Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §63 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des M in Wien, geboren am 26. November 1971, vertreten durch Dr. Eva Riess, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Zeltgasse 3/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 28. Juli 1998, Zl. Fr-78/98, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See vom 17. Oktober 1997 betreffend Ausweisung (Spruchpunkt I.), betreffend Zurückweisung der Berufung gegen den vorgenannten Bescheid (Spruchpunkt II.) und betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 (Spruchpunkt III.), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages (Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen (Spruchpunkte II. und III.) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge Staatsbürger von Ruanda und am 9. Oktober 1997 nach Österreich eingereist, war am 11. Oktober 1997 im Bundesgebiet aufgegriffen worden. Noch am selben Tag wurde gegen ihn die Schubhaft verhängt, in der Folge wies ihn die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See mit Bescheid vom 17. Oktober 1997 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 6 des Fremdengesetzes aus 1992 aus. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 23. Oktober 1997, durch Ausfolgung im Polizeigefangenenhaus, zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 1997 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Ausweisungsbescheid vom 17. Oktober 1997; zugleich holte er die versäumte Prozesshandlung nach und beantragte gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes aus 1992 die Feststellung, dass seine Abschiebung nach Ruanda unzulässig sei.
Den Wiedereinsetzungsantrag begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass er die deutsche Sprache nicht einmal ansatzweise beherrsche. Er sei sich bis zum Eintreffen des Rechtsbeistandes des Inhaltes des Ausweisungsbescheides nicht bewusst gewesen. Aber auch wenn er den Inhalt dieses Bescheides mit der Rechtsbelehrung so übersetzt bekommen hätte, dass er sich aller Einzelheiten bewusst gewesen wäre, wäre er - bezüglich der Erhebung einer zulässigen Berufung - "vor schier unüberwindlichen Hindernissen" gestanden. Er habe zwar versucht, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren, doch sei ein Kontakt erst nach Verstreichen der Berufungsfrist gelungen. In diesem Zusammenhang sei zu betonen, dass er durch die Verhängung der Schubhaft in seinen Möglichkeiten so eingeschränkt gewesen sei, dass er nicht rechtzeitig den Kontakt zu einem Rechtsbeistand habe herstellen können.
Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See wies den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ab und den mit dem Wiedereinsetzungsantrag gestellten Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ruanda gemäß § 75 Abs. 2
Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, zurück (Bescheid vom 15. Jänner 1998). Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 28. Juli 1998 keine Folge (Spruchpunkte I. und III.); zugleich wies sie die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung gegen den Ausweisungsbescheid vom 17. Oktober 1997 als verspätet zurück (Spruchpunkt II.).
Ihren Ausspruch betreffend die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages (Spruchpunkt I.) begründete die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer seinen Wiedereinsetzungsantrag ausschließlich auf mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache und Unkenntnis der einschlägigen Rechtsvorschriften in Verbindung mit dem Umstand gestützt habe, dass er in Schubhaft angehalten worden wäre und keinen Kontakt zu einem Rechtsbeistand gehabt hätte. Wie aus dem Akteninhalt ersichtlich, sei im Ausweisungsverfahren ein gerichtlich beeideter Dolmetscher für die französische Sprache beigezogen worden. Bei der Niederschrift (mit dem Beschwerdeführer) seien bereits die weiteren Verfahrensschritte - übersetzt durch den Dolmetscher - dargelegt worden. Wie aus der Aktenlage weiter ersichtlich, sei es dem Beschwerdeführer möglich gewesen, sich vom Polizeigefangenenhaus mehrmals sowohl schriftlich als auch telefonisch mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen; er habe Schreiben an
Amnesty International, an das Bundesasylamt sowie an den Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland verfasst und mehrmals mit dem UNHCR Kontakt aufgenommen. Da Gesetzesunkenntnis bzw. mangelnde deutsche Sprachkenntnisse nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellten, wenn keine Kontaktaufnahme mit der Außenwelt möglich gewesen wäre, gelange die belangte Behörde zu der Ansicht, dass der Beschwerdeführer weder durch ein unvorhergesehenes noch durch ein unabwendbares Ereignis an der Wahrung der Berufungsfrist verhindert gewesen sei.
Ihre weiteren Aussprüche begründete die belangte Behörde damit, dass bei Einbringung der Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid am 3. Dezember 1997 die zweiwöchige Frist des § 63 Abs. 5 AVG bereits abgelaufen gewesen (Spruchpunkt II.) und dass der mit der Berufung verbundene Feststellungsantrag somit - § 75 Abs. 2 FrG zuwider - erst nach rechtskräftigem Abschluss des Ausweisungsverfahrens erhoben worden sei (Spruchpunkt III.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, hilfsweise Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Zunächst ist festzuhalten, dass nach dem insoweit noch maßgeblichen Fremdengesetz aus 1992 - ebenso wie nach dem FrG - kein Anspruch eines Fremden auf Erlassung eines Bescheides in einer ihm verständlichen Sprache besteht. Weiters stellt die Verhängung der Schubhaft über einen Fremden keine taugliche Begründung für einen Wiedereinsetzungsantrag dar. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt nämlich einem in Schubhaft befindlichen Fremden die Dispositionsfähigkeit nicht soweit, dass er allein deswegen zur Wahrung der Rechtsmittelfrist außerstande wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 97/21/0770, m. w.N.). Versuche, mit geeigneten Personen (Dolmetscher und/oder Rechtsbeistand) Kontakt aufzunehmen, sind grundsätzlich auch während der Schubhaft zu unternehmen. Bleiben derartige Versuche jedoch ergebnislos, so kann dies einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Es muss sichergestellt sein, dass ein Fremder - auch oder gerade wegen der Einengung seiner Freiheit während der Schubhaft - den von ihm gewünschten Rechts- oder sonstigen Beistand rechtzeitig erhält, ohne ihm ständige Urgenzen zuzumuten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 93/01/1117).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See dahingehend erläutert, dass ihm mangels der Möglichkeit, einen Dolmetscher und/oder einen Rechtsbeistand aufzusuchen, das Verfassen einer korrekten Berufung unmöglich gewesen sei. Er habe, obwohl er sich wiederholt darum bemüht habe, im Zeitpunkt der Bescheidzustellung und auch danach keinen Rechtsbeistand gehabt. Im "PGH-Ost" habe ihn niemand über seine Rechte aufklären können; er habe den gegenständlichen Bescheid nach dem Motto "friss oder stirb" in die Hand gedrückt bekommen.
