TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/24 W247 2192882-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.2018
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Entscheidungsdatum

24.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W247 2192882-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert-Peter HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, XXXX, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VIII. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 13 Abs. 2 Z 1, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG, und § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IX. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreisverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 auf 10 Jahre herabgesetzt wird; im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

III. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (BF) reist erstmalig am 29.09.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten noch am selben Tag einen ersten Asylantrag.

1.2. Vor dem damaligen Bundesasylamt Erstaufnahmestelle Ost gab der BF Folgendes zu Protokoll:

"Da mein Bruder Widerstandskämpfer gewesen sei, habe man mich im Jänner 2001 eine Woche im Gefängnis in inhaftiert. Nachdem mein Vater Lösegeld bezahlt hatte, sei ich freigekommen. Im Jahr 2004 sei mein Bruder getötet worden. Nach dem Terroranschlag in Ossetien sei ich wieder gesucht worden. Am 01.09.2004 seien russische Soldaten zu meinem Haus gekommen und hätte mich festnehmen wollen. Ich sei aber nicht zu Hause gewesen und habe von meinem Vater von der drohenden Festnahme erfahren. Deshalb sei ich geflohen. Ich habe selbst nie gekämpft und habe auch keine Widerstandskämpfer unterstützt."

1.3. Am 07.07.2005 vom Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache, vom zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen und gab der BF - befragt zu seinen Fluchtgründen - Folgendes an:

"Ich hätte zur russischen oder tschetschenischen Miliz gehen müssen. Beide Seiten hätten mich getötet, wenn ich ihren Forderungen nicht nachgekommen wäre. In der Nacht von 09.01.2001 auf den 10.01.2001 sei ich von neun bis zehn maskierten Männern in meinem Haus festgenommen und mit einem Militär- LKW weggebracht worden. Ich bin von russischen Soldaten in einen dunklen Raum gesperrt und viermal verhört worden.

Man habe mich mit Gewehrkolben geschlagen und nach dem Aufenthaltsort meines Bruders gefragt. Meinem Vater sei es gelungen durch Zahlung von $ 1.000,-- mich freizukaufen.

Nach meiner Freilassung habe ich bei Verwandten gelebt und mich nur fallweise zu Hause aufgehalten. Ich habe auch einen Einberufungsbefehl von der russischen Miliz erhalten. "

1.4. Aufgrund eines unbekannten Aufenthaltes wurde das damaliges Asylverfahren des BF im Jahr 2007 eingestellt und im Jahr 2008 vom Asylgerichtshof fortgesetzt.

1.5. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mittels Erkenntnis des Asylgerichtshofes (GZ D12 263412-0/2008 vom 15.01.2010) aufgrund Unglaubwürdigkeit in II. Instanz rechtskräftig negativ beschieden. Gemäß § 10 Abs.1 Z 2 AsylG 2005 wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgesprochen.

2.1. Am 19.03.2010 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen neuerlichen (2.) Asylantrag, welcher mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 26.04.2010 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde gegen seine Person die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet und eine Rückkehr in die Russische Föderation ausgesprochen.

Die Beschwerde des BF gegen diesen Bescheid wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 05.07.2010 als verspätet zurückgewiesen, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

2.2. Zwischen 2004 und 2013 wurden der BF mehrmals strafrechtlich verurteilt:

2.2.1. LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 24/2007K vom 09.03.2007 RK 12.03.2007 PAR 15 127 PAR 15 105/1 StGB

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

2.2.2. LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 122/2009Z vom 13.11.2009 RK 13.11.2009 PAR 105/1 106 ABS 1/1 (1. FALL) 15 StGB

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

2.2.3. LG F.STRAFS.WIEN 123 HV 57/2010V vom 20.04.2010 RK 20.04.2010 PAR 83/1 84 ABS 1 U 2/2 StGB

Freiheitsstrafe 8 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 122/2009Z RK 13.11.2009

2.2.4. LG F.STRAFS.WIEN 032 HV 115/2012g vom 17.09.2012 RK 17.09.2012

§ 269 (1) 1. Fall StGB Datum der (letzten) Tat 08.08.2012

Freiheitsstrafe 15 Monate

3.1. Kurz vor seiner Entlassung aus der Justizanstalt Korneuburg stellte der BF am 11.12.2013 seinen dritten, nun gegenständlichen, Asylantrag.

