-katholischen Glaubens sei es für den Beschwerdeführer, abgesehen von Diskriminierungen im Alltag, immer schwieriger gewesen, einen Arbeitsplatz zu finden, da der Einfluss der orthodoxen Kirche und des Moskauer Patriacharts mit zusehender Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten des Landes immer stärker werde und es infolgedessen zunehmend zu Benachteiligungen von Personen altrömisch-katholischen Glaubens komme. Überdies sei der Beschwerdeführer aufgrund seines russisch klingenden Namens von nationalistischen ukrainischen Jugendlichen im Zuge des Euromaidan mit einem Messer angegriffen und verletzt worden. Aus diesen Ausfügrungen sowie der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer erzwungenen Rückkehr in einer existenzbedrohenden Notlage wiederfinden würde, ergebe sich dessen Schutzbedarf.

Aufgrund ihrer äußerst knappen und oberflächlichen Befragung habe die belangte Behörde den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren nicht genügt und das Verfahren dadurch mit Mangelhaftigkeit belastet. Die herangezogenen Länderberichte erwiesen sich als unvollständig, zumal sich zum seitens des Beschwerdeführers vorgebrachten Fluchtgrund der religiösen Diskriminierung lediglich vereinzelte, überwiegend aus dem Jahr 2016 stammende Berichte finden würden, anhand derer der Behörde eine abschließende Beurteilung der Asylrelevanz des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers nicht möglich wäre. Die Behörde habe es verbsäumt, aktuelle objektive Berichte zur Sicherheitslage in der Ukraine sowie ausreichende Berichte zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in ihre Entscheidungsfindung miteinzubeziehen. Die Behörde ziehe ihre Schlussfolgerungen aus unvollständigen und viel zu allgemein gehaltenen Länderberichten. Die Behörde habe das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers zwar als glaubwürdig, jedoch nicht als asylrelevant erachtet, was auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung basiere. Da dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Konfession sowie seines russisch klingenden Namens gesellschaftliche Diskriminierung drohen würde, lasse für ihn die Definition eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zutreffen. Es werde daher beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten, in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten, zuzuerkennen.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 10.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Ukraine wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Ukraine, er gehört der ukrainischen Volksgruppe sowie dem altrömisch-katholischen Glauben an. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer reiste im August 2017 in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Zuvor hatte er im Dezember 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt, reiste jedoch im Februar 2017 unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe freiwillig in den Herkunftsstaat zurück. Im November 2015 hatte er in Italien um internationalen Schutz angesucht und sich dort eigenen Angaben zufolge für zweieinhalb Jahre bis zum Erhalt einer seinen Antrag abweisenden Entscheidung aufgehalten. Der Beschwerdeführer stammt aus einer Kleinstadt im Oblast XXXX , wo er die Schule besuchte und anschließend Pädagogik, Sport sowie Betriebswirtschaft studierte. In der Ukraine leben nach wie vor die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer hat die Ukraine eigenen Angaben zufolge ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, wurde in seinem Herkunftsstaat nie bedroht oder verfolgt und ist zu keinem Zeitpunkt Problemen mit den dortigen Behörden ausgesetzt gewesen.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte.

Der unbescholtene Beschwerdeführer verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Er hat keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bindungen in Österreich, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Er gab an, einen Deutschkurs zu besuchen, erbrachte jedoch keinen Nachweis über bereits vorhandene Sprachkenntnisse. Er ist in keinem Verein Mitglied und war nicht ehrenamtlich tätig. Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur Religionsfreiheit, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

2.1. Halbinsel Krim

Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten:

Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u.

a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).

Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).

Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).

Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).

Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).

Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).

Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017b): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine (Crimea), https://www.ecoi.net/local_link/337269/480036_de.html, Zugriff 1.6.2017

2.2. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regie

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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