Dieses Vorbringen entspricht nahezu wortgleich jenem Vorbringen, welches in dem dem hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997, Zl. 96/21/0574, zugrunde liegenden Fall erstattet worden war. Wie der Verwaltungsgerichtshof in jenem Erkenntnis ausführte, wurden damit ausreichende Behauptungen in Richtung eines - ergebnislos gebliebenen - Bemühens, Berufung zu erheben, aufgestellt, weshalb ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werde. Diese Überlegungen müssen auch im gegenständlichen Fall zum Tagen kommen, zumal der Beschwerdeführer in einer von der belangten Behörde eingeholten Stellungnahme ergänzend vorbrachte, dass er über die in Wien in der Flüchtlingsberatung tätigen Organisationen und deren Telefonnummern keine Kenntnis gehabt habe, dass im Polizeigefangenenhaus der Zugang zu einem Telefonbuch und die Benützung des Telefons in der Praxis nicht immer oder nur mit erheblicher Verzögerung und oft nur auf Grund wiederholter Anfragen möglich sei, dass er nicht gewusst habe, an welche Organisation er sich hätte wenden können und dass die einzige Möglichkeit der Wahrung seiner Rechte im Kontakt mit anderen Schubhäftlingen (von denen er schließlich, wenn auch nicht rechtzeitig, die Adresse von Amnesty International und des UNHCR erhalten habe) bestanden habe (siehe zu einem vergleichbaren Vorbringen das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1998, Zl. 95/18/0379).
Dass dem Beschwerdeführer bereits, unter Beiziehung eines Dolmetschers, aus Anlass seiner Einvernahme im Ausweisungsverfahren die weiteren Verfahrensschritte dargelegt worden sind (nach der Aktenlage wurde ihm am 13. Oktober 1997 mitgeteilt, dass er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werde, dass er die Möglichkeit habe, binnen zwei Wochen gegen die Ausweisung eine Berufung einzubringen und dass er bis zur Rechtskraft der Ausweisung einen Antrag einbringen könne, "um Gründe bekannt zu geben, die gegen eine Abschiebung in mein Heimatland stehen"), ist dem gegenüber nicht von entscheidender Bedeutung. Das allein versetzte den Beschwerdeführer nämlich in Anbetracht der behaupteten Begleitumstände, wie er in der Beschwerde zutreffend aufzeigt, noch nicht in die Lage, eine den Erfordernissen des AVG entsprechende Berufung zu erheben. Soweit die belangte Behörde schließlich damit argumentiert, dass der Beschwerdeführer nach der Aktenlage - offenkundig bezieht sie sich dabei auf die schon erwähnte Stellungnahme des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren - vom Polizeigefangenenhaus sowohl schriftlich als auch telefonisch mit der Außenwelt habe in Verbindung treten können, ist ihr zu entgegnen, dass daraus lediglich der Zugang zu Kommunikationsmitteln abgeleitet werden kann. Bezüglich dem Beschwerdeführer offen stehender Möglichkeiten, konkret und rechtzeitig Rechtsbeistand in Anspruch zu nehmen, ist daraus jedoch nichts zu gewinnen, wobei ergänzend angemerkt sei, dass das Schreiben des Beschwerdeführers an Amnesty International - seinem Vorbringen in der erwähnten Stellungnahme zufolge - unbeantwortet blieb und dass die Eingabe an den Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland mangels Verwendung der deutschen Sprache zurückgewiesen wurde.
Mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Situation im Polizeigefangenenhaus, die die (rechtzeitige) Beiziehung eines Dolmetschers und/oder Rechtsbeistandes verhindert habe, hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt. In seinem Abspruch über den Wiedereinsetzungsantrag ist der angefochtene Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er insoweit (Spruchpunkt I.) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Im Übrigen war die Beschwerde jedoch abzuweisen. Bezüglich der Zurückweisung der gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid erhobenen Berufung als verspätet (Spruchpunkt II.) folgt dies ohne weiteres daraus, dass diese Berufung unbestritten erst nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 63 Abs. 5 AVG erhoben worden ist. Die Aufhebung des die beantragte Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumung versagenden Bescheidteiles (Spruchpunkt I.) durch das gegenständliche Erkenntnis ändert an diesem Ergebnis nichts, weil die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem offenen Wiedereinsetzungsverfahren zu entscheiden ist (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Slg. Nr. 12.275/A). Auch bezüglich des Feststellungsantrages nach § 75 FrG ist nach wie vor von einem rechtskräftigen Abschluss des Ausweisungsverfahrens auszugehen. Eine Aufhebung der insoweit ergangenen Entscheidung der belangten Behörde (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) kommt angesichts dessen nicht in Betracht. Sollte es im fortgesetzten Verfahren jedoch zu einer Bewilligung der begehrten Wiedereinsetzung kommen, könnte dem im Weg einer Wiederaufnahme des Verfahrens aus dem Grund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG Rechnung getragen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. Februar 2000
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998210421.X00Im RIS seit
11.07.2001