3.2. Bei der polizeilichen Einvernahme am 11.12.2013 gab er als Grund für den Folgeantrag an, dass er neue Beweismittel habe. Der tschetschenische Geheimdienst komme öfters zu seiner Familie, die in Tschetschenien wohnt und bringe Papiere mit, dass sich der BF bei den tschetschenischen Behörden melden solle. Der BF bekomme in den nächsten Tagen von seinen Eltern diese Papiere vom tschetschenischen Geheimdienst. Die Leute von Kadyrow würden schon immer zu seinen Eltern nach Haus kommen, seit 2 Jahren würden sie öfters kommen. Nachgefragt, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, meinte der BF, dass der russische und tschetschenische Geheimdienst ihn einsperren und schlagen werde. Nachgefragt, ob es konkrete Hinweise gebe, dass dem BF bei seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe, antwortete der BF: "Keine".

3.3. Am 22.01.2014 wurde der BF durch einen zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle OST, im Beisein einer dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetscherin der Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen. Die Fragen, ob er im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe und ihm diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert worden seien, bejahte der BF. Alles was er bei der zweiten Einvernahme im zweiten Verfahren angegeben habe, habe der Wahrheit entsprochen. Zusammengefasst gab der BF weiters an, dass seine Tante in Wien wohne, er seit 3 Jahren eine Freundin in Wien habe, welche Tschetschenin, er nicht mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebe, aber eine Hochzeit plane. Er verstehe schon gut Deutsch und könne schon Deutsch reden. Der BF sei seit 2004 durchgehend in Österreich aufhältig. Nachgefragt, warum er neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, antwortete er, dass sich die Umstände in Tschetschenien geändert hätten. Es komme die Polizei zu seinen Eltern und frage nach ihm. Er habe auch Kopien von Ladungen bereits vorgelegt und werde versuchen binnen 14 Tagen die Originale der Ladungen der Abteilung des Innenministeriums vorzulegen. Die Polizei habe in den letzten 2 bis 3 Jahren angefangen wieder zu den Eltern zu kommen. Seine Brüder hätten Tschetschenien verlassen müssen und wären seit ca. 3 Jahren weg. In letzter Zeit sei es stärker geworden und wegen Olympia noch schlimmer geworden. Vor ca. 1 bis 2 Monaten sei letztmalig die Abteilung des Innenministeriums bei seinen Eltern gewesen. Sie hätten gefragt, wann der BF nach Hause käme. Wenn er keine Probleme hätte, würde der BF gerne in die Heimat fahren, da er seine Eltern seit 10 Jahren nicht gesehen hätte.

3.4. Am 22.12.2015 wurde der BF durch einen zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdwesen und Asyl, RD Wien, im Beisein einer dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetscherin der Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen. Zusammengefasst gab der BF an, dass zwei seiner Brüder - wie er - auf der Flucht seien. Seine Eltern würden in Tschetschenien leben, eine Schwester wäre verheiratet und eine lebe bei den Eltern. Seit er € 300,- von der Caritas erhalte, würde ihn seine Mutter nicht unterstützen. Weiters sei er seit November 2015 standesamtlich verheiratet mit Fr. XXXX, geb. XXXX, und sein erstes Kind würde im Juli 2016 erwartet werden. Seine Ehegattin verfüge über den Status einer subsidiär Schutzberechtigten und habe ein Praktikum als Kindergärtnerin gemacht. Zu den Gründen für seinen neuerlichen Asylantrag meinte der BF, dass er 3 Ladungen aus seiner Heimat erhalten habe. Er wäre seit 11 Jahren nicht mehr in Tschetschenien gewesen. Es wäre ganz schwierig gewesen die Ladungen nach Österreich zu bekommen. Inzwischen sei sein Bruder in Tschetschenien von einer Gruppe von Kadyrows¿ Leuten Ende Jänner 2015 verhaftet worden. Dieser wäre in der Haft heftig geschlagen und der Vater gezwungen worden für die Entlassung des Bruders 10.000 USD zu bezahlen. Sein Bruder sei hineingelegt worden, da er verhaftet worden sei, weil eine Patrone in seinem Auto versteckt worden sei. Bei dieser Inhaftierung sei der Bruder nach dem BF befragt worden. Dieser Bruder lebe unter einem anderen Namen in Sibirien. Ein anderer Bruder sei in Kasachstan bei einer Tante. Alle 2 bis 3 Monate kämen sie zu den Eltern und würden nach dem BF und dessen Brüdern fragen. Nachgefragt, habe ein Bekannter aus Frankreich dem BF die Ladungen gegeben. Er sei Tschetschene und der einzige, der einverstanden gewesen sei die Ladungen mitzubringen. Der BF habe die Ladungen vor einem halben Jahr erhalten. Auf dem Weg nach Frankreich habe ein gewisser XXXX, dessen Nachname der BF nicht kenne, mit seinem Auto einen Zwischenstopp gemacht, den BF am Westbahnhof getroffen und die Ladungen übergeben. Ein genaues Datum habe der BF nicht nennen können. XXXXkönne kaum sprechen und habe Krebs. Der BF habe die Telefonnummer von XXXX nicht.

Vorgelegt wurden:

* Ein Ultraschallbild und eine Überweisung an eine Vertragsfachärztin der Schwangerenambulanz zwecks Anmeldung zur Geburt bzw. Nackenödemscreening;

* Terminbestätigung für die Geburtsanmeldung;

* Undatierte Einstellungsbestätigung der XXXX, einen abgeschlossenen positiven Asylantrag, sowie eine gültige Arbeitserlaubnis vorausgesetzt;

* Heiratsurkunde vom 07.11.2015, sowie Auszug aus dem Heiratseintrag;

* Sprachzertifikat des BF über bestandene B1-Prüfung in der dt. Sprache, ausgestellt am 14.12.2015;

* 3 Ladungsschreiben in russischer Sprache, datiert vom 03.03.2013, 10.06.2013, 01.10.2013;

* Ein Kopie des Mutter-Kind-Passes;

3.5. In einer Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation vom 04.04.2016 konnte die Echtheit der beschwerdeseitig vorgelegten Ladungen nicht bestätigt werden.

3.6. Am 16.03.2018 wurde der BF durch einen zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdwesen und Asyl, RD Wien, im Beisein einer dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetscherin der Sprache RUSSISCH niederschriftlich zum Familien- und Privatleben ergänzend einvernommen. Zusammengefasst gab der BF an, dass seine Frau am XXXX geboren sei, subsidiären Schutz genieße und als Kindergartenbetreuerin wieder zu arbeiten beginne. Weiters habe die Mutter des BF, Fr. XXXX, mittels eines Visums vor 18 Monaten den BF besucht. Der Vater sei nicht gekommen, da ein Visum viel Geld koste. Beide Eltern würden in der Stadt Grosny leben. Der BF sei - wie sein Vater - LKW-Fahrer und habe 9 Schulstufen absolviert. Der Vater habe eine eigene Speditionsfirma mit ca. 3 LKW. Der Sohn des BF solle mehrsprachig aufwachsen (Englisch, Deutsch, Französisch und Tschetschenisch) und Fußballstar werden. Der BF sei gläubig und bete fünfmal am Tag, sei aber kein Fanatiker. Jede Woche habe ihn sein Sohn im Gefängnis besucht. Der BF wolle die tschetschenischen Traditionen aufrechterhalten, aber wenn seine Frau arbeiten gehen möchte, kann sie es. Auch er wolle arbeiten, hatte hier aber nie die Möglichkeit. Er habe im Gefängnis keine Ausbildung gemacht. In Österreich habe er einen gemischten Freundeskreis (Türken, Jugoslawen und Österreicher).

3.7. Mit angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, XXXX, wurde der 3. Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z. 1 AsylG hat der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundegebiet ab dem 23.11.2017 verloren (Spruchpunkt VIII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 6 FPG wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX.).

3.8. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person, zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Zum Fluchtvorbringen wurde ausgeführt, dass die vom BF angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes nicht glaubhaft seien und nicht festgestellt werde könne, dass der BF in der Russischen Föderation asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen wäre bzw. derzeit wäre oder er pro futuro asylrelevanter Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt wäre. Zum Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde begründend aus, dass es dem BF, als gesunden und arbeitsfähigem Erwachsenen, aufgrund seiner Schul- und Arbeitserfahrung und des bestehenden familiären Netzwerkes jedenfalls möglich sein werde die existenziellen Grundbedürfnisse, wie Nahrung und Unterkunft zu erfüllen. Darüber hinaus habe die belangte Behörde festgehalten, dass sich aus den Länderfeststellungen weder ergeben habe, dass bei einer Rückkehr in das Herkunftsland die Tatsache der Asylantragstellung eine Verfolgung zur Folge habe, noch, dass in der Russischen Föderation eine Situation vorherrsche, in der die Staatsgewalt zusammengebrochen oder systematische schwere Menschenrechtsverletzungen zu erkennen wären. Da nicht zu erwarten ist, dass der BF bei Rückkehr in eine hoffnungslose Lage, auch nicht in der Übergangsphase nach Rückkehr, kommen werde, ließen sich aus den individuellen persönlichen Verhältnissen keine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG ableiten.

3.9. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zum Fluchtvorbringen und der behaupteten Gefahrenlage des BF im Herkunftsstaat, wie folgt, aus:

"betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats:

Dem Asylwerber steht die Einvernahme als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Die erkennende Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber gleich bleibende, substantiierte Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und mit den Tatsachen oder allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen.

Niederschriftlich ist es Ihnen wiederum nicht gelungen, glaubwürdige Beweismittel zu den bekannten Fluchtgründen, welche bereits vom Asylgerichtshof als unglaubwürdig eingestuft wurden, vorzulegen.

Bei der Erstbefragung am 11.12.2013 kurz vor Ihrer Entlassung aus der Justizanstalt Korneuburg sprachen Sie plötzlich davon, dass der tschetschenische Geheimdienst nun Ihre Eltern in Ihrem Herkunftsland aufsuchen würde, obwohl Sie bereits seit 2004 von russischen Soldaten gesucht werden.

Anzumerken ist, dass Sie dies erst kurz vor Ihrer Entlassung im Rahmen eines neuerlichen Asylantrages bekannt gaben, obwohl die Besuche bereits seit 2 Jahren regelmäßig bei Ihren Eltern stattfinden. Wann konkret die Besuche bei Ihren Eltern stattfanden und wer konkret eigentlich Ihre Eltern aufsuchten, dazu waren Sie auch diesmal nicht in der Lage, diesbezügliche Details zu schildern.

Die Echtheit Ihrer in der asylrechtlichen Einvernahme vorgelegten Ladungskopien am 22.12.2015, sprich wieder 2 Jahre später, wurde von der Staatendokumentation nicht bestätigt. Es war auch nicht möglich, die angeführte Behörde oder den genannten Oberst bzw. eine Strafsache mit der angegebenen Nummer zu verifizieren. Weiters wurden Sie ersucht, die Originale vorzulegen, was Sie bis dato nicht gemacht haben.

Wie Sie eigentlich zu diesen Ladungskopien kamen, ist bis heute nicht nachvollziehbar.

Sie sprachen von einem Mann, dessen Nachnamen und Telefonnummer Sie nicht wussten und den Zeitpunkt bzw. Übergabeort nicht konkret nennen konnten.

Sie sprachen von einem Bekannten namens XXXX, der kaum sprechen konnte, an Krebs litt, und mit dem Auto irgendwann vor einem halben Jahr im Jahr 2015 nach Frankreich unterwegs war und einen Zwischenstopp am Wiener Westbahnhof einlegte.

Aufgrund der inhaltlich verschiedenen beschriebenen Fluchtgründe in den drei Asylverfahren ist Ihre Person in jeglicher Hinsicht unglaubwürdig, kann die Behörde mittlerweile nur davon ausgehen, dass Sie in Zusammenschau aller Ihrer Angaben versucht haben, eine neue fiktive Fluchtgeschichte zu entwickeln, um sich einer Abschiebung in Ihr Herkunftsland Russische Föderation zu entziehen und das Familienleben hier in Österreich fortzusetzen.

Anzumerken ist, dass alle Ihre Schilderungen dermaßen unlogisch und nicht nachvollziehbar sind, so dass die erkennende Behörde daher im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Beweiswürdigung zu einem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis gelangt, dass für Sie keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK vorliegt.

Schlussendlich konnten keinerlei Anhaltspunkte dahingehend gefunden werden, dass Sie, im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation einer Verfolgungsgefährdung i. S. d. Art. 3 EMRK ausgesetzt wären.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Die Feststellung zu Ihrem Gesundheitszustand und Ihrer Arbeitsfähigkeit sowie Ihren Angehörigen hatte aufgrund Ihrer dazu gemachten Angaben zu erfolgen.

Sie verfügen weiterhin über familiäre Anknüpfungspunkte und können entsprechende Unterstützung erhalten. Sie sind ein arbeitsfähiger, gesunder Mann, mit einer Schulausbildung und Berufserfahrung, von dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben, so wie bisher, vorausgesetzt werden kann.

Sie waren auch vor Ihrer Ausreise in der Lage den Lebensunterhalt für sich durch Ihre Arbeit als LKW Fahrer aufzubringen. Sie haben auch eine entsprechende Unterstützung von Ihren Eltern, welche eine Speditionsfirma besitzen, zu erwarten.

Ihren Eltern ist es auch möglich, in der Russischen Föderation in Tschetschenien in der Nähe der Stadt Grosny zu wohnen und Sie finden bei Ihrer Rückkehr ein soziales und familiäres Netzwerk vor. Weiters ist davon auszugehen, dass es Ihren Eltern finanziell recht gut gehen muss, da Ihre Mutter legal mit einem Visum nach Österreich einreiste, sich hier für 3 Monate aufhielt und Sie auch in der Justizanstalt besuchen konnte.

Da Ihnen, wie bereits in der Beweiswürdigung erörtert im Herkunftsstaat keine Verfolgung droht, und Sie eine erwachsene, arbeitsfähige Person sind, der es jedenfalls zumutbar ist, im Falle der Rückkehr, etwa durch Arbeitsaufnahme, selbst für ihr Auskommen zu sorgen, geht die Behörde davon aus, dass Ihnen im Herkunftsstaat keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Auch verfügen Sie nach wie vor über familiäre Beziehungen in Ihrem Heimatland.

Es besteht nach wie vor eine familiäre, kulturelle und sprachliche Bindung zum Herkunftsstaat, sodass, wie bereits ausgeführt, Sie jederzeit in der Lage sind, in der Russischen Föderation wieder Fuß zu fassen.

Es konnten keinerlei Anhaltspunkte dahingehend gefunden werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation einer Verfolgungsgefährdung i. S. d. Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Entsprechend Ihren eigenen Angaben sind Sie gesund, arbeitsfähig und auch arbeitswillig.

Selbst bei Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens wäre für Sie nichts gewonnen, weil Ihr Herkunftsland aufgrund einer funktionierenden Staatsgewalt ihre Staatsbürger Schutz bietet."

3.10. Mit am 17.04.2018 fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz wurde durch den gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers eine Beschwerde in vollem Umfang gemäß Art 130 (1) Z1 iVm 132 (1) Z 1 B-VG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erlassen worden wäre, erhoben. Zur behaupteten Verletzung von Verfahrensvorschriften wurde der belangten Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorgeworfen. So habe die belangte Behörde mangelhafte Länderfeststellungen herangezogen, welche sehr allgemein gehalten gewesen wären und sich kaum mit den Vorbringen des BF beschäftigt hätten und daher unvollständig wären. Des Weiteren hätten mangelnde Ermittlungen im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des BF in Österreich stattgefunden und zu zahlreichen Feststellungen geführt, welche nicht begründet, aktenwidrig und belegbar falsch wären. So wurden die Einvernahmen der Ehegattin des BF XXXX und des Boxtrainers XXXX im Rahmen einer mündlichen Verhandlung beschwerdeseitig beantragt. Ferner habe die belangte Behörde sich in ihrer Beweiswürdigung mangelhaft mit den Länderberichten auseinandergesetzt und - etwa zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie in Tschetschenien - Mutmaßungen angestellt. Zur behaupteten, inhaltlichen Rechtswidrigkeit wurde der belangten Behörde vorgeworfen, dass sie verkannt habe, dass der BF in Russland wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt würde und daher unter die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK fallen würde (ad Spruchpunkt I.). Ferner würden aus den Aussagen des BF und aus den angeführten Länderberichten hervorgehen, dass ihm in Russland unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung drohen würde und er im Falle einer Rückkehr auch in eine wirtschaftlich aussichtslose Lage geraten würde (ad Spruchpunkt II.). Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK sei es der belangten Behörde nicht gelungen darzutun, warum sich der BF in der langen Zeit seines Aufenthaltes in Österreich angeblich überhaupt nicht beruflich und sozial integriert habe, weiters sei die strafrechtliche Unbescholtenheit lediglich ein Kriterium unter mehreren. Entgegen der Argumentation der belangten Behörde seien die integrativen Schritte des BF nicht automatisch wirkungslos, nur weil er sein Familien- und Privatleben in Österreich begründete, als sein Aufenthalt noch ungewiss war. Ferner habe die belangte Behörde bei der Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verabsäumt, deren Auswirkungen auf das Kindeswohl zu berücksichtigen (ad Spruchpunkt IV.). Aufgrund der beschwerdeseitig geschilderten Verletzung der Art. 2, 3 und 8 EMRK werde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG beantragt (ad Spruchpunkt VI.) und das Einreiseverbot aufzuheben und in eventu herabzusetzen (ad Spruchpunkt IX.). Die Beschwerdeseite beantragte sinngemäß 1) eine mündliche Verhandlung - inklusive der nochmaligen Einvernahme des BF und der XXXX und XXXX anzuberaumen; 2) falls nicht alle zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufzugreifen; 3) den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzungen - zu beheben und dem BF den Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen; 4) die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung; in eventu 5) den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzungen - bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 AsylG Abs. 1 Z 1 zuzuerkennen. 6) den angefochtenen Bescheid bezüglich der Spruchpunkte IV.,V.,IX. aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot aufgehoben, die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt wird. 7) in eventu das Einreiseverbot zu verkürzen; in eventu 8) den angefochtenen Bescheid - im angefochtenen Umfang - ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Der Beschwerdeschrift beigefügt waren folgende Unterlagen:

* Vollmacht der Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH vom 12.04.2018;

* Arbeitsbestätigung der Justizanstalt Korneuburg vom 16.04.2018 über die Tätigkeit des BF als Freigänger für die Firma XXXX für den Zeitraum 02.05.2013 bis 12.12.2013;

* Sprachzeugnis vom 14.12.2015 über die Absolvierung einer Deutschprüfung auf dem Niveau B1;

* Einstellzusage der Firma XXXXvom 11.04.2018 für den Fall, dass der BF subsidiären Schutz erhält;

* Unterstützungsschreiben von Hrn. XXXX und Hrn. XXXX und von Hrn. XXXX von der Volkshilfe Neubau;

* Foto des BF mit seinem Kind;

3.11. Die Beschwerdevorlage vom 17.04.2018 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 19.04.2018 ein.

3.12. Mit Schriftsatz vom 20.04.2018 wurde beschwerdeseitig ein Schreiben XXXX vorgelegt, aus den hervorgeht, dass der BF aktiv an den Verein herangetreten sei um seine Hilfe bei der Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen anzubieten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Asylantrages des Beschwerdeführers vom 11.12.2013, der polizeilichen Erstbefragung des BF vom 11.12.2013, der niederschriftlichen Einvernahme des BF am 22.01.2014 und am 22.12.2015 und am 16.03.2018, der für den Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde vom 17.04.2018 gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 19.03.2018, der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte zu den vorangegangenen Asylverfahren, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist am XXXXXXXX in Kasachstan geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe und dem muslimischen Glaubens zugehörig. Der BF ist spätestens am 29.09.2004 unrechtmäßig und in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seitdem durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der BF besuchte 9 Jahre die Schule und hat in seinem Herkunftsland im Speditionsunternehmen seines Vaters mehrere Jahre als LKW-Fahrer gearbeitet.

1.2. Zum Privat- und Familienleben:

Im Bundesgebiet sind die Ehegattin XXXX, welche der BF kurz vor seinem Haftantritt am 07.11.2015 standesamtlich geehelicht hat und sein Sohn XXXX XXXX aufhältig. Weitere Verwandte des BF im Bundesgebiet können nicht festgestellt werden. Die Ehegattin ist tschetschenischer Abstammung und dem islamischen Glauben zugehörig. Die Ehegattin ist aufgrund eines Familienverfahrens in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Der Sohn XXXX wurde während der Haft des BF am XXXX geboren und ihm wurde am 21.11.2016 gemäß § 8 Abs.1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zugesprochen. Der BF hat im Verfahren eine undatierte Einstellungszusage der Firma XXXXvorgelegt, wie auch eine Einstellzusage der Firma XXXX vom 11.04.2018. Der BF war im Zeitraum 02.05.2013 bis 12.12.2013 als Freigänger für die Firma XXXX tätig. Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich hierbei um vollwertige, entgeltliche Arbeit gehandelt hat. Insgesamt war der BF die Zeit seines Aufenthaltes ohne regelmäßige, entgeltliche Beschäftigung und er verfügt über keine hinreichenden Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Des Weiteren hat sich der BF - abgesehen von seinen Deutschkenntnissen - im Bundesgebiet nicht aus-, fort-, oder weitergebildet. Die aktive Mitgliedschaft des BF bei einem Verein oder Club wurde vom BF1 klar verneint und kann auch nicht festgestellt werden. In seiner Freizeit betreibt der BF Thai Boxen ohne Regeln. Der BF1 hat ehrenamtlich bei einem Sportverein mitgeholfen.

Im Herkunftsstaat halten sich die Eltern und zwei Brüder und zwei Geschwister des BF auf. Der Kontakt zur Mutter und einem Bruder ist vorhanden. Die Mutter hat den BF bereits in Österreich mit Hilfe eines Touristenvisums besucht. Das Vorhandensein eines familiären Netzes durch den in Tschetschenien lebenden Familienclan ist bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 15.01.2010 einer genauen Beurteilung unterzogen worden. Aufgrund des traditionell engen tschetschenischen Familienclangefüges im Herkunftsstaat ist davon auszugehen, dass der BF im Falle seiner Rückkehr zumindest in der Anfangsphase hinsichtlich Unterkunft, Verpflegung von seiner Familie hinreichend unterstützt wird und daher in keine aussichtslose Lage geraten wird. Der elterliche Speditionsbetrieb im Herkunftsstaat wird dem BF auch anfänglich dabei behilflich sein, bei Rückkehr beruflich Fuß fassen zu können.

Der BF hat Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 durch entsprechende Prüfungsbescheinigung nachgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich mehrfach strafrechtlich verurteilt:

* LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 24/2007K vom 09.03.2007 RK 12.03.2007 PAR 15 127 PAR 15 105/1 StGB; Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre;

zu LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 24/2007K RK 12.03.2007 Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 122/2009Z/B vom 13.11.2009 Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen LG F.STRAFS.WIEN 032 HV 115/2012g vom 17.09.2012

* LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 122/2009Z vom 13.11.2009 RK 13.11.2009 PAR 105/1 106 ABS 1/1 (1. FALL) 15 StGB; Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre;

zu LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 122/2009Z RK 13.11.2009 Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre LG F.STRAFS.WIEN 032 HV 115/2012g vom 17.09.2012;

* LG F.STRAFS.WIEN 123 HV 57/2010V vom 20.04.2010 RK 20.04.2010 PAR 83/1 84 ABS 1 U 2/2 StGB; Freiheitsstrafe 8 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre; Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN 31 HV 122/2009Z RK 13.11.2009;

zu LG F.STRAFS.WIEN 123 HV 57/2010V RK 20.04.2010 Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre LG F.STRAFS.WIEN 032 HV 115/2012g vom 17.09.2012

* LG F.STRAFS.WIEN 032 HV 115/2012g vom 17.09.2012 RK 17.09.2012; § 269 (1) 1. Fall StGB Datum der (letzten) Tat 08.08.2012;

Freiheitsstrafe 15 Monate; Vollzugsdatum: 08.11.2013;

Am 20.04.2017 kam es erneut zu einer Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien, Zahl 012 Hv 15/16h und der BF wurde im Zuge dieses Urteils wegen den Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie dem Vergehen der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.01.2010 negativ entschieden, verbunden mit einer Ausweisung. Trotz der negativen Entscheidung verblieb der BF im Bundesgebiet und stellte 2 weitere Asylanträge. Der Folgeasylantrag des BF ist mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 26.04.2010 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Der 3. Asylantrag ist Gegenstand des Verfahrens.

Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.

1.3. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen der Beschwerdeseite betreffend die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat:

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, insbesondere in Hinblick auf die politische Lage in der Russischen Föderation generell, dem Nordkaukasus und Tschetschenien insbesondere, die allgemeine Menschenrechtslage in der Russischen Föderation und in Tschetschenien im Besonderen, auf den Wehrdienst und der Wehrdienstverweigerung, auf Korruption, auf die Sozialbeihilfen, den Rechtschutzes/ Justizwesens, die Sicherheitslage und die Grundversorgung/ Wirtschaft, die Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation, außerhalb der Republik Tschetschenien, sowie auf die Situation von Rückkehrern wird auf die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden, umfassenden und nach wie vor als aktuell anzusehenden Länderfeststellungen verwiesen, denen sich das Bundesverwaltungsgericht vollinhaltlich anschließt. Insbesondere wird auf folgende Inhalte der getroffenen Feststellungen hingewiesen:

[...]

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem

Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml¬Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der

Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

[...]

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

[...]

Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden

Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay- Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender

Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

[...]

Rechtsschutz/Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassung, Zivil, Administrativ und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (lt. Amnesty International in 0,5% der Fälle) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile international

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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